Vernünftige Gedanken einer Hausmutter (17)

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Autor: C. Michael
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Titel: Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
17. Was heißt liebenswürdig?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 334-335
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.

Von C. Michael.
17.0 Was heißt liebenswürdig?

Was heißt liebenswürdig?

Nichts scheint einfacher als die Beantwortung dieser Frage.

„Liebenswürdig“ heißt: würdig sein, geliebt zu werden, sollte man meinen. Aber der Sprachgebrauch ist gar wunderlich in seinen Launen; er versteht unter seinen Ausdrücken oft mehr, oft weniger, häufig sogar das Gegentheil von dem, was sie besagen. Ist nicht z. B. ein „alter“ Herr noch älter als ein „älterer“? eine „junge“ Dame noch jünger als eine „jüngere“ Dame? Die Steigerung des Ausdruckes drückt hier geradezu eine Verminderung der Eigenschaft aus. Und fragen wir: „Ist nur eine liebenswürdige Person würdig, geliebt zu werden?“, so wird ein vielstimmiges „Nein“ die Antwort sein.

Wer denkt nicht an die strengen eisenharten Feldherren alter und neuer Zeit; nicht einen Schatten von dem, was man „liebenswürdig“ nennt, haben sie zumeist besessen, und doch sind ihre Krieger aus begeisterter Liebe ihnen gefolgt in Schlacht und Tod – sie waren gewiß „würdig“ „geliebt“ zu werden.

Wie leidenschaftlich wird oft eine kalte, stolze Schöne geliebt von ihrem Verehrer, wie innig und aufopfernd dort ein launischer griesgrämiger Alter von seinen Kindern, hier ein kränklicher tief verstimmter Gatte von der Gattin, ein strenger ernster Gelehrter von seinen Schülern und Anhängern! Sie Alle sind der Liebe würdig, die man ihnen weiht, wenn sie auch gänzlich jener „Liebenswürdigkeit“ entbehren, die unser Sprachgebrauch diesem Wort beilegt. Wir müssen also vor Allem bekennen, daß der Ausdruck „Liebenswürdig“ viel zu hoch gegriffen ist für das, was wir darunter verstehen. Die Franzosen legen nicht so viel in ihr „aimable“, die Engländer in ihr „lovely“, sie bezeichnen mit diesen Worten präciser die Eigenschaften, die wir fälschlich liebens–würdig nennen, während wir damit nur die Begriffe: lieblich, freundlich, zuvorkommend in einem Worte zusammenfassen wollen, und dieses Wort vielleicht richtiger „gewinnend“ oder „einnehmend“ heißen müßte.

Der Ausdruck: „Liebenswürdig“ ist nun aber einmal da; er ist zu Fleisch und Blut geworden im Empfinden der Deutschen, und man muß ihn so beibehalten, wie der Sprachgebrauch ihn eingebürgert hat. Mit Vorliebe wenden wir das Wort auf unser weibliches Geschlecht an; dem Mann wird das Prädicat „liebenswürdig“ nur so nebenbei gegeben, während es vielleicht als die schönste und ehrendste Auszeichnung der Frau, insonderheit der weiblichen Jugend, gilt.

Worin aber nun diese vielgepriesene, mächtig bestrickende Eigenschaft unseres Geschlechtes besteht, das zu ergründen ist nicht so leicht. Die Liebenswürdigkeit kann mit Schönheit, oder mindestens mit Anmuth gepaart sein, doch kann sie unter Umständen auch recht gut diese Verbindung entbehren.

Auch eine alte und häßliche Frau kann sehr liebenswürdig sein, ja häufig hört man geradezu die Gegensätzlichkeit beider Begriffe betonen: „Sie ist nicht hübsch, aber sehr liebenswürdig.“ Die Schönheit also thut es nicht, thut’s vielleicht der Verstand, die Herzensgüte, thut’s feines gesellschaftliches Benehmen?

Mit einem Theilchen müssen unbedingt alle diese Eigenschaften vertreten sein, wenn es sich darum handelt, den Begriff der Liebenswürdigkeit zusammenzustellen; denn eine liebenswürdige Frau kann wohl häßlich, sie darf aber weder dumm, noch boshaft, noch plump und unbeholfen sein. –

Gut, da haben wir eine brave, verständige Hausfrau, die ihre Kinder stramm zur Ordnung anhält, Armen gern Gutes thut, wenn sie darum gebeten wird, und auch nicht der üblichen gesellschaftlichen Formen entbehrt. Es ist kein Tadel zu finden an ihr und ihrem Hause; Alles geht darin wie am Schnürchen; man hört kein böses, kaum ein lautes Wort, aber auch selten ein fröhliches Lachen. Bereits jahrelang verkehrst du auf freundschaftlichstem Fuße mit dieser Familie und stehst ihr doch heute genau so fremd gegenüber wie am ersten Tage der Bekanntschaft. Ein gewisses leises Frösteln kannst du nie los werden im Verkehr mit der Frau vom Hause, und obgleich die Conversation mit ihr nie in’s Stocken geräth, weißt du doch nicht zu sagen, wovon du mit ihr gesprochen hast, wenn du ihr Haus verläßt. Ihre Freunde werden diese Frau sehr hoch achten und schätzen, keinem aber wird es beikommen, sie für „liebenswürdig“ zu erklären; dazu fehlt ihr bei aller Güte und Vernunft noch ein unbestimmbares „Etwas“.

