Winterstürme im amerikanischen Nordwesten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Cronau
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Winterstürme im amerikanischen Nordwesten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[77]
Winterstürme im amerikanischen Nordwesten.
Mit Originalzeichnungen von R. Cronau.

Der Schneepflug beim Angriff.

Die letzten blutrothen Blätter des Sumachstrauches sind gesunken; wochenlang schon sind die Tage klar und heiter gewesen; die Luft ist rein und trocken, der Himmel wolkenlos. Eine eigenthümliche, melancholisch stimmende Ruhe liegt über den unermeßlichen Prairien, und Nichts verkündet, daß der „Indianersommer“, die schönste Jahreszeit in Nordamerika, zu Ende geht und der schlimme Gast vor der Thür steht, vor welchem selbst der wetterfesteste Dakotamann den allergrößten Respekt hat. Noch folgen sich einige dieser stimmungsvollen Tage; da, als abermals eine leichte Röthe im Osten das Aufsteigen der Sonne verkündet, umzieht sich der Horizont allgemach mit grauen schweren Dünsten, die langsam, langsam immer näher schleichen. Gegen Mittag senkt sich über die Hügel ein feiner weißer Nebel, die Umrisse derselben leicht verhüllend, wie etwa ein Traum die Gedanken umschleiert. Langsam und unmerklich kriecht der Nebel die Flußthäler entlang; Alles rings umher ist still, regungslos – die Natur bereitet sich zum Sterben vor. Leise, leise weht eine feine Flocke hernieder. Der erfahrene Trapper und die Indianer verstehen vollkommen diese Zeichen. Sobald wie möglich suchen sie die ebene Prairie zu verlassen und irgend eine geschützte Niederung, eine Schlucht oder das ausgetrocknete Bette eines Stromes zu erreichen, um unter diesem Schutze den „Blizzard“, den mörderischen Schneesturm, vorübergehen zu lassen.

Nicht lange mehr läßt dieser auf sich warten. Der Flöckchen und Flocken werden mehr und mehr; ihre Flugrichtung wird eine immer schrägere, je mehr sich der Wind zum Sturme steigert. Hat derselbe seine Höhe erreicht, so werden die feinen Flocken mit einer solchen Kraft getrieben, daß ihre Wirkung auf das Gesicht tausend Nadelstichen gleicht. Die Augen offen zu halten, ist schier ein Ding der Unmöglichkeit, und durch das beständige Bombardement werden die Sinne so in Verwirrung gebracht, daß Jedes Ortsgefühl verschwindet. Beispiele sind vorhanden, daß Farmer, die während eines solchen Unwetters von ihren Wohnhäusern nur bis zu den Ställen zu gehen versuchten, ihren Weg verloren, in die Prairie geriethen und wenige Schritte von ihrem Herd entfernt den Erfrierungstod starben.

Abgraben der Schneemassen.

Wegfahren der Schneeblöcke.

Die Gefahr beruht weniger in der mit dem „Blizzard“ verbundenen Kälte, als in der ungemeinen Schärfe des Windes, welcher gleich einem [78] Messer schneidet und jedes Atom von Lebenswärme aus den Gliedern treibt. Ein dicker Winterüberzieher schützt nicht mehr als ein Fetzen Musselin gegen das Wüthen des Schneesturmes, der, von den eisigen Gebieten Alaskas und der nördlichen britischen Besitzungen kommend, in der Regel drei Tage lang aus dem Norden bläst, dann plötzlich umschlägt und wieder drei Tage lang mit ungeschwächten Kräften sein Wüthen von Süden her fortsetzt. Glücklicher Weise treten für gewöhnlich diese äußerst schweren „Blizzards“ nur etwa 5 bis 6 Mal während eines Winters auf, ja im Jahre 1882 wurde Nord-Dakota nur von einem in den Monat März fallenden Schneesturm betroffen. Dagegen hat sich der Winter 1880 bis 1881 mit seinen gegen 60 schweren Stürmen für immer denkwürdig in die Chroniken des amerikanischen Nordwestens eingeschrieben. Der erste Schnee fiel früh im Oktober, und von dieser Zeit bis zum April führte der Winter ein unerhört strenges Regiment. Ueberall lag der Schnee 6 bis 20 Fuß hoch; einige Schneewehen erreichten sogar eine Stärke von über 50 Fuß. Weit und breit war Alles unter diesen enormen Massen begraben; die Menschen litten schrecklich, und die Thiere starben zu Tausenden. Jede Verbindung war abgeschnitten. Die Passagiere der Eisenbahnzüge waren nicht selten inmitten der ödesten Prairien zu tagelanger Haft verurtheilt; in mehreren Fällen waren sie, als endlich Befreiung kam, dem Hungertode nahe.

