Wilhelm Tell/Vierter Aufzug

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Wilhelm Tell
Fünfter Aufzug »
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[152]
Vierter Aufzug


Erste Scene


Oestliches Ufer des Vierwaldstättensees, die seltsam gestalteten schroffen Felsen im Westen schließen den Prospekt. Der See ist bewegt, heftiges Rauschen und Tosen, dazwischen Blitze und Donnerschläge.

Kunz von Gersau. Fischer und Fischerknabe.

Kunz
Ich sahs mit Augen an, ihr könnt mirs glauben,
’s ist alles so geschehn, wie ich euch sagte.

Fischer
Der Tell gefangen abgeführt nach Küßnacht,
Der beste Mann im Land, der bravste Arm,
Wenns einmal gelten sollte für die Freiheit.

Kunz
Der Landvogt führt ihn selbst den See herauf,
Sie waren eben dran sich einzuschiffen,
Als ich von Flüelen abfuhr, doch der Sturm,
Der eben jetzt im Anzug ist, und der

[153]

Auch mich gezwungen, eilends hier zu landen,
Mag ihre Abfahrt wohl verhindert haben.

Fischer
Der Tell in Fesseln, in des Vogts Gewalt!
O glaubt, er wird ihn tief genug vergraben,
Daß er des Tages Licht nicht wieder sieht!
Denn fürchten muß er die gerechte Rache
Des freien Mannes, den er schwer gereizt!

Kunz
Der Altlandammann auch, der edle Herr
Von Attinghausen, sagt man, lieg’ am Tode.

Fischer
So bricht der letzte Anker unsrer Hofnung!
Der war es noch allein, der seine Stimme
Erheben durfte für des Volkes Rechte!

Kunz
Der Sturm nimmt überhand. Gehabt euch wohl,
Ich nehme Herberg in dem Dorf, denn heut
Ist doch an keine Abfahrt mehr zu denken.
(geht ab.)

[154]

Fischer
Der Tell gefangen und der Freiherr todt!
Erheb die freche Stirne, Tyrannei,
Wirf alle Schaam hinweg, der Mund der Wahrheit
Ist stumm, das seh’nde Auge ist geblendet,
Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt!

Knabe
Es hagelt schwer, kommt in die Hütte, Vater,
Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen.

Fischer
Raset, ihr Winde, flammt herab ihr Blitze,
Ihr Wolken berstet, gießt herunter, Ströme
Des Himmels und ersäuft das Land! Zerstört
Im Keim die ungebohrenen Geschlechter!
Ihr wilden Elemente werdet Herr,
Ihr Bären kommt, ihr alten Wölfe wieder
Der großen Wüste, euch gehört das Land,
Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit!

Knabe
Hört, wie der Abgrund toßt, der Wirbel brüllt,
So hats noch nie geraßt in diesem Schlunde!

[155]

Fischer
Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt,
Solches ward keinem Vater noch geboten!
Und die Natur soll nicht in wildem Grimm
Sich drob empören – O mich solls nicht wundern,
Wenn sich die Felsen bücken in den See,
Wenn jene Zacken, jene Eisesthürme,
Die nie aufthauten seit dem Schöpfungstag,
Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen,
Wenn die Berge brechen, wenn die alten Klüfte
Einstürzen, eine zweite Sündfluth alle
Wohnstätten der Lebendigen verschlingt!
(man hört läuten)

Knabe
Hört ihr, sie läuten droben auf dem Berg,
Gewiß hat man ein Schiff in Noth gesehn,
Und zieht die Glocke, daß gebetet werde.
(steigt auf eine Anhöhe)

Fischer
Wehe dem Fahrzeug, das jezt unterwegs,
In dieser furchtbarn Wiege wird gewiegt!

[156]

Hier ist das Steuer unnütz und der Steurer,
Der Sturm ist Meister, Wind und Welle spielen
Ball mit dem Menschen – Da ist nah’ und fern
Kein Busen, der ihm freundlich Schutz gewährte!
Handlos und schroff ansteigend starren ihm
Die Felsen, die unwirthlichen, entgegen,
Und weisen ihm nur ihre steinern schroffe Brust.

Knabe (deutet links)
Vater, ein Schiff, es kommt von Flüelen her.

Fischer
Gott helf den armen Leuten! Wenn der Sturm
In dieser Wasserkluft sich erst verfangen,
Dann raßt er um sich mit des Raubthiers Angst,
Das an des Gitters Eisenstäbe schlägt,
Die Pforte sucht er heulend sich vergebens,
Denn ringsum schränken ihn die Felsen ein,
Die himmelhoch den engen Paß vermauren.
(er steigt auf die Anhöhe)

Knabe
Es ist das Herrenschiff von Uri, Vater,
Ich kenns am rothen Dach und an der Fahne.

[157]

Fischer
Gerichte Gottes! Ja, er ist es selbst,
Der Landvogt, der da fährt – Dort schifft er hin,
Und führt im Schiffe sein Verbrechen mit!
Schnell hat der Arm des Rächers ihn gefunden,
Jezt kennt er über sich den stärkern Herrn,
Diese Wellen geben nicht auf seine Stimme,
Diese Felsen bücken ihre Häupter nicht
Vor seinem Hute – Knabe, bete nicht,
Greif nicht dem Richter in den Arm!

Knabe
Ich bete für den Landvogt nicht – Ich bete
Für den Tell, der auf dem Schiff sich mit befindet.

Fischer
O Unvernunft des blinden Elements!
Mußt du, um Einen Schuldigen zu treffen,
Das Schiff mit sammt dem Steuermann verderben!

Knabe
Sieh, sieh, sie waren glücklich schon vorbei
Am Buggisgrat, doch die Gewalt des Sturms,

[158]

Der von dem Teufelsmünster widerprallt,
Wirft sie zum grossen Axenberg zurück.
– Ich seh sie nicht mehr.

Fischer
  Dort ist das Hakmesser,
Wo schon der Schiffe mehrere gebrochen.
Wenn sie nicht weislich dort vorüberlenken,
So wird das Schiff zerschmettert an der Fluh,
Die sich gähstotzig absenkt in die Tiefe.
– Sie haben einen guten Steuermann
Am Bord, könnt’ Einer retten, wärs der Tell,
Doch dem sind Arm und Hände ja gefesselt.

