Seite:Theodor Storm Sommergeschichten und Lieder.djvu/143

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Nun war es Weihnachten; den Christabend, da ein übermäßiger Schneefall mir den Weg zur Heimath versperrte, hatte ich in einer befreundeten, kinderreichen Familie zugebracht; der Tannenbaum hatte gebrannt, die Kinder waren jubelnd in die langverschlossene Weihnachtsstube gestürzt; nachher hatten wir die unerläßlichen Karpfen gegessen und Bischof dazu getrunken; nichts von der herkömmlichen Feierlichkeit war versäumt worden. — Am andern Morgen trat ich zu Marthe in die Kammer, um ihr den gebräuchlichen Glückwunsch zum Feste abzustatten. Sie saß mit untergestütztem Arm am Tische; ihre Arbeit schien längst geruht zu haben.

Und wie haben Sie denn gestern ihren Weihnachtabend zugebracht? fragte ich.

Sie sah zu Boden und antwortete: Zu Hause.

Zu Hause? Und nicht bei Ihren Schwesterkindern?

Ach, sagte sie, seit meine Mutter gestern vor zehn Jahren hier in diesem Bette starb, bin ich am Weihnachtabend nicht ausgegangen. Meine Schwester schickte gestern wohl zu mir, und als es dunkel wurde, dachte ich wohl daran, einmal hinzugehen; aber — die alte Uhr war auch wieder so drollig; es war accurat, als wenn sie immer sagte: Thu es nicht, thu

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Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/143&oldid=- (Version vom 1.8.2018)