Stunden der Andacht/Gebet einer Braut

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« Gebet einer Waise Stunden der Andacht Gebet einer Braut am Hochzeitstage »
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Gebet einer Braut.

„Der Frauen Klugheit erbaut das Haus ihr auf,
Der Leichtsinn reißt es mit Händen nieder.“
 (Spr. 14, 1.)

Allgütiger Lenker aller Ereignisse, Regierer aller menschlichen Geschicke auf Erden, zu dir schaue ich auf alle Tage meines Lebens. Doch mehr als je, mein Gott, flüchte ich mich jetzt zu dir, wo ich an der Schwelle einer für mich so neuen Epoche stehe, wo neue Gefühle und Wünsche in mein Herz einziehen, wo sich mir neue Bestimmungen und Pflichten eröffnen. Ich habe mich einem Manne anverlobt, ihm Liebe, Treue und Hingebung fürs ganze Leben angelobt, es ihm und mir selber zugesichert, ihm zu werden eine liebende Gefährtin in Freud’ und Leid, eine sorgsame ausdauernde Gehilfin beim Bau seines Hauses und seines Glückes.

Mögest du segnen, mein Gott, das Verlöbniß unserer Herzen, mögest du jene Uebereinstimmung der Gefühle, Neigungen und Lebensansichten darin einziehen lassen, die einzig und allein die Mutter aufrichtiger Hochachtung und ununterbrochener Eintracht ist; mögest du an unserm Horizonte jene wohlthuende lebenspendende Sonne der Liebe aufleuchten lassen, die mit ihrem Licht und Strahl alle Lagen und Aussichten des Lebens beleuchtet und durchwärmt, die Höhen des Glückes mit ihrem Glanze verklärt und die Niederungen des Mißgeschickes durch ihren Strahl erheitert, und die, je weiter sie vorwärts steigt am Lebenshimmel, desto größere Kraft und Wärme erlangt, um Blumen und Früchte zu entfalten und zu reifen.

Mögest du, Allgütiger, meinen Geist erleuchten, daß ich mich würdig vorbereite auf die großen Pflichten und Aufgaben, die meiner warten, daß ich mit Fleiß und Eifer alles das erlerne und erfasse, was mir Noth thut, um meinem künftigen Berufe als sorgsame, ordnende, weise waltende Hausfrau vollkommen zu entsprechen, daß ich mir alles das zu eigen mache, was mir das Herz des Gatten zu fesseln und zu bewahren vermag, daß ich meinen Sinn abziehe von den Eitelkeiten des Lebens, von dem Flitter und dem Tand, der nur allzuoft das Mädchenleben in Banden hält, und darin einziehen lasse den frommen, freundlichen Geist der Häuslichkeit, daß ich aufgebe den oft allzuraschen, ungeduldigen, übersprudelnden Sinn der Jugend, und freudig in mir aufnehme [75] den Geist der Sanftmuth und der Geduld, den Geist der Versöhnlichkeit und des Entgegenkommens.

Deinem Schutze, Allgütiger, befehle ich mich, auf deine Kraft und deinen Beistand hoffe ich, deine Gnade und deine Huld möge mich umgeben. Amen.