Unsere Todten

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Textdaten
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Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Unsere Todten
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aus: In Reih und Glied
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 30–33
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[30]
Unsere Todten.


Zur stillen Stadt der Todten ziehn mit Kränzen wir und Blumenzweigen
Und an den grünen Hügeln knien wir feuchten Aug’s in ernstem Schweigen.
Man schiebt den Epheu schonend fort, der über Stein und Schrift gekrochen,
Und denkt an manches liebe Wort, das, der nun ruht, zu uns gesprochen,

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An manchen, guten, klugen Rath, den er voll Freundlichkeit gegeben,

An manche opferfrohe That, an manches früh geknickte Streben.
Man hat’s in Lärm und Drang und Hast des Alltags nahezu vergessen,
Es ist verschmerzt, verwunden fast, was einstmals man an ihm besessen,
Und nur an diesem stillen Tag, der uns geführt an seinen Hügel,

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Berührt das Herz mit leisem Schlag der Trauer und der Reue Flügel.
[31]
Wir fühlen wieder stark und schlicht, was schweigend er für uns gelitten,

Und unsre Seele zögert nicht, ihm ihren Undank abzubitten,
Der rasch verbleichen ließ sein Bild, den tiefer er empfunden hätte,
Als wüchsen Nesseln wirr und wild auf seiner letzten Ruhestätte.

                              *          *          *

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Und solcher Gräber, drauf im Spiel der Luft die hohen Gräser schwanken,

Giebt es in deutschen Landen viel und Stoff zu grollenden Gedanken.
An meinen Gräbern kann ich nicht in Trauer lange mich versenken
Mir raunt ins Ohr die ernste Pflicht, viel fremder Gräber zu gedenken,
Und – was ich nicht im Leben kann – im Geist an sie heranzutreten

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Und für den todten, stillen Mann nach meiner eignen Art zu beten.

Wohl möglich, daß kein niedrer Knecht an meinem Spruch Gefallen fände,
Doch wär’ er wohl dem Todten recht, wenn er die Worte noch verstände,
Wenn still das Herz nicht, das gesund und rasch und frei im Busen klopfte,
Wenn man ihm den beredten Mund nicht längst mit kalter Erde stopfte.

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[32]
Die Gräber mein’ ich weit und breit, in denen unsre Todten schlafen,

Ob sie im heißen Männerstreit die Stiche der Verleumdung trafen,
Ob in Verbannung übers Meer ein Völkerfrühling sie getrieben,
Ob sie in Kämpfen hart und schwer lang vor der Zeit sich aufgerieben.
Wenn treu sie bis zum letzten Hauch der Sache, der sie jung sich weihten,

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Sind ihre Gräber heilig auch dem echten Mann für alle Zeiten,

Und sind sie ohne Stein und Schmuck und ohne Schatten der Zypressen,
Er wird sie allem Hohn und Druck zum Trotze nimmermehr vergessen.
Mit Gold und Marmor ehrt die Macht, wer ihr zu Diensten war und Willen –
Wir fragen nichts nach kalter Pracht und feiern schlicht und ernst im Stillen,

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Mit einem treugemeinten Wort, mit einer Blume, einem Liede,

Leidend und kämpfend fort und fort des Geistes kühne Winkelriede,
Die, ob verstumme alles bald, aus vollem Herzen furchtlos sprechen,
Die durch der Feinde Lanzenwald der Freiheit eine Gasse brechen.
Bei diesen Gräbern weilt mein Geist – von einem laß ich zu dem andern

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Wie Falken rasch, wie Falken dreist die ehrenden Gedanken wandern.
[33]
Ob sie versteckt in Waldesnacht und unter grünen Wintersaaten,

Ob längst dem Boden gleich gemacht den armen Hügel Pflug und Spaten –
Ich finde jedes, weil ich will, und ob man sie verborgen hätte,
Und lege tiefbewegt und still ein Reis auf die geweihte Stätte.


Anmerkungen (Wikisource)

Ebenfalls abgedruckt in:

  • Der Wahre Jacob, Nr. 87 (1889), Seite 689
  • Lavant, Rudolf (d. i. Richard Cramer): Gedichte. Hrsg. v. Hans Uhlig. Berlin, Akademie Verlag 1965 (Seite 59).