Zueignungsbrief an Ferdinand Freiligrath

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Textdaten
Autor: Adolf Strodtmann
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Titel: Zueignungsbrief an Ferdinand Freiligrath
Untertitel:
aus: Lieder- und Balladenbuch amerikanischer und englischer Dichter der Gegenwart, Seite XI-XV
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Hoffmann & Campe
Drucker: Jacob & Holzhausen
Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
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Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Ferdinand Freiligrath
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[XI]
Zueignungsbrief
an
Ferdinand Freiligrath.

Ihnen, lieber Freiligrath! widme ich diesen Blüthenstrauß englischer und amerikanischer Lieder. Mögen die fremden Blumen, die ich in den Garten deutscher Dichtung zu verpflanzen gesucht, in meiner Hand nicht allzu Viel von dem Duft und Glanz ihrer Heimat eingebüßt haben! Mögen sie nicht gar zu farblosen Blätterleichen eines Herbariums eingeschrumpft und verdorrt sein! ...

Nicht ohne Zagen überreiche ich Ihnen, dem Meister deutscher Übersetzungskunst, dies bescheidene Buch. Habe ich den Ansprüchen genügt, welche die Kritik, nach einem so leuchtenden Vorbilde wie Ihren Umdichtungen englischer Lieder, an den Translator der Gegenwart stellen darf? Nicht die philologische Treue [XII] im alten Sinne macht heut zu Tage den Werth der Übersetzung aus; nein, die Jetztzeit fordert mit Recht, dass das übertragene Werk, ohne auf eine wesentliche Schönheit und Eigenthümlichkeit des Gedankens wie der Form zu verzichten, sich zugleich innerhalb der auferlegten Fessel mit aller Freiheit und Anmuth der Muttersprache bewege, – dass das nachgeformte Gedicht, so zu sagen, in einem Athem eine fremdländische und eine deutsche Originalschöpfung sei. Hier ist noch mancher Lorber zu erringen; aber die Hand, die nach dem Kranze greift, hüte sich wohl vor den Dornen am Wege! Wie kein Volk der Erde, außer dem unsrigen, sich ganz in den Geist und das Wesen fremder Nationen zu versenken und einzuleben vermag, so hat auch unsre Sprache vor allen übrigen die Fähigkeit, sich im ausländischen Gewande heimisch zu fühlen, ja dasselbe fast mit so viel Würde und Zierlichkeit, wie das bequeme Hauskleid, zu tragen. Aber von ihr auch gilt der Spruch: Wem Viel gegeben ist, von Dem wird Viel gefordert, – und giebt es nicht allezeit der linkischen Gesellen genug, die in der fremden Tracht so ungraciös einherschreiten, als müssten sie, in spanische Stiefel eingeschnürt, einen Eiertanz exekutieren, statt mit freudigem Sinn und aus freier Liebe eine künstlerische That zu vollbringen! – Es sei fern von mir, zu wähnen, dass ich alle oder selbst nur die gefährlichsten Klippen umschifft hätte, an denen mehr als ein Uebersetzer ausländischer [XIII] Dichtungen gescheitert. Nachgerungen, ernst und würdig nachgerungen hab’ ich dem großen Ziel: – Sie, lieber Freiligrath, mögen entscheiden, wie nahe ich ihm hie und da gekommen, oder, ach! wie fern ich ihm öfter geblieben bin.

Die vorliegende Sammlung ist ein Werk mancher Jahre. Einige Übertragungen (– welche, dürften Sie auch ohne den beigefügten Stern leicht errathen –) stammen aus früherer Zeit und haben nur Aufnahme gefunden, weil der innere Werth und Gehalt die äußeren Mängel meiner Arbeit dem Leser einigermaßen zu verdecken schien. Freilich wird die Ungleichheit der Behandlung hier einem geübten Ohr nicht entgehen; so habe ich beispielsweise das Wort „Musik“ in den älteren Nachbildungen als Jambus, in den neueren stets als Trochäus gebraucht. – Leicht werden Sie erkennen, dass mich bei Auswahl der Gedichte kein andres Princip, als das der Schönheit, geleitet. Nicht im mindesten habe ich daran gedacht, eine vollständige Sammlung Dessen liefern zu wollen, was die moderne poetische Literatur des angelsächsischen Stammes an werthvollen oder interessanten Erzeugnissen darbieten mag. Ich übertrug, was mir bei zufälliger Lektüre als bedeutend und charakteristisch erschien, – oft auch, was mich durch besondere Originalität der Form reizte, meine Kraft an dem spröden Stoff unsrer Sprache zu erproben. Mit Vorliebe habe ich sangbare kleine [XIV] Lieder und kürzere Balladen ausgewählt, an denen die englische Literatur nicht eben reich ist. Nur ein einziges Mal, bei dem Gedichte von Thackeray, erlaubte ich mir, die Form (und zum Theil auch den Inhalt) wesentlich zu ändern, um durch Vertauschung des im deutschen Gewande allzu schleppenden Versmaßes die launige Wirkung der Fabel zu retten. Bei der metrischen Treue, deren ich mich überall befleißigt, wird der Einfluss deutscher Vorbilder, namentlich Heine’scher Lieder, auf manche der jüngern amerikanischen Dichter – ich nenne nur Stoddard – deutlich erkennbar geblieben sein.

Außer den meisten Poesien von Tennyson (das Idyll, wie ich zu spät erfuhr, haben Sie selbst übersetzt!), sind von sämmtlichen Beiträgen des vorliegenden Bandes, soweit mir bekannt, bisher nur die vier Gedichte von Byron und Shelley anderweitig verdeutscht worden. Dem „Raben“ habe ich den Originaltext beigefügt, weil ich nur zu wohl empfinde, wie wenig auch die sorgfältigste Übertragung alle charakteristischen Vorzüge dieses berühmten Meisterwerks amerikanischer Dichtung nachzuahmen vermag. Wie matt und stumpf erscheint nicht schon der deutsche Refrain im Vergleich zu dem tief- und und volltönenden „Nevermore“, und wie manches kräftige Beiwort, wie manche bezeichnende Alliteration habe ich aufopfern müssen, um eine Nachbildung des Gedichts überhaupt [XV] zu ermöglichen! Tycho Mommsen, der feine Kenner der deutschen Uebersetzungskunst, hat gewiss völlig Recht, wenn er bei der lautlich gedrängten und knappen Form der englischen Sprache eine wortgetreue Verdeutschung in den meisten Fällen für unausführbar hält, und daher ein Aufgeben der minder wichtigen Ausdrücke für statthaft und nothwendig erklärt.

Brauche ich noch zu sagen, wesshalb ich vor Allen gerade Ihnen, lieber Freiligrath, diese Sammlung als ein Zeichen der Hochachtung und Freundschaft darbringe? Unsre Zeitgenossen haben Andres zu thun, als sich viel um die stillen Bestrebungen auf dem Felde der Kunst zu bekümmern. Sie verfolgen – wohl ihnen! – politische und sociale Zwecke, die, wir hoffen es, zum Heil und Segen des Vaterlandes gereichen, und wir wollen sie darob gewiss nicht schelten! Ich zähle also für dies Buch auf keine sehr ermuthigende Aufnahme; – unter den Wenigen aber, die ich mir als Leser gewünscht, ragt vor allen Ihr Name hervor. Ist meine Arbeit Ihrer Zustimmung werth, so darf ich wohl hoffen, dass sie auch von manchem andern Kunstrichter der Heimat mit freundlicher Theilnahme begrüßt wird.

Ihr herzlich ergebener
A. Strodtmann. 

     Hamburg, den 1. März 1862.