Ueber den Ursprung und Fortgang der im innern Asien gegen die chinesische Regierung ausgebrochenen Revolution

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Autor: Julius von Klaproth
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Titel: Ueber den Ursprung und Fortgang der im innern Asien gegen die chinesische Regierung ausgebrochenen Revolution
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aus: Das Ausland, Nr. 6–8, S. 21–22, 27–28, 30–31
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über den von Jahangir Khoja angeführten Aufstand in der Provinz Xinjiang
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[21]
Ueber den Ursprung und Fortgang der im innern Asien gegen die chinesische Regierung ausgebrochenen Revolution.
Von J. v. Klaproth.

Vorwort der Redaktion.

Die gewöhnliche Vorstellung, die der Europäer von China hat, ist die von einem isolirten Reiche am äußersten Ende von Asien, von der ganzen übrigen Welt getrennt, den Fremden verschlossen, und ohne die geringste Verbindung mit dem Auslande, bis auf einige vorübergehenden Berührungen mit seinen unmittelbaren Nachbaren. Erst in der neuesten Zeit hat man angefangen den innern Bewegungen China’s, sofern der Zufall mit denselben bekannt machte – was wir meist den Zeitungen des englischen Ostindien verdankten, – einige Aufmerksamkeit zu zuwenden; aber das Interesse, welches diese Begebenheiten erregen, steht noch jetzt ungefähr auf gleicher Stufe mit der Neugierde, die auch die Eskimos, oder Neuseeländer, oder seit kurzem die Osagen in Anspruch nehmen. Sonderbar erschien es nur, daß der Chinese seinerseits mit nicht minderer Geringschätzung auf den Europäer herabsah, und den kleinen Welttheil ohne weiteres für eine ferne westliche Provinz des himmlischen Reiches erklärte, deren Bewohner ihrer Armuth und Barbarei wegen nicht von chinesischen Mandarins, sondern von eigenen Khans, nach Art der Kalmücken, beherrscht würden.

Wie ungerecht das Urtheil der Chinesen über Europa ist, wird für keinen unserer Leser eines Beweises bedürfen; aber sey es uns erlaubt, darauf hinzudeuten, daß nicht weniger ungerecht uns unser eigenes Urtheil über China erscheinen wird, sobald wir mit der Geschichte, dem Cultur-Zustande und den innern und äußern Verhältnissen dieses merkwürdigen Reiches näher bekannt seyn werden, als dieß vereinzelte Bemühungen weniger Gelehrten und bisher möglich gemacht haben.

Gewiß ist, daß China in keiner Epoche seiner Geschichte vollkommen in sich selbst zurückgezogen und von allen Verbindungen mit den übrigen Völkern Asiens abgeschnitten gewesen ist. „China,“ sagt ein berühmter französischer Gelehrter, dessen Wort wir als vollgütige Auctorität anführen können,[1] hat fast immer zu Asien in einem ähnlichen Verhältniß gestanden, wie das civilisirte Europa zu der übrigen Welt. Seine Nachbarn haben stets seine Allianz, oder seinen Schutz gesucht, seine gesellschaftlichen Einrichtungen nachgeahmt, seine Literatur studirt. Es war für sie ein Mittelpunkt des Handels, eine Art von politischer Hauptstadt, ein Muster in jeder Beziehung. – „Selbst die Grenzen des chinesischen Reiches dürften uns beträchtlich näher gerückt werden, als die fast allgemein herrschende Vorstellung annimmt. In zwei verschiedenen Perioden sehen wir die Chinesen ihre Herrschaft bis an die Gestade des caspischen Meeres ausdehnen; und zu einer Zeit, wo die russischen Provinzen im Norden und Westen, die persischen im Süden dieses Binnenmeeres ein europäisches Interesse erhalten haben, dürfen die chinesischen im Osten demselben nicht länger fremd bleiben.“

