Wie soll man essen?

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Autor: Friedrich Dornblüth
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Titel: Wie soll man essen?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 695–696
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Wie soll man essen?


Je mehr in dem ruhelosen Treiben und Jagen des geschäftlichen Lebens das Essen selbst zu einem bloßen Geschäfte wird, dem man möglichst wenig Aufmerksamkeit und Zeit gönnen will, desto häufiger finden die Aerzte Gelegenheit, Folgezustände dieser Ueberhastung zu beobachten und zu behandeln, die man sonst nur bei unpassender Nahrung oder bei Ueberladung des Magens finden konnte. Mannigfaltige Verdauungsstörungen, wie Druck im Magen und Unterleibe, sogenannte Verschleimung u. a. m., selbst Darniederliegen der gesammten Ernährung kommen endlich zu Tage und werden mehr oder weniger kunstgerecht mit Arzneimitteln, Mineralwässern und Wassercuren, mit Bullrich’schem Salz, Hoff’schem Malzextract, Daubitz’schem Kräuterliqueur und unzähligen andern Mitteln, Mittelchen und Methoden behandelt und gemißhandelt.

Die Alten hatten nicht Unrecht, die Hauptmahlzeit wenigstens mit religiösen Gebräuchen zu umgeben, welche nicht nur sinnbildlich die Bedeutung der Handlung darstellten, als des ersten Schrittes eines Lebensvorganges, der dem Blute neue Stoffe zuführt, aus welchen der Körper seine Wärme und sein Wachsthum, die Muskeln und Nerven ihre Kräfte, das Gehirn die Grundlage und Bedingungen aller Vorstellungen und Gedanken, kurz aller Geistesthätigkeit beziehen, sondern welche auch dem Körper und dem Geiste die Ruhe und Sammlung verliehen, die dieser wichtigen Lebensgrundlage zukommt. Denn das Essen ist nicht allein die Speisung einer Maschine, durch welche dieselbe in Gang gesetzt und erhalten wird, sondern zugleich der Anfang der steten Erneuerung dieser Maschine selbst, ohne welche dieselbe alsbald abgenutzt sein würde.

Die Nahrungsstoffe und Speisen, ihre Zubereitung und Menge sind allerdings von der höchsten Wichtigkeit, aber fast nicht geringere Bedeutung kommt auch der Art und Weise des Essens zu, die keineswegs immer dem Zwecke entspricht, das Genossene möglichst vollständig auszunutzen und mit möglichst sparsamer Verwendung von Mitteln und Kräften dem Organismus neue Kraftquellen zuzuführen. Schon die Zeit des Essens wird namentlich in den größeren Städten oft mehr als gut ist durch die Tagesgeschäfte bedingt, wodurch dann die rasche Abnutzung der Geschäftsleute großentheils mit herbeigeführt wird. Denn trotz aller Biegsamkeit und Schnellkraft der menschlichen Natur, welche es erlaubt, sich den verschiedensten Lebensbedingungen anzuschmiegen, werden doch [696] die Grenzen dieser Kräfte nicht ungestraft überschritten. Jedenfalls ist große Regelmäßigkeit sehr zweckmäßig, und die Lebenseinrichtungen müssen so getroffen werden, daß die Hauptmahlzeit mit der Stunde zusammenfällt, wo die Lust und das Bedürfniß zu essen am größten ist, d. i. nach vollbrachter Hauptarbeit, indem dann nicht allein das Bedürfniß am größten, sondern auch die zur Vollendung des Mahles und der Verdauung erforderliche geistige und körperliche Ruhe am ehesten zu haben ist. Die Hauptsache ist aber, daß der Magen sich in dem für die Verarbeitung des Genossenen günstigsten Zustande befindet.

