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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

es war ihr unglaublich, daß der Fürstbischof mittellos sein sollte. Sie gab dem Zweifel an Dalberg’s gutem Willen Raum und – hielt es für eine jener Ausreden, hinter die leider so oft im Leben sich das Nichtwollen verschanzt. Dieses Gefühl konnte sie nicht ganz unterdrücken und sagte etwas scharf betont: „Kann einem so hohen Fürsten es je an Mitteln fehlen, in der drückenden Noth einer schuldlos gebeugten Familie zu helfen?“

Gelassen, ruhig, aber schmerzlich berührt durch den durchleuchtenden Zweifel an seinem Herzen und Willen, nahm Dalberg die Frau an der Hand und führte sie zu seinem Pulte. Er schloß schweigend seine Kasse auf und sagte sanft: „Kommen Sie, wir theilen Alles, was ich habe!“ Er nahm daher Alles heraus, was die Kasse enthielt und – es waren – siebenundvierzig Gulden! – Er theilte die Summe und sagte, indem ein schmerzliches Lächeln um seinen Mund schwebte: „Nehmen Sie die Hälfte, die andre mag meine Bedürfnisse decken. Sie sind geringe, und ich bescheide mich gerne, um Ihnen wenigstens Etwas geben zu können!“ Mit tiefer Scham und inniger Rührung ergriff die Frau seine Hand, bat ihm ihr Mißtrauen ab und kniete vor ihm nieder, indem sie um seinen Segen bat, den er ihr gern ertheilte. Sie nahm die Hälfte nicht, und ging weinend weg. Als die sechs Wochen, von denen Dalberg gesprochen, um waren, sandte er der Familie die siebenhundert Gulden mit innerer Genugthuung, obwohl er kaum eine solche Summe zu entbehren hatte.





Eine deutsche Erzieherin in London schreibt uns: „In der Zeit, seit ich Erzieherin bin, habe ich oft Vergleiche zwischen der englischen und deutschen Erziehung angestellt und manches Mangelhafte an unserer deutschen ist mir in’s Auge gefallen, das, wie ich fest überzeugt bin, von den Müttern oder Gouvernanten sehr leicht verbessert werden könnte.

„Ein aufmerksamer Beobachter in einem englischen Töchterpensionat bemerkt gar bald, daß die geistige Ausbildung weit weniger in Betracht kommt, als die körperliche, und daß, während die letztere mit größter Sorgfalt behandelt, jene nur, so zu sagen, oberflächlich betrieben wird. Wenn eine junge Engländerin französisch und deutsch conversiren kann, etwas singt und spielt, vielleicht auch zeichnet, so sind die Eltern mit der Schule zufrieden, und halten ihre Tochter für gut erzogen, – zumal wenn sie schlank und schön gewachsen ist. Denn das letzte ist der Stolz einer englischen Mutter, und in der Hinsicht werden keine Kosten und Mühen gescheut, um die Gesundheit und Schönheit ihrer Kinder zu befestigen.

„Deshalb auch findet man in der Pension die beinahe militärische Ordnung, die Pünktlichkeit der Mahlzeiten, das frühe Aufstehen und Zubettegehen, die langen Spaziergänge (die die Mädchen oft wider Willen machen müssen), die calisthenischen Uebungen, die Tanzstunden, das Baden und vor allem, die große Reinlichkeit und Sorgfalt auf ihren Körper. Dies Allen ist höchst zuträglich für die Gesundheit und das Erhöhen der Schönheit, und trägt gewiß viel dazu bei, daß man in England, selbst unter der niedern Klasse fast selten häßliche, sondern meist nur blühende und frische Frauenzimmer sieht, die oft wahrhaft edle Gesichtszüge und den schönsten, feinsten Teint besitzen. Leider darf man bei den meisten nicht viel Geist suchen.

