Spiele des Zufalls

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Autor: August Schrader
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Titel: Spiele des Zufalls
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27–31, S. 349–352;365–368;381–385; 397–400;409–414
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[349]
Spiele des Zufalls.
Novelle von August Schrader.
I.

An einem trüben Herbsttage Morgens acht Uhr fünf Minuten ward in Braunschweig der Schnellzug expedirt. Das erste Zeichen zur Abfahrt war bereits gegeben und der größte Theil der Reisenden hatte die Wagen bestiegen. Da erschien auf dem Perron ein alter Herr in einem kostbaren Pelze, dem ein Bediente in amaranthfarbner Livree voranging. Herr und Diener hatten graue Haare, sie schienen in einem Alter zu stehen und unterschieden sich nur durch die Kleidung und durch die Körperconstitution. Der Herr war klein und dick, der Diener lang und hager.

„Erste Wagenklasse!“ rief der Diener dem Schaffner zu.

„Hier!“

Der Schaffner öffnete ein Coupé. Mit Hülfe seines Dieners stieg der Herr im Pelze ein, und warf sich behaglich in die gepolsterte Ecke.

„Meine Cigarren, Lorenz!“

„Hier, Herr Senator!“

Lorenz überreichte seinem Herrn ein Etui, dem die Reichhaltigkeit des Inhalts anzusehen war. Während der Senator sich eine Cigarre anzündete, präsentirte Lorenz dem Schaffner das Billet.

„Lorenz!“ ertönte der Baß des Reisenden. „Auf der nächsten Station, wo länger als fünf Minuten angehalten wird, bringst Du mir ein Glas Madeira!“

„Sehr wohl, Herr Senator!“

„Jetzt nimm Deinen Platz ein, und hüte Dich vor Erkältung!“

„Zu dienen, Herr Senator!“

Lorenz entfernte sich. In dem Augenblicke, als der Schaffner die Thür des Coupé’s schließen wollte, erschien eine Frau, die hastig fragte:

„Erste Klasse?“

„Hier!“

Die Frau wandte sich zu einer Dame, die ihr auf dem Fuße folgte.

„Steigen Sie gefälligst ein, Frau Landdrostin!“

Die Frau Landdrostin war völlig in schwarzen Atlas gekleidet; sie trug ein Atlascapuchon mit schwarzem Schleier und einen reichen mit Zobel verbrämten Atlasmantel von derselben Farbe. Ihre Gestalt und Haltung waren graziös, aristokratisch; ihr Gesicht ließ sich nicht erkennen, da der Schleier es dicht verhüllte. Sie trat an den Wagen, dessen Thür man wieder geöffnet hatte.

„Schon besetzt!“ rief sie in einem Tone aus, der mehr Schrecken als Ueberraschung verrieth.

„Ein Coupé erster Klasse enthält zwei Plätze, Madame!“ antwortete artig der Schaffner.

„Weisen Sie mir einen andern Waggon an, mein lieber Freund!“

„Es thut mir leid, daß ich Ihren Wunsch nicht erfüllen kann.“

„Warum? Warum?“

„Weil ein Waggon völlig besetzt sein muß, ehe ich einen zweiten öffnen darf. Ich bitte, beeilen Sie sich!“ sagte dringend der Schaffner, der in diesem Augenblicke das letzte Glockenzeichen und das schrillende Pfeifen der Locomotive hörte. „Ihr Billet?“

„Wenden Sie sich an meine Kammerfrau!“ antwortete stolz die Dame, indem sie einstieg.

Die Thür schloß sich hinter ihr. Die Kammerfrau präsentirte dem Schaffner zwei Fahrbillets, die er coupirte.

„Sie wollen auch mitfahren?“ fragte er.

„Zweiter Klasse!“

„So nehmen Sie rasch Platz, wenn Sie nicht zurückbleiben wollen!“

Der Schaffner riß hastig den nächsten Wagen auf, und schob die korpulente Zofe, die fest in einen grünen Tuchmantel gewickelt war, hinein. Lorenz, der sich zufällig in dem Wagen befand, streckte dienstwillig die Arme aus, und nahm seine Reisegefährtin in Empfang. An demselben Augenblicke setzte sich der Zug in Bewegung. Es war ein Schnellzug – wir sagen daher nichts über die geflügelte Eile desselben. Von den zehn Wagen, aus denen dieser Zug bestand, haben nur zwei Interesse für uns: es ist der erster Klasse, in dem die Herrschaft Platz genommen, und der zweiter Klasse, in dem sich die Dienerschaft befindet. Der letztere folgte unmittelbar dem erstern.

Der Senator Beck, ein ruhiger Charakter, den Kleinigkeiten nicht zu erschüttern vermochten, lag unbeweglich in seinem gepolsterten Sitze und rauchte mit dem hohen Genusse seine Havanna, den die erste Morgencigarre dem leidenschaftlichen Raucher gewährt. Er würde ohne Zweifel der Dame, welche die Kammerzofe Frau Landdrostin titulirt, höflich gedankt haben, wenn diese ihn gegrüßt hätte; aber da sie schweigend und, wie es schien, erbittert über die zufällige Gesellschaft, eingestiegen war und so weit als möglich, von ihm sich niedergelassen hatte, so hielt er es für überflüssig, sich der gewöhnlichen Höflichkeit gegen fremde Damen zu befleißigen, und verblieb als behäbiger Senator ruhig in seiner Ecke. Um seine Gleichgültigkeit noch mehr zu entschuldigen, fügen wir hinzu, daß der Senator, obgleich er schon fünfundfünfzig Jahre zählte, noch Garçon war, und daß er den Frauen nie einen Vorzug [350] vor den Männern eingeräumt hatte. Der arme Mann! Er war Anachoret inmitten eines civilisirten Volks und hatte keine Ahnung von den süßesten Freuden dieser Welt. Sein Leben war in der freien Stadt Bremen unter Essen, Trinken und Rauchen verflossen. Uebrigens kleidete er sich mit Hülfe seines Lorenz sehr geschmackvoll, war ein wohlunterrichteter Mann – eigentlich Kaufmann, denn er gehörte nicht zu den studirten Senatoren – hatte eine schöne, breite Figur, eine gerade, offene Stirn, spärliche graue Haare und einen feinen Anflug von der Röthe, die man die Weinröthe nennt. Wäre er verheirathet gewesen, so hätte man ihn den Typus der Patrizier nennen können, die 1630 den letzten Hansetag in Lübeck beschickten, und die Rose in dem Rathskeller zu Bremen pflanzten.

Der Senator hatte viel zu denken, so daß er schon nach zehn Minuten seine Begleiterin, die sich durch keine Bewegung bemerkbar machte, vergessen hatte; er war nur mit sich und seiner Cigarre beschäftigt. Den Charakter der Gegenstände, über die er nachdachte, konnte man aus seinen Mienen schließen: bald lächelte er wie ein Stillvergnügter, der den Himmel in seiner Brust findet; bald kniff er die Lippen zusammen wie ein Mensch, dem ein treffender Witz das Zwerchfell erschüttert, aber sich schämt, laut darüber zu lachen – dann wieder schüttelte er ernst das Haupt, bewegte die Lippen, als ob er eine gewichtige Rede hielte, legte die Stirn in Falten oder machte mit der Hand, welche die Cigarre hielt, eine entscheidende gebieterische Bewegung. Dabei hatte sich nach einer Viertelstunde der elegante Wagen dergestalt mit Tabaksrauch gefüllt, daß die Frau Landdrostin, die an eine solche Atmosphäre nicht gewöhnt war, erst zu hüsteln, dann laut zu husten begann. Aber der Herr Senator hörte dieses Avertissement nicht, das jedem fühlenden Manne ein Befehl gewesen sein würde. Er dachte, lächelte, lachte, zürnte und rauchte fort.

Die Landdrostin, die immer noch ihren Schleier nicht gelüstet hatte, versuchte mit ihren kleinen, behandschuhten Händen ein Fenster zu öffnen – es war umsonst, ihre Kraft reichte nicht aus. Sie hielt ihr feines Batisttuch mit brüsseler Spitzen über dem Schleier vor den Mund – aber auch dieses Mittel schützte nicht vor dem sich stets mehrenden Ambradufte der Havanna.

„Mein Gott,“ seufzte sie, „das wird zu arg!“

Es schien, als ob ihr Stolz verschmähete, das zu fordern, was die Höflichkeit gebot. Vielleicht auch hielt sie es unter ihrer Würde, mit dem octroyirten Begleiter ein Gespräch anzuknüpfen, und die Bitte um Einstellung des Rauchens mußte nothwendig zu einer Anknüpfung werden, da sie eine Gefälligkeit in sich schloß.

Plötzlich hielt der Zug an, und die Stimme des Conducteurs rief: „Wolfenbüttel! Zwei Minuten!“

Nach einer Minute ward die Thür des Coupé’s geöffnet und Lorenz erschien mit einem Krystallglase, in welchem der Madeira funkelte, den der Senator bestellt hatte. Der Senator führte Wein aus seinem eigenen Keller mit sich. Während die Landdrostin die frische Luft einsog, schlürfte der Senator den Madeira. Der Weingeruch am frühen Morgen machte die Dame schaudern; sie wollte mit dem Schaffner sprechen; dieser aber zeigte sich nur wie eine flüchtige Erscheinung, er schloß rasch die Thür und verschwand von dem trüb angelaufenen Fenster. Der Schnellzug raste weiter.

Halb ohnmächtig vor Zorn und Ekel sank die Dame in die Kissen zurück; sie mußte sich der Gefangenschaft von Neuem unterwerfen. Der furchtbare Begleiter verblieb in seiner unerschütterlichen Ruhe, in seinem eisigen Schweigen. Jetzt, wo er nach Wein roch, hätte die Landdrostin sich um keinen Preis mit ihm in ein Gespräch eingelassen. Unter solchen Umständen wurden die Minuten zu Stunden. Je mehr Rauchwolken dem Munde des Reisenden entströmten, je peinlicher ward die Lage der armen zartnervigen Frau, die bedauerte, nicht ein Coupé für sich allein genommen zu haben.

Die Luft in dem engen, geschlossenen Raume war nach kurzer Zeit so dicht, daß die Landdrostin fast erstickte. Sie warf den Schleier zurück, und sah durch das Fenster, indem sie ihrem Begleiter den Rücken zuwandte. Aber die Luft ward dadurch nicht reiner.

„Mein Herr, mein Herr,“ rief sie endlich, „ich muß sie bitten, das Rauchen einzustellen!“

Der denkende Senator erinnerte sich jetzt, daß er nicht allein war; er wandte sich und sah in das exaltirte Gesicht seiner Begleiterin. Dieses Gesicht gehörte zwar einer Frau von vielleicht fünfzig Jahren an, aber es trug noch die unverkennbaren Spuren einer zarten, pikanten Schönheit. Der Hut drückte einige braune Locken an die Schläfe; das große dunkle Auge war noch glänzend, der Mund zeigte weiße Zähne, über dem Munde spielte der leichte Schatten eines Bärtchens, und an der linken Wange befand sich ein kleiner Leberfleck, der ihr im achtzehnten oder zwanzigsten Jahre zum Entzücken schön gestanden haben mußte. Die Brauen waren stark und schwarz; der Teint war zart weiß, und die kleine, sanft gebogene Adlernase verlieh der Physiognomie einen imponirenden Adel.

„Madame,“ antwortete sehr artig der Senator, „ich bedaure, daß Sie mich nicht früher auf ein Versehen aufmerksam gemacht haben, das Ihnen, wie ich begreife, sehr unangenehm sein muß. Ich bin zwar ein leidenschaftlicher Raucher, aber ich bringe gern ein Opfer, um mich Ihnen gefällig zu zeigen.“

Nach diesen Worten öffnete er ein Fenster, warf die brennende Cigarre hinaus, und wollte das Fenster wieder schließen.

„Bitte,“ sagte rasch die Dame, „lassen Sie offen!“

„Mit Vergnügen!“ antwortete ruhig der Reisende, indem er das Fenster befestigte.

Eine blaue Rauchwolke zog aus dem Wagen in die frische Morgenluft hinaus. Die Landdrostin nahm ihr weißes Tuch, und beschleunigte durch Wehen den Abzug dieser Wolke.

„Puah!“ rief sie mit aristokratischem Widerwillen, indem sie wie erschöpft in den Sitz zurücksank.

Das Benehmen der Dame, so großer Artigkeit gegenüber, berührte den Senator unangenehm, denn er besaß eben so viel Patrizierstolz, als Ruhe und Gelassenheit. Der Gedanke, daß sie ihn für weniger halten könne, als er war, bestimmte ihn, der ohne Zweifel sehr vornehmen Dame durch ein Gespräch seine Ebenbürtigkeit zu beweisen.

„Das Reisen,“ begann er, „hat stets seine Unannehmlichkeiten, und zu den größten derselben rechne ich die Unterbrechung der alltäglichen Gewohnheiten, die in der Heimath das Leben angenehm machen.“

„Warum bleiben Sie denn nicht zu Hause?“ fragte spöttisch die Dame, die keine Lust hatte, sich mit dem ihr verhaßt gewordenen Manne in ein Gespräch einzulassen.

„Das ist ja eine malitiöse Person!“ dachte der Senator.

„Nun wird er wohl schweigen!“ dachte die Landdrostin.

Aber sie täuschte sich, denn der Senator Beck war nicht der Mann, der aus Höflichkeit schwieg, wenn ihn eine Frau beleidigte, und vorzüglich eine alte Frau.

„Madame,“ sagte er lächelnd, „dieselbe Frage könnte ich an Sie richten.“

„Warum?“

„Weil Sie in Ihrem Zimmer fordern können, was man Ihnen auf der Reise, wenn Sie nicht in einem eigenen Wagen fahren, aus Delikatesse gewährt.“

„Sie provociren meinen Dank?“ fragte sie höhnend.

„Nein, Madame; wohl aber glaubte ich, daß Sie einem höflichen Manne gegenüber die Gesetze des Anstandes nicht verletzen würden.“

„Ich richte mein Betragen nach dem Ihrigen ein.“

„Wie Schade, daß Sie eine Frau sind!“ rief der Senator.

„Warum?“

„Weil ich Ihnen sonst eine meiner Havanna-Cigarren angeboten haben würde.“

„Vergessen Sie nicht, mein Herr, daß wir uns hier nicht in einem Kaffeehause befinden!“ rief die Landdrostin entrüstet.

„Die Kaffeehäuser, Madame, scheinen Ihnen nicht fremd zu sein, da Sie die Gewohnheiten derselben kennen! Mir sind sie bis zu diesem Augenblicke fremd.“

„Mein Gott, wohin bin ich gerathen!“ rief die Dame.

„Schöppenstedt!“ rief draußen der Schaffner. „Zwei Minuten!“

Der Zug hielt. Gleich darauf ward die Thür geöffnet und Lorenz erschien, um nach den Befehlen seines Herrn zu fragen.

Unter dem Arme trug er die Madeiraflasche, und in der Hand das Krystallglas. Die Landdrostin hatte verachtend den Kopf abgewendet, um die Trinkscene nicht zu sehen; sie beobachtete durch das Fenster die gegenüberliegenden Häuser.

„Lorenz, in welchem Wagen fährst Du?“ flüsterte der Herr.

„In dem nächsten hinter dem Ihrigen!“ antwortete der Diener.

„Meine Begleiterin kann das Rauchen nicht vertragen, und [351] Du weißt, daß ich ohne zu rauchen nicht reisen kann. Du bist kein Raucher, wechseln wir die Plätze.“

Der Senator stieg aus, Lorenz stieg ein, ohne ein Wort zu entgegnen. In demselben Augenblicke schloß der Schaffner eilig die Thür. Der Senator hatte kaum noch so viel Zeit, um den folgenden Wagen zu besteigen, in dem er sich mit der Kammerfrau der Landdrostin allein befand. Die Glocke gab das Zeichen, und der Zug setzte sich in Bewegung.

„Wo ist der Conducteur?“ fragte plötzlich die Landdrostin, die einen Entschluß gefaßt hatte. „Conducteur!“ rief sie, indem sie sich umwandte.

„Sie werden ihn nicht mehr sprechen können, Madame, da der Zug bereits im Gange ist!“ antwortete ehrerbietig eine sanfte Stimme.

„Himmel, was ist das?“

„Es ist zu spät, Madame! Sie müssen sich bis zur nächsten Station gedulden.“

Die Dame starrte den langen Lorenz in seiner amaranthfarbenen Livree an. Noch immer hielt er das Glas in der Hand und die Flasche unter dem Arme.

„Wer ist Er, mein Freund?“

Lorenz lächelte mit seinem devotesten Lächeln.

„Ich bin kein Raucher, liebe Madame; beruhigen Sie sich nur!“ antwortete er. „Mein Herr will Ihnen nicht lästig fallen, und darum hat er mit mir den Platz gewechselt.“

„Das ist zu arg,“ flüsterte erbleichend die Dame. „Diese Impertinenz! Ein Livreebediente sitzt mit mir in einem Coupé! Mir schwindet die Besinnung!“

Sie zog ein kleines goldenes Flacon hervor, und hielt es unter die Nase. Lorenz, ein guter, gemüthvoller Mensch, ahnte die Bedeutung nicht, welche die Dame seinem Erscheinen unterlegte; eben so wenig hatte er einen Begriff von ihrem Charakter.

„Madame,“ sagte er mitleidig, „Ihnen ist unwohl – darf ich Ihnen von diesem echten Madeira ein Gläschen anbieten? Er erwärmt den Magen und bringt das Blut in Wallung.“

Die Frau Landdrostin sah ihn mit einem durchbohrenden Blicke an; ihre Gesichtsmuskeln zuckten und ihre Lippen bebten. Sie war in tiefster Seele verletzt – der Herr hatte ihr Cigarren geboten, und nun bot ihr der amaranthfarbene Bediente Madeira.

„Mein Freund,“ sagte sie stolz, „ich bin gewohnt zu befehlen, wenn ich bedient sein will! Werfe Er augenblicklich die Flasche und das Glas, deren Anblick mir Ekel bereitet, durch das Fenster!“

„Verzeihung, Madame!“ stammelte der bestürzte Lorenz.

„Nehme Er den Hut ab!“ fuhr die erbitterte Landdrostin fort.

Lorenz setzte seinen betreßten Hut auf den Boden.

„Und nun entferne Er die Flasche!“

„Nein, Madame, ich werde das Frühstück meines Herrn, der nur Wein aus seinem Keller trinkt, nicht entfernen,“ antwortete fest der treue Diener. „Außerdem begreife ich nicht, warum Sie so erbittert gegen mich sind, da ich es doch gut mit Ihnen meine. Sie brauchen sich nicht zu geniren, aus dem Glase meines Herrn zu trinken – wenn Sie wüßten, wer er wäre – –“

„Ich will es nicht wissen. Und nun schweige Er!“

Der arme Lorenz saß wie eine Statue da. In diesem Tone hatte sein Herr, obgleich er ihm schon dreißig Jahre diente, noch nie mit ihm gesprochen. Lorenz hing mit einer unerschütterlichen Ergebenheit an seinem Herrn, und der Senator schätzte den Diener, wie ein altes liebgewordenes Möbel. Der gute Alte fühlte sich tief verletzt, zumal da er keinen Anlaß zu dieser Behandlung gegeben hatte.

„Die Frau muß närrisch sein!“ dachte er. „Ich will schweigen, so lange ich kann; aber wenn sie es mir zu arg macht, werde ich ihr deutlich zu erkennen geben, daß sie mich sehr wenig kümmert. Ich freue mich, so oft ich eine Frau kennen lerne, daß mein Herr nicht verheirathet ist. Ich will lieber ein halbes Dutzend Männer, als eine Frau bedienen.“

Lorenz hatte sich über seine Begleiterin weiter nicht zu beklagen, denn sie verschmähete es, ihn auch nur eines Blickes zu würdigen; Glas und Flasche auf dem Schooße, dachte er über das angeregte Thema so lange nach, bis er einschlief. Die Landdrostin wurde erst dann aufmerksam auf diesen Zustand größter Ruhe ihres Nachbars, als er ihn durch ein lautes Schnarchen verrieth.

