Weimar und seine Dichter

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Autor: unbekannt
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Titel: Weimar und seine Dichter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 317–318
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Weimar und seine Dichter

Seit das kleine Athen durch seine Dichter, Künstler, Philosophen und Staatsmänner ganz Griechenland überstrahlte, hat sich nur einmal wieder ein gleich glänzender Kreis von hervorragenden Geistern zusammengefunden – im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in dem kleinen Weimar (das man darum Ilm-Athen nennt). Weimar mit seinen engen, stillen Gassen und seinen wenn auch alten, so doch characterlosen Häusern sah damals, und sieht zum Theil noch jetzt aus, als sei es an das Schloß mit dem großen Parke angebaut worden, der sich an der einen Seite bis zu dem Lustschlosse Belvedère mit einem andern Parke und auf der andern mit dem Schlosse Tieffurt, ebenfalls mit einem Parke, fortsetzt. Es leben noch Personen, die sich erinnern, daß der weimarische Hirt mit lauten Horntönen täglich zur bestimmten Stunde die Rinder und Schweine der Bürger zusammenrief und zur Weide trieb, und als Goethe in dem Städtchen (1775) erschien, enthielt es in den kaum 700 Häusern etwa 7000 Einwohner, die sich um nichts weniger kümmerten, als um Literatur und Kunst, und sich durch Bildung so wenig auszeichneten, als ihre Straßen durch Beleuchtung, in denen man, bei nächtlicher Finsterniß, jeden Augenblick Gefahr lief, die Beine zu brechen. Und doch sagte Goethe einmal: „Ich habe fünfzig Jahre hier gelebt und obwohl ich viel herumgekommen, kehrte ich doch stets gern nach Weimar zurück.“ Diese anhängliche Liebe zu der kleinen Stadt theilten Alle mit ihm, die das Glück hatten, sich eine Zeit lang dort aufhalten zu können, und sie erklärt sich zum Theil durch die Reize der Umgebung, vorzugsweise aber durch das Thun und Wollen der herzoglichen Familie, die drei der ausgezeichnetsten Persönlichkeiten in sich vereinigte.

Einsiedel Frau v. Kalb. Die Brüder v. Humboldt. Schiller.  Wieland. Schwestern von Lengefeld. Herzog Karl August. Goethe.
u. Seckendorf.  (Frau v. Schiller. Frau v. Wolzogen.) 
Musäus.  Herder.  Kotzebue. Kuebel. 
 Herzogin Amalie.  Herzogin Louise.

Voran steht die verwittwete Herzogin Amalie, die Nichte Friedrichs des Großen, dem sie auch geistig verwandt war, während sie in ihrem braunschweigischen Blute den leichten Sinn und die Liebe zum Vergnügen geerbt hatte. Im achtzehnten Jahre verwittwet, mußte sie die Regierung des Landes und die Erziehung ihrer beiden Söhne übernehmen. Sie liebte Literatur und Kunst und schützte deren Pfleger. Sie componirte, malte und las die alten griechischen Dichter in der Ursprache. Sie setzte sich über alle Etikette hinaus und fuhr selbst einmal von Tieffurt mit sieben Freunden auf einem Heuwagen ab. Unterwegs wurden sie von einem Gewitter überrascht. Sie zog Wieland’s dicken Rock an und erschien so in ihrer Residenz. In ihren Briefen an Goethe’s Mutter herrscht die liebenswürdigste Herzlichkeit. Sie nennt dieselbe „Mutter“ und unterschreibt sich einfach: „Behalten Sie mir lieb und denken Sie fleißig an Ihre Freundin Amalie.“ Als Erzieher und Lehrer für ihre Söhne wählte sie Wieland – und dieser Schritt der Herzogin Amalie wurde von der allergrößten Bedeutung, denn mit ihm beginnt die große Zeit Weimars, und ohne ihn wäre weder Goethe noch Schiller noch Herder da erschienen.

