Spiele in Eis und Schnee

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<<
Autor: Balduin Groller
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Spiele in Eis und Schnee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3–4, S. 44–46, 60–61, 65
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[44]
Spiele in Eis und Schnee.
Von Balduin Groller. Mit Bildern von Fritz Bergen.
I.

Das Eisschießen.

„Preisend mit viel schönen Reden“ weiß jeder seine besondere Liebhaberei ins hellste Licht zu setzen. Das begreift sich, schon der Begriff der Liebhaberei erklärt es zur Genüge. Was nun aber die Liebhabereien der deutschen Jugend, und man kann fast schon sagen, des deutschen Volkes auf dem Gebiete der Leibesübungen betrifft, so ist in dem letzten Vierteljahrhundert, also seit dem großen Kriege, unleugbar ein entschieden frischerer Zug in sie gekommen. Und darüber hat man sich wahrhaftig nicht zu beklagen. Das Volk der Denker ist, Gott sei Dank, nicht mehr auch ein Volk von Stubenhockern. Die Zeiten haben aufgehört, wo auf allen Gebieten der Betätigung körperlicher Kraft, Geschicklichkeit und Ausdauer, von der Turnkunst abgesehen, in welcher wir Deutschen schon längst alle anderen Völker in Schatten stellten, die englischen und französischen. Leistungen als schier unerreichbare Vorbilder angestaunt wurden. Die deutsche Jugend hat sich aufgerafft und den Kampf auf der ganzen Linie aufgenommen, der vormalige große Unterschied zu ihren Ungunsten ist aufgehoben oder doch nahezu ganz aufgehoben, und es ist keine Frage, daß bei dem vorhandenen Menschenmaterial und bei der bekannten Gründlichkeit, mit der sich der Deutsche in eine Sache zu verbeißen liebt, deren er sich einmal annimmt, dem deutschen Volke über kurz oder lang auch auf diesem Felde eine führende Rolle zufallen wird. Jawohl, dem deutschen Volke und nicht nur der deutschen Jugend! Denn die Jugend, die edelste Blüte des Volkes, bleibt nicht ewig die Jugend; sie geht allmählich ins Bürgertum über, das aber durch sie neue, kraftfrohe Elemente und belebende Anregungen von schulbildender Kraft gewinnt. Denn wer einmal vom Quell der vorerwähnten „Liebhabereien“ getrunken hat, der läßt nicht mehr von ihnen. er bleibt ihnen treu, übt sie weiter und gedenkt ihrer auch im hohen Alter, wie das graubemooste Haupt der seligen Burschenzeit gedenkt – mit leuchtenden Augen.

Der Umfang, den die deutsche Vorliebe für körperliche Uebungen gewonnen, ist jetzt schon ganz gewaltig. Dabei wollen wir von den Turnern, die in den deutschen Gauen schon nicht mehr nach Hunderttausenden, sondern nach Millionen zu zählen sind, hier gar nicht reden. Ein Verein von Bergsteigern hat 40 000 Mitglieder, und in derselben Anzahl läßt er die Vereinszeitschrift erscheinen, das Amtsblatt des deutschen Radfahrerbundes erscheint in einer Auflage von 30 000 Exemplaren, und noch dazu im Sommer täglich. Die Schwimmer, die Eisläufer, die Fechter, die Athleten, sie haben alle ihre Zeitungen, die sämtlich das Evangelium ihrer besonderen Liebhaberei mit feurigen Zungen verkünden und ihr immer neue Anhänger gewinnen. Das gedruckte Wort wäre vielleicht dazu nicht einmal nötig, denn jeder Bergsteiger, Schwimmer, Eisläufer, Radfahrer etc. ist selbst ein begeisterter Apostel seiner Liebhaberei.