Seit dem zweiten Jahrhundert vor Christi Geburt haben die Chinesen ihre Macht, zu verschiedenen Zeiten, nach Westen bis zu den Quellen des Amu und Syr ausgebreitet und die Länder, welche wir jetzt die kleine Bucharei und Dsunggarei nennen, nebst einem Theile der großen Bucharei, ihrer Herrschaft unterworfen. Der Grund dieser Eroberung lag in der Nothwendigkeit die, damals zwischen der nördlichen Grenze von China und den Flüssen Selengga und Kerülün wohnenden Völkerschaften von feindlichen Einfällen abzuhalten. Zur Zeit der mongolischen Herrschaft waren von dieser Seite keine Feindseligkeiten zu befürchten, weil die türkischen Stämme bereits wieder nach Westen gezogen waren, und mongolische Horden ihr altes Vaterland besetzt hatten. Nachdem sich, in der letzten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, China von der Botmäßigkeit der Mongolen befreit und diese in ihre alten Wohnplätze zurückgedrängt hatte, kamen die, zunächst an der Grenze, der großen Mauer, mit ihren Heerden herumziehenden Stämme unter chinesische Oberherrschaft; die, welche nördlicher, am Kerulün, an der Tula und Selengga hausten, blieben unabhängig; eben so wie die, welche, mehr westlich, die Gegenden am Flusse Ili und am See Balchasch inne hatten. Die Politik der neuen chinesischen Kaiser zog es vor, unter diesen Horden innere Uneinigkeit zu erhalten; statt kostspieliger und dabei ungewisser Unternehmungen gegen Westen, das ist, gegen die kleine Bucharei, von der nur Chamil und Turfan mit China in Verbindung geblieben waren.

Dieses war im Allgemeinen die politische Lage des mittleren Asiens, zu der Zeit, als die Dynastie Ming in China ihrem Ende entgegen ging, und die Mandschu in dem himmlischen Reiche mächtig zu werden anfingen. Die mehrsten Stämme der eigentlichen Mongolen (d. i. des östlichen Zweiges der Nation, den man vom westlichen der Oelöt oder Kalmücken unterscheiden muß), hatten, als Bundesgenossen, den Mandschu bei ihren Kriegen gegen die Chinesen, und bei der endlichen Eroberung von China, (1644), die wichtigsten Dienste geleistet. Dafür wurden ihre Fürsten nicht nur mit den höchsten Ehrenämtern [22] des Reiches bekleidet, sondern auch eines thätigen Schutzes gegen ihre Feinde versichert.

Den nördlichen Theil der Mongolei längs der sibirischen Grenze, und westlich bis zum großen Altaigebirge, bewohnte damals, so wie noch jetzt, die zahlreiche mongolische Völkerschaft der Chalcha. Das Land zwischen dem Ili-Flusse und dem oberen Irtisch hatten die verschiedenen Stämme der Oelöt oder Kalmücken inne, die damals unter der Oberherrschaft der Fürsten der Dsunggar standen. Im letzten Viertel des siebenzehnten Jahrhunderts geriethen die Chalcha in blutige Kriege mit diesen Oelöt, welche ihrer Nation den Untergang drohten. Auf’s äußerste bedrängt, wandten sie sich um Hülfe an den Kaiser Khang hi, der dieselbe ihnen, als Vasallen des chinesischen Reiches, bereitwillig gewährte. Mehrere Male ging dieser große Monarch selbst zur Armee in die Mongolei, um den Krieg gegen die Oelöt auf das nachdrücklichste zu fördern. Das Land der Chalcha ward von Feinden gereiniget, der Chan der Oelöt gänzlich geschlagen und genöthigt in sein Stammland zu entfliehen, wo er bald darauf starb.

Seitdem lebten die Oelöt in beständigem Zwiste mit China, und wiegelten oft mongolische Volkshäupter, die dem Hofe von Peking Treue gelebt hatten, gegen denselben und zu Einfällen in das Reich auf. Bei diesen Umtrieben wurden sie besonders dadurch unterstützt, daß ihnen die kleine Bucharei, welche sie von den südlicher wohnenden Mongolen trennt, und die dort regierenden mohamedanischen Fürsten unterworfen waren.