„Mein Gott,“ flüsterte sie, „soll ich denn das Ziel meiner Reise nicht erreichen, wollen mich denn diese Menschen tödten? Welch’ ein widerwärtiges gemeines Geräusch! Vorhin hätte ich mir Mund und Nase zustopfen mögen, jetzt wäre es nöthig, daß ich mir die Ohren verstopfte. Selbst die erste Klasse unserer Staatseisenbahnwagen schützt vor der Berührung des Pöbels nicht – ich werde bei meiner Rückkehr diesen beklagenswerthen Mangel höchsten Orts zur Sprache bringen.“

Das graue, halb kahle Haupt des alten Lorenz hatte sich auf die Brust herabgesenkt; dadurch ward sein Athmen so geräuschvoll, daß es wirklich stärkere Nerven, als die der Frau Landdrostin, unangenehm berühren mußte. „Bediente, Bediente!“ rief sie mehr als einmal. Aber der Bediente war so fest von Morpheus Armen umschlungen, daß Worte ihn nicht zu befreien vermochten. Es gab kein anderes Mittel, dem entsetzlichen Concerte ein Ende zu machen, als die Berührung. Aber womit sollte sie ihn berühren – mit der Hand? Nein, das konnte sie nicht über sich gewinnen! Noch überlegte die aristokratische Dame, und sie dachte bereits an einen derben Fußtritt, als das Pfeifen der Maschine und die langsamere Bewegung des Zuges eine Station ankündigten. Gott sei Dank, hier konnte sie die Folterqualen enden. Kaum stand der Zug, als sie an das Fenster klopfte, und nach dem Schaffner rief. Aber der gute Mann, der einzige Retter aus der Noth, war nicht zu sehen, denn er entließ die Passagiere, deren Ziel Oschersleben, die gegenwärtige Station, war. Statt seiner zeigte sich Susanne, die Kammerfrau, auf dem Perron. Die Herrin gab der Dienerin durch Zeichen ihren lebhaften Wunsch zu erkennen. Susanne verschwand, um den säumigen Beamten an seine Pflicht zu erinnern. Während dieser Zeit betrachtete die Landdrostin den Bedienten; er schlief und schnarchte fort. Vier Minuten verflossen. Da endlich erschien Susanne mit dem Schaffner und die Thür des Gefängnisses ward geöffnet. Die Reisende stieg aus.

„Madame, der Zug fährt im Augenblicke weiter! Ich bitte, behalten Sie Ihren Platz.“

„Unmöglich!“

„Das Zeichen ist gegeben – der Schnellzug wartet nicht!“

„Susanne, wo ist Dein Wagen?“ fragte die Dame, die sich nicht entschließen konnte, in der Gesellschaft des schlafenden Bedienten weiter zu reisen.

„Dort!“ sagte Susanne, indem sie auf den nächsten Wagen deutete, dessen Thür offen stand.

Die Maschine stieß einen gellenden Schrei aus.

„Ich muß schließen, meine Damen!“ rief der Schaffner, indem er die Thür des Coupé’s erster Klasse ergriff. !

Der Landdrostin blieb nichts, als dem Beispiele des Senators zu folgen.

„Susanne, nimm meinen Platz, ich werde den Deinigen nehmen!“ rief sie, getrieben von dem Drange der Umstände.

Die bebende Zofe führte den Befehl aus, und der Schaffner schloß die Thür. In diesem Augenblick bewegte sich die Wagenreihe.

„Schnell, Madame, schnell, oder Sie müssen zurückbleiben!“

Der Schaffner hob die Dame in den folgenden Wagen und schloß hastig die Thür hinter ihr. Der Schnellzug brauste davon. Halb ohnmächtig war die Landdrostin in den Sitz gesunken, denn sie hatte den furchtbaren Raucher beim Einsteigen erblickt, den einzigen Passagier in dem Coupé. Die arme Frau war aus dem Regen in die Traufe gekommen. Der Senator konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, denn er begriff und billigte das Mißgeschick der edeln, stolzen Frau, die ihn in seiner Würde gekränkt hatte. Er war nicht rachsüchtig; aber diese kleine, von dem Zufalle gefügte Züchtigung machte ihm Vergnügen. Nachdem er noch einige lange Züge gethan, öffnete er lächelnd das Fenster und warf zum zweiten Male seine Cigarre hinaus. Dann wickelte er sich in den Pelz, legte sich zurück, und schloß die Augen.

Diese Höflichkeit und diese Verachtung machten ihn der Landdrostin noch verhaßter, als er ihr bereits war. Sie fühlte das Lächerliche ihrer Situation, und eine Frau, sie sei jung oder alt, kann dem Manne nie verzeihen, der sie lächerlich gemacht hat. Die beiden Passagiere wechselten kein Wort, keinen Blick. Nach einer Stunde kamen sie in Magdeburg an; hier trennten sie sich [352] als die erbittertsten Feinde, jeder war froh, von der lästigen Gesellschaft des Andern befreit zu sein. Sie ahnten nicht, daß sie sich einander sehr nahe standen, und daß sie sich unter ernsten Umständen bald wiedersehen würden!




II.

Die Scene, die der Verfasser jetzt mittheilen wird, empfiehlt er der besondern Nachsicht der freundlichen Leserinnen unserer Gartenlaube. Er befindet sich in einer ähnlichen Lage wie der Senator Beck der Landdrostin gegenüber, das heißt, er wird von den Umständen gezwungen, die Galanterie ein wenig aus den Augen zu lassen, um so wahr als möglich zu schildern, ein Bestreben, dessen er sich nicht entäußern darf, wenn er vor dem Richterstuhle der Kritik einigermaßen Gnade finden will. Um der Verzeihung der Leserinnen desto sicherer zu sein, fügt er noch hinzu, daß er mit den Augen des Hypochonders sieht, eines Menschen, der Alles in einer grauen Färbung erblickt.

Um dieselbe Zeit, als sich die beiden Reisenden in Magdeburg trennten, befanden sich in Leipzig zwei junge Damen in dem Salon eines eleganten Hauses, das an einem der belebtesten Plätze steht. Die eine von ihnen, eine bleiche, zarte Schönheit, stand in vollständiger Toilette am Fenster, und sah sinnend durch die großen Spiegelscheiben auf den belebten Platz hinaus. Sie trug eine Mantille von schwarzem Sammet und einen braunen Atlashut mit weißen Straußfedern. Die zweite Dame, eine blendende, üppige Schönheit, stand noch vor dem Spiegel und ordnete die schwarzen Locken unter dem prachtvollen weißen Hute; hinter ihr stand das Kammermädchen, den seidenen Mantel bereit haltend.

„Ist der Wagen schon da?“ fragte sie, ohne die Blicke von dem Spiegel abzuwenden, der das reizende Gesicht der vierundzwanzigjährigen Frau zurückgab.

„So eben fährt er vor,“ antwortete die Dame am Fenster.

„Den Mantel, Sophie!“

Das Kammermädchen legte behutsam den eleganten Mantel um die schwellenden Schultern der Herrin. Dann entfernte es sich.

„Schon wieder sind Sie in das unglückselige Sinnen versunken, das ich nicht verbannen kann! Wilhelmine, fast möchte ich Ihnen zürnen.“

Wilhelmine trat von dem Fenster zurück. Ein schmerzliches Lächeln verbreitete sich über ihr bleiches, ausdrucksvolles Gesicht, als sie die Hand der Freundin ergriff und antwortete:

„Sie haben Recht, Elise! Halten Sie mich für eine Thörin, aber zürnen Sie mir nicht. Sie wissen, daß Ihre Freundschaft mir unentbehrlich geworden ist, wie die Luft, die ich athme.

Ich begreife, daß Ihnen meine Besuche oft lästig werden müssen.“

„Liebe Freundin, ich behaupte, daß ich schlimmer daran bin, als Sie!“ sagte Elise mit erzwungener Heiterkeit. „Mein Mann ist eifersüchtig wie der Mohr von Venedig, er bewacht jeden meiner Tritte und Schritte, und nur wenn ich in Ihrer Gesellschaft bin, stellt er seine kränkenden Beobachtungen ein – muß ich mich nicht glücklich preisen, wenn Sie mich ohne Ihren Mann besuchen? Opfern Sie mir nicht einen Theil der kostbaren Zeit, die Sie der Liebe widmen könnten?“

„Glauben Sie mir, ich fühle das Bedürfniß, mich auch der Freundschaft zu erfreuen und wiederhole Ihnen, daß ich trotz der zärtlichen Liebe meines Mannes große Sorgen habe.“

„Ach, es hat ein Jeder in dieser Welt sein Kreuz zu tragen!“ seufzte Elise. „Wir sprechen Morgen oder übermorgen mehr über dieses Kapitel – jetzt folgen Sie mir, daß ich Sie in die Gemäldegallerie führe, Sie kennen dann alle Sehenswürdigkeiten unserer guten Stadt. Vergessen wir auf eine Stunde das Hauskreuz, das die Liebe bereitet.“

Wilhelmine seufzte lächelnd; dann küßte sie die Stirn der Freundin, als ob sie ihr für diesen Entschluß danken wollte. In dem Augenblicke, als Elise die Thür des Salons zu öffnen im Begriff stand, trat ein Mann von vielleicht dreißig Jahren ein. Betroffen blieb er stehen, als er die beiden Damen erblickte.

Nachdem er Wilhelmine mit kalter Artigkeit gegrüßt, fragte er:

„Du willst ausfahren, Elise?“

„Um meiner Freundin die Gemäldegallerie zu zeigen,“ antwortete die junge Frau, die mit Verdruß die Aufregung ihres Mannes bemerkt halte. „Ich glaubte die zwei Stunden, die Du in Geschäften außer dem Hause verbringen wolltest, nicht besser anwenden zu können!“ fügte sie ruhig hinzu. „Willst Du mich begleiten?“

„Nein; aber ich ersuche Dich, zu Hause zu bleiben!“

„Bernhard, wenn ich Dich nun bitte, mich zu begleiten?“ fragte Elise, ihren Unwillen verbergend.

„So müßte ich Deine Bitte ablehnen, und auf meiner Forderung beharren.“

„Auf Deiner Forderung? Bernhard, Frau von Beck ist meine Freundin!“

„Aber Herr von Beck ist nicht mein Freund; ich spreche in diesem Augenblick eine Gesinnung aus, die ich schon zu lange aus übertriebener Artigkeit geheim gehalten habe. Wenn Frau von Beck darauf Rücksicht nehmen will, so wird sie mich der Unannehmlichkeit überheben, das so eben Gesagte zu wiederholen.“

Bernhard trat in den Salon, setzte seinen Hut auf einen Tisch, zog hastig die Handschuhe aus, und warf sie in den Hut. Elise erröthete, sie war keines Wortes mächtig. Wilhelmine war bleich geworden, und Thränen standen in ihren dunkeln Augen. Schweigend reichte sie der Freundin die Hand, und verschwand aus dem Saale. In dem Vorzimmer schwankte sie, und sank auf einem Stuhle nieder.

„Mein Gott, was ist das?“ flüsterte sie.

Nachdem sie einen Augenblick starr zu Boden gesehen, raffte sie sich gewaltsam empor, eilte zitternd die Treppe hinab, verließ das Haus, bezeichnete dem Kutscher ihre Wohnung, und stieg in den Wagen, der davon fuhr.

Wir kehren in den Salon zurück. [365] Die Bestürzung, die sich Elise’s über diese Unhöflichkeit ihres Mannes bemächtigte, wich nach einigen Augenblicken einer gerechten Entrüstung. Sie trat zu dem Fenster. Als sie gesehen, daß Wilhelmine den Wagen bestiegen hatte, legte sie Hut und Mantel wieder ab. Elise erschien jetzt in einem einfachen Kleide von grauer Seide, das ihre jugendlichen, reizenden Körperformen im hellsten Lichte zeigte. Mit bedauernden Blicken betrachtete sie ihren Mann, der, die rechte Hand in die Brustöffnung der Weste gesteckt, auf und abging. Die Blässe seines Gesichts ward durch den schwarzen Bart, der es gleichsam einrahmte, gehoben; seine Augen glüheten in einem düstern Feuer. Es ließ sich nicht verkennen, daß ihn etwas Ungewöhnliches aufgeregt hatte, denn heute überschritt der gebildete Mann zum ersten Male die Grenzen des Anstandes.

„Bernhard,“ begann die junge Frau mit bewegter Stimme, „Du hast Wilhelminen die Thür gezeigt. Ich habe seit einiger Zeit schon Deine Abneigung gegen sie bemerkt; aber ich war weit entfernt zu glauben, daß Du sie ihr auf diese Weise zu erkennen geben würdest, eine Weise, die mich nicht minder kränken muß, als meine Freundin.“

„Dich kränken?“ fragte Bernhard bitter, indem er stehen blieb und seine Frau mit durchbohrenden Blicken ansah. „Das ist wunderbar! Eine Frau fühlt sich gekränkt, wenn der Mann ihre Ehre und seine eigene zu wahren sucht!“

„Was ist das? Was ist das?“ fuhr Elise auf.

„Es sind die Worte Deines Mannes, der ein Recht hat, Dich an Deine Pflicht zu mahnen; der ein Recht hat, so zu handeln, wenn Du gewissenlos genug bist, jede Rücksicht zu vergessen, die Dir Sitte und Anstand auferlegen. Welch’ ein Glück, daß ich zeitig mein Haus betrat! Wie würde man lächeln und die Achseln zucken, wenn man sich diesen Abend in das Ohr flüsterte: Madame Rudolphi hat sich heute mit Frau von Beck in der Gemäldegalerie gezeigt. Elise, ich verbiete Dir jeden Umgang mit Frau von Beck.“

Die junge Frau zuckte zusammen; das Wort „verbieten“ beleidigte ihren Stolz. Aber noch verlor sie die ruhige Würde nicht, die sie seit dem Beginne der Scene beobachtet hatte.

„Du bist mein Mann,“ sagte sie mit bewegter Stimme; „aber ich bin auch Deine Frau, und als solche habe ich meine Rechte. Von diesen Rechten nehme ich vorzüglich das in Anspruch, daß Du mich achtest. Es ist eine Erniedrigung für jede Frau, wenn der Mann sie mit unbegründeter Eifersucht verfolgt. Lächele nur, Bernhard, Dein Benehmen gegen mich wird ausschließlich von der Eifersucht geleitet – ich scheue mich nicht, es heute auszusprechen, da Du mich auch der letzten Freundin beraubt hast, die mir seit einem Jahre geblieben ist. Ich habe bisher geschwiegen, weil ich in Wilhelminens Umgange Alles fand, was ich wünschte, und weil ich Dir durch mein eingezogenes Leben beweisen wollte, daß Du einen unwürdigen Verdacht gegen Deine Frau hegst. Aber Alles hat seine Grenzen, und so auch meine Geduld.“

„Auch Deine Geduld?“ rief Bernhard höhnend.

„Ja, denn ich habe es ertragen, daß man mich belächelte und bemitleidete – vielleicht auch, daß man mich für schuldig erachtet hat, indem ich mich Deinen seltsamen Anordnungen fügte. Jetzt vermag ich es nicht mehr,“ rief sie mit imponirender Hoheit; „und willst Du, daß ich nicht zu eklatanten Schritten meine Zuflucht nehme, so gieb mir die Freiheit des Handelns, zu der mich meine Stellung und mein Betragen berechtigen. Wilhelmine ist schwer beleidigt; ich eile ihr nach, um ihr zu sagen – –“

„Du wirst bleiben, Elise; wenn Du mich gehört hast, überlasse ich Deinem Urtheile, ob mein Benehmen von der Eifersucht oder von der Ehre dictirt ist.“

Bernhard führte seine Frau zu dem Sopha, und ließ sich dann neben ihr nieder.

„Herr von Beck,“ begann er, „ist mir von jeher eine räthselhafte Person gewesen; ich glaube es mehr als einmal gegen Dich ausgesprochen zu haben. Dein freundschaftliches Verhältniß zu Wilhelminen bestimmte mich, im Stillen Erkundigungen über ihn einzuziehen, und diesen Morgen ist es mir gelungen, Näheres zu erfahren.“

„Was hast Du erfahren?“ fragte Elise, deren Neugierde erwachte.

„Daß Herr Emil von Beck ein Glücksritter, ein Spieler von Profession, ein Roué ist, der von seinen Verbindungen mit reichen Leuten lebt. Die bleiche, interessante Wilhelmine, die überall Sympathien erweckt, ist seine getreue Helferin; sie unterhält zarte Freundschaftsverbindungen mit den Frauen, und vielleicht auch mit den Männern, die kurzsichtig genug sind, in die ihnen gelegte Schlinge zu gehen.“

„Bernhard, Bernhard,“ rief die junge Frau entsetzt, „kannst Du so abscheuliche Dinge glauben?“

„Ich zweifle nicht einen Augenblick daran!“

„Aber ich, ich, die Freundin Wilhelminens! Der Verbreiter [366] dieser Gerüchte ist ein ehrloser Verleumder, ein Elender, der verdient, daß man ihn zur Rechenschaft zieht.“

„O, diese glühende Vertheidigung!“ rief Bernhard bitter. „Mir scheint, der schmachtende Herr von Beck hat ein günstiges Terrain für seine Manipulationen gefunden.“

Elise erhob sich.

„Bernhard,“ sagte sie mit bebenden Lippen, „diese letzte Kränkung kann ich Dir nicht verzeihen, denn sie greift das einzige Gut an, das ich Dir mitgebracht habe. Ich war arm, als Du mich kennen und lieben lerntest, und darum hielt ich Deine Liebe für wahr und aufrichtig. Du botest mir Deine Hand an – ich zögerte nicht, sie zu empfangen, weil ich Dich liebte und weil ich meine Ehre eben so hoch anschlug, als Dein Vermögen. Die Gattin eines reichen, geachteten Mannes zu werden, hielt ich mich für würdig, und daß ich fähig sei, Dein Glück vollständig zu machen, hast Du mir mehr als tausendmal gesagt –“

„O gewiß, Elise,“ unterbrach sie der junge Mann, „von Dir hängt mein ganzes Glück, aber auch mein Unglück ab. Du bist mein Stolz, und ich sehe mich gern von Andern beneidet; aber sobald ich aufhören muß, stolz auf Dich zu sein, sobald man mich mitleidig belächelt, bin ich unglücklich. Und dieser Zeitpunkt, Elise, droht jetzt einzutreten, wenn er nicht schon eingetreten ist. Mein Gott, was fordere ich denn von Dir? Fällt es Dir denn so schwer, der Ruhe Deines Mannes, der Dich anbetet, ein Opfer zu bringen? Steht Dir Frau von Beck höher, als Dein Mann? Findest Du keine Befriedigung mehr in seiner Liebe? Was hast Du mir auf alle diese Fragen zu antworten?“

Die junge Frau ergriff liebreich die Hand ihres Mannes.

„Bernhard,“ sagte sie in einem milden Tone, „als Antwort richte ich eine Frage an Dich: was würdest Du sagen, wenn ich von Dir forderte, daß Du Deinen Umgang mit den Männern einstellen solltest, die im Besitze schöner Frauen sind? Wenn ich Dir z. B. jetzt sagte: meine Ehre erfordert es, daß Du Herrn W. nicht mehr empfängst, der mit einer schönen, aber koketten Frau verheirathet ist? Läge in dieser Forderung nicht ein Mißtrauen, das Dich verletzen muß? Ich achte Dich zu hoch, mein lieber Freund, um auch nur den Gedanken zu fassen, daß Du mich je hintergehen könntest. Und diese Achtung fordere ich auch von Dir. Es giebt keine wahre und beglückende Liebe, die sich nicht auf Achtung und gegenseitiges Vertrauen gründet. Wilhelmine liebt ihren Gatten eben so zärtlich, als ich Dich liebe, und er betet sie an, wie eine Heilige, die sich herabläßt, ihn glücklich zu machen – was für eine traurige Figur würde ich spielen, wollte ich zwischen diese Liebe treten! Bernhard, lerne besser von mir denken und erniedrige mich nicht durch ein verletzendes Mißtrauen.“

Bernhard fühlte sich fast besiegt durch diese, mit einer unbeschreiblichen Innigkeit gesprochenen Worte; aber das Mißtrauen hatte einmal Wurzel gefaßt, und er konnte es nicht verbannen. Ihm schien selbst, als ob Elise alle ihre Reize zu Hülfe nahm, um seinen Verdacht einzuschläfern.