Wilhelm Tell mit der Armbrust.
(Er kommt mit raschen Schritten, blickt erstaunt umher, und zeigt die heftigste Bewegung. Wenn er mitten auf der Scene ist, wirft er sich nieder, die Hände zu der Erde und dann zum Himmel ausbreitend)

Knabe (bemerkt ihn)
Sieh, Vater, wer der Mann ist, der dort kniet?

Fischer
Er faßt die Erde an mit seinen Händen,
Und scheint wie ausser sich zu seyn.

[159]

Knabe (kommt vorwärts)
Was seh ich! Vater! Vater, kommt und seht!

Fischer (nähert sich)
Wer ist es? – Gott im Himmel! Was! der Tell?
Wie kommt ihr hieher? Redet!

Knabe
 Wart ihr nicht
Dort auf dem Schiff gefangen und gebunden?

Fischer
Ihr wurdet nicht nach Küßnacht abgeführt?

Tell (steht auf)
Ich bin befreit.

Fischer und Knabe
 Befreit! O Wunder Gottes!

Knabe
Wo kommt ihr her?

Tell
 Dort aus dem Schiffe.

Fischer
 Was?

[160]

Knabe (zugleich)
Wo ist der Landvogt?

Tell
 Auf den Wellen treibt er.

Fischer
Ists möglich? Aber Ihr? Wie seid ihr hier?
Seid euren Banden und dem Sturm entkommen

Tell
Durch Gottes gnädge Fürsehung – Hört an!

Fischer und Knabe
O redet, redet!

Tell
 Was in Altorf sich
Begeben, wißt ihrs?

Fischer
 Alles weiß ich, redet!

Tell
Daß mich der Landvogt fahen ließ und binden,
Nach seiner Burg zu Küßnacht wollte führen.

[161]

Fischer
Und sich mit euch zu Flüelen eingeschifft!
Wir wissen alles, sprecht, wie ihr entkommen?

Tell
Ich lag im Schiff, mit Stricken fest gebunden,
Wehrlos, ein aufgegebner Mann – nicht hofft’ ich,
Das frohe Licht der Sonne mehr zu sehn,
Der Gattin und der Kinder liebes Antlitz,
Und trostlos blickt’ ich in die Wasserwüste –

Fischer
O armer Mann!

Tell
 So fuhren wir dahin,
Der Vogt, Rudolph der Harras und die Knechte.
Mein Köcher aber mit der Armbrust lag
Am hintern Gransen bei dem Steuerruder.
Und als wir an die Ecke jetzt gelangt
Beim kleinen Axen, da verhängt’ es Gott,
Daß solch ein grausam mördrisch Ungewitter
Gählings herfürbrach aus des Gotthards Schlünden
Daß allen Ruderern das Herz entsank,

[162]

Und meinten alle, elend zu ertrinken.
Da hört’ ichs, wie der Diener einer sich
Zum Landvogt wendet’ und die Worte sprach:
Ihr sehet Eure Noth und unsre, Herr,
Und daß wir all am Rand des Todes schweben –
Die Steuerleute aber wissen sich
Für großer Furcht nicht Rath und sind des Fahrens
Nicht wohl berichtet – Nun aber ist der Tell
Ein starker Mann und weiß ein Schiff zu steuern,
Wie, wenn wir sein jezt brauchten in der Noth?
Da sprach der Vogt zu mir: Tell, wenn du dirs
Getrautest, uns zu helfen aus dem Sturm,
So möcht’ ich dich der Bande wohl entledgen.
Ich aber sprach: Ja, Herr, mit Gottes Hülfe
Getrau ich mirs, und helf uns wohl hiedannen.
So ward ich meiner Bande los und stand
Am Steuerruder und fuhr redlich hin.
Doch schielt’ ich seitwärts, wo mein Schießzeug lag,
Und an dem Ufer merkt’ ich scharf umher,
Wo sich ein Vortheil aufthät zum Entspringen.

[163]

Und wie ich eines Felsenriffs gewahre,
Das abgeplattet vorsprang in den See –

Fischer
Ich kenn’s, es ist am Fuß des großen Axen,
Doch nicht für möglich acht ichs – so gar steil
Gehts an – vom Schiff es springend abzureichen –

Tell
Schrie ich den Knechten, handlich zuzugehn,
Bis daß wir vor die Felsenplatte kämen,
Dort, rief ich, sei das Aergste überstanden –
Und als wir sie frischrudernd bald erreicht,
Fleh ich die Gnade Gottes an, und drücke,
Mit allen Leibeskräften angestemmt,
Den hintern Gransen an die Felswand hin –
Jezt schnell mein Schießzeug fassend, schwing ich selbst
Hochspringend auf die Platte mich hinauf,
Und mit gewaltgem Fußstoß hinter mich
Schleudr’ ich das Schifflein in den Schlund der Wasser –
Dort mags, wie Gott will, auf den Wellen treiben!
So bin ich hier, gerettet aus des Sturms
Gewalt und aus der schlimmeren der Menschen.

[164]

Fischer
Tell, Tell, ein sichtbar Wunder hat der Herr
An euch gethan, kaum glaub ichs meinen Sinnen –
Doch saget! Wo gedenket ihr jezt hin,
Denn Sicherheit ist nicht für euch, wofern
Der Landvogt lebend diesem Sturm entkommt.

Tell
Ich hört’ ihn sagen, da ich noch im Schiff
Gebunden lag, er woll’ bei Brunnen landen,
Und über Schwytz nach seiner Burg mich führen.

Fischer
Will er den Weg dahin zu Lande nehmen?

Tell
Er denkts.

Fischer
 O so verbergt euch ohne Säumen,
Nicht zweymal hilft euch Gott aus seiner Hand.

Tell
Nennt mir den nächsten Weg nach Arth und Küßnacht.

Fischer
Die offne Straße zieht sich über Steinen,

[165]

Doch einen kürzern Weg und heimlichern
Kann euch mein Knabe über Lowerz führen.

Tell (giebt ihm die Hand)
Gott lohn euch eure Gutthat. Lebet wohl.
(geht und kehrt wieder um)
– Habt ihr nicht auch im Rütli mit geschworen?
Mir däucht, man nannt euch mir –

Fischer
 Ich war dabei,
Und hab den Eid des Bundes mit beschworen.

