Venus Pandemos

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Textdaten
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Autor: Richard Dehmel
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Titel: Venus Pandemos
Untertitel:
aus: Aber die Liebe
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Dr. E. Albert & Co. Separat-Conto
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans dieser Ausgabe auf Commons
S. 206-208
Kurzbeschreibung:
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[206]

 VENUS PANDEMOS


Und jenes letzte Mal. Im Nachtcafé
der Vorstadt wieder, müde vom Geruch
der schwülen Sofaplüsche und des Punsches,
der vor mir glühte, und vom Frauendunst

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der feuchten Winterkleider; müde, lüstern.

[207] Die Tabakswolken schwankten vom Gelächter
und feilschenden Gekreisch der bunten Dirnen
und Derer, die drum warben; das Gerassel
der Alfenidelöffel am Büffett

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ermunterte den Lärm des Liebesmarktes,

ununterbrochen, wie ein Tamburin.
Ich saß, den langen Mittelgang betrachtend,
und lauschte, wie das Licht des Gaskronleuchters,
der drüber hing, sich mühsam mit den Farben

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auf den Gesichtern um die Marmortische

in seiner gelben Sprache unterhielt;
wozu der schwarze Marmor blank auflachte.
Ich war schon bei der Wahl. Da teilte sich
die rote Thürgardine neben mir:

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ein neues Paar trat ein. Ein kalter Zug

schnitt durch den heißen Raum, und Einer fluchte;
die Beiden schritten ruhig durch den Schwarm.
Mir grade gegenüber, quer am Ende
des Ganges, als beherrschten sie den Saal,

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nahmen sie Platz; der broncene Kronleuchter

hing über ihnen wie ein schwerer, alter
Thronhimmel; Keiner schien das Paar zu kennen.
Doch hört’ich rechts von mir ein heisres Stimmchen:
„Bejejent muß ik Die woll schon wo sein!“ –

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Er saß ganz still. Das laute Grau der Luft

schrak fast zurück vor seiner krassen Stirne,
die wachsbleich an die schwachen Haare stieß;
die großen, blassen Augenlider waren
tief zugeklappt, auf beiden Seiten lag

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ihr Schatten um die eingeknickte Nase,

der dürre Vollbart ließ die Haut durchscheinen.
Nur wenn die üppig kleinere Gefährtin
ihm kichernd einen Satz zuzischelte,
[208] sah man sein eines schwarzes Auge halb

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und drehte sich sein langer, dünner Hals,

langsam, und kroch der nackte Kehlkopf hoch,
wie wenn ein Geier nach dem Aase ruckt.
Es wurde immer stiller durch den Raum;
sie sahen Alle auf den stummen Mann

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und auf das sonderbar geduckte Weib.

„Sie ist ganz jung“, war um mich her ein Flüstern;
auch trank sie Milch, und gierig wie ein Kind.
Doch schien sie mir fast alt, so oft die Zunge
durch eine Lücke ihrer trüben Zähne

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spitz aus dem zischelnden Munde zuckte, während

ihr grauer Blick den Saal belauerte;
das Gaslicht brannte drin wie giftiges Grün.
Jetzt hob sie sich. Sein Glas stand unberührt;
ein großes Geldstück glänzte auf dem Marmor.

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Sie ging; er folgte automatisch nach.

Die rote Thürgardine that sich zu,
der kalte Zug schnitt wieder durch die Hitze,
doch fluchte keiner; und mir schauderte.
Ich blieb für mich, – ich kannte sie auf einmal:

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es war die Liebesseuche und der Tod.