„Den Mittheilungen gegenüber, die man mir über Herrn von Beck gemacht hat, kann ich Deine Gründe nicht gelten lassen!“ murmelte er, die Blicke von der reizenden Frau abwendend. „Ein Mann in meiner Stellung muß auch der öffentlichen Meinung Rechnung tragen. Elise, zeige durch Deine Willfährigkeit, daß man Dich unschuldig verleumdet hat!“

„Verleumdet!“ flüsterte sie, bestürzt über die kalte Ruhe ihres Mannes. „Wohlan, ich werde es beweisen,“ fügte sie würdevoll hinzu; „aber nur durch Mittel, die nach meiner Ansicht dazu geeignet sind!“

Sie verließ den Saal, ohne ihren Mann zu grüßen.

Bernhard sah einige Augenblicke unverwandt auf die Thür, durch die sie verschwunden war. Einen solchen Widerstand hatte er nicht erwartet. Seine Pulse klopften fieberhaft, seine Augen glüheten, seine Lippen zitterten.

„So wäre denn der Kampf eröffnet!“ murmelte er. „Meine Frau ist eine Schönheit, aber eine stolze, herzlose, kokette Schönheit, die vernichtet, statt zu entzücken. Sie kennt die Macht ihrer Reize, sie weiß, wie sie mich gefesselt hält; aber auch ich setze ihr Stolz entgegen, und werde die Fesseln zu brechen suchen. Wer mir das vor drei Jahren gesagt hätte, selbst vor einem Jahre noch, als diese Syrene weinend an meinem Krankenbette saß! Die Frauen lügen alle, alle; ihre Empfindungen sind erheuchelt, und ihre Thränen, ihr Lächeln, ihr Schmerz und ihre Freude Maske! Die Lüge ist das Fundament ihrer Sprache, und die Wahrheit bildet nur eine Ausnahme. Die Tugend üben sie nur aus Laune oder Berechnung. Und einer solchen Syrene habe ich meine Ehre anvertraut! Ah, wir werden ja sehen, wer Sieger bleibt!“

Zitternd verließ er den Saal. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, als man ihm Herrn von Beck anmeldete. Ueberrascht sah er den Diener an.

„Herr von Beck?“ fragte er.

„Herr von Beck!“ wiederholte der Diener.

„Man weise ihn ab!“

Der Diener wollte sich entfernen.

„Josef!“ rief der Herr.

Josef kam gehorsam zurück.

„Unter welchem Vorwande willst Du den Besuch abweisen?“ fragte Bernhard.

„Ich werde angeben, daß Sie nicht zu Hause seien.“

„Nein, nein!“

„Oder daß Sie unpäßlich sind –“

Bernhard ging unschlüssig im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er stehen und sagte:

„Laß Herrn von Beck eintreten!“

Josef entfernte sich.

„Es ist besser, daß ich ihn empfange,“ flüsterte Bernhard vor sich hin. „Ohne Zweifel hat ihm seine Frau meine Aeußerungen mitgetheilt – es wäre feig, wollte ich mich verleugnen lassen. Wollen sehen, wie der gute Mann sich benimmt. Was hält mich ab, ihm die Wahrheit in das Gesicht zu sagen? Doch nein, ich muß vorsichtig sein, da mir noch Beweise fehlen. Ein solcher Roué verwickelt mich in einen Criminalproceß, und die Processe sind mir in tiefster Seele verhaßt.“

In diesem Augenblicke öffnete Josef die Thür, und ein junger, höchst elegant gekleideter Mann trat ein.

„Störe ich?“ fragte er lächelnd, indem er dem Herrn vom Hause die Hand reichte.

Bernhard war überrascht, ein so ruhiges, freundliches Gesicht zu sehen. Statt zu antworten, gab er dem Diener Befehl, sich zu entfernen.




III.

Der Herr von Beck, der Zankapfel der beiden Gatten, war ein junger Mann von vielleicht achtundzwanzig Jahren. Seine Manieren waren gewandt und aristokratisch wie sein Aeußeres. Bleicher Teint, blaue Augen, dunkeles Haar und ein schwarzer Schnurrbart machten seinen Kopf modern, interessant. Seine Toilette war untadelhaft, reich und nach dem neuesten Geschmacke. Bernhard erfaßte alle diese Eigenschaften, die den Besitzer bei den Frauen gefährlich machten, mit dem scharfen Blicke der Eifersucht. Und dieser Mann war Wilhelminens Gatte, von dem man sich Mancherlei in’s Ohr flüsterte.

„Was giebt mir die Ehre Ihres Besuchs?“ fragte Bernhard.

Der junge Elegant war erstaunt über den kalten, höflichen Ton, er schien ihn selbst in Verlegenheit zu setzen. Doch nur wie ein Blitz zuckte dieser Ausdruck über sein Gesicht, das im nächsten Momente zwar die Freundlichkeit verloren, aber dafür einen ruhigen Ernst gewonnen hatte.

„Mein Besuch, mein Herr, hat einen seltsamen, aber dabei sehr wichtigen Grund. Die Absicht, eine delikate Angelegenheit delikat zu behandeln, gebe ich jetzt auf, da Ihr Empfang nicht der Stimmung entspricht, in der ich Sie anzutreffen voraussetzte. Ich wende mich jetzt an den Mann von Stande, von Charakter, von – Ehre!“

„Er weiß bereits Alles; ich werde bei dem Manne fortfahren, wie ich bei der Frau begonnen habe!“ dachte Bernhard. „Sie sehen mich bereit,“ antwortete er laut, „Ihnen als Mann von Charakter und von Ehre – dieses Wort betonte er – entgegenzutreten.“

Beide Männer setzten sich.

„Mein Herr,“ begann der Gast, „wir lernten uns vor einem Jahre in Karlsbad kennen. Für uns Männer blieb diese Bekanntschaft eine jener flüchtigen Anknüpfungen, wie man sie häufig in den Bädern macht.“

[367] „Nichts mehr!“ antwortete Bernhard, indem er sich höflich verbeugte.

„Anfangs bedauerte ich diesen Umstand,“ fuhr Herr von Beck ruhig fort. „Und jetzt?“

„Jetzt segne ich ihn, denn er hilft mir die wichtigste Angelegenheit meines Lebens mit Ihnen ordnen.“

„Mit mir? Ich wüßte nicht, in welcher Beziehung ich zu der wichtigsten Angelegenheit Ihres Lebens stehen könnte, ich, der ich mich nie um Ihre Verhältnisse gekümmert habe.“ Ich muß auf meiner Huth sein, dachte Bernhard, während Herr von Beck ruhig lächelnd vor sich hinsah; [368] Als der Herr von Beck seine Wohnung betrat, eilte er in das Zimmer seiner Gattin. Es war leer.

„Wo ist meine Frau?“ fragte er das Kammermädchen.

„Die gnädige Frau läßt Ihnen sagen, daß sie einige kleine Einkäufe macht und in einer Stunde zurückgekehrt sein wird.“

„Jetzt? Jetzt?“ fragte der junge Mann überrascht.

„So eben ist ein Brief für den gnädigen Herrn angekommen.“

„Gieb!“

Hastig erbrach er das Couvert, das das Postzeichen „Karlsbad“ trug. Der Brief war von dem Arzte, der Wilhelminen dort behandelt hatte. Der zärtliche Ehemann sandte jeden Monat einen Brief über den Zustand seiner Frau ein. Jetzt empfing er die Antwort auf den letzten Brief. In fieberhafter Angst verschlang er die Zeilen. Dann sank er wie vernichtet auf einen Sessel.

„Großer Gott,“ flüsterte er, „das habe ich mir gedacht! Meine arme, arme Wilhelmine leidet an einem unheilbaren Uebel! Nur die zärtlichste Sorge kann sie mir noch einige Jahre erhalten! Sie darf es nicht wissen, und darum werde ich auch keinen hiesigen Arzt annehmen – sie darf nicht einmal ahnen, daß sie krank sei, denn das Bewußtsein der Krankheit vermehrt ihr Leiden. Während des Winters sollen die Vorschriften des Doctor G. befolgt werden, der den Zustand meiner armen Frau kennt, und mit dem Beginne des Frühlings gehen wir wieder in das Bad. Durch die Veränderung des Aufenthaltsortes lösen sich alle Verhältnisse, die mir lästig sind. Rudolphi ist ein Mann von Ehre, auf den ich mich verlassen kann, er wird mich in meinem Bemühen unterstützen. O, wäre doch der Winter erst vorüber!“

Sinnend verblieb er auf seinem Platze. Der Eintritt Wilhelminens schreckte ihn empor. In demselben Augenblicke sah er das Couvert auf dem Tische liegen. Bestürzt bemächtigte er sich des Papiers und verbarg es in seiner Tasche. Dabei entfiel dem armen Manne der eigentliche Brief, den er bisher, ohne daß er es wußte, in der Hand gehalten hatte. Er würde vielleicht den Irrthum gewahrt haben, wenn ihn das heute besonders bleiche Aussehen und die trüben Augen der jungen Frau nicht mit dem tiefsten Schmerze erfüllt und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätten. Das Bemühen, seinen Seelenzustand geheim zu halten, vermehrte das Schwierige seiner Lage. Er eilte der Gattin entgegen, küßte sie, und schloß sie innig an seine Brust.

Wilhelmine hatte die Folgen der Zerstreuung ihres Mannes bemerkt. Das Papier hinter dem Stuhle war ihr nicht entgangen. Das hastige Verbergen des Couverts hatte zwar nicht ihren Argwohn erweckt, denn ihre aufrichtige Liebe ließ keinen Verdacht aufkeimen; wohl aber ihre Neugierde, und die Neugierde flüsterte: warum hat Dein Mann ein Geheimniß vor Dir? Es wird sich bald zeigen, warum ihr an der Beantwortung dieser Frage doppelt gelegen sein mußte. Sie beschloß, sich des Papieres zu bemächtigen.

„Verzeihung, Cäsar, daß ich auf mich warten ließ!“ sagte sie bittend, indem sie ihm ihre kleine Hand reichte.

„Du weißt, mein Kind, daß ich nicht in Sorgen bin, wenn ich den Grund Deiner Entfernung kenne.“

Cäsar nahm seiner Frau zuvorkommend den Mantel ab. Dann band er ihr die Schleife des Hutes auf, und legte ihn auf die Toilette. Jetzt zeigte sich Wilhelminens zarte, edle Gestalt. Ihr elastischer Körper war zwar schmächtig, aber man konnte ihn nicht mager nennen. Und dabei standen die einzelnen Theile in dem reinsten Einklange. Hände und Füße waren klein wie die eines Kindes. Das hellblonde, starke Haar bildete über der schönen, weißen Stirn einen glänzenden Wellenscheitel. Das mattweiße ovale Gesicht war madonnenartig; es verrieth eine wunderbare Milde und Sanftmuth. Das große blaue Auge drückte eine leichte Melancholie aus. Wie ihre ganze Erscheinung, war auch jede ihrer Bewegungen aristokratisch. Die junge Frau mochte vielleicht zweiundzwanzig Jahre zählen. Sie war völlig dazu geschaffen, die schwärmerische Liebe eines von Natur sentimentalen Mannes zu erregen.

„Es ist hier kalt,“ sagte sie, indem sie sich an Cäsar’s Arm hing; „führe mich in Dein Zimmer, das geheizt ist, weil wir dort essen wollen.“

Der zärtlich besorgte Gatte kam der Aufforderung nach.

Man verließ das Zimmer; der Brief war gesichert. Nach Tische fand Wilhelmine Gelegenheit, einen Augenblick in ihr Zimmer zurückzukehren. Sie ergriff das Papier und las folgende Zeilen:
„Mein Herr!

„Nach Ihrem letzten Berichte unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß sich in Ihrer Gattin eine Krankheit ausgebildet hat, die um so Besorgniß erregender ist, da die Wissenschaft kein wirksames Mittel dagegen kennt. Ein regelmäßiges, ruhiges Leben, Heiterkeit des Gemüths und Verminderung aller Aufregungen machen das Fortschreiten des Uebels langsam, und wenn nicht ein unerwarteter Zufall hinzutritt, läßt sich das Leben Ihrer Gattin auf Jahre fristen. Ich empfehle Ihnen die größte Aufmerksamkeit und erinnere Sie wiederholt an die Diätregeln, die ich Ihnen bereits früher aufgestellt habe. Tragen Sie Sorge, daß die Kranke nie ihren Zustand erfahre. Von einer Badekur im nächsten Jahre läßt sich eine gute Wirkung hoffen. Unterlassen Sie nicht, Ihrer Gattin alle Freuden und Zerstreuungen zu bieten, die den von mir ausgestellten Regeln nicht entgegen sind.

  Karlsbad. Doctor G. 

„Das ist seltsam!“ flüsterte Wilhelmine bestürzt. „Ich fühle mich wohl, und hier spricht man von einer gefährlichen Krankheit. Nun erkläre ich mir so Manches, das mir in dem Betragen Cäsar’s bisher dunkel geblieben. Er leidet meinetwegen, er leidet ohne Ursache! Was berechtigt ihn und den Arzt dazu, mich für krank zu halten? Ich habe nie geklagt, habe nie einer ärztlichen Behandlung bedurft. O mein armer Cäsar, in diesem Wahne darf ich Dich nicht länger lassen!“

Sie wollte sogleich eine Verständigung herbeiführen, wollte ihm den glücklichen Zufall mittheilen, der ihr das unglückselige Geheimniß entdeckt hatte; aber die zärtliche Sorgfalt für den geliebten Mann hielt sie wieder davon ab.

„Nein,“ dachte sie, „ich muß einen andern Weg wählen. Wenn er weiß, daß ich meinen vermeintlichen Zustand kenne, wird er sich mit neuen Sorgen plagen. Ich muß ihn auf eine andere Weise von dieser Sorgenlast befreien, damit er nicht wähnt, ich stelle mich stärker als ich bin, um ihn zu beruhigen. Cäsar darf nur dann erst erfahren, daß ich diesen Brief gelesen, wenn ich ihn von seinem Irrthume zurückgebracht habe.“

Sie verbarg den Brief in der Tasche ihres Kleides, und ging zu Cäsar zurück, der sinnend auf dem Sopha saß.

[381] Wilhelmine liebte ihren Mann mit der ganzen Fülle ihres jugendlichen Herzens; es läßt sich denken, daß sie jetzt, wo er sich ihr als Märtyrer seiner Liebe zeigte, mit einer Dankbarkeit an ihm hing, die ihre Liebe heiligte und ihrer Ehe eine neue Weihe gab. Sie setzte sich zu ihm, strich das feuchte Haar aus seiner Stirn, und küßte ihn.

„Woran denkst Du, Cäsar?“ fragte sie schmeichelnd.

„An unsere Vergangenheit, Wilhelmine!“

„Macht sie Dir Kummer?“

„In einer Beziehung, ja!“

„Darf ich diese Beziehung wissen?“

„Daß Dir Deine Liebe zu mir den Haß Deiner Mutter zugezogen hat.“

„Ist es das?“ fragte sie, schmerzlich lächelnd.

„Ich weiß nicht, woher es kommt – aber dieser Gedanke lastet jetzt mehr als je auf meiner Seele. Mir ist, als ob ich unfähig wäre, Dich je für das Opfer zu belohnen, das Du mir gebracht hast.“

„Cäsar,“ flüsterte sie, „liebst Du mich nicht mehr?“

Der junge Mann umschlang sie und sah sie mit einem Blicke an, der seine ganze schwärmerische Leidenschaft verrieth, in dem seine ganze Seele lag.

„Ich kann nur dann aufhören Dich zu lieben, wenn ich zu leben aufhöre!“ rief er aus.

„Dann, mein Geliebter, beklage mich nicht, denn ich bin beneidenswerth glücklich!“

Wie zwei Kinder, die sich das erste Liebesgeständniß gemacht, umschlangen und küßten sie sich.

„Wie fühlst Du Dich heute?“ fragte Cäsar in seinem zärtlichsten Tone.

Die junge Frau stellte sich, als ob sie erstaunte.

„Wie ich mich heute fühle? Wie gestern, wie jeden Tag – sehr wohl!“

„Und doch scheint mir, als ob Du bleicher wärst.“

„Die kalte Luft hat mich vielleicht ein wenig angegriffen. Cäsar, sagtest Du nicht, daß mich die Blässe interessant mache?“

„Gewiß, mein Kind! Sie ist selbst ein Hauptbestandtheil Deiner Schönheit.“

„Schmeichler!“ rief sie lächelnd. „Fast möchte ich glauben, daß Du mich eitel machen wolltest. Aber ohne eitel zu sein, wird sich Deine Frau bemühen, Dir stets elegant und interessant zu erscheinen. In der nächsten Soirée wirst Du mich in einem neuen Kleide erblicken, das ohne Zweifel Deinen Beifall haben wird. Vor Tische habe ich den Stoff dazu gekauft. Es ist drei Uhr vorbei – die Putzmacherin wird angekommen sein, um mir das Maaß zu nehmen. Erlaube mir, daß ich mich auf kurze Zeit entferne!“

Bei der letzten Umarmung brachte Wilhelmine den Brief des Doctors geschickt in die Tasche Cäsars. Dann verließ sie hüpfend das Zimmer.

„Mein Gott,“ murmelte Cäsar, „wie furchtbar ist der Gedanke, daß dieses himmlische Wesen durch eine schleichende Krankheit zerstört wird! Der Doctor hat Recht, sie darf nicht ahnen, daß sie bereits den Weg zum Grabe angetreten hat. O, wäre es mir vergönnt, ihr den kurzen Rest des Lebens mit den Freuden des Himmels zu versüßen!“

Dann zog er das Couvert und den Brief aus der Tasche, und warf beides in den Ofen. Kaum hatte er den alten verbrannt, als er durch die Post einen neuen Brief erhielt. Ein Advokat schrieb ihm, daß er beauftragt sei, eine Wechselschuld von hundert Louisd’or von ihm einzuziehen und auf Personalarrest anzutragen, wenn bis morgen Mittag nicht Zahlung geleistet sei. Auch diesen Brief verbrannte Cäsar. Dann öffnete er einen Secretair und untersuchte seine Kasse; sie enthielt zweiundzwanzig Louisd’or.

„Ich muß noch einmal reisen,“ flüsterte er vor sich hin; „Muth, Cäsar, Muth, es gilt ja das Leben Deiner Wilhelmine. Gott wird mir verzeihen, daß ich sie täusche, denn ich täusche sie, weil ich sie heiß und innig liebe!“

Eine Stunde später sagte er zu seiner Frau: „Wilhelmine, ich bin für diesen Abend zu einer Gesellschaft geladen, die aus Männern besteht, deren nähere Bekanntschaft mir wünschenswerth ist.“

„O, mein Freund, so zögere nicht, diese Gesellschaft zu besuchen!“ antwortete rasch die junge Frau.

„Man sagte mir, daß man sich oft erst am Morgen trenne.“

„Ich werde ruhig schlafen, da ich weiß, daß Du Dich amüsirst. Wird auch Rudolphi dort sein?“ fragte sie, indem sie mit Mühe ihre Unbefangenheit bewahrte.

„Ich zweifle daran, da die Gesellschaft aus adeligen Personen besteht.“

Wilhelminen war ein Stein vom Herzen genommen.

„Gehe, mein Freund; ich wünsche Dir einen recht heitern Abend!“ sagte sie, indem sie ihren Mann küßte.

[382] „Warum fragt sie nach Rudolphi?“ dachte Cäsar. „Doch nein,“ fügte er sich beruhigend hinzu, „das Gerücht hat eine leere Vermuthung ausgesprochen, wozu die innige Freundschaft der beiden Frauen Anlaß gegeben. Es ist eben so lächerlich, wenn man sagen wollte: Cäsar von Beck macht Madame Rudolphi den Hof. Uebrigens habe ich vorgebeugt, und Rudolphi wird sein gegebenes Versprechen erfüllen.“

Cäsar machte Gesellschaftstoilette, um seine Frau zu täuschen, warf einen Pelz über, und bestieg einen Fiaker. Er ließ sich nach dem Magdeburger Bahnhofe fahren.

Um diese Zeit empfing Wilhelmine von Elisen einen Brief.




IV.

