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Fünfzig Fabeln und Bilder aus der Jugendwelt

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Textdaten
Autor: Wilhelm August Corrodi
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Titel: Fünfzig Fabeln und Bilder aus der Jugendwelt.
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Herausgeber:
Auflage: 2.
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Friedrich Schultheß
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Erscheinungsort: Zürich
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Quelle: DJVU auf Commons
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[I]

Fünfzig

Fabeln und Bilder

aus der Jugendwelt.

Von

Wilhelm Corrodi.

Zweite Auflage.

Zürich,

Druck und Verlag von Friedrich Schultheß.

1876.

[1+2]


     1. Die Ringelblumen.

Schöne Blumen, laßt euch pflücken,
Ihr müßt meinen Hals jetzt schmücken,
Eine Kette sollt ihr werden,
Nicht so sitzen in der Erden!

5
Also sprach die kleine Liese,

Hüpfte durch die ganze Wiese,
Hörte nicht die Bienlein summen,
Sieht nur nach den Ringelblumen,
Macht sich eine hübsche Kette –

10
Keine Königin, ich wette,

Kann in ihrem Perlenschein
Glücklicher als Lieschen sein.

[3+4]


     2. Die Raupe.

Kind. Was hast du Raupe mir gemacht?
          Um Blatt und Blüthe ganz gebracht
          Hast du das schöne Bäumlein da,
          Wie man so-schön noch keines sah!

5
Raupe. Sei nicht so zornig über mich,

          Und denk ein wenig nur an dich.
          Nicht wahr, du liebst was Gutes sehr?
          Und ich hab nicht gesündigt mehr;
          Ich aß nur, was mir herrlich schmeckt,

10
          Hier war für mich der Tisch gedeckt!


Kind. Hast Recht, ich kann nicht böse sein,
          Und will dir dieß Mal gern verzeihn;
          Doch ach, wie mich das Bäumchen reut,
          Fort ist die Frucht und aus die Freud!

[5+6]


     3. Der Schmetterling.

Warte, warte, kleines Ding,
Rief der Knab dem Schmetterling,
Sei nicht so schnell in deinem Flug,
Komm, ich habe dir Blumen genug,

5
Und ein niedliches kleines Haus,

Kannst bequem da sitzen zu deinem Schmaus!
Das ist’s eben, was ich nicht will,
Sitz’ nicht gerne nur immer still,
Fliege lieber durch heitere Lüfte,

10
Suche mir selber die Blumendüfte,

Rief der Schmetterling, bin gern frei!
Sage, ob nicht dein Vergnügen
Auch die liebe Freiheit sei?
Knabe glaubte, er habe ihn schon,

15
Aber das Thierchen flog auf und davon.

[7+8]


          4. Die Ziege.

Kind. Die Frau kommt mit dem Geißlein her,
          Heut trink ich schon ein Gläschen mehr
          Von seiner Milch, sie ist so gut,
          Und Mutter sagt, wie wohl sie thut.

5
Ziege. Da bin ich wieder, liebes Kind.

          Jetzt geh und hole mir geschwind
          Ein Stücklein Brot und Salz dazu,
          Je mehr, je lieber, hörest du?

Kind. Ja, ja, mein Thier, ich denke dein;

10
          Denn undankbar will ich nicht sein.

          Da deine Milch mich stärkt und nährt,
          So bist du auch des Brotes werth.

[9+10]


          5. Das Schneckenhaus.

Kind. Schnecke, Schnecke, komm heraus,
          Bleib nicht immer nur im Haus,
          Zeig mir deine Hörnlein schön,
          Die möcht ich so gerne sehn.

5
Schnecke. Kindlein, sieh, ich folge dir,

          Denn du scheinst nicht böse mir,
          Rührst so weich und sanft mich an,
          Daß ich dich nicht fürchten kann.

Kind. Keinem Thierchen thu ich weh,

10
          Weil ich sie so gerne seh.

          Schau mir frisch nur in’s Gesicht,
          Schnecklein; denn ich plag dich nicht.

[11+12]


          6. Die Hühner.

Kind. Wo seid ihr alle denn versteckt,
          Ihr Hühnlein? Keins hab ich entdeckt
          Bis jetzt, und bring doch Futter mit.
          Hört ihr nicht den bekannten Tritt?

5
          Hört ihr nicht den bekannten Ton?

          Bi bi, bi bi – da sind sie schon!

Hühnlein. Wir waren nur da hinterm Haus,
          Und suchten gute Würmlein aus.
          Was du uns bringst, schmeckt süßer noch,

10
          Die Körnlein sind das Beste doch.

          Geh jetzt nur dort zum Häuschen hin,
          Du findest unsre Eier drin.