Ist dieses fehlende „Etwas“ vielleicht sprudelnder Witz? Ist es ein Funken von jenem tändelnden und doch stets schlagfertigen „esprit“ der Franzosen, für welche wir armen schwerfälligen Deutschen nicht einmal das bezeichnende Wort besitzen, geschweige denn die Gabe selbst? –

Möglich, daß dem so ist; dann wäre jenes geistsprühende, lebhafte, hochgebildete Fräulein, zu dessen Tischnachbar dich heute ein gütiges Geschick gemacht hat, das vollendete Bild der Liebenswürdigkeit. Vereint sie doch mit einem guten Theile jenes vielbewunderten „esprit“ sogar die vortheilhafteste äußere Erscheinung; sie strahlt gleich dem blendenden Sonnengestirn im vollen Bewußtsein ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge.

Im Gespräch mit ihr mußt du sehr aus deiner Hut sein; es ist ein beständiges Raketenfeuer; jedes Wort, das diesen rosigen Lippen entquillt, ist entweder ein scharfer Hieb oder eine kleine Bosheit, und jeder Blick dieser strahlenden Augen spricht die stumme Frage aus:

„Bin ich nicht reizend?“

O gewiß! Reizend ist die Dame, pikant, interessant, Alles, was du willst, nur nicht – liebenswürdig. Diesen Eindruck hast du nie ihr gegenüber, während es, vielleicht dir selber unbewußt, auf deine Lippen tritt in Bezug auf jene andere Frau dort, bei welcher du doch – im einzelnen analysirend – kaum irgend eines der Elemente, aus denen sich die Liebenswürdigkeit zusammensetzen soll, in hervorragender Weise vertreten findest.

Diese andere Frau, bei welcher wir jetzt zusammen eintreten wollen, ist weder durch Geist noch durch Schönheit ausgezeichnet, auch nicht überreich mit Talenten begabt, und was ihren Charakter im Allgemeinen betrifft, so findet man gar nicht erst Zeit, darüber nachzugrübeln, von welcher Art er wohl sein möchte. Sie selbst hat dazu noch viel weniger Zeit gehabt; denn sie hat in jedem Augenblick ihres geschäftig thätigen Lebens so viel an Andere zu denken, daß sie noch nicht zum Studium ihres eigenen Selbst gekommen ist, obgleich das „Erkenne Dich selbst!“ uns von so vielen Moralisten als höchstes Ziel allen Strebens hingestellt wird. Auch jetzt, im Augenblick, wo sie uns begrüßt, hat sie nicht einmal einen flüchtigen Nebengedanken an sich selbst. Ihre ganze Seele ist nur von uns, von den eben eintretenden lieben Gästen erfüllt. Ob wir sie in der dringendsten Arbeit störten oder eben, zum Ausgehen gerüstet, an der Hausthür treffen, stets ist der Empfang, den sie uns bereitet, gleich freundlich, gleich unbefangen, gleich warm und herzlich. Ohne daran zu denken, welchen Eindruck wohl sie selbst oder ihr Haus machen wird, ist sie einzig darauf bedacht, daß wir, die Gäste, uns bei ihr wohl fühlen möchten.

Unbehaglich für uns aber wäre jede Art der Entschuldigung, die sie ausspräche, jede Verlegenheit, die sie zeigte; das fühlt die „liebenswürdige“ Frau genau, und gar genau ist ihr auch bekannt, welchen Platz ihrer Wohnung sie uns zum Ausruhen bieten muß, damit wir uns recht behaglich fühlen.

Einzig von diesem Wunsche beseelt, denkt sie nicht daran, uns in das beste Zimmer des Hauses zu nöthigen – sie führt uns in das behaglichste. Sie nimmt uns gegenüber Platz und läßt uns erzählen und berichten; sie hat ein warmes Wort der Theilnahme für jedes unserer Erlebnisse, während sie von sich selbst und ihren [335] Angelegenheiten nur auf wiederholte Aufforderung spricht; sie nöthigt nicht sehr zu längerem Verweilen, wenn wir aufbrechen wollen; denn sie weiß, daß wir gern bleiben, so lange es unsere Zeit gestattet. Sieht diese Frau größere Gesellschaft bei sich, so weiß sie das allgemeine Gespräch so zu lenken, daß jeder ihrer Gäste Gelegenheit hat, sich vor den Uebrigen in vortheilhaftem Lichte zu zeigen, und geschickt weiß sie ein Thema zu vermeiden oder rasch zu erledigen, wenn es einen der Anwesenden unangenehm zu berühren scheint. Sie selbst spricht nur so viel wie nöthig ist, um die Gäste zum Sprechen anzuregen, und nur wo es entschieden gewünscht wird, läßt sie sich auch selbst zu längeren Erzählungen, Musikproduction oder dergleichen herbei. Thut sie dies aber, so geschieht es ohne langes Zieren, einfach und freundlich, in dem Bestreben, den Gästen immer und überall das Beste zu bieten, was sie eben zu bieten hat.

