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Seite:De Wilhelm Hauff Bd 4 179.jpg

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Chevalier de Planto?“ unterbrach sie der Arzt; „hieß so jener Mann, der Sie aus dem Hause Ihres Stiefvaters führte?“

„So hieß er; ich war voll Freude, meine letzte Furcht war verschwunden, und es stand nichts mehr im Wege, meinen Wohltätern nicht mehr beschwerlich zu fallen. Schon einige Wochen nachher kam ich nach B. Ich ging vorgestern abend auf die Redoute, und ich will Ihnen nur gestehen, daß ich recht freudig gestimmt war. Boloni durfte nicht wissen, in welchem Kostüm ich erscheinen würde, ich wollte ihn necken und dann überraschen. Auf einmal, wie ich allein durch den Saal gehe, flüstert eine Stimme in mein Ohr: ‚Schepperl! was macht dein Onkel?‘ Ich war wie niedergedonnert; diesen Namen hatte ich nicht mehr gehört, seit ich den Händen jenes Fürchterlichen entgangen war; mein Onkel! ich hatte ja keinen, und nur einer hatte gelebt, der sich vor der Welt dafür ausgab, der Chevalier de Planto. Ich hatte kaum so viel Fassung, zu erwidern: ‚Du irrst dich, Maske!‘ Ich wollte hinwegeilen, mich unter dem Gewühl der Menge verbergen, aber die Maske schob ihren Arm in den meinigen und hielt mich fest. ‚Schepperl!‘ sprach der Unbekannte, ‚ich rate dir, ruhig neben mir herzugehen, sonst werde ich den Leuten erzählen, in welcher Gesellschaft du dich früher umhergetrieben.‘ Ich war vernichtet, es wurde Nacht in meiner Seele, nur ein Gedanke war in mir lebhaft, die Furcht vor der Schande. Was konnte ich armes, hilfloses Mädchen machen, wenn dieser Mensch, wer er auch sein mochte, solche Dinge von mir aussagte? die Welt würde ihm geglaubt haben, und Carlo! ach, Carlo wäre nicht der letzte gewesen, der mich verdammt hätte. Ich folgte dem Mann an meiner Seite willenlos. Er flüsterte mir die schrecklichsten Dinge zu; meinen Onkel, wie er den Chevalier nannte, habe ich unglücklich gemacht, meinen Vater, meine Familie ins Verderben gestürzt. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ich riß mich los und rief nach meinem Wagen. Als ich mich aber auf der Treppe umsah, war diese schreckliche Gestalt mir gefolgt. ‚Ich fahre mit dir nach Hause, Schepperl‘, sprach er mit schrecklichem Lachen; ‚ich habe noch ein paar Worte mit dir zu reden.‘ Die Sinne vergingen mir, ich fühlte, daß ich ohnmächtig werde, ich wachte erst wieder im Wagen auf, die Maske saß neben mir. [357] Ich stieg aus und ging auf mein Zimmer, er folgte; er fing sogleich wieder an zu reden; in der Todesangst, ich möchte verraten werden, schickte ich Babette hinaus.

‚Was willst du hier, Elender!‘ rief ich voll Wut, mich so beleidigt zu sehen. ‚Was kannst du von mir Schlechtes sagen? Ohne meinen Willen kam ich in jenes Haus; ich verließ es, als ich sah, was dort meiner warte.‘

‚Schepperl, mache keine Umstände, es gibt nur zwei Wege, dich zu retten. Entweder zahlst du auf der Stelle zehntausend Franken, sei es in Juwelen oder Gold, oder du folgst mir nach Paris; sonst weiß morgen die ganze Stadt mehr von dir, als dir lieb ist.‘ Ich war außer mir. ‚Wer gibt dir dieses Recht, mir solche Zumutungen zu machen?‘ rief ich; ‚wohlan! sage der Stadt, was du willst; aber auf der Stelle verlasse dieses Haus! ich rufe die Nachbarn.‘

Ich hatte einige Schritte gegen das Fenster getan, er lief mir nach, packte meinen Arm. ‚Wer mir das Recht gibt?‘ sprach er; ‚dein Vater, Täubchen, dein Vater.‘ Ein teuflisches Lachen tönte aus seinem Mund, der Schein der Kerze fiel auf ein Paar graue, stechende Augen, die mir nur zu bekannt waren. In demselben Moment war mir klar, wen ich vor mir hatte; ich wußte jetzt, daß sein Tod nur ein Blendwerk war, das er zu irgend einem Zweck erfunden hatte; die Verzweiflung gab mir übernatürliche Kraft; ich rang mich los, ich wollte ihm seine Maske abreißen. ‚Ich kenne Euch, Chevalier de Planto‘, rief ich, ‚aber Ihr sollt den Gerichten Rechenschaft über mich geben müssen.‘ – ‚So weit sind wir noch nicht, Täubchen‘, sagte er, und in demselben Augenblick fühlte ich sein Eisen in meiner Brust, ich glaubte zu sterben.“

Der Doktor schauderte; es war heller Tag, und doch graute ihm, wie wenn man im Dunkeln von Gespenstern spricht. Er glaubte das heisere Lachen dieses Teufels zu hören, er glaubte hinter den Gardinen des Bettes die grauen, stechenden Augen dieses Ungeheuers glänzen zu sehen. „Sie glauben also“, sagte er nach einer Weile, „daß der Chevalier nicht tot ist, daß es derselbe ist, der Sie ermorden wollte?“

„Seine Stimme, sein Auge überzeugten mich; das Tuch, das

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig., Wien, 1891–1909, Seite 356–357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_4_179.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)