Zwei Stunden mit einer Boa Constrictor

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Zwei Stunden mit einer Boa Constrictor
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 83–84
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zwei Stunden mit der Boa Constrictor.

Wir mußten eine Woche nach der andern bei unserm gastfreundlichen Spanier aushalten, da die Hitze Manilla´s jeden Entschluß und jede Bewegung niedersengte. Ein paar kühle Hauche vom Flusse Passig des Morgens und des Abends war Alles, womit man sich erquicken konnte. An´s Baden war nicht zu denken, da monströse Alligatoren alle Tage Weiber oder Kinder vom Ufer wegschlugen, unter ihre Vorderklauen packten und damit in der Tiefe verschwanden. So blieben wir dabei, Morgens zu frühstücken, dann auf´s Mittagessen zu warrten und Cigarren dazu zu rauchen, Nachmittags mit Rauchen und Schlafen abzuwechseln und dazwischen sich mit dem Warten auf´s Abendbrot zu beschäftigen. Aber eines Morgens nach dem Frühstück stürzte ein Diener hastig herein und rief athemlos: „El serpiente, Senor, el serpiente!“ Eine furchtbare Schlange, ein paar Stunden von hier. Sie hat sich um einen Mangobaum gewickelt und schlägt mit dem Kopfe auf dem Boden umher, daß Steine und Staub drum herum fliegen. Sie will fressen! Die Einwohner des ganzen benachbarten Dorfes haben sich geflüchtet, und eine Deputation draußen bittet um den Schutz des tapfern Don Arturo, dessen Kugel nie fehlt.

Diabolo!“ murmelt Don Arturo, „es muß eine Boa Constrictor sein!“

Wir jubelten in Erwartung einer Zerstreuung, eines Abenteuers auf, und ich besonders hatte mich lange nach dem entsetzlichen Genusse gesehnt, die ungeheure Königin der Reptilien persönlich in ihrer natürlichen Majestät des Häßlichen kennen zu lernen. Don Arturo murmelte, sich eine frische Cigarre anzündend, von Unsinn und Unkenntniß, und erzählte, daß dies kein Spaß sei. Beinahe mit Verlust seines eigenen Lebens habe er einmal einen Reiter mit sammt dem Pferde unter den Umarmungen des Ungeheuers krachend zu einem Klumpen zusammenbrechen hören und sehen. Don Arturo, obgleich stolz als Schütze und jede Ueberlegenheit über seinen Muth in vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Rittergeschichte bestreitend, weigerte sich doch, gegen die Boa Constrictor den Cid oder Don Quixote zu spielen, bis unser und seiner Frau Zureden seinen sehr lockern Muth in der Brust spannte, so daß er sich entschloß, mit uns zu reiten. Don Arturo bestieg also sein Roß mit einem melancholischen Blick auf seine Donna Teresa und beinahe weinerlich ausrufend: „Nun meinetwegen; denn Ihr seid alle entschlossen, meine Tage schnell und grausam zu beenden.“ Donna Teresa lachte ihm mit ihren glänzenden, braunen Augen und schneeweißen Zähnen in´s Gesicht, gab dem Pferde einen derben Patsch und lief kichernd in´s Haus.

Wir erreichten auf unsern frischen Pferden trotz der drückenden Hitze bald die Ebene, wo die Boa Constrictor Logis genommen haben sollte, und eine Menge Volkes aus dem ausgewanderten Dorfe, die unter einander stritten und beriethen, bis sie beim Anblick Don Arturo´s in ein enthusiastisches Lebehoch ausbrachen. Dann erzählten sie schreiend durcheinander furchtbare Geschichten von der Boa Constrictor und andere, die früher Thiere und Menschen schockweise aufgefressen haben sollten. Ich hatte dergleichen wild gefärbte Geschichten der Eingebornen für Uebertreibungen gehalten, und freute mich, nun mit eigenen Augen zu prüfen, was von ihrer Kraft und Grausamkeit, von dem glänzenden Farbenspiel und der schauerlichen Grazie ihrer Windungen wahr sei. So trieb ich vorwärts nach einer mit Mangobäumen bedeckten Tiefe in der Ebene, wo nach Aussage der Menge die Schlange ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Wir ritten vorsichtig, Don Arturo jeden Baum vermeidend, da sie die Gewohnheit haben sollte, sich in deren Kronen zu verstecken und mit Blitzesschnelle auf das erste nahende lebende Wesen herabzustürzen und ihm ohne Kündigung das Leben auszupressen. Doch ich lachte und ritt absichtlich unter benachbarte Bäume und versprach den Eingebornen den Leichnam der Schlange, aus welchen sie noch heute das Oel ausbraten könnten, nach ihrer Apothekerweisheit ein untrügliches Mittel gegen Rheumatismus. Einige Eingeborne, die zu Fuße hinter uns her gaps´ten, [84] schrien plötzlich: „Da! da! Haltet ein, Señores! Nicht zu nahe, denn das ist sicherer Tod!“