Tell
So eilt nach Bürglen, thut die Lieb’ mir an,
Mein Weib verzagt um mich, verkündet ihr,
Daß ich gerettet sey und wohl geborgen.

Fischer
Doch wohin sag ich ihr, daß ihr geflohn?

Tell
Ihr werdet meinen Schwäher bei ihr finden
Und andre, die im Rütli mit geschworen –
Sie sollen wacker seyn und gutes Muths,

[166]

Der Tell sey frei und seines Armes mächtig,
Bald werden sie ein weitres von mir hören.

Fischer
Was habt ihr im Gemüth? Entdeckt mirs frei.

Tell
Ist es gethan, wirds auch zur Rede kommen. (geht ab)

Fischer
Zeig ihm den Weg, Jenny – Gott steh ihm bey!
Er führts zum Ziel, was er auch unternommen. (geht ab)



Zweyte Scene


Edelhof zu Attinghausen
Der Freiherr, in einem Armsessel, sterbend. Walther Fürst, Stauffacher, Melchthal und Baumgarten um ihn beschäftigt. Walther Tell knieend vor dem Sterbenden.

Walther Fürst
Es ist vorbei mit ihm, er ist hinüber.

Stauffacher
Er liegt nicht wie ein Todter – Seht, die Feder

[167]

Auf seinen Lippen regt sich! Ruhig ist
Sein Schlaf und friedlich lächeln seine Züge.

(Baumgarten geht an die Thüre und spricht mit jemand)

Walther Fürst (zu Baumgarten)
Wer ists?

Baumgarten (kommt zurück)
 Es ist Frau Hedwig, eure Tochter,
Sie will euch sprechen, will den Knaben sehn.

(Walther Tell richtet sich auf)

Walther Fürst
Kann ich sie trösten? Hab ich selber Trost?
Häuft alles Leiden sich auf meinem Haupt?

Hedwig (hereindringend)
Wo ist mein Kind? Laßt mich, ich muß es sehn –

Stauffacher
Faßt euch, bedenkt, daß ihr im Haus des Todes –

Hedwig (stürzt auf den Knaben)
Mein Wälty! O er lebt mir.

Walther Tell (hängt an ihr)
 Arme Mutter!

[168]

Hedwig
Ists auch gewiß? Bist du mir unverlezt?
(Betrachtet ihn mit ängstlicher Sorgfalt)
Und ist es möglich? Konnt’ er auf dich zielen?
Wie konnt’ ers? O er hat kein Herz – Er konnte
Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind!

Walther Fürst
Er thats mit Angst, mit schmerzzerrissner Seele,
Gezwungen that ers, denn es galt das Leben.

Hedwig
O hätt er eines Vaters Herz, eh er’s
Gethan, er wäre tausendmal gestorben!

Stauffacher
Ihr solltet Gottes gnädge Schickung preisen,
Die es so gut gelenkt –

Hedwig
 Kann ich vergessen,
Wie’s hätte kommen können – Gott des Himmels!
Und lebt’ ich achtzig Jahr – Ich seh den Knaben ewig
Gebunden stehn, den Vater auf ihn zielen,
Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.

[169]

Melchthal
Frau, wüßtet ihr, wie ihn der Vogt gereizt!

Hedwig
O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz
Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr,
Sie setzen in der blinden Wuth des Spiels
Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!

Baumgarten
Ist eures Mannes Loos nicht hart genug,
Daß ihr mit schwerem Tadel ihn noch kränkt?
Für seine Leiden habt ihr kein Gefühl?

Hedwig
(kehrt sich nach ihm um und sieht ihn mit einem großen Blick an)
Hast Du nur Thränen für des Freundes Unglück?
– Wo waret ihr, da man den Trefflichen
In Bande schlug? Wo war da eure Hülfe?
Ihr sahet zu, ihr ließt das Gräßliche geschehn,
Geduldig littet ihr’s, daß man den Freund
Aus eurer Mitte führte – Hat der Tell
Auch so an Euch gehandelt? Stand er auch

[170]

Bedaurend da, als hinter dir die Reiter
Des Landvogts drangen, als der wüthge See
Vor dir erbraußte? Nicht mit müßgen Thränen
Beklagt’ er dich, in den Nachen sprang er, Weib
Und Kind vergaß er und befreite dich –

Walther Fürst
Was konnten wir zu seiner Rettung wagen,
Die kleine Zahl, die unbewaffnet war!

Hedwig (wirft sich an seine Brust)
O Vater! Und auch du hast ihn verloren!
Das Land, wir alle haben ihn verloren!
Uns allen fehlt er, ach! wir fehlen ihm!
Gott rette seine Seele vor Verzweiflung.
Zu ihm hinab ins öde Burgverließ
Dringt keines Freundes Trost – Wenn er erkrankte!
Ach, in des Kerkers feuchter Finsterniß
Muß er erkranken – Wie die Alpenrose
Bleicht und verkümmert in der Sumpfesluft,
So ist für Ihn kein Leben als im Licht
Der Sonne, in dem Balsamstrom der Lüfte.
Gefangen! Er! Sein Athem ist die Freiheit,

[171]

Er kann nicht leben in dem Hauch der Grüfte.

Stauffacher
Beruhigt euch. Wir alle wollen handeln,
Um seinen Kerker aufzuthun.

Hedwig
Was könnt ihr schaffen ohne ihn? – Solang
Der Tell noch frei war, ja da war noch Hofnung,
Da hatte noch die Unschuld einen Freund,
Da hatte einen Helfer der Verfolgte,
Euch alle rettete der Tell – Ihr alle
Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen!
(der Freiherr erwacht)

Baumgarten
Er regt sich, still!

Attinghausen (sich aufrichtend)
 Wo ist er?

Stauffacher
 Wer?

Attinghausen
 Er fehlt mir,
Verläßt mich in dem lezten Augenblick!

[172]

Stauffacher
Er meint den Junker – Schickte man nach ihm?

Walther Fürst
Es ist nach ihm gesendet – Tröstet euch!
Er hat sein Herz gefunden, er ist unser.

Attinghausen
Hat er gesprochen für sein Vaterland?

Stauffacher
Mit Heldenkühnheit.

Attinghausen
 Warum kommt er nicht,
Um meinen lezten Segen zu empfangen?
Ich fühle, daß es schleunig mit mir endet.

