Die Xanthischen Marmor

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Autor: W. G.
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Titel: Die Xanthischen Marmor
Untertitel:
aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 4 vom 22. Juli 1843, S. 61–62
Herausgeber: Johann Jacob Weber
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung: Über die Reliefplatten des „Harpyien-Grabes“ aus Xanthos im Britischen Museum
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Xanthische Marmor.

Ein Grabmal aus Xanthus

Oben: Nördliche und Oestliche Ansicht.
Unten: Südliche und Westliche Ansicht.

Römischer Torso (Mitte) und zwei Griechische Amazonen

[62]
Die Xanthischen Marmor.

Das brittische Museum hat eine neue Acquisition gemacht, die Xanthischen Marmor. Erst seit einigen Wochen sind diese Bruchstücke antiker Bildwerke zu öffentlicher Beschauung dort aufgestellt. Der reisende Engländer Charles Fellowes sammelte sie in Klein-Asien und schaffte sie auf Kosten der Regierung nach London. Eine Auswahl derselben bieten wir unsern Lesern in den vorstehenden Abbildungen. Man hat diesen Skulpturen den Namen „Xanthische Marmor“ gegeben, aber der Ausdruck ist nicht ganz passend, denn sie stammen nicht aus der Hauptstadt des alten Lyciens. Die Gegenden in Klein-Asien, wo sie Hr. Fellowes aufgefunden, liegen zwischen dem 42–36 Grade der Breite und dem 26–32 Grade der Länge und umfassen die Provinzen Lydien, Mysien, Bithynien, Pisidien, Pamphylien, Lycien und Carien.

Die interessanteste Geschichtsperiode dieser Länderstriche war jene Zeit, wo Griechen sie beherrschten. Die Ruinen ihrer alten Städte sind für den Alterthumsforscher eine Fundgrube archäologischer Schätze. Ehe diese Städte von den Römern unterjocht wurden, was im dritten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung geschah, standen sie schon seit Jahrhunderten in Blüthe, einige derselben seit dem grauesten Alterthume, wie sich aus dem Style ihrer Bildwerke erkennen läßt.

Das Land, wo sie gefunden werden, ist mit Ruinen bedeckt; es besteht, wie das gelobte Land, aus einer Kette von Hügeln und Thälern. Auf jedem Berge ein Tempel, auf jedem Felsenplateau eine Akropolis, an den Abhängen der Hügel Begräbnißhöhlen, Thäler und Ebenen mit zerstörtem Mauerwerk, Ruinen von Altären, Piedestals, Triumphbögen und Säulen übersäet, zwischen denen Fledermäuse und Eidechsen nisten.

In Lycien sind vorzugsweise die Grabmäler von hohem Interesse. Viele Meilen in der Runde sieht man die Felsenwände von ihren Ruinen prangen. Einige Hunderte derselben sind verhältnißmäßig gut erhalten und, wie es scheint, noch uneröffnet, aber der bei weitem größere Theil ist geplündert und zerstört. Sie haben meist griechische Inschriften. Viele derselben sind Monolithen – eins mit dem Felsen, in den sie der Meißel des Bildners gehauen –, manche mit architectonischen Ornamenten, andere mit epischen Basreliefs geschmückt.

Xanthus, dessen kostbare Ruinen die Aufmerksamkeit des Archäologen in so hohem Grade auf sich ziehen, ist jetzt wenig mehr als ein Trümmerhaufe, aufgestapelt an dem Ufer des Flusses, der gleichen Namen führt. Sie scheinen alle aus einer und zwar aus sehr früher Periode abzustammen. Viele der Mauern sind cyklopisch. Die Eleganz und Keuschheit im Style der Skulpturen beurkunden auch hier das hohe Talent griechischer Künstler. Die Ruinen bestehen aus Tempeln, Gräbern, Triumphbögen und einem Theater. Am anziehendsten sind die Grabmäler, ihrer poetischen und schön gearbeiteten Basreliefs wegen. Daß sie zweitausend Jahre lang, dem Wetter blosgestellt, sich bewundernswürdig gut erhielten, verdanken sie wahrscheinlich der feinen Politur des festen Marmors, aus dem sie gehauen sind, und welchen die Zeit nur mit leichtem röthlichen oder gelblichen Hauche gefärbt hat. Man findet sie von allen Größen, zwischen 5 bis 30 Fuß Höhe. Sie sind meist von länglichem Bau, einige zwei und drei Stockwerke hoch, und tragen am Giebel die, alten Kenotaphien eigenthümliche Form von Akroterien. Dächer, Simse und Seiten sind mehr und weniger mit Skulpturen und Ornamenten verziert. Die Basreliefs von einem der größten Sarkophage des alten Xanthus sind es, welche im brittischen Museum zwischen den egyptischen und elginschen Marmorn aufgestellt, seit Kurzem das Auge des Alterthumskenners fesseln. Die Zeichnungen, welche sie doppelt, nämlich in perspectivischer Ansicht und in einzelnen Details darstellen, mögen dem Leser den Kunsttypus dieser alten Bildwerke mit möglichster Treue versinnlichen.

