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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

noch wiedersehen werden. Was ich erfuhr, hat, wie geringe es auch sein mag, eine Vergangenheit in mir wach gerufen, die ich längst überwunden glaubte. Dieser Knabe, der wie ich Alexis heißt, dessen Ähnlichkeit mit mir so bedeutend war, daß sie nicht blos der Geistliche, sondern auch die Bauern, die mich zufällig erblickten, bemerkten, giebt mir viel zu denken. Bei dem Beginn meiner Reise sagte ich Ihnen, ich würde Ihre Vaterstadt zu einem längeren Wohnsitz wählen. Jetzt ist sie nur eine Station für mich geworden, von der ich nach kurzer Rast scheide.“

Er reichte mir zum Abschiede die Hand, und ohne ein Wort weiter zu sagen, entfernte er sich.


II.

Auf einem steilen Hügel, dessen granitnen Fuß die Seebrandung umrauscht, erhob sich ein finsteres Schloß, zu welchem man nur auf einem zerfahrenen, mit Gestrüpp und Steingeröll bedeckten Weg gelangte. Auch legten sich Wenige diese Anstrengung auf, denn die Mauern und Thürme waren verwittert, das Dach mit Moos bewachsen und Schaaren von Krähen und Dohlen hatten dort oben ihre Herberge. Die ganze Erscheinung hatte eher etwas Abstoßendes, als etwas Anziehendes, und die nach Romantik begierigen Reisenden wählten lieber eine auf einer zugänglicheren Höhe malerisch liegende Ruine, die auf ein reiches, blühendes Thal hinabschaute.

Das Schloß galt für verödet, und nur die am Fuße des steilen Hügels wohnenden wenigen Sassen wußten, daß ein geringer Theil desselben noch jetzt bewohnt wurde. Ein unbekannter alter Herr lebte dort mit einem eben so alten Diener, und Beide kamen mit den Sassen am Fuße des Schloßberges nur selten in Berührung.

Sie erinnerten sich des alten Herrn, den sie nicht gesehen hatten, seit er die Ruine bezog, als eines stattlichen Greises mit schneeweißem Haupte. Die Jahre hatten es nicht gebeugt. Seine strengen Gesichtszüge, die selten durch einen schmerzlichen Ausdruck gemildert wurden, sagten, daß eine sturmbewegte Zeit hinter ihm lag. Den größten Theil der langen Herbstabende brachte er in dem stattlichsten der von ihm bewohnten Gemächer zu und beobachtete hier die prasselnden Flammen im Kamine. Manchmal flog sein Auge flüchtig über ein Gemälde hin, dessen lebensgroße Figuren einen Theil der Wand bedeckten, und diese Augenblicke waren es, wo die Empfindungen der Wehmuth und des Schmerzes die Strenge seiner Züge milderten.

Es war ein schönes, farbenprächtiges Bild, von Meisterhand auf diese breite Fläche gemalt. Durch einen Pfeiler ward es in zwei Felder getheilt. Das erste Feld zeigte eine reichgeschmückte Halle von tausend flammenden Kerzen erhellt. Auf einer Estrade des Hintergrundes standen die Musiker in Gold und Scharlach gekleidet. Zu ihren Füßen drehten sich die muntern Schaaren im fröhlichen Tanz. Seitwärts an einer Säule lehnte die Gestalt eines ältlichen Herrn mit vornehmen Manieren, in schwarzen Sammet gekleidet, der behaglich lächelnd die vielfach verschlungenen Gruppen betrachtete. Augenscheinlich hatte dieser Herr auf dem Bilde große Ähnlichkeit mit dem Herrn am Kamin, nur daß Ersterer viele Jahre jünger war und schwerer Gram seine Stirn nicht durchfurchte. Ein lieblicher Knabe, buntphantastisch gekleidet, schmiegte sich kindlich an den Herrn im schwarzen Sammetkleide und schien die Theilnahme desselben für eine Zeichnung gewinnen zu wollen, die er ihm entgegenhielt. Aber der Herr strich gutmüthig die Falten der Ungeduld aus dem Gesicht des kleinen Künstlers, hatte wenig Auge für seine kindische Schöpfung und schenkte seine ganze Aufmerksamkeit einem jungen Paare, das aus den Reihen der Tänzer getreten war. Die Jungfrau stand, in holder Scham erglühend, das Gesicht abgewendet und hielt eine Blume in der Hand, noch nicht mit sich einig, ob sie dem jungen Ritter diese stürmisch begehrte Gabe reichen dürfe oder nicht. Eine zweite, ganz gleiche Blume an ihrer Brust zeigte, woher sie die erste genommen. Der junge Ritter, das sah man auf den ersten Blick, war entweder der Sohn und Bruder oder doch ein naher Verwandter des beobachtenden alten Herrn und des lieblichen Knaben. Eifrig bemühte sich der junge Ritter um die Blume, die ihm symbolisch das Herz bedeutete, an welchem sie noch vor Kurzem ruhte. Alle waren so sehr in ihr Glück versenkt, daß sie nicht auf einen Fremden achteten, der sich seitwärts von den Liebenden aufgestellt hatte und sie mit einer teuflischen Mischung von Haß und Schadenfreude betrachtete. Seine kohlschwarzen Augen brannten wie zwei unheimliche Flammen.

