Stunden der Andacht/Gebet am Sterbetag der Eltern

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Gebet während der Dürre und Regennoth Stunden der Andacht Gebet am Grabe des Vaters »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
[127]
Am Sterbe- (Jahrzeits-) Tage des Vaters oder der Mutter.

„Brenne Lämpchen mild und rein,
Hell und freundlich wie dein Schein
War der Mutter Leben;
Rastlos aufwärts strebte sie,
Aber ach, auch schwankend, wie
Deines Lichtes Beben.”
 (Büschenthal.)

Wenn der Gedanke an dich, du seliger Geist – meines geliebten Vaters – meiner geliebten Mutter – gar oft mein Herz beschäftigt, so durchzieht die Erinnerung an dich heute, an dem Jahrestage deines Scheidens aus diesem Leben, um so mehr mein ganzes Wesen mit Rührung und tiefer Wehmuth. Dieser Tag führt mich zurück in die Zeit, wo du gelebt und gewaltet hast hienieden, wo deine Liebe über mich gewacht mit aller Zärtlichkeit und Sorgfalt, wo ich an deinem Herzen Trost gefunden im Mißgeschick und Theilnahme und Mitgefühl in meinen Freuden. Mir ist es, als sehe ich dich vor mir, mit deinem liebestrahlenden Angesicht, mit den Blicken voll Zärtlichkeit, und deiner Stimme Ton durchzittert meine Seele, als ob er eben erst verklungen wäre.

Gott hat dich von hinnen gerufen und mir ist nichts geblieben von deinem geliebten Wesen als dein theueres Gedächtniß und die frommen Ermahnungen und Lehren, die du im Leben mir ertheilt hast. Fromm und kindlich will ich sie im Herzen bewahren und an ihnen hängen; ich will sie schätzen als das theuerste mir von dir gebliebene Vermächtniß und sie beobachten und hüten, daß sie im Leben mir niemals verloren gehen. Das Andenken an dich und ein gottgefälliger Lebenswandel das ist das heilige Band [128] das mich, die ich hier auf Erden lebe, mit dir in deinem Himmelsreiche verbunden hält und jede gute That, die du aus deiner Höhe mich hier vollführen siehst, sei dir ein Liebesband und Pfand von deines Kindes frommen Wunsch und Willen, dir zu gefallen und dich zu ehren noch im Jenseits.

Und du, Allgütiger, der du Vater, Herr und Meister bist aller Wesen im Himmel oben und auf Erden unten, nimm die Gefühle meiner kindlichen Trauer wohlgefällig auf und erhöre mein Gebet: Nimm den theueren Verklärten – die theuere Verklärte – gnadenvoll auf an deinen lichten Himmelsthron, im Kreise deiner heiligen Engel, um theilhaft zu werden jener unaussprechlichen, nie geschauten, nur geahnten Seligkeit des Jenseits.

Mir aber, mein Gott, stehe zur Seite mit deiner Liebe, deinem Rathe und deiner Hilfe. Lege deinen göttlichen Trost mir ins Herz und lehre mich mein Leben lang wandeln den Weg der Gottesfurcht und der Tugend, daß ich stets würdig sei deines Wohlgefallens und der Liebe der theuern Verklärten, die in deiner Nähe weilen. Amen.