Man fühlt sich da versucht, einen Augenblick innezuhalten und objektiv und in aller Ruhe zu untersuchen, welche der Leibesübungen denn nun wirklich die schönste sei. Die Sache ist schwierig, und ich glaube nicht, daß man dabei zu einem abschließenden Ergebnisse kommen könnte. Jeder wird seiner Liebhaberei die Palme reichen, wird finden, daß sie die unterhaltendste, die nützlichste, für die Gesundheit die zuträglichste, mit einem Worte die schönste sei. Man wird bei dem unfruchtbaren Streit über Geschmackssachen angelangt sein, bei einem Streit, in dem schließlich die persönliche Neigung das letzte entscheidende Wort hat.

Das Eisbosseln.

[45] Und doch giebt es auch da ein Moment, das uns auf die richtige Spur bringen kann. Vor einer beträchtlichen Reihe von Jahren – die Radfahrersache stand damals noch in den Kinderschuhen – sagte mir ein bedächtiger alter Herr, den ich aber als guten Beobachter kannte. „Passen Sie auf, das Velociped wird sich die Welt erobern!“ „Warum?“ „Mir ist da etwas Eigentümliches aufgefallen. Allen jungen Leuten, die mir von ihrer Radfahrerei erzählen, leuchten die Augen, während sie das thun. Eine Sache, die ihre Anhänger so beglückt, die muß ihren Weg machen.“

Der alte Herr hat recht behalten. Das Fahrrad hat sich die Welt erobert. Die Zahl seiner Anhänger steigt von Tag zu Tag, eine großartige Industrie hat sich entwickelt. In Wien allein giebt es trotz polizeilicher Einschränkung und Behinderung – die ganze innere Stadt ist dem Fahrrad verboten – schon gegen zweihundertundfünfzig Radfahrervereine. Seither habe ich mich unzähligemal der Beobachtung des bedächtigen alten Herrn der „leuchtenden Augen“ erinnert. Ich habe sie gesehen beim Radfahrer, der durch das Land fliegt, und bei dem, der als Sieger auf der Bahn über das Zielband fährt, ich habe sie aber auch gesehen bei dem Fechter, dem es glückte, seinen Partner abzuführen, und beim Bergsteiger, der einen trotzigen Gipfel bezwungen und der dann von dessen stolzer Höhe den Blick hinaussandte in die wundervolle, prangende Gotteswelt, und ich habe sie leuchten sehen bei allen im Gefühle froher Befriedigung, die sich der aus eigener Kraft vollbrachten Leistung freuten! Und doch sind es gerade die leuchtenden Augen, die uns hier den Weg weisen können. Man beobachte nur weiter! So hell und so strahlend blitzen die Augen doch nirgends wieder wie auf dem Eise. Darf man nach den leuchtenden Augen schätzen – und wir meinen, man darf es – dann giebt es auf der Welt wohl keinen schöneren Sport als den Wintersport. Man sehe sich doch eine Gesellschaft beim Schlittschuhlaufen auf dem Eise an, Männlein und Weiblein – wie da die Augen leuchten! Das sind frohe, glückliche und gesunde Menschen, es sind auch schöne Menschen, denn Frohsinn und Gesundheit sind an sich schon mehr als halbe Schönheit. Die Gesetze der Schwere scheinen aufgehoben, ein rhythtmisches Schweben, Wiegen, Reigen, eine Anmut der Bewegung, wie sie die schwerstbezahlte Ballerina auf der Bühne im Leben nicht zustande bringen wird! Der Sieg über die Materie ist vollständig und der Triumph der eigenen Kraft und Geschicklichkeit größer als sonst bei einer Uebung. Man hat nicht nur die sonst auch vorhandenen technischen Schwierigkeiten überwunden, auch die elementare Macht des grimmen Winters wird besiegt. Kalt ist’s, bitter kalt, die Menschheit friert bis in die Knochen – nicht wahr ist’s, Frühling ist es! Dem Eisläufer ist es wohl und warm, er verlacht den grimmigen Winter.

Das Hockeyspielen auf dem Eise.