[13+14]


          7. Das Kartenhaus.

Ein hoher Thurm steht aufgebaut –
Ihr Leute, kommet doch und schaut
Den großen hohen Thurm mir an!
Wer ist’s, der so gut bauen kann?

5
So ruft das Kind – ein kleiner Stoß –

Und ach, der Thurm, so schön und groß,
Er stürzt zusammen, und es weint
Das Kind, das ihn so fest gemeint.
O, ruft die Mutter, weine nicht,

10
Geh, trockne dir dein Angesicht,

Und denk: Ich will ihn wieder bau’n
Und nicht so viel mehr auf ihn traun.

[15+16]


          8. Die ersten Hosen.

Knabe. Bin ich nicht ein ganzer Mann?
          Hab die ersten Hosen an!
          Kinderröcklein, fort mit dir,
          Du bist ganz entleidet mir!

5
Röcklein. Wie viel bildest du dir ein!

          Oft noch werd ich lieb dir sein,
          Der du früher liefst und rannt’st,
          Und dich jetzt kaum wenden kannst.

Knabe. Sei nicht böse über mich,

10
          Ganz vergeß ich nimmer dich.

          Abends, wenn ich müde bin,
          Komm ich doch noch zu dir hin.

[17+18]


          9. Die Arznei.

Kind. Nein, das nehm’ ich sicher nicht,
          Macht mir gar ein sau’r Gesicht.
          Mutter, bring es doch nicht her,
          Keine Schmerzen hab ich mehr.

5
Mutter. Hast nicht immer du geklagt,

          Und wohl hundert Mal gesagt:
          O, wie thut es mir so weh!?
          Nun geschwind, Kopf in die Höh!

Kind. Muß ich? Ach, wär’s schon vorbei,

10
          Mutter, zähl doch: Eins, zwei, drei!

          Hast du auch was Süßes da,
          Zucker oder Marzipa?

Mutter. Ja ja, Alles steht bereit;
          Aber nun, Kind, sei gescheid! –

15
          So ists recht – in Einem Zug

          War’s geleert – nun ist’s genug.

[19+20]


          10. Der Klausbaum.

Klaus. Ich bringe hier der Kinderschaar
          Ein allerliebstes Bäumchen dar;
          Doch, Kinder, ihr müßt artig sein,
          Und eure Eltern gern erfreun.

5
Kinder. Du lieber Klaus, wir danken dir,

          Und wollen folgen gern dafür.
          Wie herrlich sind die Sachen dran,
          Daß kaum genug man schauen kann!

Klaus. Schon muß ich wieder fort; denn heut

10
          Geht meine Reise noch sehr weit.

          O, manche Hütte, manches Haus
          Freut sich noch auf den guten Klaus!
               Behüt euch Gott!

[21+22]


          11. Der Guckkasten.

Kinder, Kinder, kommt geschwind!
Schaut, was da für Sachen sind!
Männlein, Fräulein, allerlei,
Auch ein Hanswurst ist dabei.

5
Wie sie uns so freundlich nicken,

Wie sie mit den Augen zwicken;
O, wie lustig, o wie schön
Ist doch Alles anzusehn!
Ach, es schlägt schon an dem Thurme,

10
Und die Schule geht schon an,

Schade, daß man da nicht länger
Alles recht begucken kann!

[23+24]


          12. Das Aefflein.

War ein Aefflein einst zu sehn,
Machte Gesichter gar nicht schön,
Zog den Mund bald lang, bald breit,
Sperrt’ ihn wieder auf ganz weit,

5
Als wollt’ es entsetzlich gähnen,

Fletschte dann wieder mit den Zähnen.
Und ein Vater zum Aefflein kam,
Der seinen Knaben mit sich nahm.
Dieser wollt’ immer Gesichter machen,

10
Daß die Leute recht darüber lachen.

Und der Vater sprach zum Affenmann:
Nehmt doch da den Knaben an,
Thut ihn zu euerm Affen hinein,
Er wird bald noch geschickter sein.

15
Da fing der Knabe zu weinen an,

Und rief: Ich will nicht zum Affenmann!
Es ward ihm gar angst, und nun seither
Da macht er keine Gesichter mehr.

[25+26]


          13. Der Markt.

Mutter. (zum 1sten Kind.) Was kaufst du in dem Markt?
Kind. Ich kaufe mir ein Steckenpferd;
          Denn das ist mir am meisten werth. Juchhe!
Mutter. (zum 2ten Kind.) Was kaufst du in dem Markt?

