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Erste Rede


Die Judenfrage ist schon lange eine brennende Frage; seit einigen Monaten steht sie bei uns in hellen Flammen. Sie zehrt nicht vom religiösen Fanatismus, auch nicht von politischer Leidenschaft. Orthodoxe und Freigeister, Conservative und Liberale reden und schreiben über dieselbe mit gleicher Heftigkeit; sie alle behandeln das Judenthum nicht als einen Zankapfel confessioneller Unduldsamkeit, sondern als einen Gegenstand socialer Besorgniß. Die sociale Frage ist die Judenfrage, – schreibt Glagau. Wählt keinen Juden! – ruft W. Marr in einer dritten Broschüre, nachdem er in der ersten vom „Sieg des Judenthums über das Germanenthum,“ in der zweiten von „dem jüdischen Kriegsschauplatz“ berichtet hatte. Finis Germaniae, zu Deutsch: Das Ende Deutschlands ist gekommen – schließt er in höchster Erregung seinen Aufruf an unser Volk. Nun, so nahe glauben wir das Sterben des deutschen Geistes noch nicht. Völker können wiedergeboren werden wie einzelne Menschen; auch Deutschland, auch Berlin wird wieder genesen und von dem fremden Geiste sich losmachen. Aber Krankheitssymptome sind da; sociale Uebelstände liegen unserm Volkskörper in allen Gliedern, und Socialfeindschaft ist nie ohne Grund. Christen wie Juden muß es eine ernstliche Sorge sein, daß aus der Gegnerschaft kein Haß werde. Denn schon zuckt es hier und da wie das Wetterleuchten eines fernen Gewitters. Aber sehr merkwürdig ist, daß die jüdisch-liberalen Blätter nicht den Muth haben, auf die Klagen und Anklagen ihrer Angreifer zu antworten. Sonst erfinden sie den

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland (Erste Rede). Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)