Stunden der Andacht/Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihrer Tochter

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Gebet einer Mutter am Hochzeitstage ihrer Tochter.

„Gesegnet seist du dem Ewigen,
meine Tochter.“
 (Ruth 4, 11.)

Ewiger, mein Gott! du hast in deiner Gnade einen Tag der Freude für mich heraufgeführt, den Ehren- und Hochzeittag meiner Tochter, aber ich kann mich nicht der Freude hingeben, ohne meine mütterlichen Hoffnungen, Wünsche und Bitten vor dir auszusprechen! Wie oft habe ich in der Sehnsucht des mütterlichen Herzens den heutigen Tag herbeigewünscht, wo meine Tochter herangewachsen, herangebildet zur biedern Jungfrau in die eigentliche Sphäre des Weibes, in den heiligen Ehestand eingehen wird, um als selbstständige Hausfrau, als liebende und geliebte Gattin zu schaffen und zu walten. Dank dir, Allvater, steh ich am Ziele, du hast mich in deiner Huld diesen erwünschten Tag erleben lassen. Und dennoch sind es nicht die Regungen der Freude allein, die mein Herz höher schlagen machen, es ist auch Angst und Besorgniß, die mich bewegen, und heiße glühende Wünsche und Gebete steigen aus der Tiefe meines Gemüthes zu dir empor.

Meine Tochter verläßt heute das elterliche Haus, wo Vatertreue und Mutterzärtlichkeit wie ein guter Geist sie bewahrte und bewachte, wo sie nur die milden Worte der Nachsicht hörte, die sanften Berührungen der Liebe fühlte, die bald rathend und belehrend, bald ihre leisesten Wünsche erspähend sich ihr kund gab, ihr ein fester Stab war auf den Unebenheiten des Lebens und ein milder Stern auf allen ihren Wegen.

Mein Gott, wird sie alles dies auch in dem Hause und in dem Herzen ihres Gatten wiederfinden?

Allvater, laß die Liebe, diese Wunderthäterin, die mit ihrem Zauber die rauhen Pfade ebnet, die unfruchtbaren Steppen in blühende Auen umwandelt, die den Schmerzen des Lebens ihren Stachel nimmt, und die Freuden der Erde zu himmlischen verklärt, laß diese himmlische, Alles überwiegende Liebe stets in ihrem und [78] in ihres Gatten Herzen wohnen, und das süße Band der Zärtlichkeit und der Treue sie auf immer vereinen.

Laß, Allmächtiger, das Haus, das sie gründen werden, auf den starken Pfeilern und Stützen deiner Huld und Gnade, und auf dem ewigen unerschütterlichen Grundstein der Tugend und der Gottesfurcht ruhen, daß es stets umstrahlt und durchleuchtet sei von dem heitern Lichte des Frohsinns und der Zufriedenheit, daß sie beide gesegnet seien in Allem und mit Allem, was das Menschenherz beglückt und beseligt.

Gib ihnen, Allgütiger, eine reiche Nachkommenschaft, daß ihr Geschlecht sich weit verzweige im Lande, daß ihre Kinder neben ihnen aufwachsen wie „blühende Oelbäume,“ geschmückt mit allen Tugenden des Herzens und des Geistes, der Mutter Lust, des Vaters Freude. Amen.