Kein Opfer dünkt dieser Frau zu groß für ihre Freunde; sie weiß klugen Rath in jeder Verlegenheit und ertheilt ihn in einer Weise, die – ja, wie soll man diese Weise bezeichnen? Nun, Jung und Alt, Männer und Frauen nennen sie eben – liebenswürdig, obgleich man dieser Frau einzelne gute Eigenschaften nicht gerade viel nachrühmen hört. Wenn man das Wesen dieser Frau zu verstehen sucht und sich fragt: warum ist sie liebenswürdig, welche Eigenschaften machen sie dazu, ja, was ist überhaupt liebenswürdig? so kommt man zu dem wunderlichen Resultat, daß glänzende Eigenschaften des Geistes, des Gemüthes und des Körpers die Liebenswürdigkeit wohl steigern und erhöhen können, daß aber ihre[WS 1] Grundbedingung Bescheidenheit und ein hoher Grad von Selbstlosigkeit ist. Nur wer da völlig aufzugehen vermag in der Sorge, Freude und Theilnahme für Andere, nur der kann wahrhaft liebenswürdig sein.

Schon der erste Hauch von Eitelkeit, Prahlerei oder Selbstliebe, der dieses duftig-zarte Gebäude streift, wirft es unrettbar zusammen. Schön, interessant, ja bezaubernd kann auch ein gefallsüchtiges Weib sein, liebenswürdig nur ein selbstlos bescheidenes, und weil solch völliges Selbstvergessen fast nie bei Männern zu finden ist, so gebührt das schöne Prädicat der Liebenswürdigkeit vorzugsweise dem weiblichen Geschlecht. Mögen unsere Emancipationsbeflissenen auch anders darüber denken, es wird doch ewig wahr bleiben, daß innige Hingabe und Aufgehen in den Interessen Anderer ein Vorzug – nicht eine Schwäche! – der Frau ist. So soll es sein, und es ist gut so. Laßt uns die Herren der Schöpfung ehren und ihre Rechte anerkennen, indem wir eifersüchtig über dem unsrigen, dem schönen Rechte vollendeter Liebenswürdigkeit, wachen, auf daß nicht etwa einst eine Zeit komme, wo man von energischen Weibern und liebenswürdigen Männern spricht. Das gäbe einen argen Mißton in der großen Harmonie der Schöpfung.

Nicht ohne Vorbedacht haben wir das liebenswürdige Weib zuerst der Gesellschaft im Allgemeinen gegenüber gestellt. Wo aber die Blume der Liebenswürdigkeit echt und unverkümmert blüht, da entfaltet sie ihren ganzen Zauber erst recht im Kreise der Häuslichkeit; denn hier ist das wahre große, unbestrittene Reich der liebenswürdigen Frau, der liebenswürdigen Tochter des Hauses. Jede frohe und heitere Stunde würzt sie den Ihrigen doppelt durch die Art, wie sie sich zu freuen weiß, und kommen Prüfungszeiten – welches Unglück wäre so schwer, daß die hingebende Theilnahme eines liebenswürdigen Weibes es nicht zu lindern vermöchte? Die schwarzen Gespenster von Leid und Kummer können wohl – wie Smiles[WS 2] so hübsch sagt – zur Thür eines Hauses hereinschauen, in welchem ein solches Wesen waltet, aber eintreten und ihre Wohnstätte darin aufschlagen, das dürfen sie nimmermehr.

Liebenswürdigkeit wirkt auch ansteckend, wie sie meistens erblich zu sein scheint. Es wird sich selten nur ein liebenswürdiges Wesen in einer Familie finden: „Man fühlt sich wohl dort – es ist ein liebenswürdiges Haus,“ hören wir sagen.

Ja, nicht nur Frau und Mann, auch die Kinder, selbst die Dienerschaft solchen Hauses ist zuvorkommend und in herzlicher Weise gefällig; das sind die Strahlen, die vom Stern des Hauses ausgehen, von der liebenswürdigen Mutter und ihren Töchtern.

Wollt Ihr Eure Kinder zu liebenswürdigen Menschen erziehen, was nahezu gleichbedeutend ist mit „glücklichen Menschen“, so laßt vor Allem Bescheidenheit, Nächstenliebe und aufrichtiges Wohlwollen in ihren kleinen Herzen einziehen, haltet aber Alles nach Möglichkeit fern, was die frohe unschuldige Heiterkeit des kindlichen Gemüthes trüben könnte!

Mißtrauen gegen unsere Nebenmenschen, Mißgunst oder gar Schadenfreude, das sind die Klippen, an denen die Liebenswürdigkeit unrettbar scheitert; darum sucht das Lebensschifflein Eurer Kinder ja davon fern zu halten! Das warme Mitgefühl im eigenen Herzen aber mag das Leuchtfeuer bilden, Euch und ihnen den rechten Weg zu zeigen für glückliche Fahrt!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: abe rihre
  2. Die Gartenlaube 1890: Samuel Smiles