Der ganze Magen ist inwendig von einer dichten Lage von Drüsen ausgekleidet, in welchen der Saft bereitet wird, der die Speisen auflöst und zur Aufsaugung in die Blutgefäße geeignet macht. Während der Ruhe laden sich diese Drüsen allmählich mit jenem Saft, der beständig ausfließt, so lange sich zu verdauende Stoffe im Magen befinden. Der Magen muß also eine Zeit lang in Ruhe sein, damit die Drüsen sich laden können, und der Zeitpunkt, wo sie am stärksten geladen sind, giebt sich durch das Hungergefühl zu erkennen. Wird letzteres nicht befriedigt, so entleeren sich die Drüsen trotzdem, ihr Saft fließt ungenutzt in die unteren Theile des Verdauungsrohres ab und das Hungergefühl geht wieder vorüber, „man hat sich überhungert“ und ist nun nicht mehr im Stande, gleich zu essen und ordentlich zu verdauen. Es darf also so lange vor der Hauptmahlzeit nicht gegessen werden, daß sich in der Zwischenzeit ein ordentliches Hungergefühl ausgebildet hat; es darf aber auch nicht länger gewartet werden, als bis letzteres sich geltend macht. Die Dauer dieser Zwischenzeit ist bei verschiedenen Personen nicht gleich: Kinder und Schwächliche haben das Bedürfniß zu essen öfter, als Erwachsene und Kräftige, und natürlich dauert diese Zeit um so länger, je stärker der Magen vorher mit Speisen gefüllt war und demgemäß in Thätigkeit gesetzt wurde. Im Allgemeinen wird es richtig sein, wenn gesunde Erwachsene nicht später als vier Stunden vor dem Mittagsessen ein leichtes Frühstück einnehmen und wenn in der Zwischenzeit der Magen nicht durch Kleinigkeiten, wie Backwerk, Leckereien, Chocolade, Bier und dergl. zur Entleerung seiner sich eben wieder ansammelnden Verdauungssäfte gereizt wird.

Ist solchergestalt die Zeit des Essens herangekommen, so soll man nicht hastig von der Arbeit weg zum Mahle stürzen, sondern Geist und Körper vorher beruhigen. Blut und Nervenkräfte, die für das Denken oder für Muskelarbeit in Anspruch genommen sind, werden dem Magen entzogen, der doch zur Verdauung ihrer nicht entbehren kann; auch verhindern die hastig fortarbeitenden Gedanken und die nach rascher Arbeit eine Zeit lang fortdauernde Unruhe das regelmäßige und gehörige Zerkleinern der Speisen durch Messer und Zähne, und der ungenügend zerkleinerte und halbdurchkaute Bissen beschwert den Magen, verzögert und stört die Verdauung. Als zweite Regel erkennen wir also: eine kurze Ruhe des Geistes und des Körpers vor dem Essen.

Zum Beginn der Tagesarbeit ein leicht erregendes Getränk, wie Kaffee oder Thee, zu nehmen, ist weit zweckmäßiger, als nahrhafte Speisen, namentlich für Solche, welche allein oder vorzugsweise mit dem Kopfe arbeiten, weil größere Anforderungen an die Verdauung die Klarheit und Freiheit des Denkens beeinträchtigen. Zu langes Fasten ist aber in mehrfacher Beziehung schädlich: es entkräftet den Körper, reizt durch zu starken Hunger zur späteren Ueberladung des Magens, und der im nüchternen Zustande sauer abgesonderte Speichel greift die Zähne an und belästigt den Magen. Ein kräftiges Frühstück von leicht verdaulichem Fleisch oder Eiern und Weißbrod ist das beste Mittel gegen solche Uebelstände, die in der Regel nach kurzer Zeit auch Bleichsucht herbeiführen.

Einige Stunden nach diesem Fastenbrecher folge das Mittagessen, aber nicht in Hast während einer kurzen Arbeitpause und bei fortarbeitenden Gedanken, sondern in aller Ruhe. Die Hauptmahlzeit wird zweckmäßig mit einer Suppe eingeleitet, welche den sich nun ergießenden Magensaft aufnimmt und verdünnt, so daß er sich leicht mit den nachfolgenden festeren Speisen vermischen und diese durchdringen und auflösen kann. Um diese Auflösung zu erleichtern, müssen die festeren Speisen vor allen Dingen gut gekauet oder, wo die Zähne fehlen, recht weich zubereitet und mit dem Messer fein zerkleinert werden. Aber auch dann schlucke man nicht hastig, damit die Bissen gehörig mit Speichel durchfeuchtet werden, dessen Absonderung durch das Kauen stärker erregt wird. Es giebt nichts Verderblicheres, als während des Essens Geschäfte zu verhandeln oder zu lesen; denn bei abgezogener Aufmerksamkeit wird nicht nur das Kauen vergessen und der Magen mit groben Bissen beschwert, sondern das Gehirn entzieht dem letzteren die für die Verdauung erforderlichen Nervenkräfte und reichlicheren Blutmengen. Eine leichte Unterhaltung, welche den Geist zerstreut, ohne ihn anzustrengen, ist bei Weitem das Zuträglichste für die Mahlzeit. Deshalb soll man wo möglich nicht allein oder unter Fremden, sondern in der Familie oder mit guten Bekannten zu Mittag essen.

