Warnung (1875)

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Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Warnung
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[680] Warnung. In neuerer Zeit mehren sich die Bestrebungen, eine bisher nur in Oesterreich und theilweise auch in Süddeutschland einheimische Praxis der Ausbeutung des Publicums auch nach Norddeutschland zu importiren.

Ich meine den Schwindel der Ratenbriefgeschäfte, und es ist wohl eine Pflicht der unabhängigen Presse, diesem hauptsächlich von Berlin, Frankfurt am Main und Hannover ausgehenden Treiben durch Belehrung des Publicums von vornherein energisch entgegenzutreten und namentlich das mit derartigen Geschäften nicht vertraute Publicum der Provinz, besonders das Landvolk, vor den überall herumreisenden Agenten dieser Geschäfte zu warnen. Es erscheint nicht unnöthig, die Geschäftsgebahrung dieser neuen Art von Raubrittern etwas näher zu beleuchten. Von irgend einer unter hochtönenden Namen gegründeten, auch ordnungsmäßig in’s Handelsregister eingetragenen Bank oder Commanditgeselschaft oder einem unbekannten Banquier oder Inhaber einer Wechselstube wird, indem man auf die Spielsucht des Publicums speculirt, öffentlich in den Zeitungen zur Betheiligung an gemeinsam gespielten Prämienanleihen[1] gegen ratenweise Zahlung aufgefordert und das Geschäft durch Aussendung zahlreicher Agenten nach allen Richtungen der Windrose, namentlich zur Beglückung der Landbewohner, unterstützt.

Soweit wäre gegen derartige Geschäfte Nichts einzuwenden; die geschickt ausgelegte Leimruthe bethört alsbald zahlreiche Gimpel, denn die ratenweise Zahlung erleichtert dem kleinen Manne außerordentlich die Anschaffung dieser sogenannten Ratenbriefe, und vertrauensselig, wie er ist, beachtet er nicht die vielen Fallstricke, die in dem verclausulirten Schriftstücke für ihn enthalten sind, namentlich nicht den Punkt, daß bei einer auch nur um einen Tag verspäteten Zahlung einer Rate sämmtliche vorher gezahlten Beträge zu Gunsten des Verkäufers verfallen sind. Zudem sind diese Ratenbriefe in ihrer äußeren geschmackvollen Ausstattung wirklichen Werthpapieren auf’s Täuschendste ähnlich, so daß die Käufer bei einiger Unachtsamkeit leicht in den Glauben versetzt werden können, die gekauften Papiere wirklich in Händen zu haben und nicht blos einen Lieferschein auf dieselben.

Die Kehrseite der Medaille zeigt sich den Betheiligten, wenn sie selbst alle ihnen gelegten Fallen glücklich vermieden haben sollten, jedoch erst nach Abwickelung des Geschäfts, in der colossalen Uebervortheilung, die sie dabei haben erleiden müssen. Ich sehe ganz davon ab, daß der Käufer eines derartigen Ratenbriefes bedingungslos vertrauend seine Ersparnisse Fremden übergiebt, ohne Sicherheit dafür, daß die bezeichneten Loose in der That auch angekauft werden, ich sehe ferner ab von der sehr nahe liegenden Möglichkeit, daß, in dem Falle, daß eins der Loose während der Dauer der Ratenzahlungen mit einem Hauptgewinne gezogen wird, die Verkäufer sich ganz einfach aus dem Staube machen und den unglücklichen Käufern das Nachsehen lassen können, und will nur beleuchten, wie ohne Beachtung des Vorstehenden die Käufer derartiger Scheine im günstigsten Falle übervortheilt werden.

Gewöhnlich wird eine Anzahl Lotterie-Anleihen in kleinen Nominalbeträgen, deren Courswerth ein geringer ist, wie etwa Bari, Barletta, Meininger, Freiburger etc. Loose, des größeren Vertrauens halber mit einer Anzahl von Loosen gemischt, deren Courswerth ein größerer ist, wie etwa Oldenburger, Braunschweiger oder Ungarische Loose. An einem Beispiele läßt sich am besten zeigen, wie unverhältnißmäßig groß der Gewinn bei dieser Art von Geschäften ist.

Vor mir liegt ein Ratenbrief einer Firma in Hannover, dessen letzte Ratenzahlung im October 1874 gemacht werden sollte. Nach Inhalt desselben hatte der Käufer für fünfundzwanzig monatliche Zahlungen à 6 Thaler, also für zusammen hundertfünfzig Thaler, folgende Loose zu beanspruchen:

1 ungarisches 50 Gulden-Loos, heutiger Courswerth ca. 28 Thlr.
1 oldenburger 40 Thaler-Loos     45     “
1 braunschweiger 20 Thaler-Loos     25     “
1 sachsen-meininger 7 Gulden-Loos     6½     “
1 bukarester 20 Franken-Loos     5½     “
______________
Summa ca. 110 Thlr.

Es ergiebt sich demnach für den Käufer sofort ein Verlust von vierzig Thalern an hundertzehn Thalern Effectencourswerth. und ich berücksichtige hierbei nicht einmal den Umstand. daß sämmtliche Loospapiere in diesem Jahre eine wesentliche Steigerung erfahren haben und die obenerwähnten Loose zur Zeit der Ausstellung des Ratenbriefes vor etwa zwei Jahren wesentlich weniger als selbst hundert Thaler werth waren. Im Allgemeinen kann man annehmen, daß die Käufer von Ratenbriefen die darin verschriebenen Loospapiere in der Regel hundert Procent, also noch einmal so theuer, bezahlen müssen, als sie dieselben in jeder soliden Wechselstube kaufen könnten. Derartige Geschäfte kann man als legitime wohl nicht bezeichnen, um so weniger als die Verkäufer der Ratenbriefe schließlich bei Abwickelung des Geschäfts häufig die außerdeutschen Loose in Appoints liefern, die nicht mit dem deutschen Stempel versehen und, weil in Deutschland nicht verkäuflich, bedeutend weniger werth sind.

Uebrigens möchte ich noch darauf aufmerksam machen, daß im letzterwähnten Falle die Käufer gut thun würden, die Hülfe der Gerichte in Anspruch zu nehmen, da in Deutschland der Handel mit nicht gestempelten außerdeutschen Loosen verboten und mit Strafe bedroht ist.

M. G.

  1. Dies sind Anleihen, welche allmählich durch Verloosungen und mit größeren oder geringeren Gewinnen wieder zurückgezahlt werden, es handelt sich hier also um nichts Anderes, als um eine Lotterie.