Stauffacher
Nicht also, edler Herr! Der kurze Schlaf
Hat euch erquickt, und hell ist euer Blick.

Attinghausen
Der Schmerz ist Leben, er verließ mich auch,
Das Leiden ist, so wie die Hofnung, aus.
(er bemerkt den Knaben)
Wer ist der Knabe?

[173]

Walther Fürst
 Segnet ihn o Herr!
Er ist mein Enkel und ist vaterlos.
(Hedwig sinkt mit dem Knaben vor dem Sterbenden nieder)

Attinghausen
Und vaterlos laß ich euch alle, alle
Zurück – Weh mir, daß meine letzten Blicke
Den Untergang des Vaterlands gesehn!
Mußt’ ich des Lebens höchstes Maaß erreichen,
Um ganz mit allen Hofnungen zu sterben!

Stauffacher (zu Walther Fürst)
Soll er in diesem finstern Kummer scheiden?
Erhellen wir ihm nicht die lezte Stunde
Mit schönem Strahl der Hofnung? – Edler Freiherr!
Erhebet euren Geist! Wir sind nicht ganz
Verlassen, sind nicht rettungslos verloren.

Attinghausen
Wer soll euch retten?

Walther Fürst
 Wir uns selbst. Vernehmt!
Es haben die drey Lande sich das Wort

[174]

Gegeben, die Tyrannen zu verjagen.
Geschlossen ist der Bund, ein heilger Schwur
Verbindet uns. Es wird gehandelt werden,
Eh noch das Jahr den neuen Kreis beginnt,
Euer Staub wird ruhn in einem freien Lande.

Attinghausen
O saget mir! Geschlossen ist der Bund?

Melchthal
Am gleichen Tage werden alle drey
Waldstätte sich erheben. Alles ist
Bereit, und das Geheimniß wohlbewahrt
Bis jezt, obgleich viel hunderte es theilen.
Hohl ist der Boden unter den Tyrannen,
Die Tage ihrer Herrschaft sind gezählt,
Und bald ist ihre Spur nicht mehr zu finden.

Attinghausen
Die festen Burgen aber in den Landen?

Melchthal
Sie fallen alle an dem gleichen Tag.

Attinghausen
Und sind die Edeln dieses Bunds theilhaftig?

[175]

Stauffacher
Wir harren ihres Beistands, wenn es gilt,
Jezt aber hat der Landmann nur geschworen.

Attinghausen
(richtet sich langsam in die Höhe, mit großem Erstaunen)
Hat sich der Landmann solcher That verwogen,
Aus eignem Mittel, ohne Hülf der Edeln,
Hat er der eignen Kraft soviel vertraut –
Ja, dann bedarf es unserer nicht mehr,
Getröstet können wir zu Grabe steigen,
Es lebt nach uns – durch andre Kräfte will
Das Herrliche der Menschheit sich erhalten.
(er legt seine Hand auf das Haupt des Kindes, das vor ihm auf den Knieen liegt)
Aus diesem Haupte, wo der Apfel lag,
Wird euch die neue beßre Freiheit grünen,
Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.

Stauffacher (zu Walther Fürst)
Seht, welcher Glanz sich um sein Aug ergießt!
Das ist nicht das Erlöschen der Natur,
Das ist der Stral schon eines neuen Lebens.

[176]

Attinghausen
Der Adel steigt von seinen alten Burgen,
Und schwört den Städten seinen Bürgereid;
Im Uechtland schon, im Thurgau hats begonnen,
Die edle Bern erhebt ihr herrschend Haupt,
Freiburg ist eine sichre Burg der Freien,
Die rege Zürich waffnet ihre Zünfte
Zum kriegerischen Heer – Es bricht die Macht
Der Könige sich an ihren ewgen Wällen –
(er spricht das folgende mit dem Ton eines Sehers – seine Rede steigt bis zur Begeisterung)
Die Fürsten seh ich und die edeln Herrn
In Harnischen heran gezogen kommen,
Ein harmlos Volk von Hirten zu bekriegen.
Auf Tod und Leben wird gekämpft und herrlich
Wird mancher Paß durch blutige Entscheidung.
Der Landmann stürzt sich mit der nakten Brust,
Ein freies Opfer, in die Schaar der Lanzen,
Er bricht sie, und des Adels Blüthe fällt,
Es hebt die Freiheit siegend ihre Fahne.
(Walther Fürsts und Stauffachers Hände fassend)

[177]

Drum haltet fest zusammen – fest und ewig –
Kein Ort der Freiheit sei dem andern fremd –
Hochwachten stellet aus auf euren Bergen,
Daß sich der Bund zum Bunde rasch versammle –
Seid einig – einig – einig –
(er fällt in das Küssen zurück – seine Hände halten entseelt noch die andern gefaßt. Fürst und Stauffacher betrachten ihn noch eine Zeitlang schweigend, dann treten sie hinweg, jeder seinem Schmerz überlassen. Unterdessen sind die Knechte still herein gedrungen, sie nähern sich mit Zeichen eines stillern oder heftigern Schmerzens, einige knieen bei ihm nieder und weinen auf seine Hand, während dieser stummen Scene wird die Burgglocke geläutet)

Rudenz zu den Vorigen

Rudenz (rasch eintretend)
Lebt er? O saget, kann er mich noch hören?

Walther Fürst
(deutet hin mit weggewandtem Gesicht)
Ihr seid jezt unser Lehensherr und Schirmer,
Und dieses Schloß hat einen andern Nahmen.

Rudenz
(erblickt den Leichnam und steht von heftigem Schmerz ergriffen)

[178]

O gütger Gott! – Kommt meine Reu zu spät?
Konnt’ er nicht wenge Pulse länger leben,
Um mein geändert Herz zu sehn?
Verachtet hab ich seine treue Stimme,
Da er noch wandelte im Licht – Er ist
Dahin, ist fort auf immerdar, und läßt mir
Die schwere unbezahlte Schuld! – O saget!
Schied er dahin im Unmuth gegen mich?

Stauffacher
Er hörte sterbend noch was ihr gethan,
Und segnete den Muth, mit dem ihr spracht!

