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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Sigmundens blauem Aug’ entquoll
     des Mitleids fromme Zähre,

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sie flüsterte so kummervoll:

     „O, daß mir’s möglich wäre –“
da stürzte der trunkene Junker herzu:
„Komm schöne Gefang’ne, komm hurtig zur Ruh!“

Er schlang den Arm ihr um den Leib,

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     und trug sie fort zum Gaden:2)

„Was sträubst du dich? Du wirst mein Weib!
     Ich will dich gut berathen!
Mein Stammschloß und all’ meine Habe sey dein,
sollst schlafen auf Flaumen und baden in Wein!“

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Er sagt’ ihr manches glatte Wort

     von Schwelgen und Genießen,
jedoch sie schwieg und weinte fort,
     das thät ihn arg verdrießen:
„Ha, so spar’ doch die Thränen, sie lassen nicht fein,

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magst mehr wohl dich freuen, mein Liebchen zu seyn!“


Er preßte sie an seine Brust,
     er faßte sie am Kinne,
er schwatzte viel von süßer Lust,
     von ewig treuer Minne,

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er versprach ihr Geschenke, er drohte Gewalt;

doch das Mägdlein blieb immer wie Marmel so kalt.

[Ξ] 2)

Gaden, sonst s. v. a Zimmer, Gemach, Schlafgemach.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 051. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_051.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)