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auf und verlangte zu trinken. Marthe, sagte sie, wenn es erst Frühling wird und ich wieder zu Kräften gekommen bin, dann wollen wir deine Schwester Hanne besuchen; ich habe ihre Kinder eben im Traume gesehen; — du hast hier gar zu wenig Vergnügen. — Die Mutter hatte ganz vergessen, daß Schwester Hanne’s Kinder im Spätherbst gestorben waren; Marthe erinnerte sie auch nicht daran, sie nickte schweigend mit dem Kopf, und faßte ihre abgefallenen Hände. Die Uhr schlug Elf —

Auch jetzt schlug sie Elf, aber leise, wie aus weiter, weiter Ferne —

Da hörte Marthe einen tiefen Athemzug; sie dachte, die Mutter wolle wieder schlafen. So blieb sie sitzen, lautlos, regungslos, die Hand der Mutter noch immer in der ihren; am Ende verfiel sie in einen schlummerähnlichen Zustand. Es mochte so eine Stunde vergangen sein; da schlug die Uhr. Zwölf! — Das Licht war ausgebrannt, der Mond schien hell ins Fenster; aus den Kissen sah das bleiche Gesicht der Mutter. Marthe hielt eine kalte Hand in der ihrigen. Sie ließ diese kalte Hand nicht los, sie saß die ganze Nacht bei der todten Mutter. —

So saß sie jetzt bei ihren Erinnerungen in derselben Kammer, und die alte Uhr pickte bald laut, bald

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Theodor Storm: Sommergeschichten und Lieder. Duncker, Berlin 1851, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Storm_Sommergeschichten_und_Lieder.djvu/147&oldid=- (Version vom 1.8.2018)