Singende Flammen

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Autor: Unbekannt
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Titel: Singende Flammen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 732
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[732] Singende Flammen. Im vorigen Jahrhundert machte ein Chemiker die Entdeckung, daß eine in einer längeren Glasröhre brennende Gasflamme einen musikalischen Ton erzeugt, dessen Höhe hauptsächlich von der Länge der Röhre abhängt. Man nannte dieses Experiment ziemlich unpassend die chemische Harmonika, und ein französischer Physiker hat aus derartigen musicirenden Gasflammen sogar ein Feuerclavier oder Pyrophon construirt, welches sich auf der Wiener Weltausstellung sehen und hören ließ. Aber mehr als die musikalischen Leistungen dieser „feurigen Zungen“ hat eine andere Eigenthümlichkeit derselben das Interesse der Physiker erregt, nämlich ihre merkwürdige Empfindlichkeit gegen von außen auf sie eindringende Luftschwingungen. Man kann es leicht durch Verschiebung des Rohres und durch Regulirung der Gasausströmung dahin bringen, daß eine singende Flamme in Stillschweigen versinkt, aber fast macht es den Eindruck, als ob sie dabei horche, denn sobald in einer Entfernung, die ziemlich bedeutend sein kann, ein bestimmter, ihr sympathischer Ton mit der Stimmgabel angeschlagen oder gesungen wird, beginnt sie sogleich einzustimmen. Umgekehrt kann die musicirende Flamme durch einen solchen Ton schon aus der Ferne zum Schweigen, ja zum plötzlichen Erlöschen gebracht werden, und da sich leicht bewerkstelligen läßt, daß das nunmehr unverbrannt ausströmende Gas sich am andern Ende der Röhre entzündet, so kann man auch durch Anspielen oder Singen eines Tones aus der Ferne ein Licht anzünden und andere Wirkungen vollbringen. Das merkwürdigste dieser namentlich von dem Grafen Schaffgotsch ins Unendliche abgeänderten Experimente mit den sensiblen Flammen ist kürzlich von dem englischen Physiker W. F. Barret angestellt worden. Derselbe neckte seine empfindlichen Flammen nämlich mit Tönen, die er und andere Leute gar nicht hören konnten, die aber vielleicht von manchen Thieren vernommen werden und jedenfalls sehr auffallend auf die empfindlichen Flammen wirkten. Ebenso wie es unsichtbare Lichtstrahlen giebt, welche, weil zu schnell schwingend, unsere Netzhaut nicht mehr erregen, welche aber auf die präparirte Platte des Photographen gerade am stärksten einwirken, so giebt es auch Töne, von denen wir sagen müssen: sie sind zu hoch für unser Fassungsvermögen. Viele, namentlich ältere Personen hören schon das Zirpen der Grillen und Heimchen nicht mehr, und ihr Concert, das anderen Personen vielleicht unerträglich dünkt, ist für sie gar nicht vorhanden.

Der englische Physiker Galton hat eine Pfeife erfunden, mit welcher man die Höhe des Tones stufenweise bis schließlich über die Grenzen des menschlichen Ohres hinaus steigern kann. Es lassen sich mit derselben merkwürdige Versuche anstellen, wenn man in einer Gesellschaft namentlich älterer Personen allmählich immer höhere Töne erzeugt. Während die Einen sich dann über das unerklärliche Gellen der Töne beschweren, herrscht für Andere bereits vollkommene Ruhe. Wird nun die Tonhöhe immer noch weiter gesteigert, so fallen, um mich eines populären Ausdruckes aus der Trinkstube zu bedienen, immer mehr Personen ab, und der Triumph der Hochhörigsten ist auch nur von kurzer Dauer: endlich hört Niemand mehr das Geringste, und die Behauptung, daß noch eine Art Geistermusik die Luft des Zimmers in Schwingungen versetzt, erregt allgemeines Kopfschütteln. Aber wie nach dem Glauben der alten Griechen und Germanen Hunde durch Gekläff und Pferde durch Ohrenspitzen dem Menschen das Vorüberwallen überirdischer Wesen verrathen, so genügt eine empfindliche Flamme, um zu zeigen, daß die Pfeife in der That immer noch Tonschwingungen aussendet. Herrn W. F. Barret gelang es, eine zwei Fuß hohe Gasflamme zu erzeugen, die so empfindlich war, daß sie bei dem bloßen Zusammenklingen zweier Silbermünzen wie vor Schreck auf sieben Zoll zusammenknickte. Diese Flamme vernahm denn auch die den Menschen unhörbaren Töne der Pfeife aus Entfernungen von zwanzig bis fünfundzwanzig Fuß. Sie sank, sobald der unhörbare Pfiff durch die Lüfte zitterte, sofort auf sechszehn Zoll zusammen, verlor ihre Helligkeit und accompagnirte die stille Musik mit einem vernehmlichen Rauschen. In einem schnellgedrehten Spiegel läßt sich erkennen, daß sie dabei lebhaftest zittert und flackert.