Anfangs sahen wir die Mangobäume ganz ruhig in der brennenden Sonne träumen und weder etwas Lebendiges darin, noch ringsum. Weidende Kühe hatten sich in weite Ferne zurückgezogen. Ich ritt mit einem Freunde bis funfzig Schritte heran, als plötzlich mein Pferd bäumte, die Mähne starrend emporrichtete, furchtbar brausende Töne ausstieß und mit einem ungeheuren Satze zur Seite sprang, so daß ich mich kaum im Sattel halten konnte. Das Pferd hatte den Feind zuerst gesehen und seine Absichten vollständig durchschaut. Auch ich sah ihn glänzen und schimmern. Das Pferd war nicht mehr zu halten. So ritt ich zurück, stieg ab und bat Don Arturo, zu Fuße und mit bereit gehaltenen Büchsen heranzugehen.

„Mögen die Heiligen mir nie vergeben, wenn ich das thue. Diabolo!“ rief Don Arturo.

So blieb uns germanischer Race, mir und meinem Freunde, nichts Anderes übrig, als unsere moralische Ueberlegenheit über Pferde, Spanier und Eingeborne allein geltend zu machen. Wir nahten uns mit bereit gehaltenen Doppelbüchsen bis auf funfzig Schritte, zuerst, ohne Bewegung zwischen den grünen, goldbefruchteten Baumkronen zu merken. Plötzlich saus’te es in ihnen, als wenn ein Sturm darin wüthete. Wir Beide zitterten, als wir die Schuppen des Ungeheuers in der Sonne glänzen sahen. Es schoß mit dem Kopfe weit hervor aus den Blättern auf uns ununterbrochen starrend mit diamantglänzenden Augen, mit der Zunge aus dem Rachen hervorspielend, mit dem ganzen freien Theile des Körpers windend, auf und ab, hin- und herschießend, jedoch ohne uns nur einen Augenblick mit den entsetzlich starrenden, funkelnden Augen zu verlassen. Wir standen wie durch Zauber an den Boden gefesselt, Keiner fähig, ein lautes Wort aus dem zaubergebundenen Munde loszulösen. Der Anblick war so entsetzlich schön! Die Farben des ungeheuern Leibes spielten in unzähligen Tinten in der Sonne, jetzt über und über Gold, dann erbsengrün, dann in tiefem Purpur u. s. w. Endlich lispelte ich: „Versuchen wir einen Schuß! Sie kömmt nicht heraus. Es ist gegen ihre Natur, dem Feinde, der sie sieht, entgegen zu springen. Wir sind sicher. Ich möchte die Windungen des verwundeten, in Wuth gebrachten Scheusals sehen.“

Mein Freund schoß nach dem aufgeschwungenen Kopfe. Die Bäume saus'ten und schüttelten sich und die Mangofrüchte prasselten herab wie Hagel. Der endlose Schweif der Bestie hatte sich los gewunden und schlug und schlug um sich her und schnappte und klatschte wie eine ungeheuere Peitsche. Mit dem Kopfe schoß sie ununterbrochen umher, aber immer mit unverwandtem, blendenden Blick auf uns. Wir flohen, aber ohne sie jemals mit den Augen zu verlassen, rückwärts gehend, bis wir Don Arturo und die Volksmenge erreicht hatten. Wir wurden von großen, starrenden Augen und offenen, breiten Mäulern umringt. Alle schrien zugleich: „Ist sie todt? Ist sie todt?“

„Nein, aber ich habe einen Plan,“ rief ich. „Treiben wir die Kühe dort unter die Bäume und opfern eine. Hat sie ein solches Mahl zu sich genommen, sind wir ihre Herren ohne Lebensgefahr. Mit Schüssen ist’s und bleibt’s gefährlich.“

Dieser Plan gefiel Don Arturo, obgleich die Eingebornen, Jeder für seine Kuh fürchtend, sehr stark dagegen eiferten. Wir versprachen Entschädigung, und so trieben sie auf Befehl Don Arturo's gleich selbst ihre Heerden heran. Sie schnüffelten furchtbar in die Luft hinein, als sie den Bäumen nahe kamen. Die Gefahr, eine Warnung für sie muß schon in der Luft gelegen haben, denn inzwischen hatte sich die Schlange durchaus unsichtbar gemacht und innerhalb der Zweige oben still verkrochen. Sie hatte jetzt die Offensive ergriffen; gegen uns, die wir sie merkten, versteckte sie sich nicht, sondern hatte sich unstreitig nur defensiv verhalten. Unter den Thieren ist wohl mehr Taktik und Strategie, als unter den Weisen von Sebastopol u. s. w.