[318] Karl August, Amaliens Sohn und Wieland’s Zögling, von dem Friedrich der Große schon sagte, von allen Prinzen, die er gesehen, verspreche er das Meiste, wurde vollständig, was er zu werden versprochen. Mit den kleinsten Mitteln hat er unter allen Fürsten Deutschlands das Größte gethan. Leicht ist es für jeden Fürsten, Männer von Talent um sich zu sammeln; schwer aber, sie bei sich zu behalten und die volle Entwickelung ihrer Talente zu fördern. Karl August besaß den rechten Blick, den Genius zu erkennen; er hatte den Willen, die Ausgezeichnetsten seiner Nation um sich zu sammeln, und verstand die Kunst, sie bei sich zu halten. Seine Thätigkeit ruhte nie; jeden Augenblick hatte er das Wohl seines Landes im Auge; in einer Stunde las er in einem Werke über Philosophie, Geschichte oder Kunst, in der nächsten suchte er eine neue Erfindung erproben zu lassen etc. „Er schritt immer weiter vor,“ sagt Goethe, und dabei war wohl Niemand in ganz Deutschland so einfach als er, sein Freund Goethe etwa ausgenommen, mit dem er überhaupt vieles gemein hatte, als wären sie wirklich Brüder. Von väterlicher Seite hatten Beide wenigstens thüringisches Blut in ihren Adern, und ihre Mütter, Amalie und Frau Aja, waren einander in Charakter und Temperament nahe verwandt. Am liebsten befand er sich unter Soldaten oder unter vier Augen mit seinem Dichter, dem er einmal von Gotha aus nach Jena schrieb: „Ich sehne mich, mit Dir die Sonne auf- und untergehen zu sehen; denn hier sieht man sie vor Höflingen nicht, die ihre „„Fischpflicht““ mit fürchterlicher Pünktlichkeit verrichten.“

Von seiner Gemahlin, der schönen Herzogin Louise, spricht Niemand ohne die höchste Verehrung. In ihrer verständigen Ruhe, mit ihrer immer gleichen Anmuth mäßigte sie die wohl zuweilen aufbrausende Heftigkeit Karl Augusts, und „mit sanft überredender Bitte führte sie stets den Scepter der Sitte.“ Sie und die Königin Louise von Preußen ragen in der neuen deutschen Geschichte groß hervor: sie traten Napoleon, dem damaligen allmächtigen Gebieter, entgegen und nöthigten ihn Beide zu Bewunderung.

Um diese fürstliche Familie gruppirte sich nun der Kreis von großen Männern und interessanten Frauen, der seine Anziehungskraft heute noch nicht verloren hat. Zuerst Wieland, der gutmüthige, leicht gereizte und leicht verzeihende, der den damals noch wenig gebildeten deutschen Geschmack durch griechische Grazie und französische Leichtigkeit zu fördern suchte, und durch seinen deutschen Merkur nicht geringen Einfluß ausübte. Dann ging Goethe, der mit seinem „Werther“ und „Götz“ alle Herzen in Deutschland erobert hatte, „wie ein Stern“ in Weimar auf, – in seiner Jugend ein Mann von gewinnender Schönheit, in seinem Alter voll Majestät; mit einem Herzen, das der treuesten und aufopferndsten Liebe und Freundschaft fähig war, und mit einem Geiste, der in die Tiefen der Menschenseele wie in die Geheimnisse der Natur einzudringen vermochte; in der Jugend voll liebenswürdiger Wildheit, in dem Alter ein Weiser; zu jeder Zeit unablässig thätig als Dichter, als Kunstfreund, als Naturforscher und als hoher Beamter, ja im Stande, in einem Wirthshause in einem Dorfe eine Scene der „Iphigenie“ zu schreiben, nachdem er so eben bei einer Rekrutenaushebung beschäftiget gewesen.

Neben ihm Schiller, körperlich kränklich, steif und unbeholfen, aber immer begeistert, immer nach Höherem, nach Idealem strebend, darum die Jugend und Frauen entflammend und fortreißend, durch die Pracht seiner Bilder und den Wohllaut seiner Sprache entzückend, das Ideal eines Dichters, und als solcher mit Recht alle Zeit gefeiert, dabei aber dem großen Freunde Goethe gegenüber so tief bescheiden, daß er sich nicht scheut zu sagen: „Gegen ihn werde ich doch immer ein Lump bleiben.“

Herder, durch scharfe und gewandte Kritik Lessing vergleichbar, mit dem reinsten und geläutertsten Geschmack, und darum von dem größten und vortheilhaftesten Einflusse auf Goethe, der ihn schon als Student in Straßburg kennen und schätzen lernte, später seine Berufung nach Weimar veranlaßte und, namentlich in der frühern Zeit, ihm seine dichterischen Schöpfungen vor dem Druck zur Prüfung vorlegte. Leider war er nicht blos kritisch, sondern auch krittlich, eitel, immer unzufrieden, eifersüchtig und neidisch, namentlich gegen Goethe’s einflußreiche Freunde, wie Anfangs Merck, später Schiller.