Um den Unruhen, die bereits länger als ein halbes Jahrhundert gedauert hatten, ein Ende zu machen, sah sich endlich der Kaiser Khian lung genöthigt, das alte chinesische System der Ausbreitung des Reiches bis zu dem hohen Scheidegebirge auf dem der Syr und Amu, nebst mehrern ihrer Nebenflüsse, entspringen, wieder in Ausführung zu bringen. Dazu gehörte vor allem die Zerstörung der ölötisch-dsunggarischen Macht, welche, obgleich schon durch seinen Großvater Khang hi gebrochen, dennoch immer furchtbar geblieben war. Eine günstige Gelegenheit zur Ausführung dieses Planes zeigte sich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in den Zwistigkeiten, die unter den verschiedenen Fürsten der Oelöt wegen der Oberherrschaft ausgebrochen waren. Der Erfolg entsprach den Erwartungen Khiang lung’s vollkommen; im Jahre 1755 wurde die Unterwerfung des Landes der Dsunggar mit der Eroberung von Ili beendigt. – Chodscha Mohmed, aus der Familie des Propheten, war früher Beherrscher des westlichen Theiles der kleinen Bucharei gewesen, d. i. der acht mohamedanischen Städte, Charaschar, Kutsche, Uschi, Aksu, Yarkand, Kaschkar, Jengischahr und Chotan, stand aber als Vasall unter dem Chan der Dsunggar. Dieser, fürchtend Chodscha Mohmed wolle sich unabhängig machen, berief ihn zu sich nach Ili, und erlaubte ihm nicht wieder in sein Vaterland zu kehren. Chodscha Mohmed starb in dieser Gefangenschaft, und hinterließ zwei Söhne, Bulatun und Chodsidschan, die ebenfalls als Geissel in Ili blieben, bis dieser Ort von den Chinesen erobert ward. Von diesen in Freiheit und in ihre Rechte wieder eingesetzt, kehrten die beiden Fürsten, welche, wie ihre Vorfahren, den Titel Chodscha angenommen hatten, in die kleine Bucharei zurück. Kaum aber waren sie dort angelangt, als sie sich gegen den Kaiser, dessen Lehensträger sie geworden waren, empörten. Ein blutiger Krieg war die Folge dieses Treubruchs; er endete 1758 mit Eroberung aller Städte des Landes durch das chinesische Heer, und durch die Vertreibung und den Tod der Empörer.

Nach dem Beispiele der frühern chinesischen Dynastien bildete Khian lung aus seinen Eroberungen ein neues General-Gouvernement, das den Namen „Si yü sin khiang“ oder „Neue Grenze der westlichen Gegenden“ erhielt. Ili war der Sitz des Kriegs-Gouverneurs. Die ölötischen und andere nomadische Horden, welche ihre Weideplätze in der Dsunggarei und in den, nördlich vom Thian schan, oder dem Schneerücken des Himmelsgebirges gelegenen Ländern hatten, behielten ihre frühere Einrichtung und ihre angestammten Fürsten, in so fern diese den Chinesen zugethan geblieben waren; eben so wurden die mohamedanischen Städte südlich von Thian schan, wie vorher, von H’akim beg’s und andern einheimischen Civil-Beamten regiert. Die Chinesen, oder vielmehr die Mandschu, behielten sich nur die oberste Militärgewalt und das Zollwesen vor.

[27] Das General-Gouvernement der westlichen Gegenden zerfällt in zwei große Provinzen:

I. Thian schan pe lu, oder die Provinz nördlich vom Himmelsgebirg, bestehend aus folgenden drei, nach ihren Hauptörtern benannten Departements: 1) Ili. 2) Kur kara ussa. 3) Tarbagatai.

