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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

von Leiden des Gehirns und der Hirnhäute veranlaßte Kopfschmerz tiefer sitzend und nicht durch Druck, wohl bisweilen aber durch Schütteln des Kopfes, schnelles Bücken und Umdrehen, plötzliches Aufrichten, Anhalten des Athems, Husten, Niesen, Brechen und Bauchpressen zu steigern; auch vermehrt er sich durch geistige und Sinnes-Anstrengungen. Was die Beschaffenheit dieses Kopfschmerzes betrifft, der bei verschiedenen Kranken trotzdem, daß derselbe durch ganz dasselbe Leiden veranlaßt wird, doch sehr verschieden sein kann, so hört man denselben bezeichnen: als bohrend, drückend, stechend, brennend, nagend, klopfend, reißend, schneidend, durchschießend, dumpf, drückend, den Kopf zusammenpressend oder aus einander treibend, mit Wüstheit oder Vollheit und Schwere im Kopfe, eisig kältend; als festsitzend oder flüchtig, wandernd, fließend, oberflächlich oder tief, genau umschrieben; als anhaltend, bald vorübergehend, aussetzend, periodisch, durch gewisse Zustände vermehrt oder vermindert; verbunden mit Appetitlosigkeit, Brechneigung, Brechen, Schwindel, Mattigkeit, Sinnesstörungen (Flimmern vor den Augen, Ohrensausen, große Empfindlichkeit des Gesichts- und Gehörsinnes), Schlaflosigkeit oder Schlafsucht u. s. w. — Für den Laien ist derjenige Hirn-Kopfschmerz, welcher häufig wiederkehrend (d. i. der habituelle Kopfschmerz), aber weder von Fieber (beschleunigtem Pulse und gesteigerter Körperwärme), noch von krampfhaften oder lähmungsartigen Nervenaffektionen begleitet ist, insofern der wichtigere, als er weit leichter durch eine passende Lebensweise von Seiten des Patienten, als durch Arzneien des Arztes gehoben werden kann. Bei diesem Kopfschmerze kommt es nun in Frage, ob er von widernatürlicher Reizung oder von widernatürlicher Reizbarkeit des Gehirns herrührt.

Hirn-Kopfschmerz aus widernatürlicher Reizung des Gehirns. Hierbei kann das übrigens gesunde Gehirn ganz unmittelbar oder mittelbar (durch Vermittelung der in dasselbe eintretenden Sinnes- und Empfindungsnerven) widernatürlich gereizt werden. Gewöhnlich ist die Folge solcher öfters wiederkehrender oder längere Zeit andauernder Reizungen die widernatürliche Reizbarkeit des Gehirns, und dann häufiger und anhaltender Kopfschmerz. —— Die unmittelbare Reizung der Gehirnsubstanz kann ebensowohl vom Blute, welches das Gehirn durchströmt und sich hinsichtlich seiner Menge und Beschaffenheit in falschem Zustande befinden kann (z. B. bei Vergiftungen desselben, wozu auch der Alcoholmißbrauch gehört), wie von heftigeren sogenannten geistigen Eindrücken (von Denk- und Gemüths-Anstrengungen, leidenschaftlichen Aufregungen) ausgehen. Eine mittelbare Reizung des Gehirns, durch die Sinnes- oder Empfindungsnerven vermittelt, könnte veranlaßt werden: durch grelles Licht, scharfe Augengläser, längeres Betrachten kleiner, besonders glänzender Gegenstände, starke und widrige Gerüche, erschütternde und angreifende Gehörseindrücke (Wagner’sche Musik), Einwirkung von bedeutenderer Hitze oder Kälte (Kaltwasserquälerei), schmerzhafte Krankheiten, Operationen und Verletzungen, Elektricität und Galvanismus, geschlechtliche Ueberreizung und durch Reizmittel aller Art. — Bei der Behandlung dieses Kopfschmerzes ist natürlicher Weise die widernatürliche Reizung des Gehirns aufzuheben und für Ruhe, sowie für richtige Ernährung dieses Organs Sorge zu tragen. Geschieht dies nicht in Zeiten, dann kann das Gehirn, wie schon gesagt wurde, eine solche Reizbarkeit erlangen, daß der Kopfschmerz eine ganz enorme Höhe erreichen und anhaltend werden kann. Und dann Gnade Gottes, wenn ein solcher Patient in die Hände eines arzneisüchtigen Arztes fällt; denn der kurirt jetzt auf allerhand organische Hirnkrankheiten (Erweichung, Ausschwitzung, Geschwulst u. s. f.) mit den wirksamsten Mitteln los. — Am gewöhnlichsten wird vom Arzte und Laien die zu starke Anfüllung der Hirn- oder Hirnhautgefäße mit Blut (der sogenannte Blutandrang oder die Congestionen nach dem Kopfe) als Ursache der Reizung des Gehirns und sonach des Kopfschmerzes angesehen. Ob mit Recht, läßt sich schwer bestimmen, da noch Niemand zur Zeit des Kopfschmerzes in den Kopf hineingeguckt hat, und die Röthe des Gesichtes, sowie die Wärme der Kopfhaut noch gar nicht beweisen können, daß es innerhalb des Schädels auch so aussieht, wie außen. Keinen Falles wird es nun aber schaden, im Gegentheile stets nützen, wenn Jemand, dessen Kopfschmerz mit Röthe und Hitze der äußern Theile des Kopfes verbunden ist (d. i. der sogen. congestive Kopfschmerz), das thut, was den Blutlauf durch den Körper, und so auch durch das Gehirn und die Hirnhäute regulirt. Das ist aber in Gartenlaube 1855. Nr. 6. besprochen worden und besteht hauptsächlich: in kräftigem Athmen in guter Luft, zweckmäßiger Bewegung und hinreichendem Wassergenuß. Außerdem muß noch auf gehörige Leibesöffnung, warme Füße (Fußbäder) und kühlen Kopf, auf leichte und reizlose Kost gehalten und Alles vermieden werden, was stärkeres Herzklopfen veranlaßt. — Gewöhnlich werden auch Störungen im Bereiche der Verdauung als Ursachen des Kopfschmerzes (d. i. der sogen. gastrische Kopfschmerz) angesehen, und in der That giebt es Personen, die nach gewissen Speisen Kopfschmerzen bekommen wollen. In den meisten Fällen dürfte sich aber die Sache umgekehrt verhalten und der Kopfschmerz die Verdauungsstörungen veranlassen, oder eine und dieselbe Ursache Schuld an beiden Uebeln tragen.

