Zum Gedächtnis Adolf Bacmeisters

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Textdaten
Autor: August Holder
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Titel: Zum Gedächtnis Adolf Bacmeisters
Untertitel: Auf den 20. Jahrestag seines Hischeidens (25. Februar)
aus: Alemannia, Band XXI, S. 97–103
Herausgeber: Fridrich Pfaff
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: P. Hanstein
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Erscheinungsort: Bonn
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf Adolf Bacmeister
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ZUM GEDÄCHTNIS ADOLF BACMEISTERS[1]
AUF DEN 20. JAHRESTAG SEINES HINSCHEIDENS
(25. Februar).

Als Dr. A. Bacmeister am 25. Februar 1873 starb, ward sein Hingang nicht bloß in den üblichen Nekrologen lebhaft bedauert, sondern man sprach damals auch in weiteren Kreisen von ihm als dem „leider zu früh aus dem Leben Geschiedenen.“ Heute noch steht seine Erscheinung lebhaft vor unserem Bewusstsein – jene Gestalt voll Geist und Leben, jene bedeutsame Kraft, der es vergönnt war, einerseits die Kulturgeschichte [98] seiner Heimat durch die Mittel der vergleichenden Sprachwissenschaft in belangreicher Weise zu fördern, anderseits aber auch die Ergebnisse seiner Forschung zu gemeinverständlicher Darstellung zu bringen. Und für alle Zeiten wird sein Name in der Geschichte der deutschesten aller Wissenschaften, der germanischen Synonymik, einen guten Klang behalten. Er war, wie kaum einer vor ihm, Gelehrter, Dichter und Pädagoge in einer Person – Beherrscher und Vermittler seiner „Leibwissenschaft“ zugleich, die wir heute in besonderem Sinne als eine glückliche Geburt des Jahres 1848 bezeichnen können.

Adolf Bacmeister ist geboren zu Esslingen a. N. am 9. Juli 1827. Es schien das Glück seines Lebens bedeuten zu sollen, als der Sprössling der kinderreichen Familie des dortigen Spitalverwalters (siebentes von 11 Kindern) 1841 das evangelische Landexamen glücklich erstanden hatte und im Herbst dieses Jahres in das philologisch-theologische Seminar der ehemaligen Benediktinerabtei Blaubeuren eintrat. Der Lehrplan dieser Anstalt gab ihm freilich nicht die erwünschte Gelegenheit, auf den Gebieten, wo später seine Stärke ruhte, sich besonders hervorzutun – wenn wir nicht etwa seinen Achtungserfolg als angehender Dichter und glücklicher Deklamator in Rechnung ziehen wollen. Auch auf der Tübinger Hochschule, wo er im s. g. Stift sein vermeintliches Brotstudium nur unter dem Zwang der Verhältnisse fortsetzte, fühlte er sich nicht so recht in seinem Elemente, ja er empfand mit der Zeit immer mehr die Unvereinbarkeit des geistlichen Berufs mit seiner ausgesprochenen Eigenart, so dass er nach der Verpflanzung der französischen Februarrevolution auf deutschen Boden sich rasch entschloss, in der politischen Welt sein Glück zu versuchen. Unter dem Schutz der Nacht entwich er Mitte März 1848, kam bald nach Straßburg, schloss sich unter Bornstett den badischen Freischaren an, ward in dem Gefecht bei Dossenbach am 27. April gefangen genommen und zunächst in das Bruchsaler Zellengefängnis eingeliefert, um dann vom 17. Juli bis 15. August auf der heimatlichen Zwingburg Hohenasperg über „Deutschlands Hoffnung“ und seine eigene Zukunft nachdenken zu können.