Bernhard Rudolphi hatte von seinem Vater ein großes Vermögen geerbt, er galt für einen der reichsten Männer der Stadt. Mehr der Unterhaltung als des Gewinnes wegen hatte er sich bei verschiedenen Bank- und Actienunternehmungen betheiligt, wodurch er mit auswärtigen Geschäftsleuten bekannt geworden war. Auf einer Vergnügungsreise lernte er in K. Elisen kennen, die um jene Zeit die gefeierteste Schönheit der Residenz war. Elise gehörte nämlich als tragische Liebhaberin dem Hoftheater an. Bernhard bewunderte die Kunst und liebte die Künstlerin, die nach seiner Ansicht das Ideal weiblicher Schönheit war. Der unabhängige reiche Mann, gewohnt, sich Nichts zu entsagen, befriedigte die brennenden Wünsche seines Herzens, indem er sich um Elisens Gunst bewarb, diese erhielt, und das schöne Mädchen, wegen dessen ein Gardeoffizier den andern im Duell erschossen, heirathete, ohne sich um die Meinung der Welt und die Klage der Recensenten zu kümmern, die da meinten, daß die Liebe der deutschen Bühne einen unersetzlichen Verlust bereitet habe. Das erste Jahr lebte Madame Rudolphi völlig glücklich, sie liebte ihren Mann, und ihr Mann betete sie an. Im zweiten Jahre kamen die ersten Stunden, in denen sie mit Sehnsucht an die Bühne zurückdachte, denn Bernhard war mehr tragischer Liebhaber als Gatte. Im dritten Jahre bedauerte sie, die freie Künstlerlaufbahn mit dem Joche vertauscht zu haben, das ihr die Eifersucht ihres Mannes auferlegte. Der Leser kennt bereits die Art und Weise, wie sich diese Eifersucht äußerte.

Es giebt Heirathen, welche die Liebe, andere, welche der Verstand contrahirt – Bernhard Rudolphi hatte aus Eitelkeit geheirathet. Zu dieser dritten Kategorie zählen, mit wenigen Ausnahmen, alle Verbindungen, die zwischen reichen Männern und Künstlerinnen geschlossen werden. Der Mann ist eitel auf den Ruhm seiner Frau, und die Frau auf das Geld ihres Mannes. Aber leider ist diese Eitelkeit nur von kurzer Dauer; schwindet sie, so schwindet auch die Grundlage des ehelichen Glücks.

Die Eitelkeitsheirath, die wir zu schildern versuchen, war in das erste Stadium der Entwickelung getreten. Bernhard war eifersüchtig, weil er des frühern Standes seiner schönen Frau gedachte, und Elise fühlte sich in ihrer Würde gekränkt, weil sie sich ihres Ruhmes erinnerte. Die Liebe war durch eine dreijährige Ehe ein wenig abgekühlt.

Seit dem letzten Besuche Wilhelminens im Hause des Particuliers waren acht Tage verflossen. Die beiden Gatten beobachteten der Welt und den Domestiken gegenüber ein Betragen, das durchaus nichts von ihrem Seelenzustande verrieth; sie affectirten den Ton, den man bei ihnen gewohnt war. Diese Ueberwindung vermehrte die Unzufriedenheit eines Jeden mit der eingetretenen Situation. Bernhard beharrte in seinem Entschlusse, der koketten Gattin die Nichtigkeit seines Verfahrens zu beweisen – und Elise ward in dem Vorsatze bestärkt, ihrem Gatten die Lächerlichkeit seiner ungegründeten Eifersucht darzuthun. Beide hatten ihre Pläne eingeleitet.

Eines Morgens hatte Bernhard seine Toilette vollendet, um auszugehen. Da trat Fritz, der Kammerdiener, in das Zimmer, und überreichte seinem Herrn eine Karte.

„Der Ueberbringer wünscht den Herrn zu sprechen!“ sagte er.

Bernhard warf einen Blick auf das feine, glänzende Blatt.

Er las: Gottfried Christian Beck, Senator.

„Beck?“ fragte er sich verwundert. „Sollte er zu Cäsar von Beck in Beziehung stehen? Der Mann ist Senator, ich darf ihn nicht abweisen.“

Er gab Befehl, den Fremden einzuführen.

Nach einer Minute trat unser Senator ein, den wir auf der Reise kennen gelernt haben. Den Pelz hatte er im Vorzimmer abgelegt, er erschien schwarz gekleidet und mit dem weißen Halstuche, ohne das kein Senator einen schwarzen Frack tragen darf. Gottfried Christian Beck sah einem gutbepfründeten und zum Gustav-Adolf-Vereine gehörenden Geistlichen eben so ähnlich, als einem Senator. Mit der Gravität, die bei einem kurzen, dicken Manne stets etwas Lächerliches trägt, verneigte er sich.

„Herr Rudolphi?“ fragte er lächelnd.

Bernhard verneigte sich so aristokratisch, als möglich.

„Der Weinhändler Flemming in Bremen, mein Freund, den ich um eine Empfehlung für Leipzig bat, hat mich an Herrn Rudolphi adressirt. Ich gedenke mich einige Zeit hier auszuhalten, und erlaube mir, mich auf meinen Freund zu beziehen. Hier ist sein Brief.“

„Herr Senator,“ sagte Bernhard, nachdem er den schmeichelhaften Empfehlungsbrief gelesen, „ich schätze mich glücklich, daß Herr Flemming, dessen Vater mit dem meinigen lange in Geschäftsverbindung stand, mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft verschafft. Verfügen Sie über den ganzen Einfluß, den ich in meiner Vaterstadt besitze.“

Rudolphi bot seinem Gaste einen Sessel an. Der Senator, ein taktvoller Mann, ließ sich zu gleicher Zeit nieder, als Bernhard ihm gegenüber Platz nahm.

„Mein Herr,“ begann der Senator, indem er seine fleischigen Hände über dem runden Bauche faltete und einen Daumen um den andern spielen ließ – eine Gewohnheit, die er von seinem Amtsvorgänger adoptirt hatte – „mein Herr, ich benutze sofort Ihre Gefälligkeit und bitte Sie, mir ein halbes Stündchen zu widmen. Eine Reise im Winter ist selbstverständlich keine Vergnügungsreise –“

„So sind Sie in Geschäften nach Leipzig gekommen?“

„Nein, eigentlich nicht, wenn man Familienangelegenheiten nicht als Geschäfte betrachtet.“

„Ah, in Familienangelegenheiten!“ sagte Bernhard gedehnt, denn er dachte an Cäsar von Beck, und wunderte sich, warum der Senator sich gerade an ihn wendete.

„Mein jüngerer Bruder war Legationsrath in O … schen, Diensten. Als er starb, hinterließ er einen Sohn und ein sehr mäßiges Vermögen. Der Sohn, Cäsar von Beck, sollte Cameralwissenschaft studiren; zu diesem Zwecke brachte man ihn nach Braunschweig auf das Gymnasium, und später ließ man ihn die Universität Göttingen beziehen. Nach beendeten Studien hielt sich mein Neffe in Braunschweig auf, weil er Lust hatte, in herzogliche Dienste zu treten. Das Todesjahr seines Vaters war auch das seiner Großjährigkeit, und er empfing die Hinterlassenschaft des Legationsraths. Herr Cäsar schien darauf gewartet zu haben, denn vier Wochen nach dem Antritte der Erbschaft verheirathete er sich mit einer jungen Sängerin, die er vom Parterre aus lieben gelernt hatte. Die Einzelnheiten dieser Heirath kenne ich nicht, mir ist selbst der Name der Sängerin unbekannt; ich weiß nur so viel, daß sie sehr schön und ein unbescholtenes Mädchen ist. Cäsar ist ein wenig Schwärmer, aber er war stets ein guter Junge, dem ich ein recht glückliches Loos gewünscht hätte. Nach der Hochzeit, die in aller Stille abgemacht wurde, ging er mit seiner jungen Frau auf Reisen, und es verflossen mehrere Jahre, ohne daß ich etwas von ihm hörte. Da erhielt ich vor vier Wochen einen Brief von Frau von Beck, in dem sie mir anzeigt, daß Cäsar gemüthskrank zu werden scheine, wenn er es nicht schon sei; sie glaube, schrieb sie, die Schwermuth ihres Mannes sei vorzüglich dadurch entstanden, daß der Bruder seines Vaters, der einzige Verwandte auf dieser Welt, ihm zürne, und sie könne begreifen, daß ihre Heirath der Grund dieses Zerwürfnisses sei. Darum bitte sie mich, dem Neffen ein freundlicher Onkel zu sein und ihm die Freudigkeit des Gemüths durch einen väterlichen Brief zurückzugeben. Die Frau schreibt vortrefflich, und ich muß bekennen, daß mich ihre zärtliche Liebe zu Cäsar tief gerührt hat. Nun aber möchte ich wissen, in welcher Beziehung mein Neffe sich über mich zu beklagen hat?“ rief der Senator. „Ich habe mich nicht von ihm, sondern er hat sich von mir zurückgezogen. Hätte er an mich geschrieben, so würde ich ihm freundlich geantwortet haben, denn die Heirath mit seiner Sängerin kümmert mich nicht, weil er, und nicht ich, mit seiner Frau zu leben hat. Ich bin und bleibe [383] Garçon, so lange ich athme. Die Sache machte mir Sorgen, denn Cäsar ist mein einziger Verwandter und ein guter Junge, ich möchte nicht, daß er durch ein Vorurtheil unglücklich würde. Er glaubt, ich sei ihm böse – und doch hat er keine Beweise davon. Dies läßt allerdings auf Hypochondrie schließen, eine Krankheit, an der auch sein Vater gelitten hat, und die ihm das Leben bis zur Unleidlichkeit verbitterte. Ich hielt es für Pflicht, dem Fortschreiten des Uebels, zu dem ich Anlaß gegeben haben soll, vorzubeugen, und entschloß mich zu einer Reise nach Leipzig, um meinen hypochondrischen Neffen zu beobachten, ohne daß er es weiß, denn es soll nicht scheinen, als ob ich ihm nachliefe. Nun bin ich seit einigen Tagen in Leipzig, und zog unter der Hand Erkundigungen ein. Niemand konnte mir nähere Auskunft geben, weil Cäsar sich nur kurze Zeit hier aufhält und wenig bekannt ist. Gestern erfuhr ich, daß Herr Bernhard Rudolphi mit Cäsar, und Madame Rudolphi mit Frau von Beck in sehr freundschaftlichen Verhältnissen stehen; da der glückliche Zufall es außerdem auch wollte, daß ich an Sie empfohlen war, so zögerte ich nicht einen Augenblick, mich Ihnen vorzustellen, um Sie zu bitten, mir in der Erreichung meines Zwecks behülflich zu sein.“

Bernhard hatte mit Erstaunen zugehört. Das Leben des Mannes, auf den er einen glühenden Haß geworfen, lag jetzt klar vor ihm. Daß Wilhelmine früher dramatische Künstlerin gewesen, hatte er nicht gewußt – er glaubte sich jetzt die besondere Freundschaft zwischen ihr und Elisen erklären zu können. Aber auch sein Verdacht erhielt dadurch neue Nahrung, und Elise erschien ihm doppelt strafbar.

„Mein Herr,“ fragte er nach einer Pause, „auf welche Weise, kann ich Ihnen nützlich sein?“

„Zunächst dadurch, daß Sie mich den Zustand meines Neffen kennen lehren, den wohl Niemand besser wissen kann, als Sie, da Sie mit ihm befreundet sind. Aus Offenheit glaube ich um so mehr rechnen zu können, da Sie Ihrem Freunde einen Dienst erzeigen, den er Ihnen von Herzen danken wird.“

„O gewiß, Sie können auf meine Offenheit rechnen!“ rief Bernhard mit einem Anfluge von Bitterkeit, denn er fühlte das Bedürfniß, dem Senator, der ihm ein würdiger Mann zu sein schien, sein Herz auszuschütten. „Aber ich sende die Bemerkung voraus, daß ich durch meine Offenheit nicht dem Neffen, sondern nur dem Onkel einen Dienst leiste.“

„Wie?“ fragte erstaunt der Senator. „Demnach werde ich nichts Gutes hören.“

Bernhard war so aufgeregt, daß sich sein Gesicht röthete. Der Zorn darüber, daß ihm Elise den frühern Stand Wilhelminens verschwiegen, also ein Geheimniß vor ihm hatte, trieb ihm die Galle in das Blut.

„Urtheilen Sie selbst, mein Herr!“ fuhr er fort. „Wir lernten Herrn von Beck und Gattin in Karlsbad kennen, oder richtiger gesagt, unsere beiden Frauen lernten sich kennen, denn ich verhehle es nicht, daß Herr von Beck nie meine Sympathie gehabt hat. Nach beendeter Kur entschloß sich Ihr Neffe, aus Rücksicht für seine Frau, wie er sagte, den Winter in Leipzig zu verleben. Hier ward die Freundschaft der beiden Frauen so innig, daß sie einen Reflex auf die beiden Männer warf. Kurz, mein Herr, das Gerücht amalgamirte Elisen, Cäsar, Wilhelmine und Bernhard Rudolphi. Die Welt weiß, daß auch meine Frau einst der Bühne angehörte, und Sie, Herr Senator, wissen ohne Zweifel, daß eine Schauspielerin, wenn sie in das Privatleben übergetreten ist, immer noch mit Vorurtheilen zu kämpfen hat. Aus diesem Grunde veranlaßte ich meine Frau, den intimen Umgang mit Frau von Beck aufzugeben.“

„So!“ murmelte der Senator. „Und Cäsar?“

„Cäsar ist derselbe geblieben.“

„Hypochonder?“

„Wenn Sie zugeben, daß man aus Hypochondrie ein Spieler ist – ja!“

„Wie, Cäsar spielt? Natürlich Whist, L’hombre –“

„Nein, mein Herr, er spielt an der Spielbank in Köthen, wo man ihn noch vor kurzer Zeit die ganze Nacht gesehen hat. Abends fährt er still und heimlich hinüber, und Morgens kommt er zurück. Ich überlasse es Ihrem Ermessen, ob dies ein Zug von Hypochondrie ist. Und dazu kommt noch, daß er bedeutende Schulden gemacht hat. Ein Mann, der mit reichen Leuten verkehrt, hat Kredit.“

„Was ist das?“ dachte der Senator. „Sollte man auch mit meiner Gutmüthigkeit spielen wollen? Will die Schauspielerin mich zu einem Komödien-Onkel machen?“

„Dies ist Alles, mein Herr, was ich Ihnen über Cäsar von Beck sagen kann.“

„Es genügt, um meine Ansicht festzustellen,“ antwortete der Senator, indem er aufstand. „Nehmen Sie meinen Dank und die Versicherung, daß ich zu Gegendiensten bereit bin.“

„Diskretion empfehle ich nicht, da Sie es begreiflich finden werden, daß sie nur unter den obwaltenden Umständen angenehm ist.“

Der Senator reichte dem jungen Mann die Hand, nahm seinen Hut, und verließ das Zimmer. Gleich nach dem Senator verließ auch Rudolphi das Haus.




V.

Es war gegen drei Uhr Nachmittags, als Lorenz zu seinem Herrn in das Zimmer des Hotels trat, das er seit acht Tagen bewohnte. Der Senator befleißigte sich der Verdauung eines reichlich genossenen Mittagsmahls; er befand sich in einer gewissen behaglichen Ruhe, in dem glücklichen Zustande, der genau die Mitte hält zwischen dem Tiefsinne des philosophischen Denkers und der Zufriedenheit wiederkäuender Thiere. Ein Psycholog, – ich erinnere mich seines Namens nicht mehr – nennt diesen Zustand die materielle Melancholie der Gastronomie. Wie man sieht, hatten die übeln Nachrichten von dem Neffen dem Onkel den Appetit nicht verdorben.

„Was willst Du, Lorenz?“

„Herr Senator, ich habe eine Wohnung gefunden, die für uns paßt.“

„Hast Du sie gemiethet?“

„Nein; die Besitzerin des Hauses verlangt, daß Sie selbst den Kontract mit ihr abschließen.

„Die Besitzerin?“ murmelte der Senator in einem Tone, der sein Mißfallen über dieses Wort verrieth.

„Mir wäre freilich ein Besitzer lieber gewesen; aber da die Zimmer elegant und bequem sind, und das Haus in der Nähe der Wohnung Ihres Neffen liegt, so halte ich dafür, daß wir ein Auge zudrücken.“

„Laß einen Fiaker kommen!“

„Herr Senator.“

„Lorenz?“

„Ich glaube nicht daran, daß Herr Cäsar ein Spieler geworden ist. Man hat ihn verleumdet.“

„Mir wäre es lieb, wenn Du Recht hättest. Um die Wahrheit zu erfahren, werden wir einige Zeit hier bleiben.“

„Das beruhigt mich; ich hole den Fiaker.“

Nach einer Viertelstunde bestiegen Herr und Diener den Wagen, der bald darauf vor einem großen, unfreundlichen Hause hielt. Lorenz ging durch die offene Hausflur in den Hof, und zog dort an einer Glocke, die sich neben der Thür des Hintern Hauses befand. An dieser Thür war ein Schild mit der Aufschrift befestigt: „Dr. Nataß, praktischer Arzt und Geburtshelfer.“ Eine Magd öffnete.

„Wir wünschen Madame zu sprechen!“ sagte Lorenz.

„Treten Sie gefälligst in dieses Zimmer; ich werde Madame rufen.“

Die Magd ließ den Senator in ein kleines Vorzimmer treten. Lorenz, der seine Pflicht kannte, blieb auf der schmalen Hausflur zurück. Der Senator ließ sich auf einem Stuhle nieder, und wartete. Da hörte er in dem angrenzenden Zimmer, dessen Thür geschlossen war, Stimmen. Bei der tiefen Stille, die in dem Hause herrschte, konnte er jedes Wort verstehen. Ohne es zu wollen, ward er Zeuge folgenden Gesprächs: „Herr Doctor,“ sagte eine Frauenstimme, „es liegt mir viel, sehr viel daran, Gewißheit über den Gesundheitszustand der jungen Dame zu erhalten. Man sagte mir, sie habe die Schwindsucht.“

„Und Sie glauben nicht daran, Madame?“ fragte die sanfte Stimme des Arztes.

„Ja, ich habe Gründe dazu. Von Ihrem Ausspruche hängt mein Entschluß ab, der für die betreffende Dame von Wichtigkeit ist.“

[384] „Um ein richtiges, gewissenhaftes Urtheil zu geben, müßte ich die Dame ärztlich untersuchen.“

„Dies möchte ich vermeiden. Die Leidende soll nicht ahnen, daß etwas geschieht, um ihren Gesundheitszustand zu erforschen, viel weniger noch, daß ich ein lebhaftes Interesse an ihr nehme. Um Ihnen Alles zu sagen: ich halte die Krankheit für erdichtet, man will eigennützig einen Zweck erreichen.“

„Wie aber soll ich es anfangen, mich der Dame zu nähern, die ich nicht kenne?“

„Das wird schwer, aber nicht unmöglich sein, mein Herr. Für jetzt liegt mir daran, zu erfahren, ob Sie geneigt sind, sich der Untersuchung gegen ein Honorar von zehn Louisd’or zu unterziehen.“

„Sie sehen mich bereit,“ antwortete der Doctor.

„Und Sie glauben, daß eine Unterhaltung oder Beobachtung genügt, um Gewißheit zu erhalten?“

„Es giebt Zeichen, die den Augen des erfahrenen Arztes nicht entgehen. Uebrigens werde ich mich bemühen, genau zu beobachten. Ob ein Leiden vorhanden ist, läßt sich auf diese Weise wohl erkennen; aber die Natur dieses Leidens – –“

„Gleichviel, ich erwarte das Resultat Ihrer Beobachtungen, Herr Doctor.“

„Wie aber nähere ich mich der Dame, ohne Verdacht zu erwecken?“

„Ich habe bereits ein Mittel ersonnen. Die junge Frau wird zu Ihnen kommen, um Nachrichten von ihrer Mutter in Empfang zu nehmen, mit der sie seit langer Zeit auf einem gespannten Fuße lebt. Die Mutter nun beauftragt Sie, der Tochter mitzutheilen, daß sie bereit sei, Unterstützung zu gewähren, wenn das Geld nicht in die Hände ihres Mannes geräth, der ein leidenschaftlicher Spieler sein soll. Ich bitte Sie, diese fünfhundert Thaler der jungen Dame einzuhändigen. Während der Unterhaltung wird es Ihnen wohl möglich sein, die vermeintliche Kranke zu beobachten und eine Ansicht von ihrem Zustande zu gewinnen.“

„So habe ich wohl die Ehre, die Mutter der Dame vor mir zu sehen?“

„Nein, mein Herr; Madame Bertram in Braunschweig, die Mutter, ist meine Freundin, die durch Kränklichkeit abgehalten wird, zu reisen. Ich leiste ihr diesen Dienst bei Gelegenheit meines Aufenthaltes in Leipzig. In einigen Tagen werde ich mir erlauben, Sie wieder zu besuchen.“

„Ich werde nicht verfehlen, den mir gewordenen Auftrag zu realisiren!“

Jetzt ward die Thür geöffnet, und eine reichgekleidete Dame erschien. Sie trug einen weißen Atlashut mit Straußfedern und einen kostbaren mit Zobel verbrämten Pelzmantel. Die Hände staken in einem großen Muffe, ebenfalls aus Zobelpelz. Der Senator erhob sich. Ueberrascht trat er einen Schritt zurück, als er in der Dame seine feindliche Reisegefährtin erkannte. Mit einem ironischen Lächeln verneigte er sich. Schon wollte die Landdrostin danken; da aber erkannte sie auch ihren Feind – sie warf den Kopf zurück, daß die Locken über ihre leicht geschminkten Wangen fielen, und verließ hastig das Zimmer und das Haus.