Den größten Theil des zweiten Bildes füllte eine düstere Baumlandschaft, die vom Mondlicht sanft übergossen ward. Es schien ein Theil des Gartens zu sein, der an die breite Terrasse des Ballsaales grenzte, zu welcher man auf weißen Marmorstufen hinanstieg. So war das große Gemälde, obgleich durch den breiten Pfeiler getrennt, dennoch eins. Vertrieben von der im Saale herrschenden lauten Freude war das junge Liebespaar hinausgetreten in die kühle Sommernacht. Ein leiser Wonneschauer beseligte sie, und sie schmiegten sich inniger aneinander. Beide athmeten schon unter dem Bann der neckischen Elfen, die auf den feuchten Mondesstrahlen zu ihnen niederschwebten. Ihre sehnsüchtigen Blicke trafen tief in das Herz hinein und nahe waren sie dem Gipfel ihres irdischen Glückes. Aber die Hand, welche es ihnen wehren wollte, war näher. Der Fremde aus dem Ballsaal stand mit einer drohenden Geberde hinter ihnen.

Das waren die Bilder, welche der greise Edelmann vor dem Kamin wohl zum hundertsten Male aufmerksam betrachtete. Sie waren für ihn eine sichtbare Erinnerung an eine glücklichere Zeit, die mit all’ ihrer Lust und Freude weit hinter ihm lag.

Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich jetzt von dem Bilde ab und sagte zu dem alten Diener, der ihm den Abendtrunk reichte: „Es ist Alles dahin!“

„Alles!“ wiederholte dieser. „Seit unser armes Land von einem so furchtbaren Unglück betroffen wurde, will es nirgend mehr recht gedeihen. Die Leute unten am Berge, die heute hier waren, um die gewöhnlichen Lebensmittel zu bringen, erzählten wundersame Geschichten wie es jetzt drunten in der Welt zugehen soll, und Euer Gnaden würden erschrecken, wenn –“

„Ich will nichts hören!“ entgegnete der Alte heftig. „Mit großen Opfern habe ich mir von den Machthabern die Erlaubniß erkauft, auf diesem letzten Besitzthume einstigen Glückes meine Tage in voller Einsamkeit zu beschließen. Ich will von der Welt und ihren Händeln nichts mehr wissen; sie ist todt für mich und ich für sie.“

Der Diener versuchte nochmals die Aufmerksamkeit des Herrn zu erwecken; dieser aber winkte unwillig mit der Hand und sagte:

„Ich will lesen.“

Sofort rückte der Diener einen Tisch neben den Sessel des Gebieters, stellte zwei brennende Kerzen darauf und legte ein großes Buch daneben, das einzige, was in der alten Schloßhalle zu finden war. Dieser Foliant, dessen Pergamentdeckel durch zwei starke silberne Klammern zusammengehalten wurden, war die Chronik dieses altberühmten Hauses, dessen Name seit undenklichen Zeiten in der Geschichte des Vaterlandes glänzte.

Unter den hohen Adelsherren des Reiches, die dem fürstlichen Gebieter bei allen Wechselfällen treu ergeben blieben, stand Graf Eberhard von Steinau in erster Reihe. Es war die Erbtugend dieses edlen Hauses, das von seinem ersten Ahn abwärts bis zu dem jüngsten Sprossen eine stattliche Reihe von Männern zählte, die mit dem Schwerte in der Hand oder mit den Waffen des Geistes für die wachsende Größe des fürstlichen Hauses gefochten hatten. Das machte die Steinau’s zu den Angesehendsten im Lande und eifrig bewarb man sich um ihre Gunst.

Graf Eberhard stand in der Blüthe des männlichen Alters und der Fülle des Glückes, umgeben von einer Familie, die ihn hoch in Ehren hielt und die er schwärmerisch liebte, als in der Stille sich der Dämon zu regen begann, der seitdem die halbe Welt in Flammen setzte, und statt einer wohlthuenden Wärme nur todte Asche hinter sich ließ. Er war Anfangs so klein, so schuldlos dieser finstere Unhold. Er erschien in so freundlicher, mitleidheischender Gestalt, daß Alle ihn liebkosten und Jeder auf seine Frage die Antwort erhielt, welche seiner Eitelkeit schmeichelte. Wie ein bettelndes Kind war er eingetreten in die höheren und niederen Kreise. Aber von den Gaben, die ihm zuflossen, schwellte er an und riesiggroß reckte er den Leib empor, nicht mehr flehend mit offner Hand, sondern mit der geballten Faust trotzig fordernd.

Nur Graf Eberhard von Steinau hatte des Sturmes bisher nicht geachtet und gedachte es ferner so zu halten. Ihm schien das neumodische Treiben so gering, daß er sich mit verächtlichem Achselzucken von demselben abwandte. Nur ein Zweig des stolzen

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