5
Kind. Ich kaufe mir ein Wägelein,

          Dann fahr ich Holz und Steine ein! Juchhe!
Mutter. (zum 3ten Kind.) Und was kaufst du im Markt?
Kind. Das Schwesterlein ist mir so lieb,
          Ihm kauf’ ich was zum Zeitvertrieb. Juchhe!

10
Mutter. (zum 3ten Kind.) Das hör’ am liebsten ich von dir;

          Komm her, und nimm den Kuß dafür!

[27+28]


          14. Die Kleinkinderschule.

Ei schaut einmal den Zug mir an!
Zwei Fähnlein flattern hoch voran,
Die Trommel ruft, das Pfeiflein tönt;
Doch an’s Marschiren nicht gewöhnt

5
Ist noch die Mannschaft. Saget mir,

Was hat das zu bedeuten hier?
Es sind ja Mädchen auch dabei,
Die machen Spiele allerlei,
Und über diese Kinderschaar

10
Wacht jene Frau dort immerdar.

Sie führt zwei Kleine an der Hand,
Noch schwach im Gehn und am Verstand;
Bald winket sie, bald rufet sie,
Sie hat viel Arbeit und viel Müh.

15
Jetzt fällt’s mir ein, jetzt weiß ich was –

Nur die Kleinkinderschul’ ist das.

[29+30]


          15. Der thätige Heinrich.

Ein kleiner Knab war Heinrich noch,
Sehr schwach dazu, und wollte doch
Den Großen keine Mühe machen,
Und selber schau’n zu seinen Sachen.

5
Oft, wenn der Morgen wieder kam,

Er ganz allein die Kleider nahm,
Und eh’ die Mutter sich gewendet,
Hat er den Anzug schon vollendet.
Und wo er etwas helfen kann,

10
Da greift er es gleich tapfer an.

Er kann einmal nicht müßig gehen,
Drum wirst du froh ihn immer sehen.

[31+32]


     16. Die kleine Kinderwärterin.

Liebes, gutes Schwesterlein
In dem netten Wiegelein!
Schlafe sanft und ruhig da;
Denn ich bin dir immer nah.

5
Fliege, hörst du, komme nicht

Auf das freundliche Gesicht;
Summe nicht so, bleibe still,
Weil ich Ruhe haben will.
O, wie schläft es doch so süß,

10
Wie im heitern Paradies!

Schöne Blümchen, legt euch hin
Zu der kleinen Schläferin!
Wie so lieb kannst du mir sein,
Kleines, gutes Schwesterlein!

15
Lieber Gott, erhalt’ es mir,

Täglich dank’ ich dir dafür!

[33+34]


               17. Die kalte Milch.

Bauersmann. Brav zugebrockt, ihr lieben Kleinen!
               Brav zugegessen Milch und Brot!
               Allein es ist nur Bauernbrot,
               Ein wenig schwarz, ein wenig hart;

5
               Das ist nun eben seine Art.


Stadtkinder. Es thut nichts, lieber Bauersmann,
               Da weiß und weich es werden kann
               Hier in der Milch; nimm unsern Dank
               Für diesen guten Labetrank.

10
               Wir kommen wohl noch mehr zu dir;

               Denn gar zu gerne brocken wir
               Dein Bauernbrot in Milch uns ein.
               Selbst Zuckerbrot in süßem Wein
               Kann wahrlich ja nicht besser sein.

[35+36]


          18. Die Ostereier.

Mutter. Freut euch, Kinder, heut ist Ostern,
          Und ein schöner Frühlingstag!
          Ostereier wollt ihr suchen –
          Ich verberge sie im Garten,

5
          Ihr müßt gar nicht lange warten. –

          Jetzt, ihr Kleinen, kommt geschwind,
          Sucht, wo sie verborgen sind!
          (Die Kinder suchen.)

Das 1ste Kind. Eines hab’ ich schon gefunden,

10
          Roth und gelb und blau und grün!


Das 2te Kind. Und da liegen zwei beisammen!
          Schöne Blümchen darauf blüh’n.

Das 3te Kind. Mutter, ich kann keine finden –
          Hilf mir doch ein wenig nach!

15
Mutter. Ja, mein Kind. Ihr sollt euch alle

          Freuen an dem Ostertag!

[37+38]


          19. Das Reischen.

Lehrer (zu den Kindern.) Seht da kommt ein hoher Berg!
          Könnet ihr ihn wohl ersteigen?
          Schönes will ich euch dort oben
          Auf dem hohen Berge zeigen.