Zur Pflege der Dichtkunst war Bacmeister hier nicht aufgelegt. Was er in das Album der Festung schrieb:

[99]

Sonst flossen doch mir immer die Sonette,
Unmutig warf ich meine Feder nieder;
Erst brecht mir auseinander diese Kette,
Dann wallt entfesselt auch der Strom der Lieder –

war eine süße Täuschung. Nur gelegentlich kam er später auf diese Jugendliebhaberei zurück. Dagegen fand er schon in den ersten Tagen seiner unfreiwilligen Muße sein Glück in fleißiger Arbeit auf einem wissenschaftlichen Gebiete, wo sein Geist die erwünschte Freiheit zu finden hoffen konnte – im Studium der Philologie. In die Heimat entlassen, befreundete er sich mit Einwilligung der Seinen sofort mit dem Gedanken, demselben sein Leben zu weihen. Schon damals tat er, wie er seinem Busenfreunde Rudolf Schmid (gegenwärtig Oberhofprediger in Stuttgart) brieflich mitteilte, recht bedeutsame Blicke in die Geheimnisse der vergleichenden Sprachwissenschaft: „es ist nur eine Idee bis jetzt, sie steht vor mir wie der bleichste Nebelfleck des Himmels, der aber Welten aus Welten in seinem Zauberdunste birgt; oft in einem einzigen Worte öffnet sich der dunkle Abgrund des schattenden göttlichen Sprachgeistes und lässt in grenzenlose Tiefen hinabsehen.“

Von der philologischen Staatsprüfung, deren Erfolg ihm mit der Zeit ein sicheres Unterkommen verschafft hätte, im Herbst 1849 zurückgewiesen, fand er bald, dass vorerst in der Heimat seines Bleibens nicht sei. So suchte und fand er als Hofmeister zu Deidesheim und in Crefeld sein tägliches Brot. Als er nach Jahren in das ausgestorbene Elternhaus zurückkehrte, erhielt er endlich 1853 die Erlaubnis zur Erstehung des s. g. Präzeptoratsexamens. Mit genauer Not erhielt der gebrandmarkte Achtundvierziger 1854 die dürftige Stelle eines Kollaborators (Elementarlehrers) an der Lateinschule des Städtchens Weinsberg, und auch diese zuerst nur als Verweser. Doch unverdrossen ging er an die Schularbeit, indem er vom ersten Augenblick an bemüht war, der ihm anvertrauten Schulklasse aus dem reichen Schatze seines Wissens und Könnens jederzeit das beste zu bieten. Schon hier begann er, das Nibelungenlied und die Gudrun für die Jugend zu bearbeiten, und bereits 1856 erschien sein „Liederbuch für die Jugend bis zum 14. Jahr“ (7. Aufl. 1892 bei Becker-Merker, [100] Heilbronn), in welchem er es mit entschiedenem Glück zum erstenmale unternahm, wirkliche Perlen der deutschen Dichtung, die nach seiner Ueberzeugung zugleich für den guten Vortrag sich besonders eignen, nach den Bedürfnissen der lernenden Jugend in stufenmäßiger Reihenfolge zusammenzustellen.

In seiner freien Zeit war er sowol hier, als auch in Ulm und Esslingen, wo er in der Folge Verwendung fand, zugleich der Schüler seiner Leibwissenschaft. Und als er endlich im Herbst 1857 mit dem Antritt der Präzeptoratsstelle an dem Lyceum zu Reutlingen seine Wanderjahre beschloss, war er bereits anerkannter „Meister“, berufener Wortführer der jugendlichen Germanistik seiner württembergischen Heimat. Und was solcher bevorzugten Stellung erhöhte Bedeutung verlieh, war der Umstand, dass er es wie kein Zweiter verstand, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung in seltener Weise genießbar zu machen und sie für das nachwachsende Geschlecht und den gebildeten Mittelstand fruchtbar zu gestalten.