Rudenz (kniet an dem Todten nieder)
Ja heilge Reste eines theuren Mannes!
Entseelter Leichnam! Hier gelob ich dirs
In deine kalte Todtenhand – Zerrissen
Hab ich auf ewig alle fremden Bande,
Zurückgegeben bin ich meinem Volk,
Ein Schweitzer bin ich und ich will es seyn
Von ganzer Seele – –
(aufstehend)
 Trauert um den Freund,

[179]

Den Vater aller, doch verzaget nicht!
Nicht bloß sein Erbe ist mir zugefallen,
Es steigt sein Herz, sein Geist auf mich herab,
Und leisten soll euch meine frische Jugend,
Was euch sein greises Alter schuldig blieb.
– Ehrwürdger Vater, gebt mir eure Hand!
Gebt mir die Eurige! Melchthal auch ihr!
Bedenkt euch nicht! O wendet euch nicht weg!
Empfanget meinen Schwur und mein Gelübde.

Walther Fürst
Gebt ihm die Hand. Sein wiederkehrend Herz
Verdient Vertraun.

Melchthal
 Ihr habt den Landmann nichts geachtet.
Sprecht, wessen soll man sich zu euch versehn?

Rudenz
O denket nicht des Irrthums meiner Jugend!

Stauffacher (zu Melchthal)
Seid einig! war das lezte Wort des Vaters,
Gedenket dessen!

[180]

Melchthal
 Hier ist meine Hand!
Des Bauern Handschlag, edler Herr, ist auch
Ein Manneswort! Was ist der Ritter ohne uns?
Und unser Stand ist älter als der eure.

Rudenz
Ich ehr’ ihn, und mein Schwert soll ihn beschützen.

Melchthal
Der Arm, Herr Freiherr, der die harte Erde
Sich unterwirft und ihren Schooß befruchtet,
Kann auch des Mannes Brust beschützen.

Rudenz
 Ihr
Sollt meine Brust, ich will die eure schützen,
So sind wir einer durch den andern stark.
– Doch wozu reden, da das Vaterland
Ein Raub noch ist der fremden Tyrannei?
Wenn erst der Boden rein ist von dem Feind,
Dann wollen wirs in Frieden schon vergleichen.
(nachdem er einen Augenblick inne gehalten)
Ihr schweigt? Ihr habt mir nichts zu sagen? Wie?

[181]

Verdien’ ichs noch nicht, daß ihr mir vertraut?
So muß ich wider euren Willen mich
In das Geheimniß eures Bundes drängen.
– Ihr habt getagt – geschworen auf dem Rütli –
Ich weiß – weiß alles, was ihr dort verhandelt,
Und was mir nicht von euch vertrauet ward,
Ich habs bewahrt gleich wie ein heilig Pfand.
Nie war ich meines Landes Feind, glaubt mir,
Und niemals hätt’ ich gegen euch gehandelt.
– Doch übel thatet ihr, es zu verschieben,
Die Stunde dringt und rascher That bedarfs –
Der Tell ward schon das Opfer eures Säumens –

Stauffacher
Das Christfest abzuwarten schwuren wir.

Rudenz
Ich war nicht dort, ich hab nicht mitgeschworen.
Wartet ihr ab, ich handle.

Melchthal
 Was? Ihr wolltet –

[182]

Rudenz
Des Landes Vätern zähl’ ich mich jezt bei,
Und meine erste Pflicht ist, euch zu schützen.

Walther Fürst
Der Erde diesen theuren Staub zu geben,
Ist eure nächste Pflicht und heiligste.

Rudenz
Wenn wir das Land befreit, dann legen wir
Den frischen Kranz des Siegs ihm auf die Bahre.
– O Freunde! Eure Sache nicht allein,
Ich habe meine eigne auszufechten
Mit dem Tyrannen – Hört und wißt! Verschwunden
Ist meine Bertha, heimlich weggeraubt,
Mit kecker Frevelthat aus unsrer Mitte!

Stauffacher
Solcher Gewaltthat hätte der Tyrann
Wider die freie Edle sich verwogen?

Rudenz
O meine Freunde! Euch versprach ich Hülfe,
Und ich zuerst muß sie von euch erflehn.
Geraubt, entrissen ist mir die Geliebte,

[183]

Wer weiß, wo sie der Wüthende verbirgt,
Welcher Gewalt sie frevelnd sich erkühnen,
Ihr Herz zu zwingen zum verhaßten Band!
Verlaßt mich nicht, o helft mir sie erretten –
Sie liebt euch, o sie hats verdient ums Land,
Daß alle Arme sich für sie bewaffnen –

Walther Fürst
Was wollt ihr unternehmen?

Rudenz
 Weiß ichs? Ach!
In dieser Nacht, die ihr Geschick umhüllt,
In dieses Zweifels ungeheurer Angst,
Wo ich nichts festes zu erfassen weiß,
Ist mir nur dieses in der Seele klar:
Unter den Trümmern der Tyrannenmacht
Allein kann sie hervor gegraben werden,
Die Vesten alle müssen wir bezwingen,
Ob wir vielleicht in ihren Kerker dringen.

Melchthal
Kommt, führt uns an. Wir folgen euch. Warum
Bis morgen sparen, was wir heut vermögen?

[184]

Frei war der Tell, als wir im Rütli schwuren,
Das Ungeheure war noch nicht geschehen.
Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz,
Wer ist so feig, der jezt noch könnte zagen!

Rudenz
(zu Stauffacher und Walther Fürst)
Indeß bewaffnet und zum Werk bereit
Erwartet ihr der Berge Feuerzeichen,
Denn schneller als ein Botensegel fliegt,
Soll euch die Botschaft unsers Siegs erreichen,
Und seht ihr leuchten die willkommnen Flammen,
Dann auf die Feinde stürzt, wie Wetters Strahl,
Und brecht den Bau der Tyranney zusammen.
(gehen ab)



Dritte Scene



Die hohle Gasse bei Küßnacht. Man steigt von hinten zwischen Felsen herunter und die Wanderer werden, ehe sie auf der Scene erscheinen, schon von der Höhe gesehen. Felsen umschliessen die ganze Scene, auf einem der vordersten ist ein Vorsprung mit Gesträuch bewachsen.

Tell (tritt auf mit der Armbrust)
Durch diese hohle Gasse muß er kommen,

[185]

Es führt kein andrer Weg nach Küßnacht – Hier
Vollend ichs – Die Gelegenheit ist günstig.
Dort der Hollunderstrauch verbirgt mich ihm,
Von dort herab kann ihn mein Pfeil erlangen,
Des Weges Enge wehret den Verfolgern.
Mach deine Rechnung mit dem Himmel Vogt,
Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen.