Die Kühe gingen schnüffelnd unter die Bäume, da sie nichts sahen und diese Schatten gegen die brennende Hitze gaben. Plötzlich krachte es in den Zweigen. Es zuckten grüne und goldene Blitze, welche ein Kalb niederschmetterten und in den Windungen dieser Blitze zerbrachen, so daß man die Knochenzermalmung deutlich darin vernahm. Jetzt zeigte sich ein herzerschütternder Anblick. Alle Kühe waren im Nu auseinander gestoben, bis auf eine, die Mutter des Kalbes, welche mit Wuth und Entsetzen ununterbrochen gegen die um ihr Kalb gewundene Schlange stieß, und dabei mit ihren kurzen Hörnern die Erde aufriß. Plötzlich sehen wir das zerbrochene, zu einem Klumpen zerdrückte Kalb befreit. Die Mutter leckte es und stieß dabei furchtbare Jammertöne aus. Indem sie versuchte, durch diese ihr allein möglichen Zeichen von Zärtlichkeit ihr Kind wieder in’s Leben zurückzurufen, blitzte und zuckte es wieder durch die Luft. Die Kuh wand sich, allseitig golden grün umschlungen, am Boden, und nach einigen Wälzungen und dumpfen, krachenden Tönen lag sie still, nur noch laut durch den Bruch ihrer Knochen, die unter den Pressungen der Schlange zerdrückt wurden, während Blut aus Augen und Maul hervorschoß. Mit dem Schwanze um einen Baum gewunden, zog sie den zermalmten Kadaver der Kuh unter den Schatten desselben, dann wand sie sich los und ruhte aus, mit dem Kopfe auf einem dicken Aste oben, herunterstierend, welche Beute sie zuerst verschlingen wolle. Mit dem Schweife unten spielte sie fortwährend, jetzt die Luft peitschend, dann blitzschnell den Baum umschlingend mit 10 bis 20 Windungen, dann eben so blitzschnell sich ganz oben zusammenziehend, dann wieder auspeitschend und so fort – ein merkwürdig vollendetes Meisterstück von Elasticität, von der hitzigen, giftigen, grausamen Laune der Tropennatur. Endlich wand sie sich herab, zog das Kalb an einen Baumstamm, richtete es daran auf und preßte es in dichten Windungen gegen denselben, daß kein Knochen mehr ungebrochen und unzermalmt blieb. Hierauf begann die Zubereitung des Mahles. Eine halbe Stunde leckte sie die zermalmte Masse über und über mit ihrer gegabelten Zunge und drehte sie über und über nach allen Seiten.

Wir beobachteten Alles ganz genau, ohne daß sie uns die geringste Aufmerksamkeit schenkte, so sehr war sie ganz in dem Geschäft aufgegangen. Endlich betrachtete sie den rings eingespeichelten fetten Bissen mit blitzenden Augen, dann öffnete sie den ungeheuern Rachen in größter Ausdehnung, schnappte am Kopfe des Kalbes zu und ließ es, offenbar ohne viel Anstrengung, in ihren Leib hinunter gleiten.

„Nun haben wir gewonnen,“ rief Don Arturo, der nun plötzlich ein Ritter ohne Furcht und Tadel ward, und trat ganz nahe heran. Die Schlange streckte sich in der Sonne, offenbar, um sich lange und gemüthlich dem Verdauungsschlafe hinzugeben. Ein Eingeborner sprang aus der übrigen Menge mit einem großen Knüppel hervor, den er mit voller Wuth auf den Kopf der Schlange fallen ließ. „Du mein bestes Kalb gefressen, wie?“ rief er dabei mit einem furchtbaren Ausdrucke von Wuth, und sprang zurück. Die Schlange warf einen so teufelischen Blick auf den Fliehenden, daß ich unwillkürlich entsetzt zurückbebte; aber ihre Wuth war ohnmächtig; die Schläfrigkeit der Verdauung nach langem Hunger, nach einem doppelten Kampfe war nicht zu überwinden. Don Arturo zielte und schoß ihr ein Auge aus. Einige convulsivische Sprünge, einige Hiebe mit dem Schweife auf die Erde, daß Staub und Steine sprützten, dann streckte sie sich und starb mit offenem Rachen und dem einen Auge offen.

Wir maßen sie: 35 Fuß 61/2 Zoll lang 2 Fuß 4 Zoll dick im Leibe, wohin das verschlungene Kalb nicht gedrungen war. Die Eingebornen jauchzten und jubelten und zogen das Ungeheuer am höchsten Baume in die Höhe. Ein brauner Kerl kletterte mit einem scharfen Messer den Baum hinauf und gleitete an der Schlange wieder herunter, indem er mit dem Messer einen Schnitt von oben bis unten zog. Don Arturo bekam als Hauptheld die Haut, die Masse des Volkes theilte sich in das Fleisch, um Oel gegen Rheumatismus auszubraten.