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Erzählt des heil’gen Armen Wunderleben.

34
Es sprach zu mir: Das eine Stroh ist leer,[1]

Und wohlverwahrt die Saat, allein entglommen
Von süßer Liebe, dresch’ ich dir noch mehr.

37
Du glaubst: der Brust, aus der die Ripp’ entnommen[2]

Zum Stoff des Weibes, deren Gaum hernach
Der ganzen Welt so hoch zu stehn gekommen,

40
Und jener, die, als sie der Speer durchstach,

So nach wie vor so große Gnüge brachte,
Daß sie die Macht jedweder Sünde brach,

43
Sei alles Licht, das je dem Menschen lachte,

Und deß er fähig ist, voll eingehaucht
Von jener Kraft, die jen’ und diese machte;

46
Und staunst, daß ich vorhin das Wort gebraucht:

Der fünfte Glanz sei bis zum tiefsten Grunde
Der Weisheit, wie kein zweiter mehr, getaucht.

49
Erschließ’ jetzt wohl die Augen meiner Kunde;

Mein Wort und deinen Glauben siehst du dann
Im Wahren, wie den Mittelpunkt im Runde.

52
Das, was nicht stirbt, und das, was sterben kann,[3]

Ist nur als Glanz von der Idee erschienen,
Die, liebreich zeugend, unser Herr ersann.


  1. 34. Die eine Frage (Ges. 11, V. 25 u. 26) ist beantwortet, und du hast die Belehrung in dich aufgenommen. Aus Liebe will ich dir die zweite beantworten: die nämlich, wie es sein könne, daß dem Salomo kein zweiter gleich gekommen sei.
  2. 37–48. Adam, von Gott unmittelbar erschaffen, und Christus, der Gottmensch, konnten doch dem Salomo nicht nachstehen.
  3. [52–87. Wir haben hier eine kurze Wiederholung der, schon zu Ges. 2, 112 und 7, 121 ff. auseinandergesetzten, Theorie von der mittelbaren und unmittelbaren Schöpfung, beziehungsweise eine nähere Auseinandersetzung ihrer letzten Principien, der drei göttl. Personen in ihrem Verhältnisse zur Schöpfung, welches ebenfalls schon in Ges. 1, 1 ff., 10, 1 ff. angedeutet worden. – Das Urbild (Idee) alles Erschaffenen, des Sterblichen und Unsterblichen, ruht in Christo (dem logos), als ein von Gott durch den h. Geist (Liebe) diesem eingestrahltes Licht V. 52–57. Die unmittelbare „Austrahlung“ (V. 58) jener Idee sind jene neun Engelchöre oder Intelligenzen, von welchen die erstgeschaffenen Kräfte in mittelbarer Schöpfungsthätigkeit auf die untergeordneten, elementaren Bildungskräfte ausgehen. Diese zeugen dann, mit oder ohne Samen, „kurzdauernde, sterbliche, [476] zufällige“ Dinge, V. 58–66, von mehrerer oder minderer Unvollkommenheit, V. 67–78, wie jene die unsterbliche, vollkommene Schöpfung bilden. Da nun aber auch Adam, der erste Mensch und nur dieser nebst Christo unmittelbare Geschöpfe Gottes sind, so mußten diese beiden alles Andere weit überragen und insofern hat der Dichter mit seinem, den Salomo betreffenden Zweifel (zu V. 34) Recht.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_475.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)