Skizzen aus Kaukasien

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Textdaten
Autor: Nikolai Bersenow
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Titel: Skizzen aus Kaukasien
Untertitel:
aus: Belletristische Blätter aus Russland, Zweiter Jahrgang, Seite 283–286
Herausgeber: Clemens Friedrich Meyer
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Eggers und Comp.
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Erscheinungsort: St. Petersburg
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Skizzen aus Kaukasien.

Nucha.

Nucha, ehemals Scheki genannt, breitet sich malerisch an den Ufern des Flusses Kodshi zwischen zahllosen Gärten aus, die Berge umschließen wie Schirme die Stadt von allen Seiten und sind von Schakalen erfüllt, die allabendlich ihr Gratis-Concert geben. Hier hat die Stickerei in Tuch seit einigen Jahren ihren Sitz aufgeschlagen. In Ermangelung der Materialien zu einer statistischen Beschreibung dieses Ortes, beeile ich mich, einiges über den dortigen Palast des Chan zu erwähnen. Die Geschichte desselben, weitläuftig und an romantischen Episoden reich, ist in der Kürze folgende: ein Vorfahr des Gründers der gegenwärtigen Festung, Mahmed Hassan Chan, wegen Ungehorsams gegen den Schach geblendet, erbaute hier am Ende des achtzehnten Jahrhunderts einen steinernen Palast, zur Wohnung und zum Richtstuhl. Das Schloß ist zwei Stockwerke hoch, mit je drei Zimmern in der Reihe, zu dem obersten Stockwerk gehören zwei Balkons, die nischenartig von bogenförmigen Decken überdacht sind; vor dem Schlosse ein Bassin, zu beiden Seiten desselben zwei uralte Pappeln. Die Zeit, welche der Macht der Chane nicht schonte, berührte auch das Schloß, das Dach verfaulte, der Bewurf fiel außen und innen ab, die Malereien verblichen, die Spiegelgläser sprangen, kurz, alles bot endlich kaum noch bemerkbare Spuren eines früheren Glanzes dar. Als der Fürst Michail Ssemenowitsch Woronzow zum Statthalter in Kaukasien ernannt wurde, gedachte er auch der Denkmäler der Baukunst: der Fürst ordnete die Restauration des unteren Stockes dieses Schlosses mit möglichster Erhaltung der Ueberbleibsel der Malerei an, auch befahl er, den Umbau des Daches und neue Schreinerarbeiten auszuführen. Die Restauration wurde von persischen Malern unter Aufsicht des nuchinschen Kreisinspectors am Schlusse des Jahres 1851 beendet, die Wandmalereien mit ausgezeichneten Farben stellen vorzugsweise Blumen und Arabesken nach orientalischem Geschmack dar, die Mannigfaltigkeit und das Treffende derselben beschreibt die Feder nicht. Das Meisterwerk besteht in den Kaminen: je einer in jedem Zimmer der niederen Etage, von schneeweißem Alabaster, zu jeder Seite ein Wandspiegel in alabasternem Rahmen. Die Thüren sind geschmackvoll mit Blumen und Gold geschmückt. Die Fensterrahmen schließen neue, bunte Scheiben ein, an der Façade sind die alten Glasmalereien aufgefrischt. Die obere Etage harrt noch der Restauration, sie enthält das Archiv des Kreises. Das Schloß zeichnet sich nach einer solchen [284] Erneuerung durch den Reichthum an Farben und Gold aus, es ist ein großartiges und prachtvolles Gebäude, in welchem bei der Lage desselben auf einer ansehnlichen Höhe und bei der Dicke der Mauern die Hitze des Sommers nicht fühlbar wird.




Delijan[1].

Für den Sommer-Aufenthalt bietet die Lage Delijans in mancher Art Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten dar. In einem gesunden Klima, inmitten einer reichen und großartigen Natur kann man hier Schutz vor der drückenden Hitze und dem Staube in der Stadt finden. Der Weg von Tiflis bis Delijan ist mit Ausnahme der Stationen Asslanbeglin und Pipiß, wo bedeutende Abhänge und Steigen bei schlechter Witterung die Fahrt erschweren, gut. Die zu solchem Wegebau bestimmte Compagnie schlägt ihr Lager in einem Engpasse auf, von welchem aus man einer herrlichen Aussicht auf das Grün der Thäler und auf die Berge, welche bis zur Hälfte bewaldet sind, genießt; zwischen hundertjährigen Bäumen finden sich zahlreiche Pflaumenbäume, Apfelbäume, Nußsträuche; die Rübe und andere Südfrüchte kommen hier zwar nicht fort, man bezieht sie aber in großen Quantitäten aus Eriwan. Die Bewohner des Lagers bestreben sich, ihre Mußestunden so fröhlich und mannigfaltig wie möglich zu verbringen, bald ergehen sie sich in idyllischen Vergnügungen, sammeln Pilze und Beeren im Walde, trinken den Thee und mittagen auf dem grünen Teppich der Wiesen, bald führen sie eine Kavalkade aus, weit häufiger sitzen sie aber beim Preference-Spiel oder beim Lotto; täglich sind durchreisende Gäste da, welche Neuigkeiten bringen, und fortwährend ziehen Karawanen ihre Straße durch das Lager.

