Seite:Tagebuch Russlandfeldzug 0042.jpg

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Bürger.Den Bürgerstand kann man nur in den Städten ersten und zweyten Ranges suchen, denn alle Städte welche geringer als diese sind, sind nur unter die Flecken zu rechnen, welche größtentheils, oder doch bis zur Hälfte mit Juden bewohnt sind. Den Überrest bildet eine Art Häusler oder Tagelöhner, welche weder zum Bürger- noch Bauernstande zu rechnen sind und gleichsam den Übergang zwischen beiden Ständen machen. Handel, Betreibung von Profeßionen und Schenckwirthschaft machen hier den vorzüglichsten Nahrungszweig dieses Standes aus. Unter den Profeßionisten findet man hin und wieder Deutsche an, die auf ihrer Wanderschaft hier zurückgeblieben sind und sich angesiedelt haben, doch scheint der größte Theil sein Glück und Auskommen nicht in der Maase zu finden, als er es anfangs glaubte. Die Menge der Gewerktreibenden Juden, die für oft weniges Geld noch schlechtere Waaren fertigen und in Umlauf bringen, sezen seinen Emporkommen Schranken.

Bauer.     Der Bauer obschon seiner Mehrzahl nach, die volkreichste Classe im Staate, ist als nicht freyer Mann, sondern blos der 1ten Claße untergeordnet, der unbedeutendste Theil im selbigen Staate, denn er kann in seinen Verhältnißen nie Grund Eigenthum erwerben. Will sich der pohlnische Bauer verheyrathen, oder sind seine Ältern abgelebt oder verstorben, so wird er von seiner Herrschaft entweder in die Wirthschaft seiner Ältern, oder sonst in eine vacante oder schlecht administrirte eingesezt. Er erhält mit selbiger zugleich das benöthigte Inventarium an Vieh und Geschirre, wofür er seiner Herrschaft die dem Herkommen gemäs bestimmten Spann- und Handdienste leisten und überdies noch NaturalZinsen entrichten muß. Was nach Abzug der, der Guthsherrschaft und der Clerisey zu entrichtenden Abgaben seinem Erwerbs Fleiß noch übrig bleibt, womit er sich und eine meistens sehr zahlreiche Familie bis zur nächsten Erndte wieder hinbringen muß, kann er erst als disponibles Eigenthum betrachten.

Empfohlene Zitierweise:
F. W. Winkler: Bemerkungen über den Feldzug gegen Rußland in den Jahren 1812 und 1813, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tagebuch_Russlandfeldzug_0042.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)