„Entschuldigen Sie!“ sagte der Doctor, indem er an dem Senator vorüberging und der davoneilenden Dame das Geleit gab.

Gottfried Christian Beck hatte nicht lange Zeit, über dieses zufällige Zusammentreffen sich zu wundern und zu lächeln, denn gleich nach der Entfernung des Doctors trat eine Frau ein, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Diese Frau war groß und korpulent; trotzdem aber schien ihr Kopf unverhältnißmäßig dick zu sein. Die Backen – wir würden Wangen sagen, wenn der Ausdruck nicht zu zart wäre – die Backen, die Stirn, die Nase und das fette Kinn waren von einem scharlachrothen Firniß überzogen, in dem sich an manchen Stellen kleine Erhöhungen zeigten. Durch die schmalen braunen Lippen schimmerte ein scharfes, schneeweißes Gebiß. Ein schwarzes Flortuch, dessen Spitze in den Nacken hinabsank, bedeckte das dünne flachsgelbe Haar, das über der kugelrunden Stirn gewaltsam zu einem Scheitel geordnet war. In dem linken Arme trug die Frau ein zierliches schwarzes Körbchen, in dem ihr weißes Schnupftuch und ein Schlüsselbund lagen. Mit einem holdseligen Lächeln und einer Verneigung à la Gurli grüßte die Frau vom Hause.

Hätte sich der gute Senator nicht in der Melancholie der Gastronomie befunden, so würde es ihm unmöglich gewesen sein, bei diesem naiven Gruße das laute Lachen zu unterdrücken. Es gelang ihm, seinen Ernst zu bewahren.

„Sie haben sich diesen Morgen nach meublirten Zimmern erkundigen lassen?“

„Ja, Madame!“

„Wie viel gedenken Sie monatlich anzulegen?“

„Der Preis gilt mir gleich, wenn ich elegant und bequem wohne.“

„Ich bitte, folgen Sie mir, ich werde Ihnen die Localität zeigen.“

Man stieg zu dem ersten Stocke hinan. Die Zimmer, die der Senator hier sah, fanden seinen Beifall.

„Was fordern Sie Miethzins?“ fragte er.

„Monatlich fünfzehn Thaler.“

„Gut, so werde ich mit dem Herrn Doctor Nataß abschließen.“

„Verzeihung, dies ist meine Sache!“ sagte die Dame pikirt.

Gottfried Christian Beck war Senator, mithin ein wenig Jurist. Außerdem ließ er sich in Geschäftsangelegenheiten nicht gern mit Frauen ein.

„Ein rechtsgültiger Abschluß kann aber doch nur stattfinden, wenn der Herr Doctor – –“

„Ich kontrahire unter Beitritt meines Mannes – der Form wegen!“

„Ah, unter Beitritt Ihres Mannes!“ antwortete gedehnt der Senator, den die Herabsetzung der Manneswürde pikirte. „Kontrahiren Sie gefälligst mit meinem Bedienten, ich werde dann dem Kontracte beitreten.“

Das flammende Gesicht der Hausfrau schien Funken zu sprühen. Ihr blaugrünes Auge warf durchbohrende Blicke auf den kleinen, dicken Mann, der ruhig die Einrichtung des Zimmers betrachtete. Gern hätte sie den Unverschämten, der ihre Autorität nicht anerkennen wollte, abgewiesen; aber die Aussicht auf den reichen Gewinn und die Lust, sich an ihm zu rächen, mäßigte den Zorn.

„Wenn wollen Sie das Zimmer beziehen?“ fragte sie lächelnd.

„Lieber heute, als morgen; das Getümmel in dem Hotel ist mir lästig.“

„Morgen früh werden Sie alles bereit finden.“

„Nehmen Sie diesen Doppellouisd’or als Angeld. Nicht wahr, der vollkommensten Ruhe darf ich mich versichert halten?“

„Es wird Sie keine Fliege stören, mein Herr!“

„Und darf ich dieses Piano benützen?“

„Es gehört zur Ausstattung des Zimmers.“

Der Senator grüßte, und entfernte sich. Er trat mit Lorenz, der im Hause gewartet hatte, auf die Straße. Dem drüben Himmel entströmte ein dichter Regen.

„Wo ist unser Wagen, Lorenz?“

Beide sahen sich vergebens nach dem Fiaker um, er war verschwunden.

„Das begreife ich nicht,“ murmelte der lange Bediente; „ich habe den Kutscher noch nicht bezahlt. Vielleicht hat ihn die Dame genommen, die vorhin den Doctor verließ.“

„Hast Du der Dame näher in das Gesicht gesehen, Lorenz?“

„Nein, sie zog den Schleier herab, als sie an mir vorüberging.“

Der Senator schwieg; aber er dachte daran, daß die Landdrostin eine kleine Rache an ihm geübt haben könne, indem sie sich bei diesem schlechten Wetter seines Miethswagens bemächtigt. Und er täuschte sich nicht: die alte Dame hatte dem Kutscher zwei Thaler geboten, und dieser war eigennützig genug, um das Geld auf Kosten seines ersten Passagiers zu verdienen. Was war nun zu thun? Lorenz wußte aus Erfahrung, daß es bei schlechtem Wetter schwer sei, einen Fiaker aufzutreiben; er wollte so eben den Vorschlag aussprechen, der Herr möge in dem Zimmer des Doctors warten, bis er einen Wagen besorgt hätte – da rasselte ein Fiaker die Straße herab. Nach einigen Augenblicken erkannte er den treulosen Kutscher, der rasch vorüberfahren wollte, als er die beiden betrogenen Passagiere sah. Der lange Bediente, ein Feind aller Unredlichkeiten, rief dem Kutscher zu; als dieser nicht hörte, griff er ohne Bedenken dem Pferde in die Zügel.

„Halt,“ rief er, „wir haben den Wagen gemiethet!“

„Er ist besetzt!“ antwortete der Kutscher.

„Gleichviel, mein Herr hat erste Recht!“ antwortete der erbitterte [385] Lorenz, indem er den Schlag aufriß. „Wenn Sie nicht halten, melde ich Ihre Nummer der Polizeibehörde.“

Diese Drohung wirkte; der Kutscher ließ sich auf Unterhandlungen ein.

„Die Dame erlaubt wohl, daß Sie meinen Wagen mit benutzen,“ sagte er. „Ich wollte sie an Ort und Stelle bringen, und dann zurückkommen. Das Wetter ist schlecht, Sie müssen sich vereinigen. Außerdem weiß Madame, daß ich engagirt war, ich habe es ihr gesagt.“

Der Senator erkannte seine Feindin, die ruhig in dem Wagen saß.

„Ah,“ dachte er, „jetzt kann ich Gleiches mit Gleichem vergelten.“

Er trat an den Wagen und stieg ein.

[397] „Kutscher, ich will aussteigen!“ rief die Landdrostin im Tone des Schreckens, als sie den dicken Mann erblickte, der sich gemächlich neben ihr niederließ.

Aber der gräßliche Kutscher hörte nicht, er war beschäftigt, den langen Lorenz, der rasch die Thür zugeschlagen hatte, zu sich auf den Bock zu ziehen. In dem Augenblicke, als die Landdrostin ihr Rufen wiederholen wollte, hieb der Kutscher auf sein Pferd, und der Wagen fuhr rasselnd weiter.

„Das ist ja ein schändlicher Zufall!“ rief die erbitterte Dame.

„Schändlich, Madame! Dieses Adjectiv scheint mir unpassend zu sein!“ antwortete lächelnd der Senator. „Beruhigen Sie sich, ich trete Ihnen gern die Hälfte meines Wagens ab, und begleite Sie bis zu Ihrer Wohnung, die Sie bei diesem entsetzlichen Wetter zu Fuß nicht erreichen können. Dann trennen wir uns, und ich preise mich glücklich, Ihnen einen kleinen Dienst erwiesen zu haben.“

„Ich nehme diesen Dienst nur an, mein Herr, weil ich nicht anders kann.“

„Und ich leiste ihn, Madame, weil ich ihn nicht umgehen kann, ohne mich als einen unartigen Mann zu zeigen!“ antwortete der Senator, den diese Impertinenz verletzt hatte.

Eine Pause trat ein. Die Landdrostin zitterte vor Aufregung in ihrem Pelzmantel. Gottfried Christian Beck lächelte still vor sich hin, obgleich ihm der Zorn das Gesicht ein wenig röthete. Ein heftiger Wind peitschte den Regen an die Fenster des Wagens, in dem es stark dämmerig war. Der Senator dachte über den sonderbaren Auftrag nach, den seine Nachbarin dem Doctor Nataß gegeben hatte. Es war ihm lieb, daß er das Haus des Doctors beziehen würde, denn so war es möglich, etwas Näheres über die seltsame Frau zu erfahren, die ein impertinenter Zufall so hartnäckig mit ihm zusammenführte. Die Feindseligkeiten, die in einem Eisenbahn-Coupé begonnen hatten, wurden in einem leipziger Fiaker fortgesetzt.

„Bei dem Himmel,“ dachte Gottfried Christian Beck, „das ist mehr Verhängniß als Zufall!“

Der vorherrschende Zug in dem Charakter des Senators waar Gutmüthigkeit; aber wie alle gutmüthigen Leute, so braus’te auch er leicht auf, wenn sein Stolz verletzt oder eine seiner Schwachheiten angegriffen wurde, deren er, wie wir bereits mitgetheilt, mehrere besaß. Nach so vielen Mißgeschicken empfand er eine Art Mitleiden mit der armen Dame, deren Zittern er an der Bewegung des Atlasmantels verspürte.

„Madame,“ begann er, „ich bedauere herzlich, daß ich Ihnen gegen meinen Willen Verdruß bereite; der Zufall scheint es sich vorgenommen zu haben, Ihre Ruhe zu stören, und ich ärgere mich, daß ich mich als das Werkzeug dieses boshaften Zufalls muß gebrauchen lassen, der ich durchaus kein Interesse habe, Ihnen unangenehm zu sein. Vereinigen wir uns, dem Zufalle entgegenzuwirken.“

Der Senator erwartete eine höfliche, launige Antwort; er hatte sich getäuscht.

„Ich hoffe zu Gott, mein Herr, daß wir uns heute zum letzten Male gesehen haben!“ rief erbittert die Dame. „Man kann seine Vorkehrungen gegen Berührungen solcher Art treffen.“

In diesem Augenblicke hielt der Wagen. Lorenz sprang vom Bocke und öffnete die Thür. Die Landdrostin wollte aussteigen. Als sie die amaranthfarbige Livree mit den weißen Knöpfen erblickte, fuhr sie zurück und rief: „Der widerwärtige Mensch! Berühre Er mich nicht!“

„So steigen Sie allein aus!“ antwortete der erstaunte Diener, indem er zurücktrat.

Die alte Dame verließ stolz den Wagen, und verschwand in der Dämmerung. Lorenz sah, wie sie an dem Glockenzuge der nächsten Hausthür zog, und dann eingelassen ward.

„Regnet es noch, Lorenz?“

„Sehr stark, Herr Senator.“

„So setze Dich zu mir.“

Lorenz stieg ein. Der Fiaker brachte Herrn und Diener nach dem Hotel. Hier inquirirte der Senator den Kutscher, um zu erfahren, wie seine seltsame Feindin zum zweiten Male mit ihm in Berührung gerathen sei. Der vor Denunciation ängstliche Bursche berichtete treuherzig:

„Gleich nachdem Sie in das Haus des Doctors gegangen waren, kam jene vornehme Dame. Als sie sah, daß es regnete, rief sie mir zu: der Herr, den ich gefahren, hätte länger als eine halbe Stunde bei dem Doctor zu thun, sie wolle mir zwei Thaler geben, wenn ich sie rasch nach Nr. 11 in derselben Straße und dann nach Hause fahren wolle. Die Zeiten sind schlecht, man muß zu verdienen suchen – ich nahm das Geld, und ließ die Dame einsteigen. Ich fuhr sie nach Nr. 11, wo sie klingelte, und einen Brief abgab, ohne das Haus zu betreten. Dann stieg sie rasch wieder ein, und ich wählte den kürzesten Weg, um nach einer halben Stunde wieder zu Ihren Diensten zu sein. Da standen Sie vor dem Hause des Doctors – das Uebrige wissen Sie.“

[398] Während Lorenz den Kutscher bezahlte, stieg der Senator die Treppe hinan.

„Sie hat gelogen, um mir einen Possen zu spielen!“ murmelte er vor sich hin. „Ihr Haß muß groß sein, daß sie sich einer Lüge bedient. Ein Mann würde das nicht gethan haben. O die Frauen!“




VI.

Cäsar von Beck hatte unglücklich gespielt, er war völlig ohne Geld. Zwei Wucherer, bei denen er angefragt, hatten ihm den Kredit verweigert, und ein Dritter drohete ihm mit der Schuldklage. Der Verzweiflung nahe, war er gegen vier Uhr Nachmittags in seine Wohnung zurückgekehrt. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, als Wilhelmine erschien; sie hatte Toilette zum Ausgehen gemacht.

„Cäsar, ich will mir neue Musikalien aus der Leihanstalt holen; diesen Abend bleiben wir zu Hause und unterhalten uns am Piano.“

„Gehst Du allein?“ fragte Cäsar, indem er seine Gattin besorgt ansah.

„Die Magd begleitet mich. Bevor es dämmert, werde ich zurückgekehrt sein.“ .

Der junge Mann fühlte das Bedürfniß, allein zu sein. Er küßte Wilhelminen, und führte sie die Treppe hinab. Von der Magd gefolgt, verließ sie das Haus. Cäsar befand sich allein in der Wohnung. Es hinderte ihn Nichts, seine traurige Lage zu überdenken. Den Rest des baaren Vermögens hatte der Aufenthalt im Bade gekostet, ihm blieb nur noch das väterliche Haus in O., das vielleicht einen Werth von acht Tausend Thalern hatte.

Er faßte den Entschluß, einem Advokaten jener Stadt Auftrag zu geben, das Haus zu verkaufen und so rasch als möglich Geld zu senden.

„Es ist unmöglich, mir dieses Grundstück zu erhalten,“ murmelte er vor sich hin. „Ich habe an Wilhelminens Mutter geschrieben und ihr den Zustand des armen Wesens geschildert – die herzlose Frau antwortet nicht einmal. Soll ich mich an meinen Onkel wenden? Nein, er ist ein Hagestolz, der mich verlacht und verhöhnt, der die Frauen nicht leiden kann, weil er ihnen alles Unglück zuschreibt, das die Männer betrifft. Er darf nicht wissen, daß ich verheirathet bin, dann bleibe ich sein natürlicher Erbe. Bis zu seinem Tode muß die Summe ausreichen, die ich aus dem Verkaufe des Hauses löse. Es handelt sich jetzt darum, die augenblickliche Verlegenheit zu beseitigen. Aber wie? Wenn es mir nicht gelingt, bis morgen Geld anzuschaffen, erfährt Wilhelmine meine zerrütteten Finanzverhältnisse, sie wird sich grämen und dadurch die Krankheit beschleunigen, die ich bisher mit der größten Aufopferung bekämpft habe. Das muß ich verhindern, es wäre sonst all’ mein Bemühen vergebens gewesen. Wilhelmine, mein lieber Engel, ich werde Dich mir so lange als möglich zu erhalten suchen! Stirbst Du, so sterbe ich mit Dir – ohne Dich hat das Leben keinen Reiz für mich!“

Er öffnete den Secretair und schickte sich zum Schreiben an. Da ward draußen die Glocke gezogen.

„Sollte meine Frau schon zurückkehren?“

Cäsar schloß den Secretair wieder, ging hinaus und öffnete die Thür. Die Frau des Hausmanns trat ein.

„Ist Frau von Beck zu sprechen?“

Cäsar sah, daß die Frau einen Brief in der Hand hielt.

„Warum?“

„Es ist ein Brief angekommen, den ich ihr eigenhändig überliefern soll.“

„Wer brachte ihn?“

„Eine Dame.“

„Geben Sie mir den Brief, meine Frau wird ihn erhalten.“

Cäsar bemächtigte sich ohne Umstände des Briefes.

„Verlassen Sie sich darauf,“ sagte er, „meine Frau wird ihn erhalten.“

Die Botin entfernte sich, indem sie dachten das ist ein wunderlicher Mann; wie er zitterte, wie seine Augen glüheten – wahrscheinlich plagt ihn die Eifersucht. Nun, ich kann nicht dafür, daß der Brief in seine Hände gerathen ist.

Cäsar schloß die Thür und eilte in das Zimmer zurück.

Hier betrachtete er den Brief von allen Seiten; er war mit einem punktirten Petschaft ohne Namen gesiegelt und hatte die Adresse: „Frau von Beck, hier – eigenhändig zu erbrechen.“

„Was ist das? Ein Brief an meine Frau? Eigenhändig zu erbrechen? Dies ist ein Beweis, daß ich den Inhalt nicht kennen lernen soll. Die Adresse ist offenbar von der Hand eines Mannes geschrieben. Mein Gott, wenn Rudolphi dem Vertrauen nicht entspräche, das ich in ihn gesetzt! Wilhelmine ist schön, sie erregt Interesse, wo sie erscheint – ich kenne ihr Ehrgefühl – der Annäherungsversuch eines Mannes würde sie tief verletzen – oder wenn ein Unberufener ihr Mittheilungen über mich machte, die ihr die Augen über unsere wahre Lage öffnen könnten – es ist nöthig, daß ich den Inhalt des Briefes kennen lerne, ehe sie ihn lies’t. Verzeihe mir, Wilhelmine, mich leitet nicht Mißtrauen, sondern nur die Sorge für Deine Gesundheit, für die Ruhe Deiner Seele!“

Hastig und zitternd erbrach er den Brief. Dann trat er an das Fenster und las:
„Madame!

„Verfügen Sie sich morgen, Nachmittags 4 Uhr, zu dem Doctor Nataß, der Ihnen Eröffnungen seitens Ihrer Mutter zu machen hat. Erscheinen Sie in Person, denn das, was Ihnen der Doctor mitzutheilen beauftragt ist, darf außer Ihnen Niemand wissen. Uebrigens vertrauen Sie dem würdigen Manne, der in alle Ihre Geheimnisse eingeweiht ist. Er allein ist das Organ, durch das Sie mit Ihrer Mutter verhandeln können.

Entsprechen Sie dieser Aufforderung nicht, so haben Sie sich selbst die Schuld beizumessen, wenn eine Aussöhnung nicht zu Stande kommt. Vorläufig verschweigen Sie dem Herrn von Beck den annähernden Schritt Ihrer Mutter, da man Gründe hat, ihn erst zur geeigneten Zeit davon in Kenntniß zu setzen.“

Die Unterschrift fehlte.