Mit allem Eifer war er zunächst beflissen, den vollen Sinn und Geist der mittelhochdeutschen Heldendichtung durch die Mittel unserer heutigen Schrift- und Umgangssprache seiner Umgebung mitzuteilen. Die vortrefflichen Neubearbeitungen des Nibelungenlieds (Verl. v. Bode 1853, später P. Neff Stuttg. 2. Aufl. 1874, 3. A. 1886), der Gudrun (Neff, 1860 u. 74) und von Freidanks Bescheidenheit (ebenda 1861 u. 74) haben unter seiner zauberfertigen Hand den Rang einer „formalen Stufe“ des mittelhochdeutschen Lernens, Begreifens und Denkens – der natürlichen Vorschule für das reifere Verständnis und den höheren Genuss der alten Volksdichtung erlangt.

Die schleswig-holsteinische Frage rief vorübergehend den „Politiker“, den er ein volles Jahrzehnt hindurch verleugnet zu haben schien, wieder auf den Plan: im Jahr 1860 warf Bacmeister zu Schutz und Trutz unter dem Pseudonym Theobald Lernoff seine deutschen Sonette in die gärende Welt hinaus, um sie für Wahrnehmung und Ausübung nationaler Rechte zu begeistern. Von den 36 Gedichten der längst vergriffenen Schrift ist eine Auswahl von 13 Nummern in den „Abhandlungen und Gedichten“, herausgegeben von Hartmann, Klaiber und Schmid, 1886, wiedergegeben. – Seiner Ansicht über die Stellungnahme des Bürgers zu innerpolitischen Fragen [101] gab er sinnigen (wenn auch nur mittelbaren) Ausdruck durch seine deutsche Ausgabe des „Haushalts von Sir Thomas More“ 1861, eine glänzende Uebersetzung aus dem Englischen, von der unter dem neuen Titel „Margaret More’s Tagebuch 1522–35“ bei Ferd. Schöningh in Paderborn die 4. Aufl. 1878 und die 5. Aufl. 1892 erschien. Diese Denkwürdigkeiten, die er in Deutschland weiteren Kreisen zugänglich macht, sind eben durch die feinsinnige Uebersetzung Bacmeisters der Weltliteratur einverleibt worden. – In die vaterländische Vergangenheit zurück versetzt er uns durch die Veröffentlichung der „Cronica des Hailigen Röm. Reichs Statt Reüttlingen“ von Johann Fizion († 27. Januar 1653) im Jahr 1862, eine Arbeit, die nicht bloß seinen tiefen geschichtlichen Sinn, sondern auch sein zartes Verständnis für die kennzeichnenden Formen der schwäbischen Mundart des 17. Jahrhunderts, welche hier zu bemerkenswerter Geltung kommt, bekundet.

Bereits hatte er zu wiederholtenmalen einen seiner besonderen Veranlagung mehr entsprechenden Wirkungskreis gesucht und sich auch um verschiedene, seinen wissenschaftlichen Neigungen zusagende staatliche Aemter in Stuttgart und Tübingen beworben, bis er endlich ohne sein Zutun im Herbst 1864 eine Berufung in die Redaktion der Allgemeinen Zeitung nach Augsburg erhielt. Hier entfaltete er eine überaus reiche praktische Tätigkeit, indem er einerseits in gerne gelesenen Leitartikeln für die staatliche Wiedergeburt Deutschlands im Sinn der preußischen Politik erfolgreich wirkte, anderseits aber auch mit großem Eifer seine Forschungen auf dem Gebiet der heimatlichen Ortsnamenkunde fortsetzte. Ein abgerundetes System dieser kulturgeschichtlichen Hilfswissenschaft legte er der philosophischen Fakultät der Tübinger Hochschule vor, welche ihm sodann hiefür 1865 den Doktorgrad verlieh; von der eigentlichen Ausführung seines großartig angelegten Planes ist aber nur ein Band erschienen: „Alemannische Wanderungen“ (Ortsnamen der keltisch-römischen Zeit und slavische Siedlungen) 1867. Ein Meister des deutschen Stils, verstand er auch den sprödesten Stoff anschaulich und unterhaltend zu gestalten. Wo ein anderer vor lauter Rätseln verzweifelt wäre oder wenigstens seine Weisheit für sich behalten hätte, weiß sein gesunder Mutterwitz mit lachendem Munde die wahrscheinlichste Lösung derselben glaubhaft zu [102] machen. Leider kam er nicht mehr dazu, nach der Erholungspause, die er sich gönnen musste, seine Arbeit auf diesem Gebiete so weit zu fördern und so zu gestalten, um der Nachwelt ein fertiges Bild seiner reichgesegneten Forschungstätigkeit bieten zu können. Die „Germanistischen Kleinigkeiten“ 1870, in welchen er sich freilich auch im kleinen in seiner ganzen Größe gezeigt hat, sind eben nur eine Gelegenheitsarbeit, die mehr die Richtung seines Schaffens erkennen lässt, als dem Ziel desselben uns näher bringt. Und was später sein Freund Prof. Dr. J. Hartmann aus Bacmeisters reichem wissenschaftlichen Nachlass in den „Württb. Jahrb.“ 1874 II S. 197–214 und 1875 II, S. 114–137 zur Veröffentlichung bringt, ist trotz der Buckschen Beisteuer (Manuskript des Oberdeutschen Flurnamenbuchs) bloß ein guter Anlauf zum schönen Werk geblieben.

