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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Nun, so wird der Lieutenant Bonaparte sich sicherlich auch gefreut haben,“ lachte die junge Dame.

„Das bezweifle ich eben,“ erwiderte Demarris den Kopf schüttelnd. „Ja, wenn es kein Corse wäre, aber diese Corsen sind schreckliche Menschen.“

„Sieht der Fremde denn so entsetzlich aus?“ fragte Fräulein Beatrice.

„Er sieht gar nicht entsetzlich aus, sondern besitzt sogar ein ziemlich angenehmes Aeußeres, aber große schwarze Augen und Haare wie ein Neger.“

„Bitte, Herr Demarris,“ sagte das Fräulein, „steht es naturgeschichtlich fest, daß Menschen mit schwarzen Haaren und großen Augen gefährlich sind?“ Es entstand ein muthwilliges Gelächter, in welches der Lieutenant einstimmen mußte; dann aber erwiderte er hartnäckig: „Sie wissen nicht, was Bonaparte mir erzählt hat. Sie wissen nicht, daß er mit diesem Pozzo di Borgo von Jugend auf in beständigem Zank und Streit lebte und daß dieser junge Mensch ein wilder Republikaner war, auch wahrscheinlich noch ist, der Oden auf den General Paoli dichtete und eine Compagnie republikanischer Jungen zusammenbrachte, mit denen er gegen die Compagnie Bonaparte’s kämpfte, welcher die französische Partei commandirte.“

„Dann nehme ich es dem Lieutenant Bonaparte gar nicht übel, wenn er diesen unangenehmen Freund nicht gern sieht,“ sagte die alte Vicomtesse Halincourt beifällig nickend zu Frau von Colombier. „Diese Corsen sind ein verrätherisches und undankbares Volk, das sogar gewagt hat, sich den Befehlen Seiner Majestät zu widersetzen, als er ihnen die Gnade erzeigte, sie zu seinen Unterthanen zu machen. Ist es nicht wahr, lieber Baron Salingré?“

„Sehr wahr!“ erwiderte der Baron. „Es sind Barbaren, und ich erinnere mich, wie empört der gesammte Hof darüber war, daß alle Versuche nichts fruchteten, sie von der unsinnigen Einbildung zu heilen, daß sie das Recht besäßen, ein freies Volk zu bleiben, obwohl man ihren Anführern die gnädigsten Versprechungen machte.“

„Sehen Sie wohl, Fräulein Beatrice!“ rief Demarris auf der anderen Seite, „darin liegt meine Besorgniß. Diese Corsen sind fanatische Menschen, die nicht die kleinste Beleidigung vergessen. Sie suchen sich zu rächen, mögen auch viele Jahre darüber vergehen, und man hat Beispiele, daß manche, die in ihrer Jugend sich verfeindeten, über einander herfielen, als sie als Greise sich wiedersahen. Es ist daher gar nicht so unwahrscheinlich, daß dieser Herr Pozzo di Borgo, als er Bonaparte erblickte, in Wuth gerieth, und was ich vorher von Gefahren sagte –“

Bei seinem letzten Worte erhob sich das Gelächter so laut, daß Demarris verwirrt umhersah und alsbald auch die Ursache entdeckte. Denn an der Gartenthür erschien so eben der Lieutenant Bonaparte Arm in Arm mit dem gefährlichen Freunde und so fröhlichen Gesichts, daß ihm gewiß kein Leid widerfahren sein konnte. Einige Minuten darauf standen die beiden jungen Männer an den Stufen zur Halle, und die Munterkeit der Gesellschaft wurde nicht dadurch vermindert, daß Bonaparte befremdet den Kopf aufwarf und fragend von Einem zum Anderen blickte. Seine reizbare Gemüthsart regte sich bei diesem sonderbaren Empfang, und sein Mund zog sich spöttisch zusammen, während seine Augen blitzend umherflogen, bis sie auf Fräulein Beatrice haften blieben, die aufgestanden war und sich ihm näherte. Er machte ihr eine rasche, kurze Verbeugung. „Ich bin entzückt über einen so freudigen Empfang, Fräulein von Colombier!“ sagte er dabei, aber er sah durchaus nicht entzückt aus.

„Wir freuen uns, daß Sie noch leben, Herr Bonaparte,“ antwortete die junge Dame mit ihrem lieblichen Lächeln.

„Daß ich noch lebe? Ich kann versichern, daß ich durchaus keine Lust zum Sterben habe!“ antwortete er milder gestimmt.

„Eine schöne Beruhigung,“ fuhr Beatrice fort, „nachdem wir fürchten mußten Sie kaum jemals wieder zu sehen!“

„Nicht wieder zu sehen!“ rief Napoleon, indem seine Augen feurig glänzten. „Dann müßte ich wirklich nicht mehr leben. Aber was soll das bedeuten?“

„Dem Himmel sei Dank,“ lachte das Fräulein, „daß alle Gefahr vorüber ist und Sie bei uns sind. Herr Demarris –“

„Ich bin schon da,“ fiel Demarris ein. „Ich erzählte den Damen, daß Herr Pozzo di Borgo ein Corse sei und, wenn zwei Corsen zusammen kommen, Niemand wissen könne, wie sie sich trennen würden, also –“

Die Fröhlichkeit begann von Neuem, aber auf den Lieutenant Bonaparte schienen diese Worte einen überraschenden Eindruck zu machen. Statt zu lachen, wie alle Anderen, preßte er seine schmalen Lippen dicht zusammen, und sein Gesicht verfinsterte sich. Dies dauerte jedoch nur eine Secunde, denn in der nächsten wandte er sich zu Frau von Colombier, die er vor sich erblickte.