Die leuchtenden Augen verkünden also doch die Wahrheit: der schönste Sport ist der Wintersport. Denn nicht nur beim Schlittschuhlauf, sondern bei allen körperlichen Uebungen und Spielen in Eis und Schnee zeigen sich dieselben kennzeichnenden Erscheinungen, die wir oben angedeutet haben. Daß das deutsche Volk eine besondere Vorliebe für die winterlichen Unterhaltungen im Freien hegt, ist nach alledem auch leicht erklärlich. Der Winter liefert die Zurüstungen, Schnee und Eis, reichlich und kostenfrei. Arm und reich brauchen nur zuzulangen, um sich zu vergnügen. Und daß das deutsche Volk den andern auch da mit gutem Beispiel vorangeht, ist eigentlich nur selbstverständlich; die Franzosen haben keinen ordentlichen Winter und die Engländer erst recht nicht.

Weil nun der Wintersport ein so schöner und dabei so wenig kostspieliger ist, konnte er ein so wahrhaft volkstümlicher werden. Es giebt winterliche Spiele, die in den betreffenden Gegenden seit Jahrhunderten im Schwang sind, und die auch dem Forscher ein ethnographisches Interesse bieten wie alle sonstigen volkstümlichen Sitten und Gebräuche. Bemerkenswert dabei ist, daß gerade die volkstümlichsten der Uebungen, die Bauernspiele, eine sehr tüchtige und korrekte sportliche Grundlage haben. Sie könnten ohne weiteres auch von Sportsleuten geübt werden, und es will uns gar nicht unwahrscheinlich bedünken, daß so ein Bauernspiel eines schönen Tages plötzlich zur Mode und dann auch von den städtischen Gesellschaftskreisen mit Passion gepflegt werden wird. Zum Teil ist das sogar schon der Fall.

Das „Eisschießen“, das wir bereits früher (Jahrgang 1892, Nr. 6 [WS 1]) geschildert haben und von dem uns der Künstler auf S. 44 ein anschauliches Bildchen liefert, wird seit unvordenklichen Zeiten schon namentlich in den österreichischen Alpenländern mit großem Eifer betrieben. Vorbedingung ist eine große, glatte Eisfläche, und da ein Fluß selten so glatt friert wie der Spiegel eines Sees, so ist es nur natürlich, daß das Spiel vorwiegend in den Gegenden an den Seen heimisch ist.

Der deutsche Bauer läßt sich mitunter von der Freude am Spiel zu weit hinreißen. Es werden da oft beim sonntäglichen Kegelschieben Summen in Umsatz gebracht, gewonnen und verloren über welche der sparsame städtische Kleinbürger die Hände überm Kopfe zusammenschlagen würde, wenn er zufällig dabei sein sollte, und die aufs Spiel zu setzen er sich gewiß nicht getrauen würde. So geht es auch beim „Eisschießen“ oft um hohe Einsätze, und wir heben das hier deshalb besonders hervor, weil [46] dieser Umstand nicht ohne Bedeutung war für die ganze Entwicklung des Spieles und weil er mit die Ursache bildet, daß das Spiel mit der Zeit einen ganz sportlichen Charakter angenommen hat. Die Unterhaltung ist nicht mehr ganz harmlos. Bei einer Niederlage handelt es sich nicht mehr bloß um die „Ehre“, es sind da oft auch empfindliche Verluste zu gewärtigen. Diese Erkenntnis hat aber dann ein ernstes, regelrechtes Training und im Anschluß daran eine hohe Vervollkommnung im Spiele zur Folge. Thatsächlich wäre es für einen Wintertouristen, der zufällig Zeuge eines solchen Kampfes ist, ein ziemlich kühnes und recht aussichtsloses Unterfangen, gegen die eingeschossenen Spieler in Wettbewerb zu treten.