Dagegen entfaltete Bacmeister als Uebersetzer aus dem Lateinischen eine um so ersprießlichere Tätigkeit, als er mit den Mitteln der Dichtkunst und dem Rüstzeug des Fachgelehrten zugleich seine sich selbst gestellte Aufgabe zu lösen bemüht war, unserer Jugend einen vollwichtigen deutschen Horaz (Oden 1871) und Tacitus (Germania 1868, 2. Aufl. 1881; Das Leben des J. Agricola 1872 – allesamt im Verlag von P. Neff in Stuttg.) zu bieten. Mittlerweile war auch seine Kraft durch die aufreibende Redaktionsarbeit erschöpft (er hatte im letzten Jahre die Leitung des „Auslands“ übernommen), und Bacmeister fand sich genötigt, im Sommer 1872 zurückzutreten und in Brannenburg Erholung zu suchen. Den ihm angebotenen Posten eines Bibliothekars und literarischen Leiters der Wiener „Presse“ vermochte er nicht mehr zu übernehmen.

Im November 1872 zog er sich nach Stuttgart zurück, auch mit siechem Körper noch rastlos tätig auf dem Gebiete seiner Leibwissenschaft, zu der er wieder zurückgekehrt war. Am ersten Tage seines Todesjahres schrieb er den ersten seiner „Keltischen Briefe“, in der letzten Stunde seines Lebens, am 25. Februar 1873, früh um 1 Uhr, schrieb er den 34. (letzten) derselben, welche dann Otto Keller herausgab (Verl. v. K. J. Trübner, Straßburg 1874). Eine Auswahl seiner „Abhandlungen und Gedichte“ gaben die wackeren Freunde des Verstorbenen heraus (Verl. v. W. Kohlhammer, Stuttg. 1886).

Seine Lebensarbeit ist nicht zum Abschluss gelangt, aber was er im Dienst der Wissenschaft immer vollbrachte, das hatte Kraft und Leben – wie J. G. Fischer von ihm singt:

[103]

Da quillt und tönt wie volles Glockenläuten
Der Namen Urheit und ihr kühn Bedeuten.

Bacmeister hat auf heimatlichem Boden die Methode der Namenforschung als kulturgeschichtlicher Hilfswissenschaft begründet und hiedurch Schule gemacht. Er lebt in seinen Nachfolgern. Wir denken hier unwillkürlich an Chidher, den ewigjungen:

Und aber nach 500 Jahren
Will ich desselbigen Weges fahren.

Erligheim, Württemberg. AUGUST HOLDER.     

  1. Das Bildnis Bacmeisters ist nach einem Photogramm aus seiner Augsburger Zeit gefertigt. Die Druckplatte ist uns von seinem älteren Bruder, Kanzleirat Hermann Bacmeister in Stuttgart, gestiftet.