5
Kinder. O, so hauen Sie uns Stöcke,

          Führer, tragt doch uns’re Röcke,
          Und jetzt noch ein Schlückchen Wein,
          Werden dann bald droben sein.

Lehrer. Führer, geht ihr nun voran,

10
          Zeiget uns die rechte Bahn!

          Kinder, lustig, Hand in Hand,
          Reisen wir durch’s Vaterland!

[39+40]


          20. Die Weinlese.

Schau’t einmal den Rebenhügel
Und die frohe Kinderschaar,
Wie sie süße Trauben schneiden,
Wie sie süße Trauben essen,

5
Und frohlocken immerdar!

Dort zieht eines aus der Kelter
Mit dem Röhrchen süßen Most;
Wein und Brot und Käs verzehren
Diese, das ist Rebmannskost.

10
Es ertönet die Kanone,

Die Pistole, das Gewehr,
Und ein großes Feuer lodert
Von dem Traubenhügel her.
Wenn man sammelt guten Wein,

15
Wer wird da nicht fröhlich sein!

[41+42]


          21. Die Schlittbahn.

Knabe (zu den übrigen.) Bindet hurtig die Schlitten zusammen,
          In Einem Zug geht’s berghinab!
          Ich will der Vorderste sein, der Führer,
          Weil ich den stärksten Schlitten hab’. –

5
          So ist’s recht, nur fest gebunden,

          Daß der Zug sich nirgends bricht,
          Alle bleibt gut in einander gewunden,
          Sitzet aufrecht und wanket nicht!

Die Uebrigen. Aber, Herr Führer, ihr müßt gut leiten,

10
          G’rade hinaus, und nicht auf die Seiten!

          Habt ihr’s verstanden, gebet wohl Acht,
          Daß nicht der Zug einen Purzelbaum macht!
          Jetzt geht’s vorwärts, heißa, Juchhe!
          Lustig hinab durch den schimmernden Schnee!

[43+44]


          22. Der Morgen.

Sei willkommen, heit’rer Morgen!
Ohne Angst und ohne Sorgen
Schlief, von Gottes Hand bedeckt,
Ich so süß; du hast geweckt

5
Mich aus meinem Morgentraume,

Daß ich an dem Himmelsraume
Aufersteh’n die Sonne seh’,
Daß hinaus ich freudig geh’
Und des Thaues Tröpflein schaue

10
An den Blümchen auf der Aue.

Herrlich schön und wunderbar
Stellst du, Morgen, Alles dar!
Wahrlich, eine jede Stunde,
Die du bringst, hat Gold im Munde!

[45+46]


          23. Der Mittag.

Wohl bist du, Mittag, gar so heiß,
Und manches saure Tröpflein Schweiß
Preßt mir die Mittagssonne aus;
Doch bleib’ nicht gerne ich zu Haus.

5
Ich seh’ am heißen Sonnenstrahl

Die Früchte reifen überall.
Will ich mit Lust sie einst genießen,
So darf ich gar wohl auch vergießen
Ein wenig Schweiß, und wenn ich dann

10
Ein Schattenplätzchen finden kann,

So gönnst du, Mittag, gern es mir;
Denn, hör’ nur, ich verspreche dir,
Wenn deine Strahlen auch mich trafen,
Ich will dich dennoch nicht verschlafen!

[47+49]

          24. Der Abend.

O, wie köstlich, o, wie labend
Bist du, holder, schöner Abend!
Munter hüpfen Kinderschaaren,
Die erst in der Schule waren,

5
In der abendlichen Kühle,

Machen hundert frohe Spiele,
Freuen sich des jungen Lebens.
Abend, du scheinst nicht vergebens!
Sieh, wie froh die Kinder springen,

10
Höre, wie sie Lieder singen!

Von der goldnen Abendsonne
Singen sie in Herzenswonne;
Und wenn ihre Strahlen sinken,
Wenn die Eltern heimwärts winken,

15
Rufen alle dir noch zu:

Abend, o wie schön warst du!

[48+50]


          25. Die Mitternacht.

Es ist schon finstre Mitternacht;
Doch an dem Bett der Mutter wacht
Das treue Kind, es fühlt es wohl,
Wie es die Mutter lieben soll.

5
Die Mutter hat so manche Nacht

Auch an des Kindes Bett gewacht;
Nun ist sie krank, und tiefer Schmerz
Erfüllt das treue Kinderherz.
Des Mondes Glanz, der Sterne Schein

10
Dringt in das dunkle Kämmerlein,

Wo Mutterliebe, Kindertreu’
Mit jeder Stunde werden neu.
Es ist, als ob der Sterne Licht
Hernieder riefe: Trauert nicht!