„Verzeihung, Madame, daß ich mich aufhalten ließ, Ihnen meinen Freund, den Herrn Pozzo di Borgo vorzustellen,“ sagte er artig lächelnd. „Wir sind Jugendcameraden, und nichts konnte mir heut größere Freude bereiten, als ihn unerwartet wiederzusehen.“

Frau von Colombier empfing den jungen Rechtsgelehrten auf’s Gütigste, führte ihn zu einem Platze neben dem ihrigen, und nach dem üblichen Ceremoniell der Einführung in die Gesellschaft war er bald in der Lage nach allen Seiten hin Fragen zu beantworten und zu beweisen, weß Geistes Kind er sei. Demarris’ Scherze hatten ungünstige Vorstellungen über ihn angeregt, allein er widerlegte diese in sehr kurzer Zeit, denn seine Erscheinung und sein Benehmen machten einen ganz entgegengesetzten, vortheilhaften Eindruck. Die einnehmenden Züge seines Gesichts wurden durch deren männlichen und ruhigen Ausdruck bedeutsam unterstützt. Seine Bewegungen waren voll Anstand und seine Höflichkeit mit so viel Selbstbewußtsein verbunden, daß sie nicht demüthig erschien. Alles, was er sagte, bewies Verstand und Urtheil, und manche seiner Bemerkungen waren so fein und scharf und mit dem glänzenden Schimmer versehen, den die Franzosen besonders lieben, daß der Beifall nicht ausbleiben konnte.

Der junge Carlo Andrea bewies aber auch, daß er die Kunst verstand, Jedem in seiner Weise zu gefallen und schnell dahinter zu kommen, wie dies am besten geschehen konnte. Er sagte Frau von Colombier die schönsten Artigkeiten über Alles, was sie betraf, und pries seinen Freund Napoleon glücklich, oft in ihrer Nähe verweilen zu dürfen. Die alte Vicomtesse versöhnte er mit der Nachricht, daß die Familie Pozzo di Borgo zu den ältesten Adelsgeschlechtern Corsica’s gehöre, worüber Urkunden aus dem zwölften Jahrhundert vorhanden seien, und er befestigte ihr Vertrauen durch seine Mittheilung über einen Auflauf, welcher am Tage vorher in Grenoble stattgefunden, als er durch diese Stadt reiste, wo, wie er äußerte, die Obrigkeit ihr Ansehen besser hätte behaupten sollen, um das übermüthige Gesindel mit Strenge im Zaum zu halten. Den Baron endlich erfreute er mit einigen verbindlich beistimmenden Worten, daß der Glanz des alten ritterlichen Frankreich verloren gegangen sei in diesen Zeiten des rechnungssüchtigen Krämergeistes, und als er endlich mit einer untadelhaften Verbeugung aufstand, um sich zu dem jüngeren Theile der Gesellschaft zu begeben, welcher übereingekommen war, ein Spiel im Garten zu beginnen, ließ er in jenen angesehenen Personen wohlgeneigte Beurtheiler zurück.

Es vergingen nun mehrere sehr angenehme Stunden, die mit allen Vergnüglichkeiten ausgefüllt wurden, welche ein solches Zusammensein im fröhlichen Kreise jungen Leuten darbot, die sich gegenseitig zu gefallen und zu unterhalten strebten. Man spielte und ging spazieren, gab Räthsel auf und löste Pfänder ein, bis der Abend kam und nun in dem Saale ein Abendessen bereit stand, das die Munterkeit weiter beleben half. Die Damen und Herren saßen in bunter Reihe, jeder hatte seine Wahl getroffen, und der Lieutenant Bonaparte, der seinen Platz bei dem schönen Fräulein von Colombier genommen, war so gesprächig und galant, wie man ihn noch niemals gesehen hatte. Die zurückhaltende, kalte Höflichkeit, welche ihm gewöhnlich eigen, wurde heut durch eine Theilnahme verdrängt, die nicht unbeachtet bleiben konnte. Es war etwas Neues, ihn so heiter gelaunt und artig zu sehen mitten unter den jungen Damen, mit denen er scherzte und sich liebenswürdig zu machen suchte. Schon seit einiger Zeit hatten beobachtende Blicke bemerkt, daß er sich Fräulein von Colombier zu nähern suchte und ihr Aufmerksamkeiten erwies, deren sich keine Andere rühmen konnte; allein Viele thaten dies noch weit mehr und vor Allen der galante Demarris, während Bonaparte meist die Gesellschaft älterer Personen und ernsthafte Gespräche vorzog. Heute jedoch hatte er von Anfang an sich nur mit der Jugend eingelassen, und Fräulein Beatrice wurde von ihm ersichtlich begünstigt. Er suchte sie bei den Spielen, wählte sie, wenn er unter den Damen zu wählen hatte, bot ihr seinen Arm, als man spazieren ging, und führte sie zu Tische, allen anderen Bewerbern, auch dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_226.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)