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großen Federhut nachlässig lüftete, dicht vor die graue Mauer von Rafael Huelst’s Fenster. Dow war entzückt, als er den Kopf des Schönschreibers prüfend betrachtete; als er den runden Sessel desselben, eine Sanduhr und das alte Pult mit vergilbten, zerrissenen Pergamenten erblickte, und oben an dem gewölbten Gestein einen Vogelbauer mit einem Gimpel darin und in der Schlafstube eine runde Laterne von eigenthümlicher, fast antiker Form entdeckte.

Huelst grüßte den blassen Meister mit großer Freundlichkeit, setzte aber, ohne sich stören zu lassen, seine Arbeit fort. Der Maler war durchaus kein Freund von Complimenten; er sagte heute aber dem Alten einige Artigkeiten, weil er, seinen Mann mit richtigem Blicke taxirend, neben der heitern Gutmüthigkeit desselben eine ziemliche Störrigkeit in seinen Zügen zu lesen glaubte. Huelst hörte mit bescheidenem, aber würdig-mildem Lächeln das Lob, welches Dow dem mit unendlicher Mühe gemalten großen „F“, dem Anfangsbuchstaben einer, mit „Frederik van Nassauen“ beginnenden Urkunde spendete. Der Schreibmeister wurde heiter, er lud den Maler, obgleich seine Schüler versammelt waren, ein, in sein Zimmer zu kommen.

– Mynheer, ich werde Euch einige Pergamente zeigen, sprach Rafael Huelst stolz, auf welchen Ihr in jedem großen Buchstaben Malereien bewundern sollt, vor denen die Leistungen unserer Miniaturmaler in Nichts verschwinden. Ich halte mein Urtheil zurück, aber Ihr, der Ihr die Sache zu verstehen scheint, werdet offen gestehen müssen, daß unsere hochgepriesenen Maler, daß Dow, Mieris und Metzu gegen die Feinheit meiner Arbeit ihre Leistungen als Sudelei ansehen müssen!

– Dow thut’s ganz gewiß, lieber Meister Huelst! sagte der Maler still lächelnd. Ich bin’s selbst, deswegen kann ich dafür einstehen. Erlaubt, Mynheer, daß ich von Euch lerne; mein Wille ist der beste, den es geben kann. Besonders aber vergönnt, daß ich Euch male; ich möchte das Bild eines so ausgezeichneten Mannes täglich und stündlich vor Augen haben.

Der Schreibmeister starrte den Maler sprachlos an; dann stand er, bestürzt und aufgebracht zu gleicher Zeit, auf und ließ rasch den zur Seite geschlagenen bunten Vorhang herab, um sich mit seinem gekränkten Stolze, seiner beschämten Prahlerei zu verbergen. Mynheer Huelst, sonst ein sehr gottesfürchtiger Mann, fluchte vernehmlich; der Gimpel im Bauer, durch die Finsterniß erzürnt, schrie erbärmlich und fiel vor Aerger todt auf den Boden des Käfigs nieder. Beim Anblicke dieses Unglücks fing der alte Junggeselle auf’s Herzbrechendste zu klagen an.

– Oh, Monbijou! rief er, seinen todten Liebling, große Thränen weinend, an die Lippen drückend. Stirb nicht, verlaß mich nicht! Du aßest aus meiner Hand und schliefst in meinem Busen! Du, mit der kleinen Kehle voll sanfter Lieder, mein Freund, mein Trost . . . da halt’ ich dich, deine arme Leiche, in meiner Hand und weine vergebens, um dich zu erwecken, den die Laune eines schändlichen, herzlosen, eingebildeten Malers hinopferte!

Dow sah ein, daß hier kein Trost nützen könne. Er schlich sich tief betrübt fort; aber eben diese Scene mit dem alten, armen Schönschreiber und seinem Dompfaffen zeigte ihm, daß nimmer ein Anderer als Rafael Huelst vollständiger für sein zartes, poetisches Darstellungstalent geschaffen sei. Er machte Anstrengungen, sich mit dem Schreiblehrer auszusöhnen, um ihn zu bewegen, daß er ihm sitzen möge; aber Huelst war unerbittlich. Und anders konnte Gerard Dow sich seiner nicht bemächtigen, denn er hatte sicherlich acht Tage nöthig, um den Alten zu zeichnen.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/184&oldid=- (Version vom 1.8.2018)