Unterwelt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Heine
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unterwelt
Untertitel:
aus: Neue Gedichte, Romanzen.
215-224
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1844
Verlag: Hoffmann und Campe
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
[215]

 Unterwelt.

 I.
Blieb ich doch ein Junggeselle! –
Seufzet Pluto tausendmal –
Jetzt, im meiner Eh’standsqual,
Merk ich, früher ohne Weib

5
War die Hölle keine Hölle.


Blieb ich doch ein Junggeselle!
Seit ich Proserpinen hab’
Wünsch ich täglich mich ins Grab!
Wenn sie keift, so hör’ ich kaum

10
Meines Cerberus Gebelle.


[216]
Stets vergeblich, stets nach Frieden

Ring’ ich. Hier im Schattenreich
Kein Verdammter ist mir gleich!
Ich beneide Sisiphus

15
Und die edlen Danaiden.


[217]
 II.

Auf goldenem Stuhl, im Reiche der Schatten,
Zur Seite des königlichen Gatten,
Sitzt Proserpine
Mit finstrer Miene,

20
Und im Herzen seufzet sie traurig:


Ich lechze nach Rosen, nach Sangesergüssen
Der Nachtigall, nach Sonnenküssen –
Und hier unter bleichen
Lemuren und Leichen

25
Mein junges Leben vertraur’ ich!


[218]
Bin festgeschmiedet am Ehejoche,

In diesem verwünschten Rattenloche!
Und des Nachts die Gespenster,
Sie schau’n mir in’s Fenster,

30
Und der Styx, er murmelt so schaurig!


Heut hab’ ich den Charon zu Tische geladen –
Glatzköpfig ist er und ohne Waden –
Auch die Todtenrichter,
Langweil’ge Gesichter –

35
In solcher Gesellschaft versaur’ ich.


[219]
 III.

Während solcherley Beschwerde
In der Unterwelt sich häuft,
Jammert Ceres auf der Erde.
Die verrückte Göttin läuft,

40
Ohne Haube, ohne Kragen,

Schlotterbusig durch das Land,
Deklamirend jene Klage,
Die Euch allen wohlbekannt:

„Ist der holde Lenz erschienen?

45
Hat die Erde sich verjüngt?

Die besonnten Hügel grünen,
Und des Eises Rinde springt.
Aus der Ströme blauem Spiegel
Lacht der unbewölkte Zeus,

50
[220]
Milder wehen Zephyrs Flügel,

Augen treibt das junge Reis.
In dem Hain erwachen Lieder,
Und die Oreade spricht:
Deine Blumen kehren wieder,

55
Deine Tochter kehret nicht.


„Ach wie lang ist’s, daß ich walle
Suchend durch der Erde Flur!
Titan, deine Strahlen alle
Sandt’ ich nach der theuren Spur!

60
Keiner hat mir noch verkündet

Von dem lieben Angesicht,
Und der Tag, der Alles findet,
Die Verlorne fand er nicht.
Hast du, Zeus, sie mir entrissen?

65
Hat, von ihrem Reiz gerührt,

Zu des Orkus schwarzen Flüssen
Pluto sie hinabgeführt?

[221]
„Wer wird nach dem düstern Strande

Meines Grames Bote seyn?

70
Ewig stößt der Kahn vom Lande,

Doch nur Schatten nimmt er ein.
Jedem sel’gen Aug’ verschlossen
Bleibt das nächtliche Gefild,
Und so lang der Styx geflossen,

75
Trug er kein lebendig Bild.

Nieder führen tausend Steige,
Keiner führt zum Tag zurück;
Ihre Thräne bringt kein Zeuge
Vor der bangen Mutter Blick.“

[222]
 IV.
80
Meine Schwiegermutter Ceres!

Laß’ die Klagen, laß’ die Bitten!
Dein Verlangen, ich gewähr’ es –
Habe selbst so viel gelitten!

Tröste dich, wir wollen ehrlich

85
Den Besitz der Tochter theilen,

Und sechs Monden soll sie jährlich
Auf der Oberwelt verweilen.

Hilft dir dort an Sommertagen
Bei den Ackerbaugeschäften;

90
Einen Strohhut wird sie tragen,

Wird auch Blumen daran heften.

[223]
Schwärmen wird sie wenn den Himmel

Ueberzieht die Abendröthe,
Und am Bach ein Bauerlümmel

95
Zärtlich bläst die Hirtenflöte.


Wird sich freu’n mit Greth und Hänschen
Bei des Erndtefestes Reigen;
Unter Schöpsen, unter Gänschen,
Wird sie sich als Löwin zeigen.

100
Süße Ruh! Ich kann verschnaufen

Hier im Orkus unterdessen!
Punsch mit Lethe will ich saufen,
Um die Gattin zu vergessen.

[224]
 V.

„Zuweilen dünkt es mich, als trübe

105
Geheime Sehnsucht deinen Blick –

Ich kenn’ es wohl, dein Mißgeschick:
Verfehltes Leben, verfehlte Liebe!

„Du nickst so traurig! Wiedergeben
Kann ich dir nicht die Jugendzeit –

110
Unheilbar ist dein Herzeleid:

Verfehlte Liebe, verfehltes Leben!“