Das Wesen des Spieles wird durch unser Bildchen ganz klar erläutert. Es handelt sich darum, die schwere Holzscheibe mit mächtigem Schwung in vorgeschriebener Richtung möglichst weit über die Eisfläche hingleiten zu lassen. Nicht immer ist es aber damit abgethan, und häufig wird das Spiel auch so eingerichtet, daß neben der Kraft und Geschicklichkeit des Armes auch die Sicherheit des Auges den Ausschlag giebt. Es wird dann ein sichtbares Ziel gesteckt, und es gewinnt nicht, wer am weitesten wirft, sondern wer dem Ziele mit seinem Wurfgeschoß am nächsten kommt. Dieses Bauernspiel hat aus den österreichischen Alpenländern seinen Weg auch nach England, dem Mutterland allen Sports, gefunden, ist aber dort kein Bauernspiel mehr, sondern ein Sport für die Herren. In England ist der Griff des Wurfgeschosses noch etwas mehr gebogen, und dadurch soll die Möglichkeit geboten sein, dem Wurf auch „Fälschung“ zu geben, in dem Sinne, wie ein Billardball „falsch“ genommen wird. Diese Fälsche soll dann sich darin äußern, daß die Scheibe in der Nähe des Zieles noch eine bogenförmige Schwenkung macht, die den Zweck hat, die gegnerischen Scheiben zu umfahren und unter Umständen zu verdrängen.

Eine gewisse Verwandtschaft mit dem „Eisschießen“ zeigt das „Eisbosseln“ oder „Klootschießen“ (vgl. „Gartenlaube“ 1883, Nr. 4), wie es bei den schleswig-holsteinschen Marschbewohnern gebräuchlich ist, nur daß es uns noch volkstümlicher, unterhaltender und auch aufregender erscheint. Sind die Marschen festgefroren – bei Tauwetter läßt sich nicht bosseln – so sendet die Mannschaft eines Dorfes der des Nachbardorfes eine „Bossel“ zu, eine bleiausgegossene Holzkugel, die ungefähr ein Pfund wiegt. Das ist die Herausforderung, und nun beginnt das Training. Die Mannschaften sind nach Umständen und Verhältnissen je dreißig bis hundert Mann stark. Es wird beiderseits mit großem Eifer geübt, denn die Ehre des Dorfes ist engagiert. Kommt es dann an einem vorher bestimmten Sonntage zum Kampfe, dann wirft abwechselnd je einer aus den beiden Mannschaften eine Bossel. Die Kugel fliegt erst durch die Luft, es wird aber auch die Strecke gemessen, die sie noch nach dem Aufschlagen auf dem gefrorenen Boden dahinrollt. Diese Strecke kann eine sehr erhebliche sein, wenn die Vorteile des Terrains, eine Furche oder ein gefrorener Graben, geschickt ausgenutzt werden. Versieht es ein Werfer oder ist er überhaupt nicht geschickt genug, dann bleibt die Kugel, gerade durch den Rand der Furche oder den Damm des Grabens aufgehalten, vorzeitig stehen. Natürlich kommt auch darauf viel an, daß der Spieler mit seinem Wurfe immer in der vorgeschriebenen Richtung bleibe. Eine Abweichung von dieser bedeutet Terrainverlust und somit Nachteil für die eigene und Vorteil für die gegnerische Partei. Jeder derartige Fehler erregt große Erbitterung im eigenen Lager und der unglückliche Spieler setzt sich von seiten seiner Leute schweren Vorwürfen aus, die Gegenpartei allerdings frohlockt und läßt es, was nicht minder bitter ist, an spöttischen und höhnischen Bemerkungen nicht fehlen. Um sicheren Stand zu haben, pflegen die Kämpfer vor dem Wurfe ihre Fußbekleidung abzulegen. Von der Stelle aus, wo die Kugel liegen geblieben ist, erfolgt der nächste Wurf, und so geht es Wurf um Wurf meilenweit ins Land hinein, bis dann in der Mitte des Spieles gewendet wird nach der Richtung der Aufbruchsstelle. Hat die eine Partei einen Vorsprung von mehr als der Länge eines Wurfes, so wird ihr von den „Kreetlern“, d. i. den Schiedsrichtern, ein „Schott up“ (Schuß voraus) verzeichnet, ist die Strecke zum Schlusse nur eine geringe, so wird ein „Kiek ut“ (Aussicht, Ausblick) gutschrieben. Siegt ein Dorf dreimal über das Nachbardorf, so wird die Bossel vergoldet und zu Hause als Trophäe des Dorfes im Triumphe aufgehängt. – Ganz vorzüglich veranschaulicht uns auf Seite 44 der Zeichner die Bewegung eines Bosselwerfers, und gut beobachtet ist auch die unwillkürliche Bewegung des passionierten Zuschauers hinter dem Werfer.

