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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

ist bis auf ein paar unscheinbare Mauerreste, die man nur mühsam entdecken kann, zerfallen, aber die rächenden Möwen hat bis auf den heutigen Tag von der unfruchtbaren kleinen Insel im Schleistrome noch keine menschliche Macht zu verscheuchen vermocht. Zu Tausenden nisten die graziösen Seevögel auf dem stillen Eilande, in dessen hohem Binsengestrüpp der Wind pfeift. Bei hellem Sonnenlicht glänzt ihr Gefieder wie polirtes Silber und einer merkwürdig leuchtenden Wolke gleich kreisen sie über dem fahlgrünen Erdflecke. Des Nachts flattern sie unruhig umher, schaukeln sich auf den Wogen der Schlei oder verbergen sich im schirmenden Binsengras.

Die gegenwärtige Generation weiß wenig mehr von den Geschicken, die sich an den unscheinbaren Inselbrocken in der Schlei heften; sie hat großentheils den Namen der Burg vergessen, die sich dereinst mit ihren stolzen Thürmen und Hallen auf derselben erhob; aber von dem Grabe König Abel’s im Pölerholze, von der Ermordung Erich’s auf der Schlei bei Missunde und von den nächtlichen Wanderungen des Brudermörders nach der Insel und hinab bis an den Ort, wo er den Bruder tödten ließ, spricht noch jetzt alle Welt im Lande Schleswig. Das Volk glaubt an Abel’s nächtliche Umgänge. Viele wollen die schwarze Gestalt des unseligen Königs in der Nacht vom neunten zum zehnten August[WS 1] um die Insel haben schweifen und dann wieder zurückkehren gesehen haben nach der verrufenen Waldung. Bisweilen steigt auch nach dem Volksglauben, gleich einer wunderbar glänzenden Fata Morgana in tiefer Nacht die Jurisburg selbst über die Insel empor, von zahllosen Lichtern erhellt. Dann glätten sich die Wasser der Schlei und wer dieses nächtlichen Wundergebildes ansichtig wird und gerade auf dasselbe zuschreitet, den tragen die Wogen des Meerstromes ungefährdet hinüber auf die Insel; er kann die ehemalige Burg Abel’s betreten und sich einen Theil der daselbst angehäuften Schätze zueignen.

Gegenwärtig ist der Ort, wo sich die glänzende Residenz Herzog Abel’s erhob, ein wüster Erdfleck, der nur einmal im Jahre von Menschen betreten wird. Beherrscher dieses unfruchtbaren Eilandes sind die Möwen, weshalb dasselbe schon seit unvordenklicher Zeit den Namen „Möwenberg“ führt. Im Monat Juli, wenn die junge Brut flügge zu werden beginnt, wird an einem dazu bestimmten Tage Jagd auf die harmlosen Vögel gemacht, und dieser Tag ist für alle Bewohner Schleswigs ein Festtag. Die Insel in der Schlei wird auf ein gegebenes Zeichen, das aus drei Schüssen besteht, förmlich erstürmt, worauf die Möwenjagd, „das Möwenschießen oder der Möwenpreis“ genannt, beginnt. Diese Schlacht endigt mit Vernichtnug der jungen Brut die älteren Möwen, sofern sie den Geschossen ihrer erbarmungslosen Verfolger entgehen, verlassen auf kurze Zeit die Schleiinsel fliehen klagend meerwärts, gehen aber nur selten weiter östlich, als bis Missunde. Hier streichen sie fort und fort über dem Wasserspiegel auf und ab, als müßten sie noch immer den Leichnam des rechtlos Erschlagenen auf dem Grunde der Fluth bewachen. Erst nach Wochen steigt der Möwenschwarm wieder aufwärts, es zeigen sich einzelne über der Stadt Schleswig, andere flatternauf- und niedersteigend um den zertretenen Grabhügel ihrer Kinder, und noch ehe der Herbst eintritt, ist der Möwenberg, dieser Ort, wo sonst die Jurisburg thronte, von den weherufenden Vögeln, welche die Ermordung Erich’s mit ansahen, wieder bevölkert.




Türkische Spiegelbilder.

Spaziergänge. – Der Balkan mit seinen Engpässen. – Der Türke im Kampfe mit dem christlichen Frack. – Türkisches Junggesellenthum und Familienleben. – Der Türke mit Sprungriemen. – Handel mit Mädchen. – Wie diese erzogen werden. – Der Sonntag der Frauen in Constantinopel.

Wir laden unsere Leser ein, uns auf einigen Spaziergängen in das Innere der türkischen Sitten und Gebräuche zu begleiten, also in die Kreise, von denen die „orientalische Frage“ wesentlich abhängt. Wir wollen nicht politisiren, aber dafür haben wir auch das Recht, uns die Völker etwas genauer anzusehen, als es Diplomaten und Politiker thun. Die sehen immer den Wald vor Bäumen nicht und horchen und schreiben und electrotelegraphiren über Menschen und Thatsachen, die alle Augenblicke Schicksale ganzer Völker entscheiden zu können scheinen, und welche doch weiter nichts sind, als einzelne, unbedeutende Blüthen und Früchte der sittlichen und socialen Zustände eines Volks.

Ehe wir aber diese Spaziergänge antreten, kehren wir mit unsern der Zeitgeschichte entnommenen Illustrationen nochmals auf das Gebiet an der Donau zurück, wo der Waffen blutiges Spiel bereits begonnen hat. Der Balkan, ein über 50 Meilen langes Gebirge, in dessen Thälern vielleicht nächstens schon blutige Schlachten geschlagen werden, läuft parallel mit der Donau, ungefähr 10–15 Meilen von dieser entfernt. Obwohl es sich nicht gerade zu beträchtlicher Höhe erhebt, so ist es doch rauh, steinig, mit dichten großen Wäldern bedeckt, und schwer zugänglich. Das Gebirge zerfällt in den großen Balkan (zwischen Sofia und Kasanlik) und den kleinen Balkan, der von letzterm Orte bis zum schwarzen Meere läuft. Ueber das ganze Gebirge führen nur fünf gangbare Passagen, von denen die von Tirnowa die schwierigste ist, und die von Aidos die besuchteste. Die Porta Trajana, zwischen Sofia und Philippopel ist eine schon zur Zeit der Römer bekannte Passage. Die Passage von Schumla aus über den Balkan nach Karnabat war diejenige,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der 10. August ist der Gedenktag Erichs. Abel ließ ihn am 10. August 1250 ermorden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_500.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2020)