Unterhaltungen über deutsche Classiker

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unterhaltung über deutsche Classiker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 63–65
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[63]

Unterhaltungen über deutsche Classiker.

„Wenn Deutschland“, sagt die Cotta’sche Buchhandlung in der Ankündigung der eben erscheinenden wohlfeilen Ausgabe der deutschen Classiker, die, nebenbei gesagt, sehr ärmlich und geschmacklos ausgestattet ist, „trotz aller politischen Zerklüftung auf etwas stolz zu sein das Recht hat, so sind es seine großen Dichter und Denker, deren unsterbliche Werke, hervorgegangen aus dem unergründlichen Walten des Volksgeistes, umgekehrt wieder auf dessen Entwicklung und Fortbildung den mächtigsten Einfluß zu üben bestimmt sind. Diese Schriften, die Geistesblüthen der Edelsten unseres Volkes, sind ein reicher unerschöpflicher Born, der seinen befruchtenden Segen über die gegenwärtigen und kommenden Geschlechter in ungeschwächter Kraft fort und fort ergießt; sie sind ein theures Vermächtniß, zu dessen Genusse jeder, der dazu die Fähigkeit hat, berechtigt ist“.

Sehr wahr, aber das Verständniß und somit der Genuß dieser unsterblichen Werke würde um ein Bedeutendes gefördert werden durch genauere Kenntniß der Männer, die sie schufen, und für diese Kenntniß ist unter den Tausenden im Volke, die Schiller, Göthe u. s. w. verehren und bewundern, bisher sehr wenig gethan worden, obschon der schönste Stoff in reichster Fülle namentlich in den Briefen sich findet, welche jene Männer unter einander und mit Andern gewechselt haben und die gedruckt vorliegen. Freilich umfassen diese Briefe bereits wohl hundert Bände und es ist nicht Jedermanns Sache, dieselben durchzustudiren.

[64] Da streitet man z. B., welcher der Größere sei, ob Schiller, ob Göthe, obgleich der Streit ein sehr müßiger ist, denn Göthe selbst sagte schon: „die Deutschen sollten sich freuen, daß sie zwei solche Kerle haben wie wir.“ Haben die beiden Dichterfürsten nicht selbst ihre Meinung über sich und über einander ausgesprochen und sollte nicht das, was Schiller über Göthe, Göthe über Schiller und jeder über sich selbst sagt, das Entscheidende und Maßgebende sein?

Sie haben sehr oft und sehr aufrichtig über einander gesprochen; so z. B. schreibt

Schiller über Göthe

zuerst an Körner am 12. Aug. 1787: "Göthe wird von vielen Menschen mit einer Art Anbetung genannt und mehr noch als Mensch denn als Schriftsteller geliebt und bewundert. Alles, was er ist, ist er ganz und er kann, wie Julius Cäsar, Vieles zugleich sein. Nach Herder’s Behauptung hat er einen klaren universalischen Verstand, das wahrste und innigste Gefühl, die größte Reinheit des Herzens, ist auch rein von allem Intriguengeist und hat wissentlich noch Niemand verfolgt, noch keines Andern Glück untergraben. Er liebt in allen Dingen Helle und Klarheit, selbst im Kleinen seiner politischen Geschäfte und mit eben diesem Eifer haßt er Mystik, Geschraubtheit und Verworrenheit." Am 19. Decbr. 87 (ebenfalls an Körner): "Göthe’s Rückkunft aus Italien ist noch ungewiß. Während er dort malt, müssen Andere für ihn wie Lastthiere schwitzen. Er verzehrt in Italien für Nichtsthun eine Besoldung von 1800 Thlrn. und sie müssen für die Hälfte des Geldes doppelte Last tragen."

Am 12. Decbr. 88 schreibt er seiner zukünftigen Schwägerin: „Göthe will ich heute besuchen. Er ist gar selten allein und ich möchte doch nicht gern blos ihn beobachten, sondern mir auch etwas für mich aus ihm nehmen. Der Herzog ist die Abende fast immer da und den Vormittag belagern ihn Geschäfte.“

Am 28. Decbr. berichtet er derselben: „Göthe habe ich einmal besucht. Er zeigt viele Theilnahme an dem, was er glaubt, daß es zu meinem Glücke beitragen könnte“; dagegen vertraut er seinem Freunde Körner (2. Febr. 89): „Oefters um Göthe zu sein, würde mich unglücklich machen; er hat auch gegen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen; ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. Er besitzt das Talent, die Menschen zu fesseln und durch kleine sowohl als große Attentionen sich verbindlich zu machen, aber sich selbst weiß er immer frei zu erhalten. Er macht seine Existenz wohlthätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben, - dies scheint mir eine consequente und planmäßige Handlungsart, die ganz auf den höchsten Genuß der Eigenliebe calculirt ist. Mir ist er dadurch verhaßt, obgleich ich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke. Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir geweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Cäsar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn von Herzen lieben. „Die Götter Griechenlands“ hat er sehr günstig beurteilt, nur zu lang hat er sie gefunden, worin er auch nicht unrecht haben mag. Sein Kopf ist reif. Ich will ihn auch mit Lauschern umgeben, denn ich selbst werde ihn nie über mich befragen.“