Nicht so volkstümlich wie die vorgenannten Spiele, aber ebenfalls viel Unterhaltung und Anregung bietend ist das Hockeyspiel auf dem Eise. Hockey gehört zu den englischen Nationalspielen und erst in neuerer Zeit beginnt es, sich auch in Deutschland einzubürgern. Es ist ein Rasenspiel und wird auf dem Eise eigentlich nur in übertragenem Wirkungskreise gespielt. Es gehört zur Gattung der Polospiele und ist, um es recht deutlich zu erklären, ein Fußballspiel ohne Fuß und ohne Ball. Statt des großen Balles wird nämlich eine kleine Kugel aus zollstarkem Gummi mit einem Hohlraum von einem Zoll Durchmesser verwendet, und diese wird statt mit den Füßen durch lange, am unteren Ende aufgebogene Stöcke getrieben. Im übrigen gelten aber so ziemlich die Fußballregeln. Zwei Parteien kämpfen miteinander, und der Zweck des Kampfes ist, die Kugel ins feindliche Lager zu treiben. Ist das Spiel schon auf dem Rasen nicht leicht, so erfordert es auf der glatten Eisfläche noch eine ganz besondere Gewandtheit und Geschicklichkeit, und wer nicht ein ganz „fermer“ Schlittschuhläufer ist, der bleibt besser davon, denn es wird ihm nicht wohlergehen dabei.

Damit wären aus unserer Bilderserie die eigentlichen Spiele erledigt; die in einem zweiten Artikel folgenden Darstellungen beziehen sich entweder auf den Sport oder auf die harmlose, nicht in besondere Satzungen gebrachte Winterunterhaltung im Freien.

[60]
Spiele in Eis und Schnee.
Von Balduin Groller. Mit Bildern von Fritz Bergen und C. Schön.
II.

Das Eissegeln.

Von den Unterhaltungen auf dem Eise ist zunächst das Eissegeln auf dem weiten Spiegel eines gefroren Sees zu nennen. Dasselbe gewährt jedem, der sich die dazu erforderliche Geschicklichkeit erwarb, ebensoviel Erfrischung wie Vergnügen. Man saust dahin buchstäblich mit der Geschwindigkeit der Windsbraut, und es kommt nur darauf an, wie geschwind eben die Braut ist. Das Verfahren ist im Grunde einfach: man bietet dem Wind die Segelfläche, und dann geht es auch wie der Wind! Natürlich ist auch da Erfahrung und Geschicklichkeit vonnöten, sonst liegt man gar leicht auf der Nase oder wird mit seinem Eisboot verweht und hat dabei die schönste Gelegenheit, nachzudenken über das „Parallelogramm der Kräfte.“