Ein Glas Wasser, das nicht zu kalt sein darf, um nicht durch Abkühlung die Magenverdauung zu verzögern, gegen Ende der Mahlzeit getrunken, erleichtert die Auflösung der genossenen Speisen; auch ein Glas Bier, Wein oder bei schwereren Speisen ein Schnäpschen unterstützt die Verdauung durch Beförderung der Magensaftabsonderung. Aber alle diese Mittel müssen sehr mäßig genossen werden, wenn sie nicht mehr schaden als nützen sollen. Dann esse man aber auch nicht mehr, als der Magen ohne Belästigung zu fassen und zu bewältigen vermag. Stärkere Mahlzeiten erfordern Reizmittel, die aber nicht ohne Schaden bleiben, und ein Theil des Genossenen geht unter solchen Umständen unverdaut und also ungenutzt durch den Darmcanal.

Nach der Mahlzeit gönne man sich eine kurze Zeit der Ruhe des Körpers und des Geistes, damit das Geschäft der Magenverdauung ohne Störung von Statten gehe. Der Magen erfordert nämlich jetzt einen stärkeren Zufluß von Säften aus dem Blute, um die Speisen gehörig auflösen und umwandeln zu können, und dieser Zufluß wird beeinträchtigt, wenn gleichzeitig das arbeitende Gehirn oder die arbeitenden Muskeln den Nerven- und Blutstrom für sich in Anspruch nehmen. Je stärker und je schwerer verdaulich die aufgenommene Mahlzeit war, desto mehr ist natürlich diese Ruhe Bedürfniß. Nach ihr wird die weitere Tagesarbeit um so besser von Statten gehen, wenngleich niemals so gut als Vormittags, wo in Folge der Nachtruhe alle Kräfte frischer und das Blut vollständiger durchgearbeitet war. Die Speisen erfordern eben Zeit, um vollständig in Blut, die flüssige Quelle aller unserer Kräfte und Leistungen, umgewandelt zu werden. Nach dem Essen zu schlafen ist keineswegs für Alle nützlich, da viele Menschen durch Schlafen nach Tische für den ganzen übrigen Tag unbrauchbar werden. Die natürliche Müdigkeit, welche sich namentlich nach starken Mahlzeiten einstellt, wird am besten durch leichte, anregende Unterhaltung oder Lectüre, durch eine Cigarre oder Pfeife Tabak, und endlich durch kräftigen Kaffee – der aber zum Besten der Verdauung wenig oder gar keinen Rahm und noch weniger Milch enthalten darf – überwunden. Schwarzer Kaffee gewährt den doppelten Vortheil, zugleich die Verdauung zu befördern, indem er die Magensaftabsonderung neu anregt. Diese künstlichen Mittel sind aber sehr entbehrlich, wenn in der Mahlzeit das Maß gehalten worden ist, daß der Magen nicht überladen oder durch zu schwere Speisen belästigt ist.

Die Dauer der Magenverdauung ist nach der Beschaffenheit und Menge der aufgenommenen Speisen verschieden lang. Das Gefühl giebt den sichersten Maßstab, ob man ihr noch weiter Rücksicht zu schenken hat. Jedenfalls muthe man aber dem Magen nicht zu bald nach einer tüchtigen Mahlzeit wiederum Verdauungsarbeit zu, denn die Magensaftdrüsen erfordern mindestens drei bis vier Stunden und nach starkem Mahle wohl doppelt so lange, um wieder ordentlich absondern zu können. Bedarf der Körper während dieser Zeit einer Erquickung und Anreguug, so ist abermals Kaffee oder Thee, allenfalls ein Glas Bier, bei Kindern Milch mit Weißbrod, bei schwerer Arbeit, die in der Regel nicht mit starken Mahlzeiten verbunden zu sein pflegt, auch wohl ein Butterbrod u. dergl. m. am Platze. Abends läßt man dann, namentlich wo das Mittagessen früh, d. h. etwa um die Mitte des Tages eingenommen wird, ein leichtes Abendessen nachfolgen.

Es soll nicht behauptet werden, daß viele Leute sich nicht auch bei erheblichen Abweichungen von diesen Regeln ganz gut befinden, aber jedenfalls wird die Befolgung derselben dazu beitragen, daß die genossenen Speisen besser ausgenutzt werden, und ebenso dazu, manche unscheinbare Ursachen von Unwohlsein und Krankheit fern zu halten.
Fr. Dornblüth.