Täler des Todes

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Täler des Todes
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 4, S. 216–220
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[216] Täler des Todes. – Auf der Insel Madagaskar liegt, unweit des Ortes Trivory im Gebiet der Tanala, in einer wildzerklüfteten Gebirgsgegend ein langgestrecktes Tal mit schroffen Seitenwänden, das in den Überlieferungen der Ureinwohner eine besondere Rolle spielt. Angeblich soll sich bei einem Kriege zwischen zwei Stämmen der eine Stamm, über fünfhundert [217] Menschen, nach einer verlorenen Schlacht in dieses Tal geflüchtet haben, dicht gefolgt von den Siegern, die fast gleichzeitig mit den Fliehenden in den Kessel eindrangen, um diese bis auf den letzten Mann niederzumachen. Diese Blutgier soll die Dämonen der Berge so ergrimmt haben, daß sie auch die Sieger durch eine geheimnisvolle Krankheit wie durch einen einzigen Blitzstrahl an Ort und Stelle hinwegrafften zur Warnung für die anderen Stämme, die auch fortan miteinander in Frieden lebten.

Dieser Sage liegt, wie der französische Forscher Galeon berichtet, etwas Tatsächliches zugrunde. Galeon hat festgestellt, daß der vulkanische Boden des Trivorytales ein äußerst giftiges Gasgemenge ausströmt, das kleinere Tiere schon in wenigen Sekunden tötet. Ebenso ist nachgewiesen, daß noch zu einer Zeit, da die Franzosen bereits Teile Madagaskars zu kolonisieren begannen, Todesurteile in dem Gebiet der Tanala derart vollstreckt wurden, daß man die an Armen und Beinen gefesselten Verurteilten in das Tal hinabrollen ließ, wo sie dann in kurzer Zeit erstickten. Der französische Forscher hat auch beobachtet, daß die giftigen Ausdünstungen, die die Erde in jenem Kessel aushaucht, bisweilen Vögel, die sich zufällig auf den wenigen, am oberen Rande des Trivorytales stehenden Bäumen niedergelassen hatten, schon nach einigen Minuten töteten. Welcher Art das tödliche Gas ist, konnte aber bisher nicht ermittelt werden. Man vermutet, daß es in der Hauptsache Kohlenoxydgas ist, das jenen Ort zu einem Tal des Todes gemacht hat.

Ein zweites, nicht weniger gefährliches Gifttal befindet sich auf der Insel Java. Die Luft in jenem Kessel ist mit Kohlensäure völlig überladen und vernichtet ebenfalls jedes organische Leben in kürzester Zeit. Ein Chemiker, der einer wissenschaftlichen Expedition zur Erforschung der klimatischen Verhältnisse Javas angehörte, schreibt über seine Erfahrungen in der Todesschlucht von Kediri folgendes: „Wir nahmen zwei Hunde und einige Vögel mit, um damit Versuche anzustellen. Bereits vor dem Eingang der Schlucht empfanden wir einen widrigen und erstickenden Geruch. Überall [218] sah man Gerippe von menschlichen Wesen, von Tigern, Schweinen und Vögeln. Wir befestigten einen Hund an einem Ende eines achtzehn Fuß langen Bambusrohres und schoben ihn bis in den Eingang der Schlucht. Die Uhr hatten meine Begleiter in der Hand. In vierzehn Sekunden fiel der Hund auf den Rücken. Wir befestigten nun einen Vogelkäfig an der Stange; der darin befindliche Vogel starb in anderthalb Minuten. Gleich am Eingang lag nahe an einem großen Stein das Gerippe eines Menschen. Seine Gebeine waren von dem Wetter gebleicht und so weiß wie Elfenbein. Ich hätte dieses Skelett gern gehabt, aber jeder Versuch, es zu erreichen, wäre Wahnsinn gewesen.“

Schließlich sei noch ein drittes verderbenbringendes Tal genannt, das in letzter Zeit viel in englischen Zeitungen erwähnt wurde und jetzt das Spekulationsobjekt für die unlängst in London mit einem Kapital von drei Millionen Mark gegründete „Gesellschaft zur Ausbeutung der Timorakadiamantmine“ geworden ist. Die Vorgeschichte der Gründung dieses Unternehmens ist merkwürdig genug, um sie hier in Kürze wiederzugeben.