„Die Wirkung meines Briefes an Madame Bertram in Braunschweig!“ murmelte Cäsar. „Man hat also Gründe, mich vorläufig von den Verhandlungen auszuschließen. Aber warum? Zu welchem Zwecke? Warum antwortet die Mutter nicht mir, der ich an sie geschrieben habe? Mir wird Alles klar,“ rief er aus, nachdem er eine Minute rasch auf- und abgegangen war – „damals wollte man mir Wilhelminen nicht geben, jetzt will man sie mir entreißen. Ah, Madame Bertram, Ihre Bemühungen werden fruchtlos bleiben! Es wird Ihnen nicht gelingen, die Liebe meines herrlichen Weibes zu erschüttern. Jetzt bereue ich, den Brief geschrieben zu haben; es wäre besser gewesen, wenn man unsern Aufenthalt nicht erfahren hätte. Für die kurze Zeit, die meine Wilhelmine noch zu leben hat, soll sie vor allen Anfechtungen gesichert bleiben. Und Sie, Herr Doctor Nataß, mögen warten bis in alle Ewigkeit!“

Cäsar warf den Brief in den Ofen. Dann schrieb er an seinen Advokaten, und gab ihm Auftrag, das Haus zu verkaufen. Kaum hatte er den Secretair geschlossen, als Wilhelmine wieder zurückkam; sie brachte ein großes Packet neuer Musikalien mit. Nachdem sie eine reizende Haustoilette gemacht, führte sie den Gatten zu dem Piano. Cäsar war Virtuos auf diesem Instrumente.

„Willst Du singen?“ fragte er.

„Nur eine Scene aus Bellini’s Nachtwandlerin – hier ist der Klavierauszug. Du weißt, Cäsar, daß die Amine meine Lieblingsparthie war, und daß ich sie deshalb vor allen hoch schätze, weil ich Dir darin gefallen habe.“

„Aber nur mit halber Stimme!“

Der Gatte spielte, die Gattin sang. Cäsar war erstaunt über die Stimme seiner Frau, die an Kraft, Fülle und Wohlklang gewonnen zu haben schien. Und wie geläufig, korrekt und rein sang sie die Coloraturen! Die Töne perlten rund und klar über die schönen Lippen. Das Cantabile trug sie mit einer Empfindung vor, die den Klavierspieler entzückte – er vergaß, seine Besorgniß über die Anstrengung auszusprecheu. Wilhelmine sang die ganze erste Scene zu Ende.

„Wie habe ich gesungen?“ fragte sie lächelnd.

„Zum Entzücken!“

„Glaubst Du, daß ich mich vor dem großen Publikum hören lassen kann?“

„Um Gotteswillen, fasse diesen Gedanken nicht! Wilhelmine, wie kommst Du darauf?“ fragte Cäsar erschreckt, denn er fürchtete, daß sie seine Lage ahnte.

[399] „Verzeihung, mein lieber Freund, die Eitelkeit ließ mich diese Frage aussprechen.“

In diesem Augenblicke ward die Klingel an der Saalthür heftig gezogen. Man hörte, daß die Magd öffnete. Gleich darauf trat Elise hastig in das Zimmer.

„Ist mein Mann hier?“ fragte sie, ohne zu grüßen.

Wilhelmine eilte ihr bestürzt entgegen.

„Nein! Mein Gott, was ist geschehen? Sie sind bleich und athemlos –“

Die erschöpfte Elise sank auf einen Stuhl.

„Er ist nicht hier?“ flüsterte sie. „Gut, nun bin ich ruhig. Verzeihung,“ fügte sie laut hinzu, wenn ich störe. „Erlauben Sie mir, daß ich ein wenig ruhe, dann entferne ich mich wieder.“

„Madame,“ sagte Cäsar, „Sie suchen Herrn Rudolphi bei uns – hieraus muß ich schließen, daß Sie einen besondern Grund zu dieser Voraussetzung haben. Ihr Herr Gemahl hat uns ein einziges Mal beehrt.“

„Zu meinem innigsten Bedauern; Bernhard ist ein Sonderling, er empfängt gern Besuche, aber er erwiedert sie nicht. Wenn ich ihn jetzt hier vermuthete, so kommt es daher, daß er mir versprochen hat, mich um sechs Uhr abzuholen, denn Sie müssen wissen, daß ich meiner lieben Wilhelmine diesen Nachmittag einen Besuch zugedacht hatte – leider ward ich daran verhindert, und ich bin sehr rasch gegangen, um ihm zuvorzukommen.“ Wilhelmine sah Elisen mit fragenden Blicken an. Cäsar betrachtete seine Frau mit dem Ausdrucke des Argwohns. „Meine Frau war ausgegangen,“ dachte er, „und Elise sucht ihren Mann – was ist das?“

Da ward abermals sehr heftig die Glocke gezogen.

„Wohin?“ rief Cäsar seiner Frau zu, die sich entfernen wollte.

„Ich will nachsehen, –“

„Bleibe, mein Kind, ich selbst werde öffnen!“

Der junge Mann verließ rasch das Zimmer.

„Elise, was beginnen Sie?“ flüsterte Wilhelmine.

„Denken Sie an unsere Verabredung, liebe Freundin.“

„Sagen Sie mir nur ein Wort der Aufklärung!“

„Mein Mann hat eine kleine Züchtigung verdient. Still, er kommt!“ Cäsar öffnete die Thür, und ließ Bernhard Rudolphi eintreten, der wild und verstört aussah.

„Hier ist Madame Rudolphi!“ sagte Cäsar mit bebender Stimme.

„Ich komme, Dich abzuholen,“ stammelte Bernhard, zu seiner Frau gewendet.

„Und ich bin bereit, Dir zu folgen,“ antwortete Elise artig, ihren Platz verlassend.

Dann küßte sie die Freundin, grüßte Cäsar und hing sich an den Arm ihres Mannes, der, ohne zu grüßen, das Zimmer verließ. Die beiden zurückbleibenden Gatten sahen sich erstaunt an.

„Begreifst Du das, Wilhelmine?“

„Nein, Cäsar. Und doch – ich vermuthe etwas.“

„Nun?“

„Rudolphi hat seine Frau in Verdacht, daß sie uns nicht meinetwegen besucht.“

„Weswegen denn?“

„Deinetwegen. Er glaubt, sie sei lieber in Deiner Gesellschaft, als in der seinigen.“

„Der arme Mann!“ rief Cäsar lachend. „Man muß ihm diesen Wahn nehmen.“

„Hast Du gesehen, was für eine traurige Rolle er spielte? Die Eifersucht treibt ihn, seine Frau und sich selbst zu blamiren. Die arme Elise! Es ist ein Glück, daß dieser Auftritt bei uns stattgefunden hat, die wir genau wissen, wie großes Unrecht Elisen geschieht.“

Cäsar gedachte seines eigenen Argwohns und des Schrittes, den er bei Rudolphi gethan. Eine Art Schamgefühl regte sich in ihm und röthete sein Gesicht. Wenn er gewußt hätte, daß auch ihm diese Lection galt! Er führte seine Frau zu dem Piano, und spielte mit ihr, bis die Magd ankündigte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Wilhelmine hütete sich wohl, von dem eifersüchtigen Ehemanne zu sprechen, obgleich sie mit Schmerz des stürmischen Abends gedachte, der ihrer armen Freundin ohne Zweifel bevorstand.




VII.

Schweigend durchschritten die beiden Gatten die Straßen; sie, die gewohnt waren, in eleganter Equipage zu fahren, achteten jetzt des Kothes nicht, der ihre Füße durchnäßte. Der eifersüchtige Ehemann hatte alle Rücksichten vergessen, die er einer Frau schuldig ist; er dachte an Nichts, als den furchtbaren Groll auszulassen, der seine Brust zu zersprengen drohete. Elise zitterte vor Aufregung und Frost; Bernhard gewahrte es nicht. Man kam zu Hause an. Elise betrat ihr Zimmer – Bernhard das seinige. Eine Stunde verfloß. Da trat Bernhard in das Zimmer seiner Frau. Elise, im Schlafrocke von gelber Seide, lag ruhig auf dem Sopha und las in einem Buche. Als sie ihren Mann erblickte, erhob sie sich und legte das Buch auf den neben ihr stehenden Tisch. Bernhard war erstaunt über diese Ruhe; er hatte eine in Thränen aufgelöste Frau erwartet, und nun fand er ein schmerzlich lächelndes Gesicht, Züge, die einen leichten Hohn auszudrücken schienen.

„Elise,“ begann er mit erregter Stimme, „ich hatte mir vorgenommen, Dir meinen Entschluß schriftlich mitzutheilen; ich ziehe es aber vor, ihn Dir mündlich anzukündigen, um zu sehen, wie Du ihn aufnimmst.“

„Du hast einen Entschluß gefaßt?“ fragte anscheinend verwundert die junge Frau.

„Und zwar einen unumstößlichen.“

„Darf man wissen, in welcher Angelegenheit?“

„In der wichtigsten meines Lebens.“

„So sei meiner innigsten Theilnahme gewiß,“ antwortete Elise, indem sie den schönen runden Arm auf die Lehne des Sopha’s legte, und ihren Mann aufmerksam ansah.

Bernhard zitterte bei diesem Blicke des himmlischen Wesens, in dem Alles lag: das unergründliche Weib, die Seele Eva’s, die Fülle des Bösen und die Schätze des Guten, Verrath und Treue, Liebe und Verachtung. Ein Dichter hätte eine Prinzessin Eboli in Don Karlos und eine Zerline in Don Juan aus ihr machen können. Der eifersüchtige Gemahl verlor den Gleichmuth, mit dem sich zu waffnen er eine Stunde gebraucht hatte; er sah sich gezwungen, auf Umwegen das Ziel zu erreichen.

„Elise, wir sind nun drei Jahre verheirathet,“ begann er. „Vor einem Jahre ward ich in die traurige Nothwendigkeit versetzt, Dir zu sagen: Elise, ich habe Dir meine Ehre vertraut. Heute zwingst Du mich zu der Frage: Frau, was hast Du mit meiner Ehre gemacht? Antworte mir, wenn Du kannst, antworte mir!“

Die Züge der schönen Frau veränderten sich nicht.

„Ehe ich antworte,“ sagte sie ruhig, „erlaube ich mir eine Frage. Bernhard, was hast Du mit der Ehre Deiner Frau gemacht?“

„Madame!“ fuhr der junge Mann auf.

„Mein Herr, wer hat mir diesen Nachmittag den Bedienten nachgeschickt? Wer läßt mich durch die Domestiken beobachten? Heißt das nicht meine Ehre mit Füßen treten?“

„Sie haben mein Vertrauen verscherzt, und so lange Sie meine Frau sind, habe ich ein Recht, über Sie zu wachen.“

Elise’s schönes Gesicht verzog sich zu einem bittern Lächeln.

„Ich habe nie Ihr Vertrauen besessen!“ antwortete sie.

„Sie konnten es erwerben.“

„Brechen wir ab!“ sagte sie kurz. „Theilen Sie mir den Entschluß mit, von dem Sie vorhin sprachen. Ich bin gefaßt, Alles zu hören.“

Dann erhob sie sich, und ging langsam im Zimmer auf und ab.

„Madame, nach dem, was heute geschehen, ist es unmöglich, daß wir länger zusammen leben. Ich werde morgen die Scheidung beantragen. Das ist mein Entschluß.“

„Diese Mühe können Sie sich ersparen, mein Herr!“ sagte Elise, ohne ihren Gang zu unterbrechen.

„Wie? Warum?“

„Weil ich bereits diesen Nachmittag einen Sachwalter angenommen habe. Machen Sie keine Schwierigkeiten, so wird der Prozeß in wenig Wochen beendet sein.“

Erstaunt schwieg Bernhard einige Augenblicke. Dann fragte er mit einem gewaltsam erkünstelten Lächeln: „Darf man wissen, welchen Grund zur Scheidung Sie angegeben haben?“

[400] „O gewiß! Der Advokat versicherte mich, daß es ein sehr triftiger Grund sei.“

„Nun?“ fragte der Gatte, indem er aufstand, beide Hände auf den Rücken legte und neben seiner Frau herging.

„Eine unbesiegbare Abneigung, die mir das Leben verbittert!“ antwortete ruhig Elise.

„Gegen mich?“

„Gegen Sie, mein Herr!“

„O, das muß wohl sein, da Sie mich so rücksichtslos behandeln konnten. So darf man wohl auch annehmen, daß sich Herr von Beck scheiden läßt?“ fragte Bernhard mit zitternder Stimme.

„Wilhelmine erwartet, daß sie von Ihnen darum befragt werde.“

„Von mir?“

„Diese Erwartung ist sehr natürlich.“

„Ah, Madame, Sie spielen eine reizende Komödie mit mir!“ rief Bernhard mit einem verzweiflungsvollen Lachen. „Sie wissen, auf welchem Fuße ich mit jener Dame stehe. Präsumiren Sie nicht etwa auch, daß ich Frau von Beck nach der Scheidung heirathen werde?“

„Frau von Beck, mein Herr, ist eine eben so falsche Freundin, als Sie ein gleisnerischer Ehemann sind. Ich präsumire Alles. Während Sie die zarte Schönheit in meiner Gegenwart maltraitiren, hat sie sich vielleicht im Stillen Ihrer Zärtlichkeiten zu erfreuen. Sie verbieten mir den Umgang mit der Freundin, weil er Ihnen lästig ist. Sie fragen mich: Frau, was hast Du mit meiner Ehre gemacht? Ich antworte Ihnen: mein Herr, Sie sind ein vortrefflicher Schauspieler! Sie spielen den Othello mit derselben Virtuosität wie den Jago. Sie sehen, Herr Rudolphi, daß ich Sie durchschaue. Darum stellen Sie Ihr Spiel ein, und beantragen Sie die Scheidung.“

„Elise, glaubst Du das wirklich?“

„Fest und unerschütterlich. Ihre Liebe war Maske, wie jetzt Ihre Eifersucht Maske ist. Zu dieser Erkenntniß bin ich gelangt, seit ich Sie beobachtet habe. Wir kennen nun unsere gegenseitige Stellung und wollen uns ferner nicht mehr täuschen. Sie sind nicht mehr mein Mann, ich bin nicht mehr Ihre Frau. Sobald die Scheidung ausgesprochen ist, reise ich ab. Ich würde sofort Ihr Haus verlassen, wenn ich nicht bis zu dem letzten Augenblicke meine Ehre wahren wollte.“

Bernhard blieb stehen und betrachtete einige Augenblicke seine Frau, die sich ruhig in den Sopha gesetzt und das Buch ergriffen hatte. Ihm schien, als ob sie heute schöner war, als sonst. Aber welche Seele barg diese reizende Hülle? Sie bürdete ihm ruhig und sicher Dinge auf, an die er im Leben nicht gedacht hatte. Die Eifersucht regte sich wieder.

„Elise,“ fragte er, „in welcher Absicht warst Du bei Beck’s?“

„Um mich zu überzeugen, daß Sie dort waren. Sie kamen, und ich muß gestehen, daß Sie für den Augenblick meinen Verdacht vortrefflich abgeleitet haben. Außerdem danke ich Ihnen für die Zartheit, mit der Sie mich einer peinlichen Situation entrissen.“

„Mein Gott, das ist zu arg!“ rief Bernhard, vor Zorn erbleichend.

Elise zuckte lächelnd mit den Achseln.

„Liefern Sie den Beweis, daß ich mich getäuscht habe,“ antwortete sie dann.

„Madame, mit Ihnen zu rechten, die Sie neunundneunzig Arten besitzen, „Ja“ zu sagen und eben soviel Variationen des „Nein“ – ist eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen glaube. Bleiben Sie bei Ihrem Entschlusse, ich werde bei dem meinigen bleiben.“ Er verneigte sich und verließ hastig das Zimmer.

Elise rief das Kammermädchen, ließ sich auskleiden, und ging zu Bett. Bernhard blieb noch lange auf, er beschäftigte sich mit der Frage: „wenn du dich täuschtest, wie sich Elise täuscht? Sie sieht dieselben Dinge, die du siehst. „Das Weib ist schön,“ rief er aus; „wäre sie doch auch so gut und treu!“

Er nahm sich vor, den Senator aufzusuchen. Von ihm hoffte er so viel Aufklärung über Cäsar von Beck zu erhalten, daß er danach das Verhältniß seiner Frau zu Wilhelminen beurtheilen konnte. Der Gedanke, die Eifersucht hat Elisen zu Wilhelminen getrieben, schmeichelte ihm. Eine Stunde später war er so ruhig, daß er sich zu Bett legen konnte. Aber ein böser Traum plagte ihn – ihm träumte, Elise habe die Scheidung wirklich beantragt, und bleibe unerschütterlich in ihrem Entschlusse. Verdrießlich stand er am nächsten Morgen auf. Schon um neun Uhr ließ er sein Pferd satteln und unternahm einen Spazierritt, von dem er spät zurückkehren wollte.

Cäsar von Beck hatte einen schweren Tag; er wußte nicht, wo er Geld auftreiben sollte. Obgleich er das letzte Mal unglücklich gespielt hatte, so würde er doch seine heimliche Reise wieder angetreten haben, wenn die dazu erforderliche Summe in seinen Händen gewesen wäre. Als Wilhelmine zum Frühstück erschien, sah sie ungewöhnlich bleich aus. Cäsar zitterte, als er ihre Hand ergriff, sie brannte in Fieberhitze. Eingedenk der Ermahnungen des Arztes, sprach er seine Besorgnisse nicht aus; aber eine Centnerlast lag ihm auf dem Herzen. Wilhelmine war krank, und er hatte kein Geld. An wen sollte er sich wenden?

Er dachte an Rudolphi – aber war nicht Elise die Freundin Wilhelminens? Konnte sie nicht von jener Seite her seine drückende Lage erfahren? Er dachte an die Schmucksachen seiner Frau – was aber sollte er ihr sagen, wenn sie die Juwelen, mit denen sie sich so gern schmückte, vermißte? Der Besuch eines Advokaten machte das Maaß der Bedrängniß voll.

„Herr K. hat Ihnen einen Wechsel zum Incasso übergeben?“ fragte Cäsar.

„Ja, Herr von Beck.“

„Ist es Ihnen möglich, mir acht Tage Frist zu gewähren?“

„Leider nein. Ich habe die strenge Ordre, Sie morgen früh verhaften zu lassen, wenn Sie heute den Wechsel nicht einlösen.“

„Das ist hart!“ antwortete Cäsar erbleichend. „Ich werde mit Herrn K. sprechen.“

„Er hat das Papier einem Dritten cedirt.“

„Wem?“

„Herrn Bernhard Rudolphi.“

„Ihm!“ murmelte der junge Mann. „Dann freilich kann ich mich nur durch Zahlung vor dem Schuldgefängnisse retten.“

„Ich bitte Sie, bis diesen Nachmittag vier Uhr das Geschäft zu ordnen.“

Der Advokat entfernte sich. Cäsar sank bestürzt auf einen Sessel.

„Ich ahne den Grund!“ dachte er. „Rudolphi will sich dafür rächen, daß ich ihn ersucht habe, den Umgang seiner Frau mit Wilhelminen zu unterbrechen. Oder wenn er, was noch schlimmer wäre, mich entfernen wollte, um – –“

Er legte beide Hände vor das Gesicht; der Gedanke, der sich ihm aufdrängte, machte ihn schaudern.

„Ich verkaufe meine Möbel, wir reisen heute noch ab!“

Cäsar sprang auf und ergriff Hut und Stock. Plötzlich blieb er wieder stehen.

„Aber Wilhelmine kann nicht reisen, sie ist krank!“ murmelte er. „Soll ich ihr Leben auf das Spiel setzen? Die Luft ist rauh und kalt, die arme Frau darf das Zimmer nicht verlassen. O mein Gott, ich befinde mich in einer furchtbaren Lage. Hier die kranke Wilhelmine, dort Mangel – selbst Schuldarrest! Wo soll ich Hülfe suchen? Drei- bis vierhundert Thaler entreißen mich der Verlegenheit, der Schmach, dem Verderben!“

Der arme Mann ward ein Raub der Angst und Verzweiflung; er hätte nicht mehr vor dem ihm angedrohten Tode zittern können, als er jetzt vor dem Verluste seiner Frau zitterte, denn alle seine Gedanken flossen in den einen zusammen: Wilhelmine steht auf dem Spiele. Er fühlte das Bedürfniß, eine dritte Person in sein Geheimniß einzuweihen; wo aber sollte er Jemanden finden, dem er vertrauen konnte? Geld, Geld war die Losung, ohne Geld gab es kein Rettungsmittel. In einem qualvollen Zustande verließ er das Haus. Das Wetter war kalt, der erste Schnee fiel. Die rauhe Luft that seinem glühenden Kopfe wohl. Düstern Blicks durcheilte er die Straßen. Da sah er an einer Thür ein Schild mit der Aufschrift „Dr. Nataß.“ Er blieb stehen und überlegte, ob von diesem Manne, der Wilhelminen Eröffnungen seitens der Mutter zu machen hatte, keine Hülfe zu erlangen sei.

