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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Trenck’s Gefängnißbibel und ihre Blutschrift.

Die merkwürdigen Schicksale des Freiherrn Friedrich von der Trenck, seine lange grausame Haft in den Festungswerken Magdeburgs sind allgemein bekannt, und manche unserer Leser haben wohl noch die in vielfachen Auflagen und Bearbeitungen verbreitete Selbstbiographie des Gefangenen in den Händen gehabt. Man kann sich daher denken, wie sich der Verfasser dieser Zeilen ergriffen und zugleich von unheimlichem Schauer durchrieselt fühlte, als er vor Kurzem ein Buch zur Durchsicht erhielt, welches jahrelang während Trenck’s Gefangenschaft in dessen Händen war. Es ist dies seine Gefängnißbibel, das einzige Buch, welches man ihm gestattete.

Dieser Umstand an sich wäre wohl schon hinreichend, daß wir das ehrwürdige Buch nur voll innigen Mitleidens für den Gefangenen zur Hand nehmen; allein sobald wir den Band aufschlagen, so fallen uns fast auf allen Seiten äußerst regelmäßige, schöne Schriftzüge auf, die zwar bald mehr bald weniger verblaßt erscheinen, aber trotzdem noch vollkommen leserlich sind. Der freie äußere, auch wohl der obere und der untere Rand der Blätter – Alles ist mit Schrift bedeckt, aber es war nicht Tinte, es war sein eigenes Blut, welches Trenck als Schreibmaterial benutzen mußte!

Diese merkwürdige Bibel befindet sich jetzt im Besitze des Buchhändlers und Autographensammlers O. A. Schulz in Leipzig, von dem sie hoffentlich einmal in eine große öffentliche Bibliothek oder eine Sammlung historischer Merkwürdigkeiten übergehen wird.

Die in ihr enthaltenen meist aus dem Jahre 1759 herrührenden Aufzeichnungen, die wir unsern Mittheilungen zu Grunde legen, sind ganz verschiedener Art; das größte Interesse des Lesers wird darunter jedoch Trenck’s eigene Leidensgeschichte während seiner Gefangenschaft erregen, welche er unter dem Titel erzählt: „Warhaffte, auf Gewissen, Ehr und Beweiß gegründete Erzählung von dem Zusammenhange meiner zur Entweichung aus Magdeburg vorgehabten Anschläge.“

Wenn wir diese ursprünglichen Aufzeichnungen mit den später in Trenck’s Selbstbiographie gedruckten Berichten vergleichen, so fehlt zwar an einzelnen Stellen die völlige Uebereinstimmung, doch ist dieser Umstand leicht erklärlich. Trenck war unter strenger Aufsicht, als er im Gefängnisse jene erste Erzählung niederschrieb. Er mußte deshalb hierin Vieles verhehlen, Anderes durfte er nur halb andeuten, und mancher Name mußte verschwiegen werden, den Trenck später in seiner Biographie ungefährdet nennen durfte. Trotzdem aber besaß er Muth genug, in seinem Berichte die unsäglichen Martern nicht unerwähnt zu lassen, welche ihm übertriebene, barbarische Strenge bereitete. – Schon im ersten Jahre seiner neuen Haft hatte Trenck alle Anstalten zur Flucht aus den Casematten Magdeburgs getroffen, in welche er zuerst eingekerkert worden war, und konnte auf glücklichen Erfolg rechnen, als man ihn plötzlich in das eigens für ihn errichtete Gefängniß in der Sternschanze transportirte. Was den Unglücklichen hier erwartete, das zeigte sich ihm in gräßlicher Deutlichkeit beim ersten Betreten seines Kerkers. In den Boden des Gefängnisses sah er nämlich einen – Leichenstein eingemauert, auf dem sein Name, durch einen darunter befindlichen Todtenkopf hinreichend illustrirt, eingegraben war. Man rechnete also darauf, daß Trenck diese schauerliche Zelle lebendig nicht wieder verlassen würde und daß sie einst als sein Grab dienen sollte. Er wurde in Ketten geschmiedet, die ein Gewicht von achtundsechzig Pfund hatten und jede freie Bewegung seiner Glieder hinderten, bis es endlich seiner außerordentlichen Geschicklichkeit gelang, sich der furchtbaren Fesseln beliebig zu entledigen und dieselben blos zur Zeit der Visitationen anzulegen.