Im Juni des Jahres 1904 entflohen aus dem Gefängnis der englischen, auf Neuguinea gelegenen Niederlassung Basaroeaka zwei Matrosen, die wegen einer an Bord des Stationsdampfers begangenen schweren Meuterei, bei der sie den Kapitän hinterrücks niedergeschlagen hatten, demnächst zur Aburteilung nach England gebracht werden sollten. Die beiden Verbrecher stahlen ein kleines Ruderboot und fuhren darin nach Südosten die noch gänzlich unerforschte Timorakaküste entlang, in der Hoffnung, nach dieser Richtung hin nicht verfolgt zu werden. Nach einigen Wochen unendlicher Mühsale sahen sie sich jedoch gezwungen, landeinwärts zu flüchten, da der Regierungsdampfer schließlich doch ihr winziges Fahrzeug entdeckt hatte. Vier Jahre hörte man nichts von den Meuterern, so daß man annehmen mußte, sie seien inzwischen längst von den wilden Eingeborenen des gefährlichen Küstenstrichs erschlagen worden. Da erschien eines Tages im Jahre 1908 in einer Londoner Handelszeitung der Prospekt einer Gesellschaft, [219] die eine angeblich überaus reiche Diamantmine ausbeuten wollte. In diesem Prospekt hieß es, zwei Engländer hätten bei einem Jagdzug in das Timorakaküstenland der Insel Neuguinea ein Tal entdeckt, das ihnen sofort durch die Unzahl der darin überall verstreuten Menschen- und Tierskelette aufgefallen sei. Bei der mit aller Vorsicht unternommenen weiteren Durchforschung des unheimlichen Ortes habe der eine der beiden Jäger dann zwischen dem Steingeröll eine ganze Anzahl anscheinend vom Wasser glattgeschliffener Diamanten gefunden, die er sofort als solche erkannte, weil er früher einmal kürzere Zeit in den Diamantgruben von Kimberley gearbeitet hatte. Während die beiden Männer eifrig die kostbaren, mittelgroßen Steine aufzusammeln begannen, sei der, der zuerst die wichtige Entdeckung gemacht hatte, plötzlich bewußtlos umgesunken und von seinem Gefährten, dem auch bereits die Sinne zu schwinden begannen, nur mit äußerster Anstrengung aus dem Tal herausgeschleppt worden, das zweifellos von giftigen Gasen angefüllt war. Die Diamanten, welche die jetzt nach England zurückgekehrten beiden Männer mitgebracht hätten, lägen im Bureau der Gesellschaft zur Besichtigung aus. Zweifellos berge jenes Tal ungeheure Schätze, und um diese zu heben, solle ein Unternehmen ins Leben gerufen werden, das dann eine Expedition nach Neuguinea ausrüsten würde. Es folgten noch weitere Einzelheiten, mit denen man kapitalkräftige Leute anzulocken hoffte.

Aber der Erfolg blieb aus. Zwar wurde die Gesellschaft gegründet, aber die von ihr ausgegebenen Anteilscheine fanden nirgends Abnehmer, zumal die Papiere an der Börse als „Schwindelaktien“ nicht gehandelt werden durften.

Längere Zeit verging wieder. Die „Timoraka-Diamantminengesellschaft“ schien längst selig entschlummert zu sein. Da tauchten im Januar 1909 abermals in der Londoner Geschäftswelt zunächst noch ziemlich unkontrollierbare Gerüchte auf, die die bereits vergessene Timoraka-Gesellschaft schnell wieder in aller Erinnerung brachten. Man erzählte sich, jener etwas abenteuerlich klingende Prospekt vom Jahre 1908 sei doch kein bloßer „Bluff“ gewesen. In aller Stille hätten einige Financiers [220] durch gewissenhafte Fachleute die Angaben der beiden geheimnisvollen Entdecker jenes Diamantentales, deren Namen seltsamerweise bisher so sorgsam verschwiegen worden wären, an Ort und Stelle nachprüfen lassen. Der Edelsteinreichtum jenes entlegenen, durch giftige Gase fast unzugänglichen Fleckchens Erde wäre tatsächlich überaus groß und verspreche eine sehr lohnende Ausbeute. Bald erschienen dann auch aufs neue Prospekte der „Timoraka“, und nun gingen die Aktien geradezu reißend ab. Ein großer Seedampfer verließ bereits zwei Monate später England und brachte die aufs vorzüglichste ausgerüstete Expedition der Gesellschaft nach Neuguinea, wo mit der Gewinnung der Diamanten sofort mit Hilfe von Sauerstoffapparaten, die die Arbeiter vor dem Ersticken schützten, begonnen wurde. Bisher sollen auf diese Weise für anderthalb Millionen Steine gefunden worden sein.

Die Geschichte der Timorakamine hat aber noch ein anderes Kapitel, das der Findigkeit der englischen Polizei ein gutes Zeugnis ausstellt. Durch die spaltenlangen Berichte der Zeitungen über das neue Diamantental wurde man wieder auf jene zwei Meuterer aufmerksam, die 1904 von Basaroeaka entflohen und bisher noch immer nicht wiederergriffen waren. Man vermutete, die Entdecker jenes Tales, die sich in ein so geheimnisvolles Dunkel zu hüllen suchten, seien eben jene durchgebrannten Verbrecher. Ganz im geheimen stellte die Londoner Polizei ihre Nachforschungen an, bis sie ihrer Sache ganz sicher war. Im Juli 1909 wurden die beiden früheren Matrosen wirklich in San Francisco verhaftet, wo sie mit dem ihnen für ihr Geheimnis ausgezahlten Gelde ein recht vergnügtes Dasein geführt hatten. Damit war’s nun vorläufig zu Ende. Sie wurden jeder zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung ihrer Strafe dürften sie sich jedoch bei ihrem Vermögen, das sie dem diamantreichen Tale des Todes verdanken, für die entbehrungsreiche Zuchthauszeit reichlich entschädigen können.

W. K.