II. Thian schan nan lu, oder die Provinz südlich vom Himmelsgebirge, bestehend aus zehen mohammedanischen Fürstenthümern: 1) Chamil. 2) Pidschan. 3) Charaschan. 4) Kutsché 5) Sairam. 6) Aksu. 7) Uschi. 8) Kaschkar. 9) Yarkand. 10) Chotan.

Mit der chinesischen Herrschaft fing für die mohammedanischen Fürstenthümer der kleinen Bucharei, eine neue Epoche eines vorher nie gekannten Wohlstandes an. Die Bedrückungen, welchen die Bewohner von ihren eigenen Fürsten ausgesetzt gewesen waren, hörten auf, die Landstraßen wurden von den häufigen Räuberbanden gereiniget, [28] und starke Truppenabtheilungen hielten die benachbarten Kirgisen, Burut, und andere Nomaden- und Gebirgsvölker, von Einfällen in das Land ab. Ein beträchtlicher Handel fing an zu blühen, weil die Caravanen, durch die er in dieser Gegend getrieben wird, frei und ungehindert kommen und gehen konnten. So beschrieben wenigstens die nach Rußland handelnden Einwohner der kleinen Bucharei den Zustand ihres Vaterlandes unter chinesischer Herrschaft, und übereinstimmend mit dieser Aussage waren auch die Berichte, welche der englische General Malcolm, von mohammedandschen Kaufleuten und Reisenden, in Indien einziehen konnte.

Seit der Unterwerfung dieser Länder durch die Chinesen ist, aus den angeführten Gründen, selten die Ruhe durch Empörungen gestöhrt worden. Jedoch veranlaßten, im Jahre 1765, die Grausamkeit des einheimischen Beherrschers von Uschi, und die Zügellosigkeit des dort kommandirenden chinesischen Generals, einen Aufruhr in dieser Stadt, der sehr gefährlich wurde. Nur durch Khian lungs nachdrückliche Maaßregeln, und durch die Schnelligkeit ihrer Ausführung ward diese Revolution beendigt; indem Uschi wieder erobert, und alle seine Einwohner ausgerottet wurden. Diese Stadt ward darauf mit andern Bucharen bevölkert, und der Sitz des chinesischen Generals nach Aksu verlegt.

Ein Sohn des Bolatun, erregte im Jahre 1775 eine andere Empörung in der kleinen Bucharei, die aber von kurzer Dauer war und mit seiner Verjagung endete.

Seitdem haben die Chinesen ihre mittelasiatischen Provinzen, im Ganzen mit Gerechtigkeit und Milde, aber auch nach festen Grundsätzen beherrschet. Zu ihrer Erhaltung war eine verhältnißmäßig sehr geringe Kriegsmacht hinlänglich; denn in Kaschkar befand sich nur eine Besatzung von 1000 Mann, und in den andern der acht mohammedanischen Städte überstieg die Anzahl derselben nie einige hundert Mann. Um so unerwarteter kam die Nachricht von der im Jahre 1826 in jenen Gegenden ausgebrochenen Revolution, über welche wir in diesen Blättern Alles zusammengestellt haben, was bis jetzt über den Ursprung, den Fortgang und das Ende derselben, in Europa bekannt worden ist.

Die erste Veranlassung zu dieser Empörung ist so geringfügig, daß man fast glauben sollte, sie sey bereits lange vorbereitet gewesen, und man habe sich desselben nur bedient um ihren Ausbruch zu beschleunigen. Die Bewohner der Stadt Chotan hatten angefangen einen benachbarten Wald umzuhauen; dieser Umstand erregte die Unzufriedenheit der Besatzung, welche behauptete, daß dadurch das Füng schui der Chinesen zerstört werde. Dieses Wort bedeutet Wind und Wasser, dient zur Bezeichnung eines in China allgemein verbreiteten Aberglaubens, nach welchem irgend ein Gegenstand in der Nachbarschaft eines Wohnplatzes, glück- oder unglückbringend angesehen wird. Die Besatzung von Chotan hielt diesen Wald für glückbringend, oder ihr Anführer bediente sich dieses Vorwandes, um das Aushauen desselben, welches ihm vielleicht aus andern Gründen nicht räthlich schien, zu verhindern. Darüber entspann sich ein Streit zwischen der Besatzung und den Einwohnern, der bald in einen blutigen Kampf ausschlug, in dem mehrere chinesische Soldaten und Offiziere das Leben verloren. Dieß war das Signal eines allgemeinen Aufstandes der Mohammedaner, an deren Spitze sich Dschanggar, ein Enkel des obenerwähnten Sohnes des Bolatun, stellte.

