Topographia Braunschweig Lüneburg: Gandersheim Stifft

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Topographia Germaniae
Gandersheim Stifft (heute: Stift Gandersheim)
<<<Vorheriger
Fürstenberg
Nächster>>>
Gandersheim Ampt
aus: Matthäus Merian (Herausgeber und Illustrator) und Martin Zeiller (Textautor):
Merian, Frankfurt am Main 1654, S. 85–88.
[[| in Wikisource]]
Stift Gandersheim in der Wikipedia
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du unter Hilfe
Link zur Indexseite


[85]
Gandersheim Stifft.

Das Stifft Gandersheim ist vmbs Jahr Christi acht hundert zwey vnd fünffzig / indictione decima quinta, von Ludolpho, welcher ist gewesen deß Witikindi pronepos, dero Zeit Groshertzog zu Sachsen / durch Anrege seiner Gemahlin / die da geheissen Oda / an dem Ort / da heutiges Tages Closter Brunshausen liget / in die Ehre S. Stephani zu bawen angefangen. Wie aber selbiger Ort fast enge vnd vnbequem gefallen / so ist es Anno Christi 856. besser hinunter / an dem Ort zu bawen angestellet / da es noch heutiges Tages belegen / nemblich in [86] dem Bezirck der Fürstl. Braunschweig- Wolffenbüttelschen Statt vnd Ampts Gandersheim / vnd wird von dem Wasser Gande / welches dabey herfliesset / wie auch die Statt vnd Ampt / genennet Gandersheim.

Die Dom- oder Hauptkirche ist zwar anfänglich / wie berührt / in die Ehre Stephani protomartyris zu bawen angefangen / hernacher auff sonderbare Verordnung deß Pabsts / den beyden alten Päbsten / Anastasio vnd Innocentio dediciret / auch deroselben Reliquien von Rom nach Gandersheim transferiret / dem Stephano gleichwol die fürnehmste Capella dabey consecriret.

Der Fundator Hertzog Ludolphus, welcher auch das Dorff Ludolffen / nahe bey Brunshausen / gebawet hatte / an dem Ort / das noch heutiges Tages Ludolffsfeld heisset / ist gestorben / ehe das Stifft zu seiner perfection kommen / vmbs Jahr Christi 859. zu Brunshausen erstmals begraben. Sein hinterlassene Gemahl / Fraw Oda / hat das angefangene Werck vollführet / dazu ihre beyde Söhne / Hertzog Bruno / welcher auch die Statt Braunschweig (Anno 861.) zu bawen angefangen / vnd Hertzog Otto / welcher vmb seiner Ritterlichen Thaten willen genennet Magnus, mit fleiß geholffen. Es ist auch die Gottselige Oda etzliche Jahr zuvor / mit ihrem Herrn selber nach Rom gezogen / vnd hat allda vom Pabst Sergio die Confirmation ihres guten Vorhabens erlanget / auch hernacher ihre drey Töchtere / Hadmost / Gerberg / vnd Christinen / successivè in diesem newen Stifft zu Abbatissinnen verordnet / die auch löblich vnd wol regieret haben.

Anno 881. am Tage Aller Heiligen / ist die newe Dom- vnd Stifftskirche zu Gandersheimb / vom domahligen Hildesheimischen Bischoff Wigberto, bey Zeiten der dritten Abbatissin Christinen / welche / wie berührt / deß Fundatoris Tochter gewesen / solenniter geweihet / an welchem Tage Sie / die Abbatissin Christina / mit ihren Stiffts-Fräwlein / von Brunshausen zur newen Residentz in Gandersheimb gezogen / auch ihres Sel. Vatters deß Fundatoris, wie auch ihrer Schwester Hadmod / vnd Gerberg / beyder gewesenen Abbatissin S. S. Leichnam mit sich in das newe Stifft Gandersheimb gebracht / den Fundatorem in S. Stephani Capell / die Geschwestere Abbatissinne aber an gewöhnlichen Ort in Crypta, herrlich lassen begraben / vnd beysetzen.

Gleich wie nun / laut vnd inhalt der Fundation / Hertzog Ludolphus, am ersten von seinem Eigenthumb das newe Stifft / mit der Gandersheimbschen Marck / vnd vielen andern Gütern / herrlich dotiret / auch privilegium Ludovici Romanorum Regis darüber impetriret hat: Also sind demselben andere hochlöbl. Keysere / Könige / Fürsten vnd Grafen gefolget / die ein besondern Wolgefallen an diesem Stifft gehabt / auch solches dem H. Röm. Reich immatriculiren lassen / vnd ihre respectivè Töchtere / Schwestere / vnd nahe Anverwandte darin gethan: Auch ist in bemelter Fundation versehen / daß die jenige Fräwlein / welche sich zum Geschlecht deß Fundatoris ziehen / nach Befindung ihrer Qualitäten / für andern zu Abbatissinnen / als der höchsten Praelatur dieses Stiffts elegiret werden sollen.