Achtzehn Werst von Delijan entfernt ist der herrliche Hain Hapsatschiman. Anderthalb Werst vor demselben, rechts vom Wege, befinden sich kohlensaure Eisenquellen, die in rheumatischen und anderen Leiden sich als sehr heilsam erweisen; auf Betrieb des Commandanten von Alexandropol, des Generals Schulz, werden daselbst Wannen und ein Wohnhaus für etwaige Kurgäste eingerichtet.

Die Tataren, welche die Niederungen von Bortschalin und Kasach bewohnen, ziehen für den Sommer auf die hiesigen Berge, ihr Aufenthalt dauert vom Anfang des Juni bis zur Mitte des August, und während dieser ganzen Zeit geschehen auf der Landstraße kleine asiatische Schelmereien.

[285] In der Nachbarschaft breiten sich mehrere Molokanen-Dörfer auf herrlichen Weideplätzen, einem fruchtbaren Ackerlande und in der Nähe von Wäldern aus. Die Molokanen sind großentheils wohlhabend.

Seit meiner Ankunft verschob ich von einem Tage zum anderen den Besuch des ssewanschen Klosters und des goktschinschen Sees; endlich, am 6. Juli, an dem Kloster-Festtage, ward mein lange gehegter Wunsch erfüllt. Das ssewansche Kloster ist so häufig beschrieben worden, daß ich nur schon Gesagtes wiederholen könnte, daher erzähle ich in der Kürze, was ich am Orte selbst hörte und sah. Es leben hier sechs Mönche, neun Diakonen und sieben Novizen, aus verschiedenen Ständen und verschiedenen Orten dieser Provinz und aus der Türkei stammend; mit Ausnahme des greisen Priors genießt keiner derselben Fleisch, und für jeden sind neben der Kirche selbst Zellen eingerichtet, die durch einen Corridor zusammenhängen. Die Kirche, welche auf den Namen der heiligen Mutter Gottes erbaut worden, hat zwei Eingänge, einen von außen her für herbeigereiste Beter, einen anderen vom Corridor aus für die Mönche. Der Winter ist hier so kalt, daß die Klosterbewohner die seewärts gerichtete Corridorthür verkalfalern müssen und während mehr als zwei Monaten das Licht des Himmels nicht erblicken. – Den goktschinschen See nennen die Armenier nach dem Zaren Kiham, welcher ungefähr achtzehnhundert Jahr vor Chr. geherrscht haben soll, und auch nach der Provinz, welche die westliche Küste des Sees bildet, Zow-Kigama. Die Perser nennen ihn Darja-Schiring, d. h. das stille Meer; die Türken Kuge-Tengiß, d. h. das blaue Wasser, und in der That hat die Oberfläche desselben die Farbe des Türkises, es ist sehr durchsichtig. Die gewöhnliche Benennung des Sees ist aber Goktscha oder Gektscha. Seit alter Zelt unterhalten die Mönche für die Reisenden eine Art von Fähre, d. h. es sind drei unbehauene Balken unter einander verbunden und rundherum Planken angeschlagen; auf solch einer urweltlichen Fähre steht das Wasser eine Viertel-Arschin hoch über den Dielen und schont nicht die Füße der Drüberfahrenden. Bei Sturm kann man sie durchaus nicht benutzen und ist man genöthigt, zu warten, bis wieder gutes Wetter eintritt; dennoch erinnern sich die Mönche irgend eines Unglücks nicht. Obschon dieselben mir versicherten, das Wasser im goktschinschen See wachse von Jahr zu Jahr, so hat es doch in dem gegenwärtigen um ein Viertel abgenommen. Der See ist reich an Lachsforellen, besonders im Herbst und im Frühling, die Fischer erbeuten mit einem Zuge wohl an vier Arb. Die Mönche erzählen manches von Interesse; unter anderen setzten sich Lesghinen, welche zur Zeit der persischen Herrschaft die klösterlichen Schätze rauben wollten, in einige Kasten mit Oeffnungen, um als Waare dem Kloster zugeschmuggelt zu werden, während der Ueberfahrt hörte aber ein Knabe einen Lesghinen aus dem Kasten fragen: «Sind wir bald am Lande?« [286] Da meldete es der Knabe den Mönchen, und diese wußten sich von den Räubern zu befreien.

Die Poststraße nach Eriwan zieht sich an dem westlichen Ufer des Sees entlang, im Winter werden auf derselben ganze Karawanen von Schneestürzen begraben.




  1. Unter etwa 40° 48’ nördl. Br. und 62° 35’ öst. L. Nach K. A. B-w. im Кавкаәъ, 1852. Vgl. № 63 des „Magazins“.