Ich lebte still und harmlos – Das Geschoß
War auf des Waldes Thiere nur gerichtet,
Meine Gedanken waren rein von Mord –
Du hast aus meinem Frieden mich heraus
Geschreckt, in gährend Drachengift hast du
Die Milch der frommen Denkart mir verwandelt,
Zum Ungeheuren hast du mich gewöhnt –
Wer sich des Kindes Haupt zum Ziele sezte,
Der kann auch treffen in das Herz des Feinds.

Die armen Kindlein, die unschuldigen,
Das treue Weib muß ich vor deiner Wuth
Beschützen, Landvogt – Da, als ich den Bogenstrang
Anzog – als mir die Hand erzitterte –

[186]

Als du mit grausam teufelischer Lust
Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen –
Als ich ohnmächtig flehend rang vor dir,
Damals gelobt’ ich mir in meinem Innern
Mit furchtbarm Eidschwur, den nur Gott gehört,
Daß meines nächsten Schusses erstes Ziel
Dein Herz seyn sollte – Was ich mir gelobt
In jenes Augenblickes Höllenqualen,
Ist eine heilge Schuld, ich will sie zahlen.

Du bist mein Herr und meines Kaisers Vogt,
Doch nicht der Kaiser hätte sich erlaubt,
Was du – Er sandte dich in diese Lande,
Um Recht zu sprechen – strenges, denn er zürnet –
Doch nicht um mit der mörderischen Lust
Dich jedes Greuels straflos zu erfrechen,
Es lebt ein Gott zu strafen und zu rächen.

Komm du hervor, du Bringer bittrer Schmerzen,
Mein theures Kleinod jezt, mein höchster Schatz –
Ein Ziel will ich dir geben, das bis jezt
Der frommen Bitte undurchdringlich war –

[187]

Doch dir soll es nicht widerstehn – Und du
Vertraute Bogensehne, die so oft
Mir treu gedient hat in der Freude Spielen,
Verlaß mich nicht im fürchterlichen Ernst.
Nur jezt noch halte fest du treuer Strang,
Der mir so oft den herben Pfeil beflügelt –
Entränn er jetzo kraftlos meinen Händen,
Ich habe keinen zweiten zu versenden.
(Wanderer gehen über die Scene)

Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen,
Dem Wanderer zur kurzen Ruh bereitet –
Denn hier ist keine Heimat – Jeder treibt
Sich an dem andern rasch und fremd vorüber,
Und fraget nicht nach seinem Schmerz – Hier geht
Der sorgenvolle Kaufmann und der leicht
Geschürzte Pilger – der andächtge Mönch,
Der düstre Räuber und der heitre Spielmann,
Der Säumer mit dem schwer beladnen Roß,
Der ferne her kommt von der Menschen Ländern,
Denn jede Straße führt ans End der Welt.

[188]

Sie alle ziehen ihres Weges fort
An ihr Geschäft – und Meines ist der Mord!
(sezt sich)

Sonst wenn der Vater auszog, liebe Kinder,
Da war ein Freuen, wenn er wieder kam,
Denn niemals kehrt’ er heim, er bracht’ euch etwas,
Wars eine schöne Alpenblume, wars
Ein seltner Vogel oder Ammonshorn,
Wie es der Wandrer findet auf den Bergen –
Jezt geht er einem andern Waidwerk nach,
Am wilden Weg sizt er mit Mordgedanken,
Des Feindes Leben ists, worauf er lauert.
– Und doch an euch nur denkt er, lieben Kinder,
Auch jezt – Euch zu vertheidgen, eure holde Unschuld
Zu schützen vor der Rache des Tyrannen
Will er zum Morde jezt den Bogen spannen!
(steht auf)

Ich laure auf ein edles Wild – Läßt sichs
Der Jäger nicht verdrießen, Tage lang
Umher zu streifen in des Winters Strenge,
Von Fels zu Fels den Wagesprung zu thun,

[189]

Hinan zu klimmen an den glatten Wänden,
Wo er sich anleimt mit dem eignen Blut,
– Um ein armselig Gratthier zu erjagen.
Hier gilt es einen köstlicheren Preiß,
Das Herz des Todfeinds, der mich will verderben.
(Man hört von ferne eine heitre Musik, welche sich nähert)

Mein ganzes Lebenlang hab ich den Bogen
Gehandhabt, mich geübt nach Schützenregel,
Ich habe oft geschossen in das Schwarze,
Und manchen schönen Preiß mir heimgebracht
Vom Freudenschießen – Aber heute will ich
Den Meisterschuß thun und das Beste mir
Im ganzen Umkreis des Gebirgs gewinnen.
(Eine Hochzeit zieht über die Scene und durch den Hohlweg hinauf. Tell betrachtet sie, auf seinen Bogen gelehnt, Stüssi der Flurschütz gesellt sich zu ihm.)

Stüssi
Das ist der Klostermey’r von Mörlischachen,
Der hier den Brautlauf hält – Ein reicher Mann,
Er hat wohl zehen Senten auf den Alpen.
Die Braut hohlt er jezt ab zu Imisee,

[190]

Und diese Nacht wird hoch geschwelgt zu Küßnacht.
Kommt mit! ’s ist jeder Biedermann geladen.

Tell
Ein ernster Gast stimmt nicht zum Hochzeithaus.

Stüssi
Drückt euch ein Kummer, werft ihn frisch vom Herze
Nehmt mit was kommt, die Zeiten sind jezt schwer.
Drum muß der Mensch die Freude leicht ergreifen.
Hier wird gefreit und anderswo begraben.

Tell
Und oft kommt gar das eine zu dem andern.

Stüssi
So geht die Welt nun. Es giebt allerwegen
Unglücks genug – Ein Ruffi ist gegangen
Im Glarner Land und eine ganze Seite
Vom Glärnisch eingesunken.

Tell
 Wanken auch
Die Berge selbst? Es steht nichts fest auf Erden.

Stüssi
Auch anderswo vernimmt man Wunderdinge.

