Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs/§.22

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Textdaten
Autor: Johann Christoph Harenberg
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Titel: Vernünftige und Christliche Gedancken über die Vampirs ...
Untertitel: §.22 - Die unrichtige Einbildungskraft hat viele Uhrsachen, so hieselbst gemeldet worden.
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Erscheinungsdatum: 1733
Verlag: Johann Christoph Meißner
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Erscheinungsort: Wolfenbüttel
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Quelle: Digitalisat des Göttinger Digitalisierungszentrums bzw. bei Commons
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§. XXII.

[82] Wie starck in diesem Fall die Einbildung sey, will ich mit einigen Exempeln erläutern. Damit wir wissen mögen, was ich unter der Einbildung verstehe, so will ich mich erklähren. Die Einbildung ist eine Kraft der Seelen, wodurch man abwesende Sachen ihm vorstellet als gegenwärtig. Wo diese Kraft fehlet, da fehlet auch das Gedächtnis. Allein es kan die Einbildung sehr in Unordnung gerahten und der Wahrheit Eintrag thun. Denn man kan ihm unter einem Bilde die unmögliche Sachen als möglich vorstellen, ferner die möglichen statt der würcklichen, die nicht gegenwärtigen als in der That gegenwärtige, die ungewissen und unwahrscheinlichsten statt der gewißlich zukünftigen und instehenden. Man siehet, daß dieser Fehler von dem Mangel eines gegründeten Urtheils und guten Geschmacks herrühre. Daher die unordentliche und ausschweifende Einbildung so viele Quellen und Uhrsachen hat, als es Umstände giebet, welche uns des guten (a)[1] Geschmacks [83] und eines rechten Urtheils berauben. Bald liegt die Uhrsache in einer angebohrnen Unart; bald in einer närrischen Erziehung; bald steckt sie in dem Geblühte des Leibes; bald steckt sie in der Seele selbst: zuweilen wird sie durch äusserliche Mittel (b)[2] befordert; zuweilen ist sie den vorhergegangenen Affecten zuzuschreiben. Die natürlichen Träume, und die Erkänntnis der Thiere, gründen sich bloß auf die Einbildung, und nehmen an einem guten Geschmacke, oder an einer behenden und ordentlichen, auch deutlichen, Beurtheilung im geringsten nicht Theil. Je mehr nun jemand in dem Stande deutlicher Erkänntnis und der Wahrheit stehet, je mehr ist er der guten Eigenschaften, die ein Mensch besitzen kan, theilhaftig. Die Wahrheit, überhaupt betrachtet, ist die würckliche Ordnung der Dinge. So fern wir aber derselben fähig sind, bestehet sie in der Empfindung der würcklichen Ordnung der Dinge. Weil wir aber wegen unserer zu erhaltenden Glückseeligkeit die vorkommenden Dinge nach derjenigen Verhältnisse, welche sie gegen uns haben, einzusehen pflegen; so entsteht daher der Unterscheid zwischen der beschaulichen [84] und thätigen Wahrheit. Die erste bestehet in der Ubereinstimmung unser Empfindung mit der Ordnung derjenigen Dinge, welche an sich selbst zur Ausübung der Tugend nichts beytragen. Jedennoch ist keine beschauliche Wahrheit so gering, welche nicht in der Zusammensetzung verschiedener dergleichen Wahrheiten mit der Ausübung der Tugend zusammen hänget, oder wenigstens dazu angewendet werden kan. Es würden keine unnützliche Wahrheiten statt finden, wenn wir einsehen könnten, was eine jede Sache vor eine Verhältnis gegen unsern innerlichen und äusserlichen Zustand hätte. Die thätige Wahrheit bestehet in der Empfindung der Ordnung solcher Dinge, welche an sich selbst zur Ausübung der Tugend gehören. Wenn die erkannte Wahrheit so starck und nachdrücklich in der Seele dargestellet wird, daß eine Liebe dagegen, und eine Bereitwilligkeit, sich derselben in