Thee-Abenteuer

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Autor: Maximillian Heine
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Titel: Thee-Abenteuer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 712
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aus den „Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine
Blätter und Blüthen
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[712] Thee-Abenteuer.[1] Wer in Italien Reisen gemacht, wird sich erinnern, daß überall von Allen geklagt wird, wie selten guter Thee zu haben ist. Mein Bruder Heinrich Heine liebte sehr guten Thee, und er konnte gern aus dieser Ursache an irgend einem Orte, wo er guten Thee fand, längere Zeit verweilen. Aber nicht blos der gute Thee, den wir in unserer Locanda erhielten, fesselte uns an Lucca, sondern auch eine englische Familie, deren interessante Bekanntschaft zu machen, wir gleich anfangs das Glück hatten. Sir James Brown oder Smith oder Bell, ich habe den Namen wirklich vergessen, hatte eine sehr starke, nach allen Seiten gut proportionirte Gattin und, sehr bemerkenswerth, zwei schöne, blondlockige Töchter. Ihre Namen habe ich nicht vergessen, die ältere hieß Arabella, die jüngere Sara. Wir wohnten in einem Hause, die englische Familie Bel-Etage und wir über ihnen, und kamen öfter in ihrem Salon zusammen. Man kann nicht immer in englische Augen sehen, man kann nicht immer über Shakespeare und Byron sprechen, und so führte uns unsere Unterhaltung auch einmal auf das wirthschaftliche Gebiet. Da hörten wir denn von allen Mitgliedern der Familie die einstimmige Klage über das schlechte Essen, und ganz besonders über den schlechten Thee in Italien.

„Letzteres, was den Thee betrifft,“ versetzte die gesetzte Mistreß, „können wir glücklicher Weise verbessern; wir führen jetzt überall unseren guten Thee aus England mit uns.“

„Bitte um Entschuldigung,“ unterbrach sie mein Bruder, „das Essen zwar will ich nicht besingen, aber der Thee, den uns unser Wirth Abends servirt, ist vortrefflich und macht dem Italiener alle Ehre.“

Es wurde über diesen Gegenstand viel hin und her gestritten, wir vertheidigten lebhaft die Theeehre unseres dicken schwarzbärtigen Hauswirthes.

„Meine hochgeehrte Societé,“ sagte Heinrich in animirter Stimmung, „lassen wir Thatsachen sprechen, entscheiden Sie selbst, und schenken Sie uns morgen Abend die Ehre Ihres Besuches zu einer Tasse Thee in unserem home.“

Die Einladung wurde graciös angenommen. Anderen Abends, zur bestimmten Stunde, fand sich Alt- und Jung-England auf unserer Etage ein. Sonstige Einwohner gab es in diesem Hause nicht. Dem Wirthe war angedeutet, daß wir den Abend etwas früher als sonst den Thee wünschten, weil wir den einen oder den anderen Gast erwarteten. Wir hatten schon geraume Zeit über alle möglichen Tagesinteressen geplaudert, und es war die höchste Zeit, daß der Thee servirt wurde. Kein Thee kam. Wir ließen den Wirth dringend erinnern, daß die schickliche Theestunde bereits im Verschwinden sei – es half nichts, kein Thee erschien. Unsere Verlegenheit nahm mit jeder Minute zu, und Heinrich, der vortrefflich Englisch sprach, wandte alle mögliche geistige Kraft auf, um die Unterhaltung in Fluß zu erhalten und die Secunden zu tödten. Doch – kein Thee kam.

In einem freien Moment der Unterhaltung bat Heinrich mich heimlich, selbst zum Wirthe zu eilen, um den so ängstlich erwarteten Thee herbeizuschaffen. Allein der Wirth erschien schon von selbst an der Schwelle unserer Zimmerthür mit Gesticulationen, als ob er nach dem alten System telegraphiren wollte; dabei entschlüpften seiner keuchenden Brust tieftönende Seufzer. Ich konnte aus der verrückten Exaltation des so unglücklich aussehenden Mannes nicht ganz klug werden und bat deshalb meinen Bruder, mit dem Wirthe sich selbst zu verständigen. Endlich, nach vielen Exclamationen, stürzte dieser die verzweiflungsvollen Worte heraus:

„Sie können heute Abend keinen Thee bekommen!“

Man denke sich nach dieser Erklärung unsere schmachvolle Lage: eine kaum kennen gelernte englische Familie laden wir zum Thee zu uns, sie ist so liebenswürdig, mit Beseitigung aller conventionellen Formen Großbritanniens unsere Garçon-Wohnung zu betreten, wartet in aller Engelsgeduld auf ihr allabendlich gewohntes Fluidum, das wir noch extra so gerühmt hatten, und nun die Berliner Anzeige: „Is nicht!“ Endlich erklärte sich unser in Schweiß triefender Wirth deutlich: da die englische Familie allezeit ihren Thee eine Stunde früher, als wir, zu genießen pflegte, so bekamen wir von dem aus ihren Zimmern zurückgebrachten guten Thee einen prächtigen Aufguß, der natürlich ganz vortrefflich schmeckte, nebenbei gesagt, dem Wirthe gar nichts kostete und von uns dennoch sehr theuer bezahlt wurde.

Eigenen Thee hatte er gar nicht im Hause. Da nun die Familie für diesen Abend zu uns zum Thee eingeladen war, natürlich also zu Hause keinen Thee zubereitet hatte, so fiel auch ebenso natürlich unser Ausguß für diesen Abend weg. Der unglückliche Wirth, der nicht wußte, daß gerade diese Familie bei uns Thee trinken würde und kein sonstiges Arrangement eingeleitet hatte, theilte mit uns die ganze Verlegenheit des Wartens; Heinrich erzählte nun der ganzen Familie in den humorvollsten Ausdrücken die ganze Wahrheit dieser tragi-komischen Geschichte, was ein langes, anhaltendes Gelächter hervorbrachte. Die blondlockigen Misses waren ganz besonders heiter. Das Ende vom Liede war, daß die englische Familie jetzt uns einlud, bei ihnen den so verspäteten Thee einzunehmen. In der größten Heiterkeit verließen wir Alle unsere Kneipe und stiegen lachend nach der Bel-Etage hinunter. Selten aus unserer Reise hatten wir einen so unvergeßlich heitern Thee-Abend zugebracht.




  1. Aus den „Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine, von Maximilian Heine.“ S. 1866, Nr. 5.
    D. Red.