Schon am 25. Febr. 89 erklärt Schiller geradezu: „Mit Göthe messe ich mich nicht, wenn er seine ganze Kraft anwenden will. Er hat weit mehr Genie als ich und dabei weit mehr Reichthum an Kenntnissen, eine sichere Sinnlichkeit und zu allem diesen einen durch Kunstkenntniß aller Art geläuterten und verfeinerten Kunstsinn, was mir in einem Grade mangelt, der ganz und gar bis zur Unwissenheit geht.“

Er lernte Göthe näher kennen, er kam allmälig öfterer mit ihm in Berührung und es entstand innige Freundschaft zwischen beiden, so daß Göthe selbst sagt: „so verschieden unsere beiderseitigen Naturen waren, so gingen doch unsere Neigungen auf Eins, welches denn unser Verhältniß so innig machte, daß im Grunde Keiner ohne den Andern leben konnte.“ Namentlich verging von 1794 an bis zu Schiller’s Tod kaum ein Tag, an welchem sie einander nicht wenigstens schrieben. Der erste Brief Schiller’s an Göthe (23. Aug. 1794) sagt unter Anderm: „lange schon habe ich dem Gange Ihres Geistes zugesehen. Sie suchen das Nothwendige der Natur, aber Sie suchen es auf dem schwersten Wege, vor welchem jede schwächere Kraft sich wohl hüten wird. Sie nehmen die ganze Natur zusammen, um über das Einzelne Licht zu bekommen; in der Allheit ihrer Erscheinungsarten suchen Sie den Erklärungsgrund für das Individuum auf. Von der einfachen Organisation steigen Sie, Schritt vor Schritt, zu der mehr verwickelten hinauf, um endlich die verwickeltste von allen, den Menschen, aus den Materialien des ganzen Naturgebäudes zu erbauen. Dadurch, daß Sie ihn in der Natur gleichsam nacherschaffen, suchen Sie in seine Technik einzudringen - eine große Idee, die zur Genüge zeigt, wie sehr Ihr Geist das reiche Ganze seiner Vorstellungen in seiner schönen Einheit zusammenhält. Sie können niemals gehofft haben, daß Ihr Leben zu einem solchen Ziel zureichen werde, aber einen solchen Weg auch nur einzuschlagen ist mehr werth als jeden anderen zu endigen. Da Sie ein Deutscher geboren sind, da Ihr griechischer Geist in diese nordische Schöpfung geworfen wurde, blieb Ihnen keine andere Wahl, als entweder selbst ein nordischer Künstler zu werden, oder Ihrer Einbildungskraft das, was ihr die Wirklichkeit vorenthielt, durch Nachhülfe der Denkkraft zu ersetzen und so gleichsam von innen heraus ein Griechenland zu gebären etc.“

Wie die Unterredungen mit Göthe auf Schiller gewirkt, schreibt dieser selbst mehrmals z. B. 1795:

„Es wird mir Zeit kosten, alle die Ideen zu entwirren, die Sie in mir angeregt haben, aber keine einzige, hoffe ich, soll verloren sein.“

Ferner: „Die Unterhaltung mit Ihnen hat meine ganze Ideenmasse in Bewegung gebracht. Ueber so Manches, worüber ich mit mir selbst nicht einig werden konnte, hat die Anschauung Ihres Geistes ein unerwartetes Licht mir angesteckt. Mir fehlte der Körper zu manchen Ideen und Sie brachten mich auf die Spur derselben.“

Und 1796: „Ich empfinde es ganz erstaunlich, was Ihr näheres Einwirken auf mich in mir verändert hat und obgleich an der Art und an dem Vermögen nichts anders gemacht ist, so ist doch eine große Läuterung in mir vorgegangen.“

[65] Und 1797 „Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne daß etwas in mir gepflanzt worden wäre, und die schönste und fruchtbarste Art, wie ich unsere wechselseitigen Mittheilungen benutze, ist immer diese, daß ich sie unmittelbar auf die gegenwärtige Beschäftigung (die Arbeit an Wallenstein) anwende und gleich productiv gebrauche.“

An Prof. Meyer[WS 1] endlich schreibt er am 21. Juli 1797 über Göthe: „während wir Andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas Leidliches hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohl angewandten Lebens und einer erhaltenden Bildung an sich selbst einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinrich Meyer, Schweizer Maler und Kunstschriftsteller (1760–1832) (Quelle: Wikipedia)