[409] Rasch ging Cäsar in den Hof und sah das Schild und den Klingelzug. Er gab das Zeichen und eine Magd öffnete die Thür.

„Herr Doctor Nataß?“ fragte er.

„Ist zu Hause.“

„Kann ich ihn sprechen?“

„Er sitzt bei Tische.“

„Ich werde warten.“

Die Magd führte ihn in das Wartezimmer des Arztes. Hätte er gewußt, daß der Onkel in demselben Hause wohnte! Nicht zwei Minuten hatte der geängstigte Cäsar in dem Zimmer zugebracht, als die Glocke von Neuem gezogen ward. Gleich darauf ließ die Magd eine Dame eintreten. Es war die Landdrostin. Cäsar grüßte nachlässig die Dame, die ihm sehr ungelegen kam. Der Doctor Nataß war ein vielbeschäftigter Arzt, er mußte oft die Ankommenden warten lassen, wenn er ruhig essen wollte, Und so geschah es auch heute. Es verflossen zehn Minuten, dem Harrenden eine Ewigkeit. Die Landdrostin stand auf und setzte sich wieder. Dann ging sie ungeduldig in dem kleinen Zimmer auf und ab. Aber kennt denn Cäsar seine Schwiegermutter nicht? wird der Leser fragen. Die Landdrostin war allerdings Wilhelminens Mutter, und hieraus läßt sich das Interesse erklären, das sie an der jungen Frau nahm; aber Wilhelmine hielt Frau Bertram für ihre Mutter, bei der sie erzogen war, und Cäsar lebte derselben Ansicht.

Cäsar sah durch das Fenster in den Garten; die Landdrostin setzte sich in den Sopha und betrachtete die schlanke, aristokratische Gestalt des jungen Mannes. Es verfloß eine Viertelstunde, aber immer noch erschien der Doctor nicht. Da erhob sich die ungeduldige Dame wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, grüßte flüchtig und verließ das Zimmer. In diesem Augenblicke bemerkte Cäsar, daß ein gesticktes Portefeuille in dem Sopha lag. Ohne Zweifel hatte es die Dame verloren; er ergriff es, und wollte ihr nacheilen. Indem er einen Blick auf das zierliche Taschenbuch warf, erkannte er die Ränder einer Anzahl Banknoten, welche die schmale Decke nicht ganz verbergen konnte. Wie gelähmt blieb Cäsar stehen; er suchte Geld, Geld allein konnte ihn retten, und hier hielt er eine Summe in der Hand, die vielleicht mehr als hinreichend war, um seine gräßliche Noth zu beseitigen. Der Gedanke einer Veruntreuung machte ihn schaudern – aber war er nicht gerettet, wenn er den Fund nur einige Tage behalten konnte? Der arme Mann zitterte am ganzen Körper, während seine Augen starr auf den Hundertthaler-Banknoten hafteten.

„Ich gebe es morgen, übermorgen zurück!“ murmelte er. „Ich bezahle den elenden Rudolphi, rette meine Freiheit, meine Ehre und bewahre Wilhelminen vor einer Gemüthserregung, die ihr leicht den Tod bringen kann.“

Hastig verbarg er das Portefeuille und trat auf die Hausflur hinaus. Es war kein Mensch zu sehen. Die Thür ließ sich von innen leicht öffnen, und in der nächsten Minute stand Cäsar auf der Straße. Er entfloh, als ob er einen Mord begangen hätte. Sein Herz nahm stärkere, heißere Blutmassen auf, als früher in irgend einem Augenblicke seines Lebens, und strömte sie mit großer Gewalt wieder aus. Die widersprechendsten Gedanken durchtobten seinen Kopf, aber einer von ihnen beherrschte alle andern – es war der an Wilhelmine. Das Gewissen war nicht mächtig genug, die Besorgnisse der Liebe zu beschwichtigen. Er irrte durch die Promenade, bis er erschöpft an einem Baume stehen bleiben mußte.

„Ob die Summe wohl hinreicht?“ fragte er sich.

Zitternd holte er das Portefeuille hervor und sah um sich, um sich zu überzeugen, daß ihn Niemand beobachtete, und prüfte den Inhalt; er bestand aus sieben Hundertthaler-Banknoten. Das war genug. Er nahm vier Stück davon, steckte sie in sein eigenes Taschenbuch, und verbarg das Portefeuille in seinem Rocke. Dann eilte er in die Stadt, suchte und fand den Advokaten. Eine Viertelstunde später war er in dem Besitze des verhängnißvollen Wechsels und einer Summe, die ihn vor Mangel schützte.

„Was mir die Menschen verweigerten, hat mir der Zufall gewährt!“ flüsterte er vor sich hin, um sich zu beruhigen. „Jene Dame hat mir gegen ihren Willen siebenhundert Thaler geliehen. Sobald ich kann, zahle ich das Kapital sammt Zinsen zurück.“

Cäsar kam in seiner Wohnung an. Wilhelmine befand sich besser, sie erwartete ihren Mann, um mit ihm das Mittagsessen einzunehmen. Sie empfing ihn mit dem zärtlichsten Kusse, den eine liebende Gattin spenden kann. Als Cäsar die reizende Frau in seinen Armen hielt, als er ihr himmlisches Lächeln sah und ihre Lippen auf den seinigen fühlte, war die Reue über das, was er gethan, völlig verschwunden; er fühlte selbst, daß er sich Vorwürfe gemacht haben würde, wenn er anders gehandelt, wenn er die Gelegenheit hätte vorübergehen lassen, durch die er sich und seine Frau unabhängig von Rudolphi gemacht. In unruhiger Hast genoß er die Speisen, er trank mehr Wein als sonst. In einer Art Betäubung setzte er sich nach Tische in den Sopha. Wilhelmine nahm ihren Platz am Fenster ein, und begann zu sticken.

[410] Bald war Cäsar in einen unruhigen Schlummer gesunken.

„Er muß krank sein!“ dachte die besorgte Gattin.

Cäsar hatte noch nie nach Tische geschlafen, aber heute hatte sich seiner nach der übergroßen Aufregung eine Abspannung bemächtigt, die dem Schlafe glich. Sein Geist fuhr fort, sich mit den stattgehabten Ereignissen zu beschäftigen.

Das Vergehen steht zu der Empfindsamkeit des Gewissens im Verhältnisse: es giebt Leute, die eine That für ein leichtes, zu entschuldigendes Vergehen halten, während dieselbe That bei andern die Ausdehnung eines Verbrechens annimmt. Zu den letzteren gehörte Cäsar. Die Stimme des Gewissens besiegte nach und nach die Sophisterei der Leidenschaft. Es erhob sich ein furchtbarer Kampf in seiner Seele.

„Nein, es ist kein Verbrechen!“ murmelte er im Schlafe.

Dann schwieg er wieder. Wilhelmine erschrak. Sie sah, wie bleich ihr Mann war, wie alle Muskeln seines Gesichts konvulsivisch zuckten.

„Ihn drückt ein Geheimniß!“ dachte sie. „Warum vertraut er mir nicht, daß ich es mit ihm theilen kann?“

„Rudolphi, Sie sind ein Elender, Sie haben mich zu einem Verbrechen getrieben!“ rief Cäsar, indem sein Gesicht den Ausdruck des Zornes annahm.

„Großer Gott!“ flüsterte Wilhelmine bestürzt, indem die Stickerei ihren Händen entsank. Dann stand sie auf und trat dem Schlafenden näher. „Sollte die Besorgniß um meine Gesundheit nicht der einzige Grund seiner Traurigkeit sein?“ fragte sie sich.

Cäsar’s hatte sich eine Art Delirium bemächtigt; er fuhr fort, laut mit sich zu sprechen.

„Noch ist es Zeit – ich kann das Portefeuille, das ich gefunden, zurückgeben – dann ist das Verbrechen von mir abgewälzt!“ murmelte er. „Heute noch, heute noch! Man kann mich erkannt haben! Soll Wilhelmine die Gattin eines Diebes sein? O Du mein Engel, die Schande wird Dich früher tödten, als die Krankheit! Ich besitze ja das Portefeuille noch – es steckt in der Brusttasche meines Oberrocks!“

Nach diesen Worten schauderte er heftig zusammen, als ob ihn ein Krampf befiele. Wilhelmine wollte ihn wecken; als sie aber sah, daß er wieder ruhig ward, unterließ sie es. Unter den geschlossenen Augenlidern des Schlafenden quollen Thränen hervor. Auch Wilhelmine begann still zu weinen bei dem Anblicke ihres armen Mannes, denn sie wußte, daß er nur aus Liebe zu ihr sich einer Verirrung schuldig machen konnte. Jetzt erinnerte sie sich der verletzenden Behandlung wieder, die sie von Rudolphi erfahren hatte; sie glaubte sich den Grund derselben erklären zu können. Es war nach ihrer Meinung nicht daran zu zweifeln, daß Elisens Gatte wußte, Cäsar hatte ein Portefeuille gefunden und behalten. Aber warum legte man auf diesen Fund ein so großes Gewicht? Enthielt das Portefeuille werthvolle Papiere?

Leise trat sie in das Schlafzimmer und untersuchte die Brusttasche des Oberrocks ihres Mannes, der auf einem Stuhle lag.

Außer drei Hundertthaler-Banknoten lagen einige kleine Papiere und eine Visitenkarte darin. Auf der Karte standen die Namen „Gottfried Christian Beck.“ Wilhelmine starrte das Blatt an. Sie erinnerte sich, daß Cäsar’s Onkel so hieß. Kein Anderer als er konnte demnach der Besitzer des Taschenbuchs sein. Aber hatte er es auch verloren? Wenn dies der Fall, so mußte er in Leipzig sein, und dies ließ sich annehmen, da sie dem Onkel einen Brief geschrieben hatte.

„Armer Cäsar,“ dachte sie, „wie es scheint, hast Du das Taschenbuch Deines Onkels gefunden, und Dein redliches Herz bereitet sich unnütze Sorgen! Aber sollte er die Karte nicht gelesen haben? Sollte er nicht wissen, wer der Eigenthümer des Portefeuilles ist?“ Neue Zweifel stiegen in ihr auf. Um diese zu beseitigen, gab es kein anderes Mittel, als Cäsar selbst zu fragen. Dann aber würde sie ihm zu erkennen gegeben haben, daß sie um ein Geheimniß wüßte, dessen Bewahrung ihm am Herzen lag. Sie kannte den Charakter ihres Mannes zu genau und vermochte die Folgen zu ermessen, die daraus entstanden, wenn sie sich als Mitwisserin dieser Verirrung zu erkennen gab. Sie beschloß, einen andern Vortheil aus diesem Zufalle zu ziehen. Nachdem sie einige Minuten überlegt, verbarg sie das Portefeuille in der Tasche ihres Kleides. Dann ging sie in das Zimmer zurück, um ihren Mann zu beobachten. Cäsar erwachte nach einer halben Stunde. Mit verstörten Blicken sah er um sich.

Nur mit Anstrengung vermochte er so viel Unbefangenheit zu erkünsteln, als nöthig war, um Wilhelminen den Zustand seines Innern zu verbergen. Die beiden Gatten blieben den ganzen Tag zu Hause. Um acht Uhr Abends ging Wilhelmine in die Küche zu der Magd.

„Ist ein Brief angekommen?“ fragte sie leise.

„Ja, gnädige Frau.“

Die Magd holte ein Couvert aus dem Küchenschrank. Wilhelnime, und Elise hatten nämlich einen Briefwechsel verabredet, der durch die Mägde besorgt wurde, um ihn den Männern geheim zu halten. Die junge Frau las:

„Theuerste Freundin!

„Der Senator Beck aus Bremen ist hier; er hat meinen Othello besucht und von ihm Erkundigungen über Ihren Mann eingezogen. Ich erinnere mich, daß Sie mir gesagt haben, der Senator sei mit Ihnen verwandt. Da mir nöthig scheint, daß Sie von diesem Umstand Kenntniß erhalten, habe ich nicht versäumt, Ihnen auf dem verabredeten Wege diese Zeilen zu senden. Mein Mann verschließt sich seit gestern in seinem Zimmer; wir hören und sehen uns nicht. Nächstens mehr von Ihrer  Elise.“

„Der Onkel ist hier, also gehört ihm das Taschenbuch mit dem Gelde!“ dachte Wilhelmine. „Wohlan, nun kann ich mein Versöhnungswerk vollbringen, und Cäsar’s Fund soll mir dabei behülflich sein.“

Cäsar war wirklich krank, er ging zeitig zu Bett. Schon früh am nächsten Morgen schickte Wilhelmine auf das Fremdenbureau, und ließ die Wohnung des Senators erfragen. Die Magd kam zurück. Auf dem Zettel war das Haus des Doctors Nataß angegeben, das, wie die junge Frau wußte, ganz in der Nähe lag.

Um neun Uhr trat Wilhelmine in das Zimmer ihres Mannes. Er stand im Schlafrocke am Fenster und sah auf die Straße hinaus. Beide Gatten grüßten sich zärtlich wie jeden Morgen. Cäsar sah bleich aus, aber er schien ruhiger zu sein.

„Was mag dort angeschlagen sein?“ fragte er, indem er durch das Fenster auf die Straße zeigte.

Wilhelmine trat zu ihm und sah hinaus. Die Vorübergehenden blieben an der gegenüberliegenden Straßenecke stehen, und lasen begierig einen großen grünen Anschlagzettel.

„Man kündigt vielleicht eine neue Oper oder ein großes Concert an.“

„Ich möchte es wohl wissen!“ murmelte Cäsar.

„Deine Neugierde ist bald zu befriedigen. Ich werde die Magd abschicken, daß sie den Zettel liest.“

Sie ging hinaus. Die Magd, eine schon bejahrte Person, stand vor dem Herde.

„Rosine, an der Ecke unserer Straße klebt ein großer Zettel, – gehe und sieh’ nach, was man ankündigt.“

„Ich habe den Zettel schon gelesen, gnädige Frau.“

„Was kündigt man an?“

„Es ist eine gestickte Brieftasche mit siebenhundert Thalern verloren gegangen.“

„Mit siebenhundert Thalern?“ fragte erschreckt die junge Frau.

Rosine hielt dieses Erschrecken für Erstaunen.

„Ja, gnädige Frau. Und hundert Thaler Belohnung hat man dem ausgesetzt, der sie auf dem Polizeibureau abliefert. Ach, wäre ich die Finderin!“ rief seufzend die alte Magd, indem sie mit dem Blasebalge das Feuer anfachte.

Die junge Frau ging in ihr Zimmer und schloß die Thür hinter sich ab. Dann holte sie das Portefeuille aus dem Kasten ihrer Toilette, öffnete es und prüfte den Inhalt. Er bestand nur aus drei Banknoten hundert Thaler. Entweder war noch ein zweites Portefeuille verloren, oder Cäsar hatte vierhundert Thaler ausgegeben. Wilhelmine glaubte das Letztere annehmen zu müssen, da ihr Mann von einem Verbrechen gesprochen hatte, wozu ihn Rudolphi gedrängt haben solle. Und was konnte ihm außerdem Sorgen bereiten, wenn die Summe noch vollständig wäre? Er hätte in diesem Falle einfach das Gefundene zurückgeben können, und die Sache wäre abgemacht gewesen. Wilhelmine hatte bis jetzt an ein ausreichendes Vermögen ihres Mannes geglaubt – diese unglückselige Angelegenheit veranlaßte sie, das Gegentheil anzunehmen.

„Er ist arm,“ dachte sie, „und nun kann ich mir Manches erklären! Ist es möglich, so soll er nie vor mir erröthen – ich werde im Geheimen handeln! Seine Gemüthsstimmung erheischt die sorgfältigste Vorsicht.“

[411] Sie ging in das Zimmer zurück. Als sie den Gatten bleich und düster vor sich hinblickend in dem Lehnstuhle sitzen sah, hätte sie in Thränen ausbrechen mögen. Die Liebe gab ihr Kraft, ein freundliches Gesicht zu zeigen. Cäsar fragte nicht, aber er sah seine Frau mit unruhig forschenden Blicken an.

„Der Zettel,“ sagte sie, „enthält eine Auktionsanzeige.“

„Nichts weiter?“

„Die Leute sind hier sehr neugierig!“

Man trank die Chokolate. Wilhelmine suchte nach einem Vorwande, um sich zu entfernen; er war bald gefunden. Sie machte eine einfache, geschmackvolle Toilette. Cäsar umarmte sie mit großer Innigkeit, hielt sie aber, gegen seine Gewohnheit, heute nicht zurück. Sie eilte durch die Straßen. An der nächsten Ecke las sie den großen Zettel. Die genaue Beschreibung des Portefeuilles beseitigte den letzten Zweifel. Sie bestieg einen Fiaker und ließ sich nach dem Leihhause fahren. Hier versetzte sie alle ihre Gold- und Schmucksachen, die sie bei sich trug. Sie forderte und erhielt auf die werthvollen Juwelen die Summe von vierhundert Thalern. Nun ließ sich Wilhelmine nach dem Hause des Doctor Nataß fahren. Eine Magd sagte ihr, daß der Senator in dem ersten Stocke wohne. Auf dem Korridor trat ihr der lange Lorenz entgegen – er trug die Reste des Frühstücks seines Herrn.

„Ich möchte den Herrn Senator Beck aus Bremen sprechen!“ sagte Wilhelmine, nachdem sie den alten Diener gegrüßt hatte.

Lorenz sah die reizende junge Frau mit großen Augen an.

„Meinen Herrn?“ fragte er verwundert.

„Den Herrn Senator Gottfried Christian Beck aus Bremen.“

„Ganz recht. Wen habe ich die Ehre anzumelden?“

„Eine Dame, die ihn in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen hat.“

„Nichts weiter?“

„Ich glaube, es wird genügen, um mir Zutritt zu verschaffen.“

Lorenz setzte seinen großen Präsentirteller auf einen Tisch, und ging in das Zimmer. Der Senator hatte bereits Toilette gemacht, denn er wollte ausgehen.

„Eine junge Dame, sagst Du?“ fragte er verwundert.


„Und dabei ist sie so schön, wie ich noch selten eine gesehen habe.“

„Wie ist sie gekleidet?“

„Sehr elegant, Herr Senator. Ich glaube, man darf sie nicht abweisen.“

„Hm! So mag sie eintreten!“

Lorenz ordnete mit geübten Fingern die Cravatte seines Herrn, und bürstete mit einer kleinen Haarbürste, die er aus der Tasche gezogen, die dünnen Haare des dicken Senators, daß sie fest und glatt an den Schläfen lagen.

„Was denkst Du, Lorenz?“

„Ich würde an unsern Neffen denken, Herr Senator, wenn die Dame nicht so mädchenhaft aussähe.“

„Aber ich habe hier keine Bekanntschaften –“

„Nun, wir werden ja sehen.“

Der alte Diener öffnete die Thür und bat Wilhelminen, einzutreten. Im nächsten Augenblicke stand die junge Frau vor dem Senator. Erröthend grüßte sie den Onkel ihres Mannes durch eine graziöse Verneigung. Der Senator dankte mit der Würde eines Senators.

„Mein Herr, Sie haben ein Portefeuille mit siebenhundert Thalern verloren?“ fragte Wilhelmine.

„Wie, ich?“

„Herr Gottfried Christian Beck.“

„Sie kennen meinen vollständigen Namen, mein Fräulein.“

Madame wagte der Senator nicht zu sagen. Wilhelmine ließ sich nicht beirren; sie glaubte an eine Ausflucht des alten Herrn, der ihr jovial genug dazu erschien.

„Verzeihung, mein Herr, dann muß ich mich geirrt haben.“

„Ohne Zweifel. Aber aus welchem Grunde glauben Sie, daß ich ein Portefeuille verloren habe?“

„Weil eine Visitenkarte mit Ihrem Namen darin liegt. Hier ist die Karte.“ Der Senator nahm das kleine vergilbte Blatt.

„Wahrhaftig!“ murmelte er erstaunt, nachdem er die veraltete Schrift gelesen. Dann betrachtete er schweigend einige Augenblicke das Blatt. Plötzlich spiegelte sich in seinem Gesichte eine angenehme Ueberraschung ab.