15
Bald werdet ihr, wie unser Schein,

Zusammen wieder fröhlich sein!

[51]

          26. Das Gärtlein.

Kind. Ich komm, euch zu begießen,
          Ihr Blümchen, roth und blau;
          Der milde Himmelsthau
          Will nicht hernieder fließen.

5
Blümchen. Dank für dein treues Sorgen,

          Du kleine Gärtnerin;
          Du trägst uns in den Sinn
          Am Abend und am Morgen.
          Wir wollen gern dir blühen,

10
          Und frisch und fröhlich sein;

          Am Sonntag dann, da sammelst
          Du uns zum Sträußchen ein.


          27. Der Namenstag.

Kinder. Lieber Vater, sieh, wir bringen
          Dir hier was zum Namenstag.
          O, daß es dich freuen mag!
          Auch ein Liedchen laßt uns singen:

5
(Die Kinder singen.) „Gott ist gut, der uns den Vater

          Der uns auch die Mutter gab.
          Beide wird er uns erhalten,
          Nie nimmt seine Güte ab.“

Vater. Kinder, nehmt des Vaters Segen

10
          Für die schöne Gabe hin!

          Wandelt stets auf Gottes Wegen,
          Fromm sei euer Kindersinn;

[52]

          Daß ein jeder Namenstag
          Uns, den Eltern, euch, den Kindern,

15
          Recht zur Freude werden mag.



          28. Die Münze.

Kind. Was thust du denn im Staube hier,
          Du glänzend Ding? komm her zu mir;
          Man könnte dich ja ganz verscharren,
          Ich will dich lieber aufbewahren.

5
Münze. Wohl kannst du aus dem Staub mich heben;

          Doch mußt du mich zurücke geben
          Dem Manne dort, der mich vermißt,
          Und der dich dann auch nicht vergißt.

Kind. Gern will ich dich zum Manne tragen,

10
          Er soll nicht lange nach dir fragen.

          He! Mann, schaut diese Münze da,
          Ihr habet sie verloren ja!

Mann. Ach ja, mein Kind, die Münz ist mein,
          Nun kann ich doch mich wieder freun;

15
          Und dieß Geschenklein geb ich dir

          Von Herzen gern zum Dank dafür.


          29. Die Sonne.

Kind. Du bist eine liebe Sonne,
          Aller Menschen Freud und Wonne,
          Solltest dich uns immer zeigen,
          Niemals hinter Berge neigen,

5
          Niemals ins Gewölk verstecken,

          Alles stets zur Freude wecken.

[53]

Sonne. Gerne schein’ ich auf dich nieder,
          Gerne komm’ ich immer wieder
          In dein Land, zu dir zurücke,

10
          Und erheit’re deine Blicke.

          Freundlich, wie mein Sonnenschein,
          Möge stets dein Auge sein!


          30. Der Mond.

Knabe. Mond, wie sonderbar bist du,
          Nimmst bald ab und nimmst bald zu.
          Seh’ dich oft in vollem Glanz,
          Und dann wieder dunkel ganz.

5
Mond. Kann nicht helfen, liebes Kind,

          Denn die große Sonne find’t
          Oft nicht Zeit, mich zu erhellen,
          Dann muß es an Glanz mir fehlen.

Knabe. Hast du denn kein eigen Licht?

10
Mond. Nein, das hab’ ich wahrlich nicht;

          Bin ein armer, blinder Mann,
          Wenn die Sonn’ nicht scheinen kann.


          31. Der Spiegel.

Kind. Du bist ein böser Spiegel, du!
          Ich komme dir so nahe zu,
          Und häßlicher nur zeigst du mich.
          Wart’, Spiegel, ich zerbreche dich!

[54]

5
Spiegel. Mein Kind, es thut mir leid dafür,

          Daß du so gerne kommst zu mir;
          Ich muß dich zeigen, wie du bist,
          Da dieses meine Art so ist.

Kind. So bleib’ ich lieber fort von dir,

10
          Da du so wenig schmeichelst mir.


Spiegel. Mach’s, wie du willst, denn treu und rein
          Und wahrhaft muß ein Spiegel sein.


          32. Die Sterne.

Kind. O wie oft und o wie gerne
          Seh’ ich euch, ihr gold’nen Sterne.
          Möcht’ euch gerne bei mir haben,
          Um mich recht an euch zu laben.

