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Die Sängerin.
Von Kaspar Netscher.

In dem Gebäude, welches die Generalstaaten im Haag dem päpstlichen Legaten, Cardinal Cesare Detti Barberini zur Verfügung gestellt hatten, ging im Frühjahre 1655 ein glänzendes Fest zu Ende.

Die weiten Säle waren voll von schönen Männern und Frauen aus Niederlands vornehmsten Geschlechtern. Die Blüthe der Jugend wogte nach italienischen Tanzmelodien über den spiegelglatten Boden dahin, indeß der Prinz von Oranien, umgeben von seinen ernsten Holländern, von schmeichelnden Franzosen und schlaublickenden Italienern, sämmtlich Männern in vorgerückten Jahren, in den Nebenzimmern wichtigere Gespräche führte, als sie über die Lippen der sorglosen, nur dem Vergnügen und der Liebe hingegebenen Jugend im Tanzsaal strömten.

Neben dem Großpensionair J. de Wit zeigte sich die imponirende Gestalt Barberini’s. Der Cardinal war noch im kräftigen Mannesalter, in der bekannten „kleinen Toilette“. Obgleich seine Mission, für die Katholiken erweiterte Rechte im eigentlichen Holland zu erhalten, gescheitert war, sah man auf seinem milden, aber auch schlangenklugen Gesichte dennoch keinen Hauch von Mißstimmung, die er in so großem Maße im Herzen trug. Der Prälat erschien hier nur noch als vornehmer Römer, als feiner Weltmann.

Giacomo del Monte, sein Vetter dagegen, ein hagerer, brauner Mann in der Obersten-Uniform der päbstlichen Leibwache, äußerte seinen Unmuth durch seine finstre Miene desto unverhüllter.

Aber gleich als hätte die Liebenswürdigkeit des poesiereichen Italiens demungeachtet einen glänzenden Sieg behaupten sollen, so zeigte sich neben dem Obersten dessen Tochter, Viola del Monte.

Ein reicher Blumenflor der schönen Töchter Niederlands war hier heute zu bewundern; keine derselben aber hätte es vermocht, dieser Italienerin den Preis der Schönsten streitig zu machen; Viola war blond; ihr Haar zeigte in den herabwallenden Locken eine unvergleichlich wirkende Mischung von Natur und Kunst. Orientalische Perlen durchschlangen dasselbe und vom Scheitel schwankten silberfarbene Reigerbüsche. Nichts Zarteres gab’s je als Viola’s Gesichtsfarbe, und die Formen ihres Gesichts und ihres nur nachlässig verhüllten Busens wären ein tadelloses Vorbild für die Schöpfungen der Künstler gewesen. Ihre Unterarme waren entblößt und erschienen, wie die Hände, unnachahmlich schön.

Viola, die alle Männerherzen Bezaubernde, war die Königin des Festes. Nur wenige Glückliche aber genossen die Gunst, die Römerin zum Tanze zu führen. Sie zog sich bald von der rauschenden Lust zurück, um mit ebenso vieler Würde als Grazie in den Gesellschaftszimmern die Pflichten der Dame vom Hause zu übernehmen.

Nicht wenige der niederländischen und fremden Cavaliere wurden dadurch bewogen, ebenfalls den Tanz aufzugeben und sich in die Spielzimmer zu begeben, um den Anblick dieser Schwester der Huldgöttin länger zu genießen.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)