Seite:Ueber die Liebe 328.jpg

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Dritten, mir zum Beispiel, versuchte: so täppisch, gewöhnlich und geschmacklos war er.

Wenn er dergleichen in meiner Gegenwart von einer anderen Frau gesagt und getan hätte, so hätte ich mir vielleicht einfallen lassen, ihn mit ein paar Ohrfeigen zu unterbrechen. Aber ich wußte, welche nüchterne Seele in Felicie steckte, wie sehr ihr das echte Zartgefühl mangelte. Ich bin so oft über ihre Eitelkeit aufgebracht gewesen, daß ich mich begnügte, sie ein wenig zu bedauern, sobald sie durch ihren Gatten in ihrer Eitelkeit verletzt wurde, und entfernte mich.

Auf diese Weise ging die Ehe einige Jahre hin. Felicie blieb kinderlos.

Solange ihr Gatte in Paris weilte – und er verbrachte nur sechs Wochen im Sommer in seinen burgundischen Werken – verkehrte er in der besten Gesellschaft, nahm deren Ton an und vervollkommnete sich bedeutend. Er blieb zwar nach wie vor ungebildet, aber er machte sich doch nicht mehr lächerlich und hatte täglich größere Erfolge in seinem Berufe, die sich an den bedeutenden Besitzerwerbungen, die er nach und nach machte, und nach dem letzten Berichte der Jury der nationalen Industrieausstellung beurteilen lassen.

Infolge der Zurückweisungen seiner Frau bildete sich Herr Féline bei fünf oder sechs Gelegenheiten ein, etwas in sie verliebt zu sein, und er glaubte das auch. Felicie hängte ihm den Brotkorb höher. Ihre Gefallsucht kam in dieser Zeit darin zum Ausdrucke, daß sie ihm öffentlich Liebenswürdigkeiten sagte, unter vier Augen aber Vorwände fand, ihn grausam zu behandeln. Dadurch steigerte sie die Begehrlichkeit ihres Gatten; und wenn sie sich zur Hingabe herabließ, mußte er ihr

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_328.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)