5
Sterne. Können nicht so nahe kommen;

          Doch die Guten und die Frommen
          Werden sich zu uns erheben
          Nach dem kurzen Erdenleben.

Kind. Ich will bleiben fromm und gut,

10
          Daß der liebe Gott mich thut

          Einst zu euch, ihr gold’nen Sterne,
          Und ihr nicht mehr seid so ferne.


          33. Der Frühling.

Kind. Ich wartete schon lang’ auf dich,
          Es fror mich gar so jämmerlich.
          Willkommen, schöne Frühlingszeit,
          Du bringest Wärme mit und Freud’!

[55]

5
Frühling. Ich wäre gern schon lange hier,

          Der Winter aber wehrt’ es mir,
          Bis ich die Sonn’ zur Hülfe bat,
          Die Jenen gleich vertrieben hat.

Kind. So bleibe nur jetzt immer da,

10
          Noch nie so lieblich ich dich sah.


Frühling. Hier nimm den bunten Blumenstrauß,
          Und schmück’ damit dein Hütchen aus!


          34. Der Sommer.

Sommer. Der Frühling, Kind, war dir so lieb,
          Auch ich kann bringen Zeitvertrieb:
          Ich laß dich heuen, laß dich baden;
          Willst du mich nicht zu dir einladen?

5
Kind. Komm’ nur, ich will mich deiner freu’n

          Nur allzu heiß darfst du nicht sein;
          Und, hörst du, Kirschen bringe mir,
          Dann bin zufrieden ich mit dir.

Sommer. Aufwarten kann ich dir damit;

10
          Doch thu’ ich eine einz’ge Bitt’:

          Wenn Bruder Herbst kommt, ihm zu sagen,
          Auch ich hab’ gute Frucht getragen.


          35. Der Herbst.

Kind. Mein lieber Herbst, ich soll dir sagen,
          Der Sommer hab’ auch Frucht getragen,
          Und gute Frucht; was bringst du denn,
          Das ich so süß wie Kirschen nenn’?

[56]

5
Herbst. Ich bring’ dir Aepfel, Birnen, Trauben,

          Das wirst du mir gewiß erlauben.
          Der Sommer ist mein Bruder wohl,
          Doch nicht so saft- und früchtevoll.

Kind. Ich bin mit Beiden gut zufrieden;

10
          Ein Jeder hat mir das beschieden,

          Was er besaß; was will ich mehr?
          O, Keiner ist an Freuden leer!


          36. Der Winter.

Winter. Bin ich denn etwa freudenleer?
          Meinst du, mein Kind? O, nimmermehr!
          Ich lass’ dich schlitten, lass’ dich schleifen,
          Und willst du meinen Schnee angreifen,

5
          So ist er wohl ein bischen kalt,

          Doch findest sicherlich du bald,
          Daß sich ein Männchen, weiß und fest,
          Ganz herrlich daraus bauen läßt.

Kind. Wie kannst du auch so artig sprechen!

10
          Doch was du sagst, ist Alles wahr.

          Laß nur kein Bein mich bei dir brechen;
          Denn allzu leicht bringst du Gefahr!

Winter. Nur nicht verwegen, liebes Kind,
          Dann bleib’ ich freundlich dir gesinnt!

[57]

          37. Der Sonntag.

Kind. Die ganze Woche freu’ ich mich,
          Du guter Sonntag nur auf dich;
          Ich darf mein schönes Kleid dann tragen,
          Und das hat viel bei mir zu sagen.

5
Sonntag. Ich gönne dir dein schönes Kleid;

          Doch sollt’ es deine größte Freud’
          Nicht sein; denn schöne Kleider tragen,
          Das, liebes Kind, will nicht viel sagen.

Kind. Ich sag’ auch gern ein Verslein her

10
          Am Sonntag in der Kinderlehr’;

          Ich höre beten dann und singen,
          Seh’ Kindlein zu der Taufe bringen.

Sonntag. Nun das ist eine bess’re Freud’,
          Als nur ein schönes neues Kleid.

15
          An solche Freuden oft zu denken,

          Das wird dir meine Liebe schenken!


          38. Der Zahn.

Kind. Ach, wie kannst du mich denn plagen,
          Böser Zahn, und doch nicht wagen
          Darf ich’s, dich herauszureißen,
          Muß den Arzt noch kommen heißen.

5
Zahn. Ich hab’ über dich zu klagen;

          Immer mußt ich Zucker nagen,
          Du bist Schuld, wenn schon so lang’
          Ich dir mache Angst und bang.