Die nördliche Seite des Grabmals theilt sich in drei Tafeln. Auf der mittlern sieht man einen mit doppelter Tunika und Mantel bekleideten Herrscher auf einem Throne sitzen, den Stab – den Zepter der Alten – in der Linken, mit der Rechten einem vor ihm stehenden Krieger einen Helm überreichend. Jede der beiden Seitentafeln enthält die in egyptischen Bildwerken so häufig angewandte Figur einer Harpye in aufwärts fliegender Stellung, in den Klauen die Gestalt eines todten menschlichen Körpers tragend. Wahrscheinlich drückte der Künstler durch solchen Harpyenraub mythisch den glücklichen Eintritt der Seele in das Land der Unsterblichkeit aus.

Auch die südliche Seite des Sarkophages theilt sich in drei Tafeln. Außer den harpyenartigen Gestalten an den beiden Ecken sieht man hier im Mittelbilde wiederum einen königlichen Greis auf dem Throne, dem ein weibliches Wesen Granatäpfel und eine Taube überreicht.

Auf der östlichen Seite sieht man eine ähnliche ehrwürdige Gestalt auf dem Throne sitzen und der Rede eines Kindes lauschen, das einen Hahn darreicht. Hinter dem Throne stehen Personen vom Hause des königlichen Greises mit Früchten in der Hand, vor dem Kinde ein Mann mit einem Hunde, vielleicht sein Führer oder ein Dolmetscher seiner Gefühle, oder der Arzt des kranken Herrschers.

Die westliche Seite zeigt zwei auf Thronen sitzende weibliche Figuren. Vor der einen derselben stehen drei jungfräuliche Gestalten in schwer drapirten Gewändern, das Haar aufgelöst oder in langen Flechten herabhängend, die Stirn mit der Tiara geschmückt. Sie scheinen der Königin Blumen zu bringen. Gegenüber der zweiten weiblichen Gestalt, sitzend auf dem Throne, sieht man das Bild einer Kuh, die ein junges Kalb säugt, ohne Zweifel ein Symbol mütterlicher Zärtlichkeit. – Keine Inschrift nennt den Sinn dieser Bilder; aber ihre Bedeutung mag jedes gefühlvolle Menschenherz auch ohne Wort errathen. Wir sehen den väterlichen Herrscher, der dem Sohne Tapferkeit durch Ueberreichen des Helmes empfiehlt, wir sehen die glücklich mit schlanken Töchtern umgebene Herrscherin, die liebende Mutter, wir sehen den kleinen Enkel die Trinkschale der Hygeia, den Hahn des Aeskulap mit Wünschen der Genesung dem kranken Großvater kindlich darreichen, während die ernste traurige Miene seines Begleiters wenig von Genesung hoffen läßt; kurz der Marmor sagt uns hier, wie schon vor zweitausend Jahren Lust und Schmerz das Leben der Menschen bewegten.

Der Charakter dieser Basreliefs zeigt ein Gemisch von egyptischer u. persepolitanischer Kunst. An erstere erinnern die Harpyen, die Throne, die Lilien der weiblichen Figuren, an letztere Haarschmuck und Faltenwurf der Gewänder.

Auf der Platte findet der Leser noch drei Bilder gravirt. Zwei davon stellen griechische Amazonen und das dritte den Torso einer männlichen Figur vor. Diese Marmor sind von römischer Skulptur, aus der besten Periode, und verdienen unter den neuen Acquisitionen des brittischen Museums vorzügliche Beachtung. Der Künstler, der sie schuf, wußte ihnen durch eine geschickte Behandlung der Gewänder, die überall da, wo es nöthig ist, die Bewegung der Glieder durchleuchten lassen, Leben einzuhauchen. Neuere Skulptoren können nicht besser thun, als wenn sie die Tiefen und Flächen studiren, die der antike Bildner mit so viel Einsicht und Gefühl zu meißeln verstand.

W. G.