Der zu Kaschkar kommandirende General hatte einen Sohn des Dschanggar, welcher an der Ermordung chinesischer Offiziere Theil genommen hatte, hinrichten lassen; worauf sich der Vater zu den benachbarten Burut, einem kirgisischen Stamme, der nördlich von Kaschkar, im hohen Gebirge hauset, flüchtete, um bei ihnen Hülfe zu suchen. Er ward von den ihm nachsetzenden Truppen bis an die Grenze der Burut verfolgt, und da der chinesische Anführer den Auftrag hatte, ihn todt oder lebendig zu stellen, so ließ er einen der gefangenen Häuptlinge der Burut hinrichten, und gab seinen Leichnam für den des Dschanggar aus, um sich von dem Vorwurfe zu befreien, daß er dem ihm ertheilten Befehle kein Genüge geleistet habe. Dieser unüberlegte Schritt brachte auch die Burut in Aufruhr, und Rache fordernd, beeiferten sie sich, dem Dschanggar thätigen Beistand zu leisten. Mit mehreren hundert von ihnen rückte er gegen Kaschkar, ward aber zurückgeschlagen. Der Kommandant dieser Festung hatte indeß im Kampfe eine Wunde im Gesichte erhalten; er konnte daher den Feind nicht selbst verfolgen, sondern schickte ihm zwei von Ili gekommene Officiere mit Truppen nach, welche den Dschanggar in dem Augenblick erreichten, als er sich in eine Mesdchsched rettete. Diese wurde von den Verfolgern eng eingeschlossen, dennoch fand Dschanggar mitten in der Nacht Gelegenheit glücklich zu entkommen, unter einem heftigen Schießen mit Pfeilen und Lanzenwerfen von Seite der Seinigen, die sich in der Mesdsched tapfer vertheidigten.

Auf diese Art verloren die Verfolger Dschanggar’s seine Spur; – in kurzer Zeit gelang es diesem, eine große Menge seiner Landsleute und Glaubensgenossen, bei denen er als Nachkomme Mohammeds in dem größten Ansehen stand, um sich zu sammeln, und er brach mit diesem Heere aufs neue gegen Kaschkar auf. Der dortige chinesische Befehlshaber, zu schwach um ihm Widerstand zu leisten, zog die 250 Mann starke Besatzung von Jengi schahr (Neustadt) 140 Li (chinesische Meilen) südlich von Kaschkar gelegen, an sich, und verlangte sowohl von Ili, als vom Hofe zu Peking schleunige Hülfe, fest entschlossen sich unter den Mauern der ihm anvertrauten Stadt zu begraben, wenn die Rebellen die Belagerung derselben unternähmen, da es ihm sowohl an Truppen, um sie zu vertheidigen, als an Lebensmitteln fehlte, mit denen er eine längere Berennung hätte aushalten können.

[30] Indessen war das Heer der Aufrührer von Chotan aus gegen die andern, nördlicher gelegenen Städte der kleinen Bucharei aufgebrochen, und hatte sich auf seinem Zuge dahin so verstärkt, daß die chinesischen Berichte seine Anzahl weit über 100,000 Bewaffnete angaben. Bei Gaschcha, zwischen Turfan und Kutsché, theilte sich diese Macht. Die eine Hälfte ging den Belagerern von Kaschkar nach Westen zu Hülfe, die andere wendete sich gegen Norden, brach durch die Pässe des Himmelsgebirges, eroberte die Festung Tschang ki hian, im Departement von Ty hua tscheu, wodurch die Haupt-Kommunikation zwischen dem Gouvernement von Ili und dem eigentlichen China abgeschnitten wurde.