[58]

               (Der Arzt kommt.)

Arzt. „Laß den Zahn mich einmal sehen;

10
          Es ist gut, wenn ich ihn seh’.“

          Spricht’s, fängt aber an zu drehen,
          Und das Kind ruft ach und weh.
          Doch der Zahn ist ausgefahren,
          Und gestillet ist die Noth;

15
          Keinen Zucker mehr seit Jahren

          Aß das Kind, aß lieber Brot.


          39. Das Wasserrädchen.

Kind. Lustig, lustig, Rädchen, laufe!
          Daß ich auch brav Mehl verkaufe,
          Wasser mußt genug du haben,
          Hat so viel da hier im Graben.

(Es gießt so viel Wasser auf, daß das Rädchen zusammenfällt.)

5
Rädchen. Liebes Kind, mußt deine Sachen

          Künftig etwas besser machen.
          Bin ein Rädchen und kein Rad,
          Das so große Kräfte hat.
          Nicht zu wenig, nicht zu viel,

10
          Das ist’s, was ich haben will.


Kind. Weiß es nun ein ander Mal,
          Klüger machte mich dein Fall.
          Steh’ jetzt wieder artig auf,
          Und fahr’ fort im muntern Lauf.

[59]

          40. Die Uhr.

Kannst du denn nicht schneller gehen?
Willst auch gar nicht mich verstehen,
Rief mit zorniger Geberde
Jenes Kind. Daß Abend werde

5
Auf der Stell’, ist sein Verlangen;

Doch, die Uhr ist gleich gegangen.
Nun, ich muß mit starken Mitteln
Helfen, denkt es, ich will rütteln
Diese träge Uhr, daß sie

10
Nicht so lange mehr verzieh’.

Was geschieht? die Uhr bleibt steh’n,
Und kann jetzt gar nicht mehr geh’n.


          41. Die Quelle.

Kind. O, wie sprudelst du so helle,
          Lang gewünschte Wasserquelle!
          Laß geschwind mich von dir trinken,
          Sonst muß ich zusammensinken;

5
          Ist mir doch so heiß und schwer,

          Finde keinen Athem mehr.

Quelle. Warte doch ein Bischen länger;
          Denn es würde dir noch bänger.
          Grade, wolltest du jetzt trinken,

10
          Würdest du zusammensinken.

          Sieh’, ich laufe dir nicht fort;
          Höre ernstlich auf mein Wort!

[60]

Kind. Nun, so will ich mich gedulden,
          Möcht’ kein Uebel selbst verschulden.

15
Q. (nach einer Weile.) Jetzt, mein Kind, jetzt neige dich

          Und trink’ zu, es freuet mich.


          42. Die Stecknadel.

Kind. Komm geschwind in meinen Mund,
          Kann dich dann bequemer nehmen,
          Müßte ja der Furcht mich schämen,
          Stichst mich so ja gar nicht wund!

5
Nadel. Leg’ mich lieber auf den Tisch,

          Bin gar eine spitz’ge Sache;
          Schau’, daß ich dich krank nicht mache,
          Daß du bleibst gesund und frisch.

(Das Kind steckt die Nadel in den Mund, muß plötzlich lachen und schluckt sie hinunter.)

Kind. Hülfe, Hülfe, lieber Gott,

10
          Nadel sticht mich ganz zu tod!

          Ach! was habe ich gethan,
          Kinder, nehmt ein Beispiel d’ran.


          43. Die kleine Anna.

Anna. Ach, wie bin ich doch so klein!
          Möcht’ so gerne größer sein!
          Alle Kinder treiben Spaß
          Mit mir unten auf der Gaß.

5
          Lieber bleibe ich zu Haus,

          Und geh’ gar nicht wieder aus.

[61]

Mutter. Sei nicht thöricht, liebes Kind!
          Wenn auch and’re größer sind,
          Das hat wenig zu bedeuten,

10
          Mußt darum die Gaß nicht meiden;

          Und wenn sie ein wenig scherzen,
          Nimm es nicht so stark zu Herzen.
          Auf die Größe kommt’s nicht an,
          Sondern daß man stets zufrieden

15
          Mit den Kindern bleiben kann.



          44. Die Kirschen.

Mutter. Hast du, Kind, es denn vergessen,
          Was ich sagte, und gegessen
          Von der ganz unreifen Frucht?
          Sprich, wo hast du sie gesucht?

5
Kind. Nein, ich habe nichts gegessen,

          Bin nur unter’m Baum gesessen,
          Schaute nur die Kirschen an,
          Böses hab’ ich nichts gethan.