Nach dem haben die Abbatissinne sich beflissen / allerhand schönen Kirchen Ornat vnd Raritäten in diese ihre newe Stifftskirchen zu bringen / Insonderheit Ludgardis / die vierte Abbatissin / Keyser Henrici Aucupis Schwester / hat zu Rom allerhand Heiligthumb erlanget / vnter andern / wie man es dafür hält / das Blut Christi / auch ein Rohr / welches bey deß HERRN Christi Creutzigung gebraucht / vnd dasselbe gewesen seyn soll / welches dem HErrn Christo / als Er von deß Pilati Kriegsknechten verspottet / vnd als ein König gegrüsset / in die Hand gegeben worden.

Demnach wie das Stifft also zur perfection kommen / vnd 24. Fräwlein Canonissinne darin gewesen / (welche vnter sich auch verschiedene officia gehabt / darob die eine Commendataria, die andere Praepositissa, wiederumb eine Decana, die andere Cantrix oder Scholastica genennet) sind [87] dieselbe neben dem singen vnd beten / das sie haben verrichtet / in Gottesfurcht vnd löblichen Tugenden / auch im studieren / insonderheit der Lateinischen Sprache / derogestalt informiret vnd geübet worden / daß dieses Stifft Gandersheim nicht allein für ein lobwürdig Bet- vnd Gotteshauß / sondern auch gleichsam als eine hohe Schule / für Keyserl. Königl. Fräwlein / vnd andere Herren Kinder / geachtet vnd gehalten worden.

Was auch dieselbe darin proficiret / solches bezeuget vnter andern die Rosuita / eine Hertzogin zu Sachsen / welche zwar nicht Abbatissin / wie etzliche fürgeben / sondern Scholastica allhier gewesen / eine fürtreffliche Poetin / zur Zeit der Abbatissin Gerbrigae Secundae, (Hertzog Heinrichs zu Sachsen vnd Beyern Tochter) die von Erbawung dieses Stiffts Gandersheimb carmine heroico, einen herlichen tractatum, auch andere opera poëtica geschrieben / welche noch in offentlichen Truck heutiges Tags hin vnd wieder zu finden.

Insonderheit haben Sie müssen die heilige Schrifft oder Bibel / ehe dann die Truckerey auffkommen / mit leibeigener Hand / auff Pergamen oder starck Pappier schreiben / wie noch ohnlängst in Münichhausischer Bibliothec zu Oldendorff / vnter Schaumburg / eine in schwartz Sammet gebundene / zum theil mit güldenen Buchstaben auff Pergamen geschriebene Bibel / von weyland Fräwlein Sophia / Stifft Gandersheimischer Canonissin / Keyser Otten deß Andern Tochter / welche hernacher auch Abbatissin zu Gandersheim worden / sub numero 37. gezeiget.

Es sind auch noch Vrkunde vnd manuscript hin vnd wieder verhanden / darob zu sehen / daß dieses Stifft-Fräwlein / vnd fürnehmer Herren Kindere / zu jenen Zeiten nicht müssig gewesen / sondern allda gleichsam / als in einer hohen Schuel / löblich vnd wol erzogen worden.

Zur Zeit bemelter Abbatissin Gerbrigae secundae, vmb das Jahr Christi 973. ist das Stifft Gandersheim / so viel das Holtzwerck belanget / zum ersten mahl abgebrant / aber von dieser löblichen Abbatissin / welche von dem Pabst selbst ordiniret gewesen / gar herrlich zu restauriren angefangen / vnterdessen bey währender Restauration / hat Sie im Closter Beatae Mariae Virginis, im Newen Dorff Gandersheim / von ihrer nechsten Vorfrawen Abbatissin Windelgart / Anno 940. fundiret / (nunmehr bey die Universität Helmstatt gelegt) ihren Gottesdienst verrichtet / auch dahin etzliche Jungfrawen verordnet / die GOtt den HErrn Tag vnd Nachts mit beten / lesen vnd singen celebriren sollen.

Bey hundert Jahren nach dem ersten Brande / zur Abbatissin Adelheid der Andern / ist dieses Stifft zum andern mahl abgebrant / welches hernacher die Gottselige Abbatissin Fredecunda, vmbs Jahr Christi 1100. wiederumb herrlich anrichten vnd zieren lassen.

Zu der Zeit haben sich etzliche Wunderwerck bey diesem Stifft ereuget / es sind auch Lahme / Blinde / Taube / vnd andere Schwache / wie die Historien melden / miraculose gesund worden.

Bald darauff Anno 1113. ist gefolget Abbatissin Adelheit / die dritte dieses Nahmens / welche vmbs Jahr Christi 1124. das Closter Clauß fundiret / vnd mit dem Gehöltze dabey / auch andern Gütern / Zehent vnd Meyerhöfen stattlich dotiret vnd begabet hat.

Danechst bey Zeiten Adelheit der vierten dieses Nahmens / so in der Ordnung die siebenzehende Abbatissin gewesen / ist das Stifft Gandersheim vmbs Jahr 1160. zum dritten mahl abgebrant / vnd von deroselben Abbatissin Adelheit repariret / hernacher in praesens fünff Bischoffen / wiederumb consecriret vnd geweihet worden. Die Capellen dabey sind von guthertzigen Leuten / in vnd ausser der Statt / gestifftet / vnd confirmationes, auch indulgentiam zu Rom darob erlanget.

