Seite:Arthur Schnitzler – Flucht in die Finsternis – 134.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Nach Dalmatien. Ich möchte Paula Spalato zeigen, den Palast des Diokletian, – Ragusa …“

Otto nickte. In diesen Gegenden hatten die Brüder vor vielen Jahren einmal als Knaben mit ihren Eltern die Osterzeit zugebracht. Otto erinnerte Robert an manche Einzelheiten jenes Aufenthaltes; und seine Stimme klang so warm, so nah – insbesondere als er dann noch von anderen, längst vergangenen Dingen und endlich auch vom Elternhaus, einem uralten, seither verschwundenen Gebäude der inneren Stadt, zu sprechen anfing –, daß Robert ein wundersames, lange nicht genossenes Gefühl von Geborgenheit durch die Seele fließen fühlte. Doch das währte nur eine kurze Weile. Dann schämte er sich seiner Rührung wie ein Betrogener, heftig hob er das Haupt empor, und mit einem forschend-kalten Blick, der den Bruder notwendig überraschen mußte, sah er ihm ins Auge. Und plötzlich, mit Grauen, erblickte er ein Antlitz, das er kannte. Es war das gleiche, das ihm neulich nachts aus dem Spiegel entgegengestarrt hatte, sein eigenes, blaß, mit weitaufgerissenen Augen und um die Lippen einen schmerzlich entsetzten Zug. Diese Ähnlichkeit war so außerordentlich, so zwingend, daß ihn der Gedanke durchzuckte, ob es nicht wirklich das Bild seines Bruders und nicht sein eigenes gewesen war, das ihm damals warnend oder drohend aus dem Spiegel entgegengeblickt hatte.

Empfohlene Zitierweise:
Arthur Schnitzler: Flucht in die Finsternis. Berlin: S. Fischer, 1931, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Arthur_Schnitzler_%E2%80%93_Flucht_in_die_Finsternis_%E2%80%93_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)