Wie unsere Bilder hier oben und S. 65 zeigen, giebt es zwei Methoden für das Eissegeln, die eine, bei der man als Schlittschuhläufer vermittelst eines Segels die Hilfe des Windes in Anspruch nimmt, die andere, bei welcher der regelmäßige Segelsport auf dem flüssigen Element auf die feste Eisdecke übertragen wird. Das Eissegeln des Schlittschuhläufers ist eine sehr hübsche Unterhaltung, aber als reinen Sport kann man es wohl nicht gelten lassen. Bei jedem eigentlichen Sport muß die persönliche Leistung genau kontrollierbar sein. Nun kann die Leistung allerdings auch hier genau gemessen werden, sie läßt sich aber nicht abschätzen im Vergleiche mit anderen. Denn die Hauptarbeit besorgt hier das Element, der Wind, und nicht der Läufer, und immer wird der die bessere Leistung aufzuweisen haben, der den stärkeren Rückenwind als Helfer gehabt hat. So kann man auch einen Schwimmerrecord nicht gelten lassen, der in fließendem Wasser erzielt worden ist, denn da entscheidet nicht mehr die Kraft des Schwimmers, sondern der Umstand, wie reißend eben die Strömung war.

Viel sportlicher ist da schon das Segeln mit dem Eisboot. Man könnte glauben, daß auch vom Segeln überhaupt das eben Gesagte gilt, da ja auch dort dem Winde eine sehr wichtige Rolle zugeteilt ist, aber das stimmt doch nicht ganz. Es giebt da von einfachen lateinischen Segel bis zu den komplizierten Zusammenstellungen ganzer Segelsysteme mancherlei Abstufungen, und es erfordert viel Sachkenntnis, Erfahrung, Gewandtheit und kaltes Blut, Geistesgegenwart und die Fähigkeit raschen Entschlusses und raschen Handelns, um die Herrschaft über sein Boot zu behaupten. Wer nun in diesen Erfordernissen besser seinen Mann stellt, der wird auch eine bessere Leistung aufweisen und somit sind da allerdings die Vorbedingungen für den sportlichen Wettbewerb gegeben. Natürlich muß man für die Eisboote gewaltige Flächen zur Verfügung haben. Der Sport ist in Deutschland vielfach eingebürgert, so recht zu Hause ist er aber in Canada, das überhaupt für den Wintersport vielfach tonangebend war. Ursprünglich bestanden die Segelboote aus einem Balkendreieck, das auf drei Kufen gestellt wurde. Die beiden vorderen Kufen waren fest und standen parallel zu der Achse des Fahrzeuges, während die dritte beweglich war und als Steuer diente. Inzwischen ist der Bau der Segeljachten vielfach verbessert worden. Unsre Illustration, Seite 65, stellt das neueste System derselben dar, welches zuerst auf den großen Flüssen und Seen Nordamerikas in Anwendung kam, jetzt aber schon häufig an Deutschlands Küsten und auf größeren Binnengewässern angetroffen wird. Dieselben sichern ein Fock- und Gaffelsegel. Am Heck, dem hinteren Teil des Fahrzeuges, befindet sich ein mit Boden versehener Platz, von wo aus das Steuer in halb liegender Stellung geführt wird. Die auf unsrer Illustration im Vordergrunde befindliche Jacht liegt hart am Winde und läuft daher nur auf der rechten vorderen und auf der beweglichen Steuerkufe.

Eine der primitivsten, aber auch der lustigsten Winterunterhaltungen ist die Hörnerschlittenfahrt. Man braucht nur einen solchen Schlitten und die beschneite Anhöhe dazu, dann setzt man sich auf und fährt in die Tiefe, daß es nur so eine Lust ist! Geht es schief, dann wird man in den weichen Schnee geworfen, und das ist nun gerade auch kein Unglück. Die liebe Jugend treibt überall dieses Wintervergnügen mit ganz besonderer Vorliebe. Wäre es nicht schon sehr lange erfunden, jeder rechte Junge müßte es für sich erfinden. Der Rutschberg ist etwas Unentbehrliches für die Jugend, und an vielen deutschen Schulen besteht die gute Sitte, einen künstlichen Rutschberg von beträchtlicher Höhe zu erbauen, wenn die Natur nicht ausgeholfen hat. Es heißt freilich nach jeder Thalfahrt, den Schlitten wieder hinaufschleppen aber es lohnt sich, die Sache ist zu lustig!

