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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„wenn ja der Fall wieder einträte, wenn das liebe, herzige Kind, Prinzessin Sophie, des Teufels wäre!“

„Seien Sie still“, rief der Graf erblassend, „wahrhaftig, Ihre wahnsinnigen Geschichten sind ansteckend, man könnte sich am hellen Tage fürchten! Adieu! Vergessen Sie nicht, daß ‚Othello‘ auf jeden Fall gegeben wird; machen Sie mir keine Kunstgriffe mit Katarrh und Fieber, mit Krankwerdenlassen und eingetretenen Hindernissen. Beim Teufel, wenn Sie keine Desdemona hergeben, werde ich das Gespenst der Erwürgten heraufrufen, daß es diesmal selbst eine Gastrolle übernimmt.“

Der Alte kreuzigte sich und fuhr ungeduldig auf seinen Schuhen umher; „welche Ruchlosigkeit“, jammerte er; „wenn sie nun erschiene, wie der steinerne Gast?[1] Lassen Sie solche Reden, ich bitte Sie, wer weiß, wie nahe jedem sein eigenes Verderben ist.“

Lachend stiegen die beiden die Treppe hinab, und noch lange diente der musikalische Prophet mit der Florentiner Mütze und den Pelzschlittschuhen ihrem Witz zur Zielscheibe.


6.

Es gab Stunden, worin der Major sich durchaus nicht in den Grafen, seinen alten Waffenbruder, finden konnte. War er sonst fröhlich, lebhaft, von Witz und Laune strahlend, konnte er sonst die Gesellschaft durch treffende Anekdoten, durch Erzählungen aus seinem Leben unterhalten, wußte er sonst jeden, mochte er noch so gering sein, auf eine sinnige, feine Weise zu verbinden, so daß er der Liebling aller, von vielen angebetet, wurde, so war er in andern Momenten gerade das Gegenteil. Er fing an, trocken und stumm zu werden, seine Augen senkten sich, sein Mund preßte sich ein. Nach und nach ward er finster, spielte mit seinen Fingern, antwortete mürrisch und ungestüm. Der Major hatte ihm schon abgemerkt, daß dies die Zeit war, wo er aus der Gesellschaft entfernt werden müsse, denn jetzt fehlten noch wenige Minuten, so zog er mit leicht aufgeregter Empfindlichkeit jedes unschuldige Wort auf sich und fing an zu wüten und zu rasen.

[303] Der Major war viel um ihn, er hatte aus früherer Zeit eine gewisse Gewalt und Herrschaft über ihn, die er jetzt geltend machte, um ihn vor diesen Ausbrüchen der Leidenschaft in Gesellschaft zu bewahren; desto greulicher brachen sie in seinen Zimmern aus; er tobte, er fluchte in allen Sprachen, er klagte sich an, er weinte. „Bin ich nicht ein elender, verworfener Mensch?“ sprach er einst in einem solchen Anfall; „meine Pflichten mit Füßen zu treten, die treueste Liebe von mir zu stoßen, ein Herz zu martern, das mir so innig anhängt! Leichtsinnig schweife ich in der Welt umher, habe mein Glück verscherzt, weil ich in meinem Unsinn glaubte, ein Kosciusko zu sein, und bin nichts als ein Schwachkopf, den man wegwarf! Und so viele Liebe, diese Aufopferung, diese Treue so zu vergelten!“

Der Major nahm zu allerlei Trostmitteln seine Zuflucht. „Sie sagen ja selbst, daß die Prinzessin Sie zuerst geliebt hat; konnte sie je eine andere Liebe, eine andere Treue von Ihnen erwarten als die, welche die Verhältnisse erlauben?“

„Ha, woran mahnen Sie mich!“ rief der Unglückliche, „wie klagen mich Ihre Entschuldigungen selbst an! Auch sie, auch sie betört! Wie kindlich, wie unschuldig war sie, als ich Verruchter kam, als ich sie sah mit dem lieblichen Schmelz der Unschuld in den Augen! Da fing mein Leichtsinn wieder an; ich vergaß alle guten Vorsätze, ich vergaß, wem ich allein gehören dürfte; ich stürzte mich in einen Strudel von Lust, ich begrub mein Gewissen in Vergessenheit!“ Er fing an zu weinen, die Erinnerung schien seine Wut zu besänftigen. „Und konnte ich“, flüsterte er, „konnte ich so von ihr gehen? Ich fühlte, ich sah es an jeder ihrer Bewegungen, ich las es in ihrem Auge, sie liebte mich; sollte ich fliehen, als ich sah, wie diese Morgenröte der Liebe in ihren Wangen aufging, wie der erste, leuchtende Strahl des Verständnisses aus ihrem Auge brach, auf mich niederfiel, mich aufzufordern schien, ihn zu erwidern?“

„Ich beklage Sie“, sprach der Freund und drückte seine Hand; „wo lebt ein Mann, der so süßer Versuchung widerstanden wäre?“

„Und als ich ihr sagen durfte, wie ich sie verehre, als sie mir mit stolzer Freude gestand, wie sie mich liebe, als jenes traute,


  1. Im „Don Juan“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891-1909, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_152.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)