Hirn-Kopfschmerz aus widernatürlicher Reizbarkeit des Gehirns. Hier bringen schon gewöhnliche Reizungen (geistiger und gemüthlicher Art, sowie durch die Sinnes- und Empfindungsnerven) in der krankhaft empfindlichen Hirnsubstanz Schmerzen hervor. Diese abnorme Empfindlichkeit ist aber entweder die Folge früherer, oft und lange einwirkender widernatürlicher Reizungen des Gehirns, von denen vorher die Rede war, oder sie ist durch eine falsche und mangelhafte Ernährung der Hirnsubstanz veranlaßt; in den meisten Fällen trägt allgemeine Blutarmuth (s. Gartenlaube 1853. Nr. 49) oder Blutmangel blos im Gehirne, der durch ein Mißverhältniß von Einnahme und Ausgabe des Hirn-Blutes erzeugt wird, die Schuld an der reizbaren Schwäche des Gehirns. Deshalb haben Bleichsüchtige, Gelehrte bei schmaler Kost, sogen. nervöse und hysterische Frauen, auf Bällen und in Gesellschaften florirende Damen, Kaltwasser-Fanatiker, stillende Mütter, Wüstlinge, von Gram und Sorge Heimgesuchte etc. so oft Kopfschmerzen. Alle diese Patienten tragen die Erscheinungen der Blutarmuth in höherem oder niederem Grade an sich, wie: Bleiche der Lippen, des Zahnfleisches, der Zunge und der innern Bekleidung der Augenlider; dünne, blasse und durchscheinende, mit röthlich-violetten Adern durchzogene Haut, allgemeine Mattigkeit u. s. w.— Daß die Behandlung dieses, aus widernatürlicher Reizbarkeit der Hirnsubstanz entsprungenen Kopfschmerzes (d. i. der sogen. nervöse Kopfschmerz) auf die Herstellung einer normalen Reizbarkeit des Gehirns gerichtet sein muß, versteht sich wohl von selbst. Eine solche ist aber nur dadurch zu erlangen, daß das zu reizbare Gehirn eine Zeit lang so viel als möglich ungereizt bleibt oder doch nur zu schwacher Thätigkeit veranlaßt und während dieser Zeit der Ruhe richtig (durch gehörig eiweiß- und fetthaltige Nahrung) ernährt wird. Vorzüglich ist nach einem langen und ruhigen Schlafe, während welches ja das Gehirn unthätig und nur mit seiner Restauration beschäftigt ist, zu streben. Beim Kopfschmerz Blutarmer und Bleichsüchtiger (d. i. der sogen. anämische oder chlorotische) muß natürlich durch die vermehrte Aufnahme von zweckmäßigen, besonders thierischen Nahrungsstoffen, und durch die Verminderung des Blutverbrauches (s. Gartenlaube 1853. Nr. 49) die Menge und Beschaffenheit des Blutes verbessert werden. Die Meinung, daß hierbei kalte Bäder (Seebad) und kalte Waschungen dienlich wären, ist eine durchaus falsche, da die Kälte nur als Reizmittel und in unserm Falle deshalb nur schädlich wirken kann. Wohl unterstützen aber warme Bäder durch Bethätigung der Hautfunktion die Heilung.

Hoffentlich wird der Leser aus dem Gesagten gemerkt haben, wie schwierig die Beurtheilung und wie langwierig die Behandlung der Kopfschmerzen ist, und wie die Heilung der Mehrzahl derselben weit mehr vom Patienten als vom Arzte abhängt, denn die Regelung der Lebensweise und nicht die Arznei ist es, welche hier heilbringend wirkt. Davon wollen aber leider die Patienten nichts wissen, weil ihnen ein regelmäßiges Leben unbequemer als das Medicineinnehmen ist.

Bock. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_091.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)