„Denn was den Unterricht betrifft, so geht man damit meist nur mechanisch zu Werke. Geschichte, Geographie u. s. w. werden aus einem Katechismus gelernt, und sobald die Fragen beantwortet, darf man annehmen (mit wenigen Ausnahmen), daß sie bald wieder vergessen werden. Der eigene Verstand, das Nachdenken und Selbstauffinden der Thatsachen ist es, was man versäumt auszubilden, und daher die fortwährende Stümperei im spätern Leben.

„In Deutschland erzieht man anders. Da berücksichtigt man nur die Ausbildung den Geistes und verwendet wenig Aufmerksamkeit auf die Entwickelung des Körpers. Wie ist es aber möglich, daß die erstere ohne die letztere bestehen kann? Wie kann man von einer Pflanze erwarten, deren Wachsthum man vernachlässigt, daß die Blume zur höchsten Vollendung gelange? Ist es anders mit dem zarten, aufkeimenden und im Wachsthum begriffenen Mädchen?

„Ich weiß aus eigner, trauriger Erfahrung, wie wenig in unsern Töchterschulen auf die Gesundheit, die Haltung und das Sitzen der Eleven gehalten wild. Lernen ist ihr einziger Zweck; um die Gesundheit des Körpern bekümmern die Lehrerinnen und die Lehrer sich weiter nicht. Würde man von den Engländern in dieser Hinsicht ein Beispiel nehmen, und die Mädchen zum Turnen, Schwimmen, Marschiren und allen möglichen Körperbewegungen anhalten, wo könnte man sich eine bessere Erziehungsweise wünschen, als die deutsche uns gewährt?“







Die Marianne. Dieser merkwürdige, man darf wohl sagen furchtbare Name taucht seit einigen Wochen mit größerer Intensität als bisher in den Zeitungen aus. Maria und Anna, die heiligen Frauen, genossen von jeher in Südfrankreich einer ganz besondern volksthümlichen Verehrung. Bei Prozessionen wurden ihre Wachsbilder vorangetragen; zuweilen auch wurden sie durch festlich gekleidete Mädchen vorgestellt. Im Jahre 1793 sah man dafür neue Allegorien im Festzuge einherschreiten; die Vernunft und die Freiheit erschienen in der Gestalt von schönen, in antiker Weise drapirten Frauenzimmern. Aufgereihte Volksschaaren im Süden stimmten damals in ihrer tonreichen Mundart den Gesang an: „l'haven le Marianno!“ d. h. nun haben wir endlich die wirkliche Maria und Anna. Nach der Schreckenszeit erhielt sich das Wort, aber es wurde zu einer symbolischen Geheimformel, das bald die Guillotine, bald mit dem Ausdruck unbestimmter Hoffnung die Volksherrschaft bezeichnete. Als nach der Februar-Revolution die socialistischen Parteien die Nothwendigkeit einsahen, mit Beseitigung ihrer Unterschiede sich der sogenannten blauen Republik entgegenzustellen, vereinigten sie sich anfangs unter Ledru-Rollin in dem vielverzweigten Bund Solidarité. Aber von Süden aus wurde bald der noch immer lebendige Name Marianne an die Stelle gesetzt, und bald war er der herrschende. Französische Flüchtlinge in England behaupten, die Marianne habe im Jahre 1851 eine Million Mitglieder gehabt; von diesen ging in den südlichen Landschaften die Erhebung gegen den Staatsstreich aus. Durch den blutigen Kampf, später durch die Transportation verloren sie ihre Leiter; doch wühlt Marianne noch immer mit ungemeinem Erfolg. Sie wirkt nicht für irgend einen Mann; sie erkennt kein geistiges Oberhaupt an; sie will künftig überhaupt keine Regierenden, sondern nur Beamte des Volks (clercs de la nation) dulden. Ihr leitender Ausschuß besteht aus wenigen, wie es heißt, nur aus drei Mitgliedern; der Bund aber umfaßt bereits wieder über 60,000 Personen, und die Gesellschaften La Militante und andere scheinen nur seine Zweigvereine zu sein. Die Marianne besitzt die Eigenschaften, durch welche von jeher Verbindungen mächtig wurden: einen bestimmten Zweck, Muth, Gehorsam und Verschwiegenheit.