Von Ili aus waren indessen der General King tsiang mit neuen Verstärkungen nach Kaschkar abgegangen, und übernahm bei seiner Ankunft daselbst den Oberbefehl gegen die in der Nähe stehenden Rebellen unter Dschanggar, dessen Heer noch durch die Pe mao hoei tsu, oder weiße Turbane tragende Mohammedaner der Umgegend, ansehnlich vergrößert worden war. Die Belagerer rückten der Stadt immer näher, schlossen sie enger ein, und drangen endlich in dieselbe durch einen verdeckten Gang, in dem Augenblicke, als King tsiang, von Lebensmitteln und Ammunition entblößt, einen verzweifelten Ausfall gewagt hatte. Er und seine Truppen fielen mit den Waffen in der Hand.

Einen eben so glücklichen Erfolg hatten die Unternehmungen der Rebellen in Nordosten, wo sie Tschang ki hian eingenommen hatten, indem sie von dort aus gegen Ili vordrangen.

Um die Verbindung zwischen beiden Armeen zu erhalten, hatte Dschanggar, noch vor der Eroberung von Kaschkar, eine starke Truppenabtheilung gegen Aksu gesendet, um sich dieses Ortes, nach Kaschkar des größten und festesten in der kleinen Bucharei zu bemeistern. Der Erfolg entsprach aber seinen Erwartungen nicht, denn dieses Corps ward am 10. November von den kaiserlichen Truppen, bei dem Uebergang über einen Fluß, mit Vortheil angegriffen, und, obgleich sich bei demselben viele mit Feuergewehr bewaffnete Schützen gefanden, von den mandschuischen und mongolischen, nur Pfeile und Bogen führenden Truppen gänzlich aufgerieben. Der Anführer der Mohammedaner blieb auf dem Schlachtfelde; die wenigen der Seinigen, welche sich durch die Flucht zu retten suchten, wurden eingeholt, gefangen, und zum warnenden Beispiel aufgeknüpft. Eine bedeutende Menge von Flinten und Waffen aller Art fiel in die Hände der Sieger.

Dieser und wenige andere waren die einzigen wesentlichen Vortheile, welche die Chinesen in dem Feldzuge von 1826 über die Rebellen davon trugen. Ihre Schwäche erlaubte es ihnen nicht, sich mit den Mohammedanern, deren Anzahl täglich wuchs, zu messen; und wenn sie es versuchten, so war gewöhnlich eine Niederlage die Folge ihrer Verwegenheit.

Die schnell auf einander folgenden Nachrichten von so vielen Unglücksfällen erregten am Hofe von Peking eine um so größere Bestürzung, als derselbe eben mit der Beendigung einer andern Revolution zu thun hatte, die in der Provinz Kan sü, der nordwestlichsten des eigentlichsten China’s, ausgebrochen war, und die mit der in der kleinen Bucharei im Zusammenhang zu stehen schien, weil sie ebenfalls von Mohammedanern ausging. Das chinesische Ministerium verlor jedoch den Muth nicht, sondern entwickelte eine seltene Thätigkeit und ergriff die schnellsten und nachdrücklichsten Maßregeln.

Alles, was man an Truppen in der Provinz Kan für, die dem Kriegsschauplatz am nächsten lag, entbehren konnte, ward in Eilmärschen dahin abgesendet, und noch im Jahre 1826 eilten 20,000 Mann den von den Rebellen hart bedrängten chinesischen Heeresabtheilungen zu Hülfe. Der herannahende Winter, während welchem die Kriegsoperationen in den Gebirgsgegenden des mittlern Asiens höchst schwierig werden, gab dem Hofe Zeit, in den nördlichen Provinzen des eigentlichen China’s eine furchtbare Macht zusammen zu bringen, die mit alten Kerntruppen aus dem Lande der Mandschu und der Mongolei verstärkt wurde. Tschang ling, Kriegsgouverneur von Ili, ward zum Ober-Anführer ernannt, und die verschiedenen Armeecorps, welche das ihm untergebene Heer bilden sollten, erhielten die Anweisung, sich aufs Schleunigste nach dem allgemeinen [31] Sammelplatze, außerhalb der Mauer, bei Kia yü kuan, zu begeben. Zu gleicher Zeit erging von Seite der chinesischen Regierung das Ansuchen an die russischen Grenzbehörden in Sibirien, den rebellischen Mohammedanern keinen Vorschub zu leisten, und die Fliehenden von der Grenze zurück zu weisen.