[191]

Da sprach ich einen, der von Baden kam.
Ein Ritter wollte zu dem König reiten,
Und unterwegs begegnet ihm ein Schwarm
Von Hornissen, die fallen auf sein Roß,
Daß es für Marter todt zu Boden sinkt,
Und er zu Fuße ankommt bei dem König.

Tell
Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben.
(Armgart kommt mit mehreren Kindern und stellt sich an den Eingang des Hohlwegs.)

Stüssi
Man deutets auf ein grosses Landesunglück,
Auf schwere Thaten wider die Natur.

Tell
Dergleichen Thaten bringet jeder Tag,
Kein Wunderzeichen braucht sie zu verkünden.

Stüssi
Ja, wohl dem, der sein Feld bestellt in Ruh,
Und ungekränkt daheim sizt bei den Seinen.

[192]

Tell
Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben,
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.
(Tell sieht oft mit unruhiger Erwartung nach der Höhe des Weges)

Stüssi
Gehabt euch wohl – Ihr wartet hier auf Jemand?

Tell
Das thu ich.

Stüssi
 Frohe Heimkehr zu den euren!
– Ihr seid aus Uri? Unser gnädger Herr
Der Landvogt wird noch heut von dort erwartet.

Wanderer (kommt)
Den Vogt erwartet heut nicht mehr. Die Wasser
Sind ausgetreten von dem großen Regen,
Und alle Brücken hat der Strom zerrissen.

Tell (steht auf)

Armgart (kommt vorwärts)
Der Landvogt kommt nicht!

[193]

Stüssi
 Sucht ihr was an ihn?

Armgart
Ach freilich!

Stüssi
 Warum stellet ihr euch denn
In dieser hohlen Gaß’ ihm in den Weg?

Armgart
Hier weicht er mir nicht aus, er muß mich hören.

Frießhardt
(kommt eilfertig den Hohlweg herab, und ruft in die Scene.)
Man fahre aus dem Weg – Mein gnädger Herr
Der Landvogt kommt dicht hinter mir geritten.

(Tell geht ab)

Armgart (lebhaft)
Der Landvogt kommt!
(Sie geht mit ihren Kindern nach der vordern Scene. Geßler und Rudolph der Harras zeigen sich zu Pferd auf der Höhe des Wegs)

Stüssi (zum Frießhardt)
 Wie kamt ihr durch das Wasser,
Da doch der Strom die Brücken fortgeführt?

[194]

Frießhardt
Wir haben mit dem See gefochten, Freund,
Und fürchten uns vor keinem Alpenwasser.

Stüssi
Ihr wart zu Schiff in dem gewaltgen Sturm?

Frießhardt
Das waren wir. Mein Lebtag denk ich dran –

Stüssi
O bleibt, erzählt!

Frießhardt
 Laßt mich, ich muß voraus,
Den Landvogt muß ich in der Burg verkünden. (ab)

Stüssi
Wär’n gute Leute auf dem Schiff gewesen,
In Grund gesunken wärs mit Mann und Maus,
Dem Volk kann weder Wasser bei noch Feuer.
(er sieht sich um)
Wo kam der Waidmann hin, mit dem ich sprach?
(geht ab)

[195]

Geßler und Rudolph der Harras zu Pferd

Geßler
Sagt was ihr wollt, ich bin des Kaisers Diener
Und muß drauf denken, wie ich ihm gefalle.
Er hat mich nicht ins Land geschickt, dem Volk
Zu schmeicheln und ihm sanft zu thun – Gehorsam
Erwartet er, der Streit ist, ob der Bauer
Soll Herr seyn in dem Lande oder der Kaiser.

Armgart
Jezt ist der Augenblick! Jezt bring ichs an!
(nähert sich furchtsam)

Geßler
Ich hab’ den Hut nicht aufgesteckt zu Altorf
Des Scherzes wegen, oder um die Herzen
Des Volks zu prüfen, diese kenn ich längst.
Ich hab ihn aufgesteckt, daß sie den Nacken
Mir lernen beugen, den sie aufrecht tragen –
Das Unbequeme hab ich hingepflanzt
Auf ihren Weg, wo sie vorbeigehn müssen,
Daß sie drauf stoßen mit dem Aug, und sich
Erinnern ihres Herrn, den sie vergessen.

[196]

Rudolph
Das Volk hat aber doch gewisse Rechte –

Geßler
Die abzuwägen, ist jezt keine Zeit!
– Weitschichtge Dinge sind im Werk und Werden,
Das Kaiserhaus will wachsen, was der Vater
Glorreich begonnen, will der Sohn vollenden.
Dieß kleine Volk ist uns ein Stein im Weg –
So oder so – Es muß sich unterwerfen.
(sie wollen vorüber. Die Frau wirft sich vor dem Landvogt nieder)

Armgart
Barmherzigkeit Herr Landvogt! Gnade! Gnade!

Geßler
Was dringt ihr euch auf offner Straße mir
In Weg – Zurück!

Armgart
 Mein Mann liegt im Gefängniß,
Die armen Waisen schreyn nach Brod – Habt Mitleid
Gestrenger Herr, mit unserm großen Elend.

[197]

Rudolph
Wer seid ihr? Wer ist euer Mann?

Armgart
 Ein armer
Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,
Der überm Abgrund weg das freie Gras
Abmähet von den schroffen Felsenwänden,
Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen –

Rudolph (zum Landvogt)
Bei Gott, ein elend und erbärmlich Leben!
Ich bitt euch, gebt ihn los den armen Mann,
Was er auch schweres mag verschuldet haben,
Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk.
(zu der Frau)
Euch soll Recht werden – Drinnen auf der Burg
Nennt eure Bitte – Hier ist nicht der Ort.

Armgart
Nein, nein, ich weiche nicht von diesem Platz,
Bis mir der Vogt den Mann zurückgegeben!
Schon in den sechsten Mond liegt er im Thurm,
Und harret auf den Richterspruch vergebens.

[198]

Geßler
Weib, wollt ihr mir Gewalt anthun, hinweg.

Armgart
Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter
Im Lande an des Kaisers Statt und Gottes.
Thu deine Pflicht! So du Gerechtigkeit
Vom Himmel hoffest, so erzeig sie uns.

Geßler
Fort, schafft das freche Volk mir aus den Augen.

