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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

anders, als sein Kind liege zerschmettert am Weg, er raufte sich den Bart und jammerte. Aber nirgends, soweit er zurückritt, sah er eine Spur von dem Knaben; schon stellte er sich vor, das scheu gewordene Roß habe ihn in einen Wassergraben geschleudert, der neben dem Wege lag. Da hörte er von einer Kinderstimme hinter sich seinen Namen rufen, und als er sich flugs umwandte – sieh, da saß ein altes Weib unweit der Straße unter einem Baum und wiegte den Kleinen auf ihren Knien.

„Wie kömmst du zu dem Knaben, alte Hexe?“ schrie der Graf in großem Zorn; „sogleich bringe ihn heran zu mir!“

„Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer Gnaden!“ lachte die alte, häßliche Frau, „könntet sonst auch ein Unglück nehmen auf Eurem stolzen Roß! wie ich zu dem Junkerlein kam, fraget Ihr. Nun, sein Pferd ging durch, und er hing nur noch mit einem Füßchen angebunden und das Haar streifte fast am Boden, da habe ich ihn aufgefangen in meiner Schürze.“

„Weiß schon!“ rief der Herr von Zollern unmutig, „gib ihn jetzt her; ich kann nicht wohl absteigen, das Roß ist wild und könnte ihn schlagen.“

„Schenket mir einen Hirschgulden!“ erwiderte die Frau demütig bittend.

„Dummes Zeug!“ schrie der Graf und warf ihr einige Pfennige unter den Baum.

„Nein! einen Hirschgulden könnte ich gut brauchen“, fuhr sie fort.

„Was Hirschgulden! Bist selbst keinen Hirschgulden wert“, eiferte der Graf, „schnell das Kind her, oder ich hetze die Hunde auf dich!“

„So? Bin ich keinen Hirschgulden wert“, antwortete jene mit höhnischem Lächeln; „na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist; aber da, die Pfennige behaltet für Euch.“ Indem sie dies sagte, warf sie die drei kleinen Kupferstücke dem Grafen zu, und so gut konnte die Alte werfen, daß alle drei ganz gerade in den kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf noch in der Hand hielt.

Der Graf wußte einige Minuten vor Staunen über diese wunderbare Geschicklichkeit kein Wort hervorzubringen, endlich [125] aber löste sich sein Staunen in Wut auf. Er faßte seine Büchse, spannte den Hahn und zielte dann auf die Alte. Diese herzte und küßte ganz ruhig den kleinen Grafen, indem sie ihn so vor sich hin hielt, daß ihn die Kugel zuerst hätte treffen müssen. „Bist ein guter, frommer Junge“, sprach sie, „bleibe nur so, und es wird dir nicht fehlen.“ Dann ließ sie ihn los, dräute dem Grafen mit dem Finger: „Zollern, Zollern, den Hirschgulden bleibt Ihr mir noch schuldig“, rief sie und schlich, unbekümmert um die Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstäbchen in den Wald. Konrad, der Knappe, aber stieg zitternd von seinem Roß, hob das Herrlein in den Sattel, schwang sich hinter ihm auf und ritt seinem Gebieter nach, den Schloßberg hinauf.

Es war dies das erste und letzte Mal gewesen, daß das böse Wetter von Zollern sein Söhnlein mitnahm zum Spazierenreiten; denn er hielt ihn, weil er geweint und geschrien, als die Pferde in Trab gingen, für einen weichlichen Jungen, aus dem nicht viel Gutes zu machen sei, sah ihn nur mit Unlust an, und so oft der Knabe, der seinen Vater herzlich liebte, schmeichelnd und freundlich zu seinen Knien kam, winkte er ihm, fortzugehen und rief: „Weiß schon! Dummes Zeug!“ Frau Hedwig hatte alle bösen Launen ihres Gemahls gerne getragen, aber dieses unfreundliche Benehmen gegen das unschuldige Kind kränkte sie tief; sie erkrankte mehrere Male aus Schrecken, wenn der finstere Graf den Kleinen wegen irgend eines geringen Fehlers hart abgestraft hatte, und starb endlich in ihren besten Jahren, von ihrem Gesinde und der ganzen Umgegend, am schmerzlichsten aber von ihrem Sohn beweint.

Von jetzt an wandte sich der Sinn des Grafen nur noch mehr von dem Kleinen ab; er gab ihn seiner Amme und dem Hauskapellan zur Erziehung und sah nicht viel nach ihm um, besonders, da er bald darauf wieder ein reiches Fräulein heiratete, die ihm nach Jahresfrist Zwillinge, zwei junge Gräflein, schenkte.

Kunos liebster Spaziergang war zu dem alten Weiblein, die ihm einst das Leben gerettet hatte. Sie erzählte ihm immer vieles von seiner verstorbenen Mutter, und wieviel Gutes diese an ihr getan habe. Die Knechte und Mägde warnten ihn oft,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Leipzig., Wien,: Bibliographisches Institut, 1891-1909, Seite 124-125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_063.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)