Amerikanisch. Vor einiger Zeit erließ ein newyorker Wirth eine Einladung zu religiösen Uebungen, wobei natürlich das Zechen die Hauptsache war. Vor Gericht befragt, ob er das Verbot nicht kenne, Bier, Schnaps und Wein zu verkaufen, bejahte er dies, setzte aber dann dem Richter unter Beistimmung des Publikums weiter auseinander, daß die Eingeladenen Mitglieder einer bestimmten Religionssekte seien, zu deren Kultus hauptsächlich das Bier trinken gehöre. – Ein zweiter Wirth, der ebenfalls wegen Bierverkaufs vor Gericht stand, erklärte auf das Bestimmteste, das Bier habe keine berauschende Wirkung und gehöre also nicht unter die Kategorie der verbotenen Getränke. Als der Richter den Wahrheitsbeweis dieser sonderbaren Behauptung forderte, ließ der Angeklagte einen seiner Freunde, einen gebornen Münchner holen und dieser lieferte schlagend den Beweis, indem er binnen sehr kurzer Zeit vierundzwanzig Seidel hinunter rollen ließ, ohne auch nur im geringsten zu schwanken oder aufgeregt zu werden. Der Wirth wird freigesprochen.





Kunst und Literatur. Der alte Wolfg. Menzel scheint trotz der verunglückten Versuche der letzten Zeit sich wieder Geltung zu verschaffen, noch keine Ruhe finden zu wollen. Das Gebiet der Geschichte und Literatur, auf dem er einst glänzte, verlassend, hat er sich neuerdings der strömenden Richtung der Zeit angeschlossen und „macht“ in Naturwissenschaften. Ein dreibändigen, dickleibigen Werk aus seiner Feder unter dem Titel: „Die Naturkunde im christlichen Geiste aufgefaßt“’ wurde soeben von Stuttgart aus in alle Welt versandt. Wir fürchten sehr, der Herr Verleger wird nächste Ostermesse mit Schrecken und mit Grauen die Wahrheit der Schiller’schen Worte erkennen:

„Und sieh, es fehlt kein theures Haupt.“

Dagegen haben wir auf dem Gebiete der Kunst-Romane nächstens eine interessante Erscheinung zu erwarten. Von Brachvogel, dem Verfasser den mit vielem Beifall auf vielen deutschen Bühnen aufgeführten Trauerspiels „Narciß“, ist in Berlin ein dreibändiger Roman: Friedemann Bach unter der Presse, in dem die interessantesten Charaktere des vorigen Jahrhunderts, wie Sebastian Bach, Graun, Emanuel Bach, August der Starke, Minister Brühl, Naumann, Friedrich II., Philosoph Wolf, Doles etc. vorgeführt werden. Das Buch wird mithin ein geschichtliches und musikalisches Interesse zugleich haben. – Allen unsern Lesern, welche das schöne Thüringen und namentlich Eisenach besuchten, können wir den so eben in Langensalza bei Klinghammer erschienenen großen Stahlstich: „Eisenach und die Wartburg“ als einen sehr gelungenen und gut ausgeführten Zimmerschmuck empfehlen. Die große Ansicht von Eisenach ist umgeben von kleineren Abbildungen, von denen wir nur den Wartburghof, das Lutherzimmer, das Annathal, das Bahnhofsgebäude, Wilhelmsthal etc. anführen. Aufnahme und Stich rühren von dem bekannten Kupferstecher Elsner her. – In Weimar ist vor einigen Tagen der Rath Kräuter, der langjährige Secretair Goethe’s, gestorben. Wie wir hören, hat derselbe interessante Mittheilungen über Goethe und Weimars Glanzperiode hinterlassen.






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