Seite:Ueber die Liebe 334.jpg

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mein Freund, Sie könnten mich nicht verachten! … Ich fühle es wohl, etwas fehlt mir … Mein Glück ist nicht rein. Ich weiß wohl, was ich Karl schulde. Aber, mein Freund, ewig auf der einen Seite Gleichgültigkeit und Geringschätzung, auf der anderen Fürsorge und Liebe … und die unvermeidliche Vertraulichkeit der Reise … So viel Gefahren! … Kann ich solcher Liebe widerstehen und obendrein solchem Ungestüm? …“

Da war also der arme Weilberg, obwohl keusch wie Josef, angeschuldigt, die Frau seines Freundes verführt zu haben. Man mußte es glauben, denn sie sagte es selbst, sie hatte sich dessen vor zwei meiner Bekannten gerühmt und zweifellos noch vor anderen, mir unbekannten Leuten.

Meine Schilderung ist ziemlich wahrheitsgetreu; ich habe mir ihre Ausdrücke genau gemerkt. Ein paar Tage später traf ich jemanden, dem das gleiche Geheimnis anvertraut worden war. Auf meine Bitte, sich genau ihrer Ausdrücke zu entsinnen, wiederholte er mir die nämlichen Worte, die ich zu hören bekommen hatte. Ich mußte lachen.

Nach ihrer Beichte hatte mir Felicie gesagt, indem sie mir die Hand gab, sie rechne auf meine Verschwiegenheit; ich müsse wieder wie früher mit Weilberg verkehren und solle tun, als bemerkte ich nichts. Die wilde Jugend dieses großartigen Mannes ängstige sie. Wenn er sie verließe, fürchte sie immer, ihn nicht wiederzusehen; sie befürchte, er könne sich, durch einen raschen Entschluß getrieben, plötzlich nach Schweden einschiffen. Ich selbst versprach ihr selbstverständlich, daß unsere Unterhaltung mein tiefstes Geheimnis bleiben würde.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_334.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)