Hörnerschlittenfahrt.

Der jüngste Wintersport in Deutschland ist der Schneeschuhlauf. So recht in Schwung gekommen ist die Sache erst seit einigen Jahren, aber sie hat sich schon weite Kreise erobert. [61] Vorläufig ist der Ski nur noch ein Sportmittel, aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Auch die Radfahrerei begann als Sport, warum sollte nicht auch sie sich aus dem Sportmittel ebenfalls zu einem Verkehrsmittel entwickeln. Ein „Genußmittel“ ist er jedenfalls jetzt schon, und es ist ein prachtvolles Vergnügen, auf den unförmlichen Schneeschuhen dahin zu fliegen. Freilich, Schnee muß es geben, sonst fühlt sich der Schneeschuhmensch wie der Fisch auf dem Trocknen, er ist furchtbar unbeholfen und förmlich wehrlos, aber gebt ihm sein Element, und er schießt dahin wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil! Die Schneeschuhe sind zu uns aus Norwegen gekommen, wo sich die Bauern damit nicht nur eine Unterhaltung, sondern auch für ihr Land und für ihren Winter ein unentbehrliches Kommunikationsmittel geschaffen haben. Bei der Wahl der Schneeschuhe kommt es sehr auf die richtige Länge derselben an. Als einfache Norm bei der Auswahl gilt: so hoch einer mit gestreckt erhobenem Arm und gestreckten Fingern reichen kann, so lang hat der Schneeschuh zu sein, der ihm passen soll.

Schneeschuhlaufen.

Am vergnüglichsten ist auch beim Skilauf die Thalfahrt, und die Sprünge, die thalwärts gemacht werden, haben schon eine ganz erstaunliche Spannweite gewonnen. Man erzählt von norwegischen Springern, daß sie bis zu dreißig Metern weit gesprungen seien von einer Höhe herunter, die etwa der eines dreistockhohen Hauses entsprechen würde. Wir halten das nicht für „Ski-Latein“, der kolossale Schuß, die günstigen Terrainverhältnisse und die weiche Schneedecke lassen auch diese Angaben als vollkommen glaubwürdig erscheinen, zumal auch schon auf deutschem Boden Leistungen vollbracht worden sind, die nicht allzuweit zurückstehen hinter den erwähnten.

Alle diese Unterhaltungen sollte man der Jugend nicht wehren, sie ihr vielmehr nach Thunlichkeit leicht zugänglich machen! Dabei ist es ja beinahe überflüssig, zu sagen, daß das Uebermaß schadet. Das ist selbstverständlich, und es schadet überall. Die Schule verlangt heutzutage viel von unserer Jugend, und da muß durch Spiele im Freien auch dem Körper sein Recht werden. Was ein rechter Junge ist, hat seine Freude an der Bethätigung seiner Körperkraft, und kommt er dann nach Hause vom Eise oder von sonst einem Uebungsplatz, dann hat er etwas sehr Gutes erreicht, er ist müde wie ein Hund, hungrig wie ein Wolf und er schläft wie ein Gott. Und das alles ist ihm sehr gesund, schon deshalb, weil es ihn von anderen minder nützlichen Gedanken abbringt. Lassen wir ihm also getrost auch die Begeisterung für seine Spiele und Leibesübungen im Freien!

Fragt einen Schneeschuhläufer, welches der schönste Sport ist! Er wird lachen. Wie kann man da noch fragen?! Man frage sie alle, die Anhänger von Unterhaltungen in Eis und Schnee, und dann lese man sich Antwort ab von ihren leuchtenden Augen! –

[65]
Das Segeln mit dem Eisboot.
Nach einer Originalzeichnung von C. Schön.
( gemeinfrei ab 2030)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bezogen auf das Wochenheft; bei Wikisource ist es das „Halb(monats)heft“ Nr. 3