„Mein Fräulein,“ sagte er hastig, „kann ich das Portefeuille sehen?“

Wilhelmine überreichte es. Die Hand des Senators zitterte ein wenig, nachdem er einen Blick auf die in Perlen gestickten Buchstaben des Deckels geworfen hatte.

„Sie sind der Besitzer nicht?“ fragte die verwunderte Wilhelmine.

Der Senator antwortete nicht; er öffnete das Buch und holte den Inhalt heraus. Die Banknoten legte er auf den Tisch. Die beiden andern, wie Briefe aussehenden Papiere öffnete und las er. Wilhelmine hatte sie aus Discretion unberührt gelassen. Die Lectüre erregte in dem Lesenden eine große Bewegung, und Wilhelmine, die ihn erstaunt beobachtete, glaubte zu bemerken, daß seine Augen feucht wurden.

„Mein Gott,“ murmelte er, „das ist ein wunderbarer Zufall! Mein Fräulein, wo haben Sie dieses Buch gefunden?“

„In der Straße – nicht weit von Ihrer Wohnung.“

„Wann?“

„Gestern Abend. Diesen Morgen fordern große Anschlagzettel den Finder auf, es auf dem Polizeibureau gegen eine Belohnung abzuliefern. Ich zog es vor, die Andeutung dieser Karte zu benützen – –“

„Und Sie haben Recht gethan, denn andernfalls hätten Sie mich eines Vergnügens beraubt, das ich mit mehr als dieser Summe – er deutete auf die Banknoten – zu bezahlen geneigt bin. O, ich bitte, nehmen Sie das Ganze.“

Wilhelmine trat erröthend zurück.

„Verzeihung, mein Herr – Sie sagten, daß Sie nicht der Eigenthümer seien –“

„Es ist wahr!“ antwortete der Senator, sich fassend. „Aber ich ersuche Sie, mich den Finder sein zu lassen. Bestimmen Sie selbst den Lohn für diese Gefälligkeit. Daß dieses Portefeuille dem rechtmäßigen Eigenthümer wieder zugestellt werde, brauche ich wohl nicht zu versichern. Ich bürge Ihnen mit meinem Ehrenworte dafür.“

Die junge Frau konnte sich zwar den Zusammenhang aller dieser Umstände nicht erklären, aber sie ging ohne Zögern auf den Vorschlag des Senators ein, zumal da sie den Hauptzweck erreicht hatte.

„Mein Herr,“ sagte sie, „darf ich mir einen Finderlohn erbitten?“

Der Senator verneigte sich.

„So erlauben Sie mir, daß ich mir diesen Abend eine Quittung über die richtige Ablieferung des Portefeuilles hole.“

„Mißtrauen Sie mir?“

„Nein, mein Herr; aber ich bedarf ihrer zu meiner eigenen Beruhigung.“

„Und darf ich wissen, wer mir die Ehre erzeigt –“

Wilhelmine verneigte sich, und verließ das Zimmer, ohne zu antworten.

„Das ist ein reizendes, aber stolzes Geschöpf!“ dachte der Senator. „Ich habe immer geglaubt, daß der Eigennutz eine Hauptschwäche der Frauen ist – hier finde ich die erste Ausnahme. Wie Schade, daß ich nicht fünfunddreißig Jahre jünger bin!“

Er hüllte sich in seinen Pelz, und verließ, von Lorenz gefolgt, das Haus, nachdem er das Portefeuille zu sich gesteckt hatte. Sein erster Weg war der auf das Polizeiburau, um nähere Erkundigungen über das Portefeuille einzuziehen. Man nannte ihm eine Frau von Jasper und bezeichnete ihm das Haus, in dem sie wohnte.




VIII.

Die Landdrostin hatte so eben mit Susannens Hülfe ihre Toilette beendet; sie stand vor dem Spiegel und legte ein wenig Roth auf die verblühten Wangen. Da ward leise an die Thür geklopft. Die Dame schloß rasch ihr Schminkkästchen und rief mit lauter Stimme „herein!“ Der Senator erschien auf der Schwelle; hinter ihm zeigte sich die lange Gestalt des alten Lorenz. Die Landdrostin fuhr entsetzt zurück, als sie die Gruppe der beiden ihr verhaßt gewordenen Männer sah. Aber auch das Gesicht des Senators verlängerte sich ein wenig bei dem Erblicken der alten [412] Dame, deren Feind er durch das tückische Spiel des Zufalls geworden war.

„Frau von Jasper?“ sagte der Senator, indem er sich verbeugte.

„Ich bin Frau von Jasper!“

Der Herr schloß dem Diener die Thür vor der Nase. Dann trat er der Bewohnerin des Zimmers näher, und sah sie einen Augenblick schweigend an. Frau von Jasper verlor ihre Fassung.

„Mein Herr,“ rief sie, „Ihre Kühnheit artet in Insolenz aus! Bin ich denn in meinem Zimmer nicht mehr sicher vor Ihnen? Giebt es denn kein Mittel, mir Ruhe vor Ihnen zu schaffen? Was wollen Sie?“

„Meine Pflicht als ehrlicher Mann erfüllen – hier ist Ihr Taschenbuch, das ein Zufall, und diesmal ein guter Zufall, in meine Hände gerathen ließ. Nehmen Sie!“

„Das ist wahrlich ein seltsamer Zufall!“ flüsterte überrascht die Landdrostin. „Ich habe dem Finder einen Lohn zugesichert – –“

„Ich leiste nicht darauf Verzicht!“ sagte lächelnd der Senator. „Noch mehr, gnädige Frau: ich habe ihn mir bereits genommen. Prüfen Sie gefälligst das Taschenbuch.“

„Das ist mir lieb!“ rief die alte Dame, indem sie das Buch öffnete. „Jeden Dienst, den man mir leistet, pflege ich zu bezahlen. Aber die Summe ist ja vollzählig? Eine Visitenkarte und zwei Briefchen fehlen – –“

„Diese drei Dinge, gnädige Frau, betrachte ich als den Finderlohn.“

Beide sahen sich einander forschend an. Die Landdrostin gerieth in peinliche Verlegenheit; der Senator lächelte.

„Aber haben die Briefe einigen Werth für Sie,“ fuhr er fort, „so bin ich bereit, sie Ihnen zurückzugeben.“

„Mein Herr, wenn Sie nicht die Absicht haben, Ihren Spott fortzusetzen, so begreife ich nicht, was für ein Interesse Sie leiten kann – –“

„Ich werde Ihnen Aufklärung geben, gnädige Frau! Wenn ein Mann in seinem Leben, und zwar in seinen Jugendjahren, nur zwei Liebesbriefe geschrieben hat, so muß es ihm gewiß von großem Interesse sein, wenn er im Alter diese Briefe, die Ergüsse einer romantischen Schwärmerei, zu Gesichte bekommt. In diesem Falle stehe ich. Ich war drei- oder vierundzwanzig Jahre alt, als ich diese Briefe an die reizende Blandine Witt richtete. Heute finde ich sie in dem Portefeuille der Frau von Jasper. Der Zufall, gnädige Frau, war uns auf der Reise ein tückischer Kobold – jetzt macht er seine Tücke dadurch wieder gut, daß er uns sagt, wer wir uns einander einst waren – denn, bei Gott, ohne diesen Zufall würden wir uns nicht erkannt haben. Wir sind ja seit unserer Trennung um fünfundzwanzig Jahre älter geworden.“

Die Entrüstung der Landdrostin war einer freudigen Überraschung gewichen. Mit bewegter Stimme flüsterte sie: „Demnach wären Sie –?“

Der Senator ergriff ihre Hand, drückte einen zarten Kuß darauf, und antwortete: „Gottfried Beck, einst als junger Commis der glühendste Verehrer der reizenden Blandine.“

„Und Sie haben mich auf der Reise wirklich nicht erkannt?“

„Ich würde sonst früher die Hand geküßt haben, ohne die ich bis zu diesem Augenblicke Garçon geblieben bin.“

Frau von Jasper verneigte sich tief, indem sie flüsterte: „Und ich bin seit einem Jahre Wittwe. Ihre Briefe, Herr Beck, sind mir in den einsamen Stunden meines Wittwenstandes die theuerste Erinnerung gewesen. Wie oft habe ich schmerzlich den Zufall bedauert, der uns trennte. Herr von Jasper war kein Mann für mich – –“

De mortuis nil nisi bene!“ rief der Senator. „Der gute Landdrost ruhe in Frieden!“

„In diesen Wunsch stimme ich von Herzen ein!“ fügte lächelnd die alte Dame hinzu.

Beide setzten sich in den Sopha. Nun folgte ein Austausch von Mittheilungen, die wir übergehen, da sie nicht unbedingt zu unserer Geschichte gehören. Nur das dürfen wir nicht verschweigen, daß Blandine, jetzt Frau von Jasper, einst eine bildschöne Tänzerin gewesen, die neben Pepita de Oliva mit Ruhm bestehen konnte. Gottfried, ein hübscher, blühender Commis, wenn auch ein wenig klein, hatte sich ihrer Gunst im hohen Grade zu erfreuen gehabt, war aber, trotz seiner glühenden Liebe, von dem reichen Herrn von Jasper, der später Landdrost wurde, überflügelt. Der gute Gottfried hatte zu lange mit dem Heirathsantrage gezögert. Zwar hatte er sich stets mit einer Art Wehmuth der ersten Jugendliebe erinnert; aber der Grund, den er seinem Junggesellenthume Frau von Jasper gegenüber untergelegt, war eine Lüge, eine Höflichkeitsphrase gewesen.

Blandine hatte den Zweck ihrer Reise erzählt; Gottfried den seinigen. Beide sahen sich erstaunt an, als sich herausstellte, daß der Neffe des Senators die Tochter der Landdrostin entführt und geheirathet hatte.

„Ist Cäsar wirklich von Adel?“ fragte die erstaunte Dame:

„Sein Vater erhielt den Adel, als er zum Legationsrathe ernannt wurde; es kann Niemand seinen Rang anfechten.“

„So kann Cäsar als Edelmann die Erbschaft seiner Frau antreten. Ach, wäre er nur nicht Spieler, wäre Wilhelmine nicht krank!“

„Ueberzeugen wir uns!“

„Aber wie?“

„Der gerade Weg ist stets der beste – wir wenden uns an die jungen Leute selbst, anstatt auf das Urtheil Anderer zu hören. Mein Wagen steht noch vor der Thür; Sie haben Toilette gemacht – säumen wir nicht, die Sache in’s Klare zu bringen.“

Einige Minuten später trat die Landdrostin am Arme des Senators auf den Corridor. Lorenz und Susanne sahen ihre Herrschaft mit großen Augen an.

„Oeffne den Wagen, Lorenz! Dann bleibst Du hier, bis wir zurückkommen!“ befahl der Senator. „Dem Kutscher sage, daß er uns nach Cäsar’s Wohnung fahre, die Du kennst.“

So geschah es. Der Wagen fuhr ab, und bald zog der Senator die Glocke an Cäsar’s Thür. Gottfried ließ sich von der Magd das Zimmer seines Neffen bezeichnen. Dann trat er, Blandine am Arme führend, ohne Umstände ein. Die beiden jungen Gatten saßen im Sopha; überrascht erhoben sie sich. Aber mehr noch waren die Eintretenden überrascht: der Senator erkannte die reizende Finderin des Portefeuilles und die Landdrostin erkannte den interessanten jungen Mann, den sie bei dem Doctor gesehen und im Verdachte gehabt hatte, ihr Portefeuille gefunden zu haben. Wir fügen noch hinzu, daß sie vergebens bei dem Doctor geforscht, der, wie wir wissen, Cäsar nicht gesehen hatte. Alle waren so überrascht, daß sie vergaßen, zu grüßen. Endlich reichte der Onkel dem Neffen die Hand.

„Cäsar,“ sagte er lächelnd, „stelle mich Deiner liebenswürdigen Gattin vor.“

Aber Cäsar hörte nicht, er starrte die Landdrostin an.

„Madame,“ stammelte er, „Sie haben ein Portefeuille verloren?“

„Zu meinem Glücke!“ antwortete freundlich die Landdrostin. „Es befindet sich bereits wieder in meinen Händen.“

„Genügt Ihnen diese Quittung?“ fragte der Senator, indem er Wilhelminen die Hand küßte.

Die junge Frau verneigte sich.

„Wenn Madame die Eigenthümerin ist“ – flüsterte sie.

„Dafür bürge ich!“ rief der Senator. „Fordern Sie noch immer keinen Lohn?“

„Erwirken Sie mir die Verzeihung meines Mannes –“

„Weshalb zürnt er Ihnen?“ fragte verwundert der Onkel.

„Daß ich ihn des Glückes beraubt habe, seinen Fund in Person zu überreichen; aber ich wollte den Onkel kennen lernen und versöhnen, da ich die Schuld zu tragen glaube – –“

„Madame,“ unterbrach sie der joviale Alte, „sagen Sie meinem Neffen, er sei ein Narr! Soll ich ihm böse sein, weil er eine liebenswürdige Frau besitzt? Hätte ich den Muth gehabt, eine Entführung zu unternehmen, ich wäre vielleicht heute ein glücklicher Ehemann. Frau von Jasper wird die Güte haben, dies zu bestätigen.“

Statt zu antworten, trat die Landdrostin zu Wilhelmine, ergriff bewegt ihre Hände und küßte sie.

„Der Herr Senator hat Recht!“ flüsterte sie dann unter Thränen. „Der Entführer hat die Verzeihung des Onkels – ich bringe der Entführten die Verzeihung der Mutter.“

Cäsar stand wie träumend da; er begriff Nichts von den Dingen, die sich vor seinen Augen ereigneten. Wie durch einen Schleier sah er, daß die Landdrostin sich ihm näherte.

[413] „Wir haben uns in dem Vorzimmer des Doctors gesehen, Herr von Beck.“

„Ganz recht, ich wollte ihn wegen meiner Frau befragen.“

„Halten Sie Wilhelmine wirklich für krank?“

„Sehen Sie denn nicht, wie bleich sie ist? Man muß sie länger beobachten, um ihren Gesundheitszustand zu begreifen.“

Während dieser Zeit hatte Wilhelmine mit dem Onkel leise geflüstert.

„Er ist Hypochonder,“ murmelte der Alte; „wir werden ihn bald heilen. Cäsar, ich habe mit Dir zu reden,“ rief er; „aber nicht in diesem Boudoir, sondern in Deinem Zimmer.“

Onkel und Neffe entfernten sich. Die beiden Frauen waren allein.

„Mein liebes Kind,“ begann die Landdrostin, „ich benutze diesen Augenblick, um mit Ihnen von Ihrer Mutter zu sprechen. So lange Sie denken können, befanden Sie sich bei Madame Bertram. Diese Frau aber war nicht Ihre Mutter, sondern nur Ihre Erzieherin. Vor einiger Zeit schrieb Ihr Mann an seine vermeintliche Schwiegermutter, und zeigte ihr an, daß Sie krank seien. Diese Nachricht erfüllte Ihre wirkliche Mutter mit um so größerm Schmerze, da sie durch den Tod Ihres Vaters erst jetzt im Stande ist, Ihnen ihre ganze Liebe zu widmen. Staunen Sie nicht darüber, denn Ihr Vater war der seltsamste Mensch der Erde – er setzte Zweifel in die Treue seiner Gattin und verstieß seine beiden Töchter. Aus Liebe zu ihren Kindern willigte sie in diese Trennung, denn sie war das einzige Mittel, den halb wahnsinnigen Herrn von Jasper abzuhalten, sein Vermögen einem Seitenverwandten zu vermachen. Wilhelmine, Ihre Mutter war nur vorsichtig, nicht hartherzig – hätte sie Ihren Aufenthalt früher gewußt, sie würde früher gekommen sein, um Ihnen zu sagen, daß sie Ihnen ein großes Vermögen gerettet hat! Ich bin die Universalerbin des Herrn von Jasper, und die Welt kann nun erfahren, daß Sie – meine Tochter sind!“

Die junge Frau sank weinend in die ausgebreitetnn Arme der Landdrostin; Secunden verflossen, ehe sie eines Wortes mächtig war. Dann flüsterte sie hastig: „Sie sagten, ich habe noch eine Schwester?“

„Sie ist um drei Jahre älter, als Du. Leider kenne ich ihren Aufenthalt nicht, ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt. Mein Bruder, ein armer Schauspieler, ist seit langer Zeit mit ihr verschwunden.“

„Wie hieß Ihr Bruder?“ fragte Wilhelmine zitternd.

„Alexander Witt!“

„Alexander Witt war der Pflegevater meiner Freundin Elise – sie hat mir oft von dem armen Schauspieler erzählt, der sie gebildet hat. Ach, und ich wußte nicht, daß er der Bruder meiner Mutter, und daß Elise Rudolphi meine Schwester ist.“

„Meine älteste Tochter heißt Elise!“

„Sie ist die Gattin eines reichen Mannes.“

Nachdem der erste Erguß mütterlicher und kindlicher Liebe vorüber war, stellten die beiden Frauen ruhige Erörterungen an, und es unterlag keinem Zweifel mehr, daß Elise und Wilhelmine die Kinder der Landdrostin waren. Das Erstaunen Cäsar’s läßt sich nicht beschreiben.

„O über den Zufall!“ rief lächelnd der Senator. „Demnach hat Herr Rudolphi seinen eigenen Schwager verleumdet!“

„Aus Eifersucht!“ rief Wilhelmine. „Er mißtrauet Elisen –“

„Wie Herr von Jasper seiner Frau!“ fügte die Landdrostin hinzu.

Eine Stunde später hatte Wilhelmine ihrer Freundin und Schwester das Geheimniß mitgetheilt. Noch befanden sich Beide unter dem ersten Eindrucke dieser frohen Entdeckung, als Bernhard eintrat. Er trug einen Brief in der Hand, den ihm der Senator geschrieben hatte. Als er die beiden Frauen sah, die sich weinend umschlungen hielten, blieb er an der Thüre stehen. Wilhelmine näherte sich ihm, ergriff seine Hand, und sagte:

[414] „Sie haben mich aus Liebe zu meiner Schwester beleidigt – ich verzeihe Ihnen, ohne daß Sie mich darum bitten.“

Dann führte sie ihn zu Elisen, die ruhig an ihrem Platze geblieben war.

„Elise,“ sagte er, „Cäsar’s Onkel giebt mir in diesem Briefe eine Aufklärung, die mich mein Unrecht gegen Dich vollkommen einsehen läßt. Wilhelminens Gatte fehlte aus Liebe zu seiner Frau –“

„Und Du, Bernhard, aus Liebe zu mir!“ rief Elise, indem sie aufstand und sich an seine Brust warf. „Du siehst Dein Unrecht ein, darum schweigen wir von der Vergangenheit.“

„Aber der Scheidungsproceß?“ fragte Bernhard.

„War Project, und wird auch wohl Project bleiben!“

Ein glänzendes Abendessen vereinigte alle Personen unserer Erzählung in dem Salon Bernhard Rudolphi’s. Selbst der lange Lorenz und Susanne speisten mit den Domestiken. Die Landdrostin schilderte mit geläufiger Zunge die Leiden ihrer Ehe.

„Nehmen Sie ein Beispiel daran, meine Herren,“ schloß sie; „der Zufall fügt nicht immer eine glückliche Lösung der Dinge.“ Cäsar drückte Wilhelminens Hand und flüsterte:

„Du hast mich vor mir selbst gerettet! Hätte ich mich früher Dir offen anvertraut!“

Bernhard küßte seine Gattin; dann sagte er ihr leise in’s Ohr: „Ich werde mich hüten, in die Fußtapfen des Landdrosts zu treten!“

„Blandine,“ flüsterte der Senator, „es ist schade, daß wir nicht fünfundzwanzig Jahre jünger sind!“

„Der Zufall, mein Freund, bewirkt viel; aber eine solche Umwandlung vermag er nicht hervorzubringen. Freuen wir uns der Erinnerung, und verjüngen wir uns in unsern Kindern!“

Acht Tage später saßen Gottfried und Blandine friedlich in einem Coupé erster Klasse; sie fuhren nach Braunschweig zurück.

„Rauchen Sie!“ sagte lächelnd die Landdrostin.

„Und Sie?“

„Ich werde über die Spiele des Zufalls nachdenken.“