Mit den ihm einstweilen geschickten Hülfstruppen sah sich der gegen die Rebellen in der Bucharei kommandirende General zwar nicht in den Stand gesetzt, etwas Entscheidendes zu unternehmen, flößte ihnen aber doch so viel Furcht ein, daß sie geneigt wurden, sich mit ihm in Unterhandlungen einzulassen, die er, ohne dazu vom Hofe beauftragt zu seyn, mit ihnen anknüpfte. Obgleich dieselben zu keinem Resultate führten, so dienten sie doch dazu, den Feind einen Theil des Winters über unthätig zu erhalten, während er bereits den Marsch nach China anzutreten gedroht hatte: eine Unternehmung, die inzwischen wegen Unwegsamkeit der Wüste und des Mangels an Lebensmitteln für Menschen und Vieh den größten Schwierigkeiten unterworfen gewesen wäre.

Zu Anfang des verflossenen Frühlings brach das vor Kia yü kuan stehende große mandschuisch-chinesische Heer gegen die westlichen Gegenden auf, und gelangte ohne Widerstand bis Chamil, der östlichsten bucharischen Stadt, die dem Kaiser treu geblieben war. Von dort aus schickte der Oberfeldherr Verstärkungen an alle die Orte ab, die noch von chinesischen Truppen besetzt waren, und zog, sobald es die Witterung und die nöthige Zufuhr von Lebensmitteln erlaubte, mit der ganzen Armee gegen das feindliche Hauptcorps. Wo er dasselbe getroffen habe, sagen die uns zugekommenen Berichte nicht ausdrücklich; doch muß dieß zwischen Aksu und Kaschkar geschehen seyn. Eine blutige Schlacht ward geschlagen, die mit der völligen Niederlage der Mohammedaner endigte. Dschanggar, der den alten Titel seiner Vorfahren Ai chodscha, das ist Mondfürst, angenommen hatte, blieb auf dem Schlachtfelde, und sein Bruder Kun chodscha, der Sonnenfürst, entkam nur mit Noth, und flüchtete sich zu den Kirgisen. Die ganze Artillerie der Rebellen, von der man sagt, sie sey von einigen Europäern bedient gewesen, ward den Siegern zur Beute. Die vier Städte Uschi, Kaschkar, Yarkand und Chotan, welche von den Empörern erobert worden waren, mußten sich dem rechtmäßigen Herrn wieder unterwerfen. Zur Strafe des Ungehorsams ihrer Bewohner wurden die jährlichen Abgaben derselben verdoppelt.

Durch Tschang ling’s glänzenden Sieg ist nun die Ruhe in Mittelasien wieder hergestellt worden; Handel und Gewerbe blühen bereits wieder auf; die reichen Caravanen, welche aus der kleinen Bucharei chinesische und andere Waaren nach Kokand, Samarkand und Buchara bringen, haben ihre alten Züge wieder angefangen. So entsteht neues Treiben und Leben auf der großen Handelsstraße, auf der seit mehr als 2000 Jahren die Produkte des östlichen Asiens nach Persien und von dort nach Europa gelangen, und die uns schon Ptolomäus und andere Schriftsteller des Alterthums beschrieben haben.


  1. Abel - Remusat, Mémoires sur plusieurs questions relatives à la Géographie de l’Asie centrale. pag. 176.