Als auch die Bischoffe zu Hildesheim in wiederauffbawung dieses Stiffts / Zustewer gethan / zu weilen auch im Nahmen deß Pabsts / ein vnd andere Abbatissinne zu Gandersheim ordiniret vnd confirmiret haben / wiewol etzliche Abbatissinne von denen Bischoffen zu Hildesheim / vmb [88] allerhand Consequentz zu vermeiden / sich nicht haben confirmiren lassen wollen / also daß bißweilen sonderbare Päbstliche Legaten verordnet / bißweilen Mentz / Paderborn / vnd andere Bischoffe die Confirmation vnd Einführung verrichtet / so haben doch ermeldte Bischoffe zu Hildesheimb / contra Gandersheim quaestionem status moviret / vnd dieses Stifft vnter ihre Jurisdiction ziehen wollen / welchem die Abbatissinne vnd Stifftfräwlein zu Gandersheim sich widersetzet / also / daß die Sache zum Proceß gediehen / vnd an den Päbstlichen Stuel zu Rom erwachsen / vorab weil Stifft Gandersheim fürgewendet / vnd mit vhralten privilegiis stattlich erwiesen hat / daß es immediatè ad sedem Romanam gehörig / keinem Bischoff zu Hildesheim vnterwürffig / insonderheit Abbatissa Mechtildis, welche ist gewesen eine Gräfin von Woldenberg / in ordine die Zwantzigste / hat diesen Streit tempore Pontificis Innocentii Tertii hefftig urgiret / auch Commissionem ad Episcopum Palaestinum Qvidonem erlanget / vnd zu wegen bracht / daß derselbige Bischoff Quido in Teutschland kommen / (1.) die Abbatissin Mechiteldam primam nomine Rom. Pontificis selbst confirmiret / (2.) die Stifft Gandersheimsche privilegia, sonderlich von denen alten Päbsten Agapeto et Joanne ertheilet / renoviret / Auch (3.) das Stifft Gandersheim frey erkant / vnd von dero Stifft Hildesheimischen Impetition absolviret hat / wie diese Historia in corpore juris Canonici libro secundo Decretalium Epistolarum Gregorii tit. 30. cap. 4. per tot. zu befinden.

Nach dem bemeldtes Stifft Gandersheim an Gütern abzunehmen beginnet / sind denen Fräwlein Canonissinnen etzliche Canonici, die mit zum Capitulo gehören / zugeordnet / auch die statuta auff Fräwlein vnd Herren zugleich gerichtet / vom Pabst Martino Quinto, 1417. confirmiret.

Die Canonici haben keinen besondern Decanum, sondern Ehr Senior ist primarius, vnd wird in Statuten genant Bursarius, welcher / wann Streitigkeiten vnter ihnen fürfallen / potestatem concordandi hat.

Vnd ob wol nicht ohne / bey diesem vhralten löblichen Stifft noch heutiges Tages fürnehme / hohe vnd niedrigen Standes Lehenleute verhanden / die ihre Lehen zu begebenden Fällen / in gebührender weise suchen vnd empfahen. So ist doch / wegen allerhand Vmbstände / vnd Mangel der Intraden / der Numerus tam Canonissarum, quam Canonicorum, heutiges Tages so weit restringiret / daß nechst der Abbatissin / nur vier Stifftsfräwlein / Herren Kindere / cum inclusione Decanae admittiret werden / denen zwar acht Canonici zugeordnet / daß allemahl vier in residentia seyn sollen.

Vber das auch bey dem Predigstuel / zu Erhaltung eines General Superintendenten / ein Canonicat / uti beneficium curatum, sampt zween Vicarien / S. Michaëlis vnd Bartholomei gewidmet / auch dem Capellan / item Schuel-Collegen / vnd Organisten / etzlicher Vicariat Intraden / an statt ihrer Besoldunge zugeordnet / im übrigen dieses vhralte löbl. Stifft / so viel müglich / in seiner Consistentz erhalten wird.

Biß dato / als viel man Nachrichtung findet / sind 42. Abbatissin gewesen. In diesem 1653. Jahr ist Abbatissinne Fraw Maria Sabina / Gräfin zu Solms / Fraw zu Müntzenberg / Wildenfels vnd Sonnenwald.

Decanissa Fräwlein Dorothea Hedwig / Hertzogin zu Schleßwig / Holstein / Stormarn / vnd der Ditmarssen.

Erste Canonissin Fräwlein Johan Elisabeth / Gräfin zu Solms / Fräwlein zu Müntzenberg / Wildenfels vnd Sonnenwald.

Andere Canonissin Fräwlein Amelia Margretha / Wild- vnd Rheingräfin / Gräfin zu Salm / Fräwlein zu Vinstingen vnd Putlingen.

Dritte Canonissin Fräwlein Anna Amelia / Gräfin zu Leiningen vnd Dachsburg / Fräwlein zu Aspermont.

[T32]