Ein Mann in Dakota, welcher zwei Nachbarfamilien, die über nicht so feste und sichere Behausungen zu verfügen hatten, bei sich aufgenommen, sah sich gezwungen, die Bretterhäuser dieser Familien, ja seine eigenen Möbel, Betten, Kisten, Koffer und Kasten als Feuerungsmaterial zu benutzen. An einer anderen Stelle verließ die Bewohnerschaft eines ganzen Dorfes aus ökonomischen Rücksichten ihre Häuser und versammelte sich in einem großen Raume, wo ein mit dem Holze der Schuppen beständig genährtes Feuer unterhalten wurde.

Aehnliche Zustände fanden statt während des durch eine ganz abnorme Kälte sich auszeichnenden Winters 1885 auf 1886.

Beide Winter machten namentlich den Eisenbahnen viel zu schaffen, und die Arbeiten, die unternommen werden mußten, um die Geleise frei zu halten, waren geradezu erstaunlich. Die „Northwestern-Company“ zahlte 1881 allein über 11/4 Millionen Mark für Freilegung der Schienenwege. Diese Gesellschaft hatte beständig 34 mächtige Schneepflüge in Thätigkeit, ohne indeß der furchtbaren Schneemassen Herr werden zu können. Wie ungeheuer diese Massen waren, dürfte aus der Thatsache zu ersehen sein, daß ein 48000 Pfund schwerer Schneepflug, der noch dazu mit 80000 Pfund Eisen belastet und von sechs hinter einander gespannten Lokomotiven getrieben wurde, vollständig machtlos war, eine ihm entgegenstehende Schneewand zu durchbrechen. Als nach der furchtbaren Attake die Werkleute den immensen Pflug besichtigten, fanden sie, daß derselbe trotz seines 128000 Pfund schweren Gewichtes wie eine Feder zurückgeschlagen und gegen einige Bäume geschleudert worden war, woselbst die ganze Maschinerie bis zum Schmelzen der Schneemassen im Frühling liegen bleiben mußte. Die Schneewehe hatte eine Mächtigkeit von 52 Fuß.

Einige Bahngesellschaften suchten ihre Linien frei zu halten, indem sie Tausende von Arbeitern anstellten, die den Schnee in große Blöcke von der Breite des ganzen Bahnbettes und 12 Fuß Länge zu zerschneiden hatten. Diese Blöcke wurden dann, durch Stricke und Planken zusammengehalten, mittelst einer vorgespannten Lokomotive an freiere Plätze geschafft, wo sie mit leichter Mühe aufgebrochen und beseitigt werden konnten.

Nicht immer aber war der Erfolg ein den ungeheuren Arbeiten entsprechender. So hatte man an einer Stelle nach fürchterlicher Mühe 324000 Kubikyards Schnee hinweggeschafft, aber ein plötzlich sich aufmachender Wind füllte innerhalb acht Stunden die ganzen Oeffnungen wieder zu.

So dauerte der Kampf gegen die Elemente fort bis zum Frühjahr, welches mit seiner ungewöhnlichen Sonnengluth die ungeheueren Schneemassen überraschend schnell zum Schmelzen brachte. In Folge dessen schwollen alle Flüsse und Ströme zu enormer Höhe an und verursachten jene furchtbaren Ueberschwemmungen des Missouri, Ohio und Mississippi, welche, wie wir im Jahrgange 1884 der „Gartenlaube“ bereits geschildert haben, viele tausend Menschen um ihre Heimstätten brachten.