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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Mund, was allerdings Herr Walke hinter ihm nicht sehen konnte, der eben dadurch, da des Vormanns breiter Rücken gleich einem Schilde ihn deckte, den größten Theil der Aussicht auf die Bühne verlor. Während des Lustspiels, welches dem ersten Theile des Ballets vorherging, ertrug Walke ohne Murren das Unangenehme seiner Lage, als aber dieses beendet, und Lucie Grahn ihre Salto mortales als Willy’s begann, als sie mit dämonischer Lust den Geliebten auf dem Friedhofe gleichsam umflatterte und mit Riesensprüngen vom Hintergrunde der Bühne bis vor an den Souffleurkasten wirbelte, als die Ah’s und Oh’s des Erstaunens und der Bewunderung aus allen Räumen des Theaters der gefeierten Künstlerin entgegenschallten, und Herr Falke immer häufiger sich erhob, als ob der Schmerz in seinen Füßen während dieses Tanzes im Steigen begriffen schien, da schwoll dem kleinen gutmüthigen Walke die Zornader und heftig rief er Falken zu:

Herr, bleiben Sie doch ruhig sitzen. Glauben Sie vielleicht ich habe den erhöhten Preis für meinen Platz nur darum bezahlt, um weiter nichts hier zu sehen als Ihre Westseite?!

Ruhe auf der Gallerie! tönte es von mehreren Seiten, während Lucie Grahn einen ihrer groteskesten Sprünge ausführte, den Walke ebenfalls nicht zu sehen bekam, da Falke schon wieder aufgestanden war.

Niedersetzen! schrie Walke, von Zorn überwältigt.

Niedersetzen! riefen mehrere Stimmen, wie spottend nach, indeß die Grahn wie von Sturmwind erfaßt, mehr über der Bühne als auf derselben in wirbelnden Kreisbewegungen sich drehte.

Herr! sind Sie denn taub! knirrschte Walke dem unbeweglich stehen bleibenden Falke zu, und sprang auf um Falken auf den Kopf zu drücken und so handgreiflich diesen zum Niedersetzen zu bewegen; aber wahrscheinlich war diese Bewegung zu heftig gewesen, oder Falke hatte zu schnell sich mit dem Kopfe gebückt, denn Walke behielt zur Ergötzlichkeit der Umsitzenden plötzlich die Perrücke Falkens in der Hand, während dieser rasch sich umdrehte, und ehe Walke ausweichen konnte, diesen ebenfalls in die Haare gerieth, und mit einem Ruck nun auch dessen Perrücke erobert hatte.

Ein fürchterliches Gelächter erschallte längs den Bänken der Gallerie, als beide Gegner stumm vor Wuth und Schreck, jeder die Perrücke des Andern in der Hand haltend sich grimmig anblickten, aber ehe Falke und Walke Worte fanden ihren Zorn auszuschütten, erschienen Polizeibeamte Ruhe gebietend, denn das übrige Theaterpublikum im Parterre und in den Rängen, welche das Lächerliche dieses Auftritts nicht bemerkt hatten, verlangten entrüstet Beseitigung dieser Störung.

Ohne ein Wort zu wechseln, warfen sich Beide ihre Perrücken zu und nahmen ihre Plätze wieder ein, die Ruhe kehrte zurück, das Gelächter der Umsitzenden verstummte und unter rauschendem Beifall der Menge endete der erste Theil des Ballets.

Falke, welcher nun ohne öfterer aufzustehen sitzen blieb, so wie Walke, sprachen kein Wort, nur von Zeit zu Zeit während des zweiten Lustspiels, welches dem letzten Theile des Ballets vorher ging, begegneten sich beider Blicke voll Groll und boshaften Lächeln, aber auch dieses unterblieb beim Wiederbeginn des Ballets, und bald hatten die an’s Wunderbare grenzenden Leistungen der berühmten Tänzerin die letzten Ueberreste des Grolls aus den Herzen der beiden Feinde verweht, denn Beide fingen an Beifall zu klatschen und sich in Acclamationen zu ergehen.

Wahrhaftig, bemerkte Herr Falke, zu einem seiner Nachbarn. Diese Grahn ist doch unerreichbar und eine wirkliche Königin des Ballets.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)