Armgart
(greift in die Zügel des Pferdes)
Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren.
– Du kommst nicht von der Stelle Vogt, bis du
Mir Recht gesprochen – Falte deine Stirne,
Rolle die Augen wie du willst – Wir sind
So grenzenlos unglücklich, daß wir nichts
Nach deinem Zorn mehr fragen –

Geßler
 Weib, mach Platz,
Oder mein Roß geht über dich hinweg.

[199]

Armgart
Laß es über mich dahin gehn – da –
(sie reißt ihre Kinder zu Boden und wirft sich mit ihnen ihm in den Weg)
 Hier lieg ich
Mit meinen Kindern – Laß die armen Waisen
Von deines Pferdes Huf zertreten werden,
Es ist das Aergste nicht, was du gethan –

Rudolph
Weib, seid ihr rasend?

Armgart (heftiger fortfahrend)
 Tratest du doch längst
Das Land des Kaisers unter deine Füße!
– O ich bin nur ein Weib! Wär ich ein Mann,
Ich wüßte wohl was besseres, als hier
Im Staub zu liegen –
(Man hört die vorige Musik wieder auf der Höhe des Wegs, aber gedämpft)

Geßler
 Wo sind meine Knechte?
Man reisse sie von hinnen oder ich
Vergesse mich und thue was mich reuet.

[200]

Rudolph
Die Knechte können nicht hindurch, o Herr,
Der Hohlweg ist gesperrt durch eine Hochzeit.

Geßler
Ein allzumilder Herrscher bin ich noch
Gegen dieß Volk – die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz wie es soll gebändigt –
Doch es soll anders werden, ich gelob es,
Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
Verkündigen – Ich will –
(ein Pfeil durchbohrt ihn, er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken. Mit matter Stimme)
 Gott sei mir gnädig!

Rudolph
Herr Landvogt – Gott was ist das? Woher kam das?

Armgart (auffahrend)
Mord! Mord! Er taumelt, sinkt! Er ist getroffen!

Rudolph (springt vom Pferde)
Welch gräßliches Ereigniß – Gott – Herr Ritter –

[201]

Ruft die Erbarmung Gottes an – Ihr seid
Ein Mann des Todes! –

Geßler
 Das ist Tells Geschoß.
(ist vom Pferd herab dem Rudolph Harras in die Arme gegleitet und wird auf der Bank niedergelassen.)

Tell (erscheint oben auf der Höhe des Felsen)
Du kennst den Schützen, suche keinen andern!
Frei sind die Hütten, sicher ist die Unschuld
Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden.
(verschwindet von der Höhe. Volk stürzt herein)

Stüssi (voran)
Was giebt es hier? Was hat sich zugetragen?

Armgart
Der Landvogt ist von einem Pfeil durchschossen.

Volk (im Hereinstürzen)
Wer ist erschossen?
(indem die vordersten von dem Brautzug auf die Scene kommen, sind die hintersten noch auf der Höhe, und die Musik geht fort)

[202]

Rudolph der Harras
 Er verblutet sich.
Fort, schaffet Hilfe! Sezt dem Mörder nach!
– Verlorner Mann, so muß es mit dir enden,
Doch meine Warnung wolltest du nicht hören!

Stüssi
Bei Gott! da liegt er bleich und ohne Leben!

Viele Stimmen
Wer hat die That gethan?

Rudolph der Harras
 Raßt dieses Volk,
Daß es dem Mord Musik macht? Laßt sie schweigen.
(Musik bricht plötzlich ab, es kommt noch mehr Volk nach.)
Herr Landvogt, redet, wenn ihr könnt – Habt ihr
Mir nichts mehr zu vertraun?
(Geßler giebt Zeichen mit der Hand, die er mit Heftigkeit wiederholt, da sie nicht gleich verstanden werden)
 Wo soll ich hin?
– Nach Küßnacht? – Ich versteh euch nicht – O werdet
Nicht ungeduldig – Laßt das Irdische,
Denkt jezt, euch mit dem Himmel zu versöhnen.
(die ganze Hochzeitgesellschaft umsteht den Sterbenden mit einem fühllosen Grausen)

[203]

Stüssi
Sieh wie er bleich wird – Jezt, jezt tritt der Tod
Ihm an das Herz – die Augen sind gebrochen.

Armgart
(hebt ein Kind empor)
Seht Kinder, wie ein Wütherich verscheidet!

Rudolph der Harras
Wahnsinnge Weiber, habt ihr kein Gefühl,
Daß ihr den Blick an diesem Schreckniß weidet?
– Helft – Leget Hand an – Steht mir niemand bei,
Den Schmerzenspfeil ihm aus der Brust zu ziehn?

Weiber (treten zurück)
Wir ihn berühren, welchen Gott geschlagen!

Rudolph der Harras
Fluch treff euch und Verdammniß! (zieht das Schwert)

Stüssi (fällt ihm in den Arm)
 Wagt es Herr!
Eu’r Walten hat ein Ende. Der Tyrann
Des Landes ist gefallen. Wir erdulden
Keine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen.

[204]

Alle (tumultuarisch)
Das Land ist frei.

Rudolph der Harras
 Ist es dahin gekommen?
Endet die Furcht so schnell und der Gehorsam?
(zu den Waffenknechten, die hereindringen)
Ihr seht die grausenvolle That des Mords
Die hier geschehen – Hülfe ist umsonst –
Vergeblich ists, dem Mörder nachzusetzen.
Uns drängen andre Sorgen – Auf, nach Küßnacht,
Daß wir dem Kaiser seine Veste retten!
Denn aufgelößt in diesem Augenblick
Sind aller Ordnung, aller Pflichten Bande,
Und keines Mannes Treu ist zu vertrauen.
(indem er mit den Waffenknechten abgeht, erscheinen sechs barmherzige Brüder)

Armgart
Platz! Platz! da kommen die barmherzgen Brüder.

Stüssi
Das Opfer liegt – Die Raben steigen nieder.

[205]

Barmherzige Brüder.
(schließen einen Halbkreis um den Todten und singen in tiefem Ton)
Rasch tritt der Tod den Menschen an,
     Es ist ihm keine Frist gegeben,
Es stürzt ihn mitten in der Bahn,
     Es reißt ihn fort vom vollen Leben,
Bereitet oder nicht, zu gehen,
Er muß vor seinen Richter stehen!
(indem die lezten Zeilen wiederhohlt werden fällt der Vorhang)


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