Mutter. Schäm’ dich, jetzt erst noch zu lügen;

10
          Alle deine Worte trügen,

          Roth ist ja dein ganzer Mund,
          Er macht deinen Fehler kund.

K. (erschrocken.) Ach, verzeih’ mir, liebe Mutter,
          Soll gewiß nicht mehr gescheh’n.

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Mutter. Nun, ich hoff’ es, denn dem Lügner

          Kann es niemals wohl ergeh’n.

[62]


          45. Die Ameise.

Kind. Hast da eine schwere Last,
          Ist gewiß noch größer fast,
          Als du selbst, du kleines Thier,
          Mußt dabei erliegen schier.

5
          Laß mich sie ein wenig tragen,

          Oder was hast du zu sagen?

Ameise. Dank dir, Kind, für deine Güte,
          Hast ein freundliches Gemüthe!
          Aber sieh’, ich trage gern,

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          Daß ich’s immer besser lern’.

          Keiner ist zurückgeblieben,
          Der will seine Kräfte üben.


          46. Das Röslein.

Knabe. Wollte dich so gerne brechen,
          Und jetzt kannst du mich noch stechen,
          Röslein, das ist gar nicht schön,
          So läßt man dich lieber steh’n.

5
Röslein. Thut mir leid, du lieber Knabe,

          Aber daß ich Dörnlein habe,
          Das ist ja nicht meine Schuld,
          Sei nicht böse, hab’ Geduld!
          Mußt nur recht vorsichtig sein,

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          Dann mach’ ich dir keine Pein.


Knabe. Gut gesprochen, Röslein, gut,
          Komm’, und sitz auf meinen Hut!

[63]


          47. Die Rebe.

„Aus diesem dürren Holze da
Kann doch gewiß nichts wachsen. Ja,
Wenn es so grün und g’rade wär’,
Dann brächt’ es auch ein Früchtlein her.“

5
So sprach das Kind. Ein halbes Jahr

Ging d’rüber, und begierig war
Das Kind, doch wieder anzuschau’n
Das dürre Holz. Kaum konnt’ es trau’n
Dem eig’nen Aug’; denn eine Last

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Von zwanzig, dreißig Trauben fast

Hing an der Rebe. „Meinst du nun,
Ich dürres Holz könn’ gar nichts thun?“
So fragt die Rebe. Nicht der Schein
Muß künftighin dein Lehrer sein.

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Auch mancher Mensch ist unscheinbar,

Doch bringt er dir viel Gutes dar.


          48. Der Apfelkern.

Kind. Ich steckte dich da in die Erden,
          Du solltest mir ein Bäumchen werden,
          Und Aepfel bringen, gelb und roth;
          Doch thu’st du noch, als sei’st du todt.

5
          Das, Kernlein, ist nicht brav von dir,

          Du solltest besser wachsen mir!

Kern (der zum Boden herausguckt). Das Wachsen geht nicht so geschwind,
          Wie du es meinst, mein liebes Kind.

[64]

          Du wachsest auch nur nach und nach;

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          Erst jetzt mein Häuschen ich erbrach,

          Und komm an’s heit’re Tageslicht.
          In so gar kurzer Zeit kann nicht
          Ich meine schönen Aepfel geben,
          Es braucht dazu ein läng’res Leben.

15
          Es ruft dir zu dein Apfelkern:

          „Gedulde dich und warte gern.“


          49. Der zornige Jakob.

Im Zorn warf Jakob einen Stein
Dem Bruder nach, und traf sein Bein;
Der mußte gleich zu Boden sinken,
Und kann jetzt nicht mehr geh’n, nur hinken.

5
Das ist dem Jakob herzlich leid,

Und bitterlich er’s nun bereu’t
Daß er so bös und zornig war.
O, Kind, bedenke die Gefahr,
In die der Zorn dich bringen kann!

10
Sieht Jakob seinen Bruder an,

So will ihm keine Freud’ mehr scheinen,
So kann er anders nicht, als weinen.


          50. Die Gespielen.

Sie sind so vergnügt beisammen,
Spielen nur und zanken nicht;
Alle, die zu ihnen kamen,
Sah’n in ihrem Angesicht

[65]

5
Nur die heit’re Freude glänzen;

Denn sie sind einander lieb.
Seht, mit schönen Blumenkränzen
Schmücken sie zum Zeitvertrieb
Dieses kleine Gartenhaus.

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O, wie niedlich sieht es aus!

Mögen sie Jahr aus, Jahr ein
So vergnügt beisammen sein!