seinem Leben gemäß zu bezeigen, entstehet, so ist der Anfang einer lebendigen Erkänntnis da. Man würde sich aber leicht zum Irrthum und zur Abweichung von der erkannten Wahrheit lencken und fähig machen, wenn man die Sachen nicht gehörig unter einander, ferner nach ihren Theilen oder Kräften, wenigstens so weit solches zu unserer Glückseeligkeit etwas beyträget, unterschiede. Denn man würde in solchen Umständen Gift mit gesunder Artzney, GOtt mit der Welt, unmögliche Dinge mit möglichen, mögliche mit würcklichen, gewisse mit ungewissen, gute mit bösen, und so fort verwechseln. Hieraus erkennet man gar leicht, wie viel an einer deutlichen Erkänntnis [85] gelegen sey. Zuforderst ist es demnach nöhtig, daß die Einbildungs-Kraft der würcklichen Ordnung der Dinge nicht entgegen stehe. Denn wenn wir eine solche Ordnung der Dinge uns vorstellen, dergleichen nicht ist, und solche Vorstellung mit der Wahrheit verwechseln, so betriegen wir uns durch unsere Einbildung. Woraus deutlich erhellet, daß die unordentliche und betrügliche Einbildung in der unrechten Empfindung bestehe. Denn wenn wir uns die Sachen unter einem Bilde anderst vorstellen, als sie an sich sind, so ist die Einbildung unrichtig. Die Sachen, so wir uns in der Seele vorstellen, rühren entweder die Gliedmassen der Sinnen, oder müssen nur durch die Beurtheilungs-Kraft entdecket werden. In dem ersten Falle hat die unordentliche und betriegliche Einbildung statt, 1) wenn das Bild, so wir uns von einer Sache in dem Gehirne machen, uns von innen so starck rühret, daß wir vermeynen, als ob wir in den äusserlichen Gliedmassen wären gerühret worden: 2) Wenn wir uns nach der Empfindung, so in einem Gliedmaß (c)[3] des Sinnes geschiehet, richten, ohngeachtet die Rührung, so in den andern Sinnen vorgehet, entgegen ist: 3) wenn wir den Fehler des Gliedmasses der Sinnen also ansehen, als ob derselbe in der Sache, so [86] ausser uns ist, steckte: 4) wenn zwischen dem Sinnen-Gliedmaas und der Sache, so ausser uns ist, etwas zwischen gesetzet ist, welches eine Aenderung der Rührung in den Sinnen macht: 5) wenn wir uns ein Bild von einer Sache, so ausser uns ist, machen, aus unrichtiger Erzehlung anderer. In dem andern Falle ist die Einbildung unrichtig und trüglich, wenn wir uns ein Bild im Gehirne machen, wodurch 6) das unmögliche als möglich dargestellet wird, oder 7) das mögliche unter dem Bilde des würcklichen: ferner 8) das wahrscheinliche unter dem Bilde des wahrhaftigen und würcklichen: endlich 9) das natürliche unter den Bildern des übernatürlichen. Denn weil wir alles unter Bildern oder Zeichen gedencken, und andern zu erkennen geben; so betriegt uns die Einbildung so oft, als wir diese Bilder und Zeichen der Sachen verwechseln. Wenn ich das Zeichen des Dreyecks mir vorstelle, wenn ich mir ein Zwölfeck dencken will, alsdenn betriege ich mich gereißlich in meiner innerlichen Bildung oder Vorstellung.


  1. (a) Untersuchung von dem guten Geschmack in der Dicht- und Rede-Kunst, ausgefertigt von [83] Johann Ulrich König, ist den Gedichten des Freyherrn von Canitz nachgesetzet, so a. 1727. In 8. Maj. herauskamen, und ist unvergleichlich.
  2. (d) Hieher rechnet ORIGENES auch die evirationem, To. XV. ad cap. XIX. v. 12. in Matthaeum. Wir sehen hievon ein Beyspiel an dem Origine, qui cicutam adhibuerat genitalibus ad compescendam libidinem. Vide Adnotationes D. IACOBI SALINAS Neapolitani ad Vincentii Commonitorium. p. 50. sqq.
  3. (c) Von dem Stockholmischen Knaben, der mit dem einem Auge alles doppelt sahe, besiehe ACTA litteraria Sueciae ad a. 1721. Trim. IV. p. 230. sqq. und GEORGII BERNHARDI BVLFFINGERI dilucidationes philosophicas de Deo, Anima humana, & mundo Sect. III. c. 2. §. 248 p. 239.