Zu diesem Kreise gehörte, wenn auch nicht lange, der drollige Musäus, der Verfasser der trefflichen „Mährchen;“ ferner von Knebel, der mehr als berathender und dienstfertiger Freund der Dichter, denn als selbstschaffender wirkte; Kotzebue, der Lustspieldichter, der die deutsche Bühne beherrschte, aber überall gern Zwietracht säete, boshafte Bemerkungen ausstreute, und selbst über deutsche Angelegenheiten in russischem Solde Berichte lieferte; von Einsiedel, ein jovialer Lebemann, seiner Gutmüthigkeit wegen überall „Freund,“ Dichter und Musiker für’s Haus und unerschöpflicher maître de plaisir; von Seckendorf, der „Werther’s Leiden“ in’s Französische übersetzte; Bertuch, der Schatzmeister, der zugleich zuerst Industrie in den deutschen Buchhandel brachte.

Diesen stets in Weimar Weilenden schlossen sich oftmals andere für längere oder kürzere Zeit an, wie dir Brüder von Humboldt, von dem der Jüngere, der gefreirte Alexander, als der Letzte jener großen Zeit noch unter uns lebt, die Brüder Schlegel und viele Professoren aus dem benachbarten Jena, wie Fichte, Schelling, Hegel, Luden, Oken, Döbereiner, Hufeland etc.

Unter den Frauen, die in dem Dichterkreise und an dem Hofe Weimars glänzten, sind zu erwähnen die Schwestern v. Lengefeld, von denen die Jüngere Schiller’s Gattin, die ältere die seines Freundes v. Wolzogen wurde. Der letztern verdanken wir die erste gute Biographie Schiller’s, und früher schon hatte sie sich durch ihren Roman „Agnes von Lilien“, der sogar Goethe zugeschrieben wurde, bekannt gemacht. Sodann die Hofsängerin Corona Schröter, eine strahlende Schönheit, die Goethe geliebt haben und die mit Einsiedel in’s Geheim verheirathet gewesen sein soll; die excentrische Frau v. Kalb, die von Schiller, der nach ihr die Königin Elisabeth im „Don Carlos“ schuf, so leidenschaftlich geliebt wurde, wie sie erst ihn, dann Jean Paul liebte; Frau v. Stein, die am längsten das Herz Goethe’s besaß, der nicht eine Zeile schrieb, ohne sie ihr vorzulegen; die Gräfin v. Werthern, die für Karl August das war, was die Stein für Goethe, und das Original zu der reizenden Gräfin im „Wilhelm Meister“; die geistreiche, witzige, kleine buckelige v. Göchhausen, die von Jedermann geneckt, aber auch von Jedermann geliebt wurde und unter dem Namen „Thusnelda“ bekannt ist.

In Tieffurt, dem Lieblingsschlößchen Amaliens, wie in ihrer Wohnung in der Stadt, fanden sich häufig alle diese Männer und Frauen zu einer Gesellschaft zusammen, der gewiß eine ähnliche nie und nirgend gegenüber gestellt werden kann und deren Spiele und Vergnügungen sogar sehr oft von Poesie geweiht, immer aber durch Geist und Witz belebt wurden. Wie aber nichts Irdisches Bestand hat, so riß auch diesem seltenen Kreise der Tod bald Einen nach dem Andern hinweg. Am längsten wurde der Größte verschont, Goethe, der die Herzoginnen Amalie und Louise, seinen Freund Karl August, Herder, Schiller und Wieland begraben sehen mußte.

Fast aller der Gefeierten sterbliche Ueberreste ruhen nun wieder vereint auf dem Friedhofe Weimars, und ihre Grabstätten schauen auf die Stadt nieder, welche die Erinnerung an sie als nie verbleichender Glanz umgiebt. Die Nachwelt, die noch keine Ebenbürtigen begrüßen konnte, wallfahrtet nach dem „Schillerhause,“ dem „Goethehause“ etc., und Weimar schmückt sich mit Statuen seiner großen Todten. An der Kirche, in welcher Herder so beredt gesprochen, steht jetzt sein ehernes Bild und predigt Humanität und Duldsamkeit; im Park, der zum größten Theil sein Werk ist, prangt Goethe’s Jupitergestalt in Marmor und binnen wenigen Jahren werden vor dem Theater, dem beide ihre besten Kräfte widmeten, Goethe und Schiller in einer Gruppe von Rietschel’s Meisterhand sich erheben.

Das Bild, womit heute unser Blatt geziert, stellt eine Versammlung mehrerer jener Männer und Frauen im Park zu Tieffurt vor. Es ist dem bei Meinhold und Söhne in Dresden erscheinenden Prachtwerke entnommen: „Die deutsche Geschichte in Bildern, nach Originalzeichnungen deutscher Künstler“ (Text von Bülau), das viele gleich schöne Holzschnitte nach Zeichnungen von Bendemann, Ehrhardt, Steinle, Camphausen, v. Oer, M. v. Schwind, L. Richter etc. enthält und warme Empfehlung verdient.