Allein auch in jeder anderen Hinsicht behandelte man Trenck mit wahrhaft grausamer Strenge. So erzählt er in jenen Mittheilungen, daß ihn der Hunger oft zur Verzweiflung und dem Wahnsinne nahe gebracht habe und daß der Mangel an hinreichender Nahrung der hauptsächliche Grund seiner ersten Fluchtversuche gewesen sei. Auch aus diesem neuen Gefängnisse, so undurchdringlich es schien, versuchte Trenck zu wiederholten Malen zu entweichen, und diese Fluchtversuche geben ein deutliches Bild der außerordentlichen Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit des Gefangenen. Den aus mehrfach übereinandergefügten eichenen Bohlen bestehenden Fußboden seines Kerkers hatte er durchschnitten, und als Werkzeug hierbei diente ihm nichts als ein großer Nagel, dem Trenck auf seinem Leichensteine die erforderliche Schärfe geben konnte. Dreißig Fuß weit hatte sich Trenck schon unter den Mauern seines Gefängnisses in der Erde bis zu einer Mine hindurchgearbeitet, aus welcher er seine endliche Flucht, wiewohl vergeblich, zu bewerkstelligen hoffte. Wie erfinderisch mußte er sein, um den ausgewühlten Sand aus dem engen Gange, den er sich grub, zu entfernen! Trenck fand jedoch unter den wachthabenden Soldaten oft genug Freunde und thätige Hülfe, und durch diese unterhielt er auch den Verkehr mit der Außenwelt, namentlich mit Wien, von woher er häufig ansehnliche Summen Geldes bezog, durch das er sich immer wieder neue Freunde unter den ihn bewachenden Soldaten erwerben konnte.

Die unterirdischen Arbeiten, welche Trenck’s Flucht vorbereiten sollten, erforderen wahrhaft übermenschliche Anstrengungen. An einer Stelle seiner Beschreibung sagt er selbst: „Mein Leib sah dabei einem Lazaro gleich, denn weil ich das Hemde nicht schmutzig machen durfte, in dem dicken frisnen Rocke aber gar nicht hin und wieder kriechen konnte, so mußte die ganze Arbeit mit nackendem Leibe in dem nassen Sande geschehen, folglich war mir der Rücken von den scharffen Steinen aller Art verwundet, die Ellenbogen, Brust und Finger aber auf dem Sande abgeschunden. Nichtsdestoweniger hatte ich dabey keine andre Krankheit als Hunger, weil ich eben damals magere Kost hatte und bei saurer Arbeit viel essen wollte.“

Auch dieser Fluchtversuch mißlang und zog Trenck die härteste Behandlung zu. Das Bett, welches er mit einem Theile des ausgegrabenen Sandes angefüllt hatte, wurde ihm sogleich genommen, und wie man auch sonst noch unmenschlich mit ihm verfuhr, erzählt er mit folgenden Worten: „Man schmiedete mich also von neuem, doch in eben die vorigen Ketten fest. Der ganze Boden ward aufgebrochen und alle Gräben[1] ausgemauert, womit man Tag und Nacht in einer Arbeit bis den 2. September[2] zubrachte. Ich aber erlitt die unchristliche Strafen, daß ich bis dahin, folglich achtundsechzig Stunden auf der bloßen Erde liegend, von meiner Arbeit ohnehin abgemattet, ohne Schlaf wachen mußte. Sodann mußte ich ohne Strümpfe, entkleydet wie ich bin, ohne Stroh auf dem von denen Maurern benetzten Boden, ohne einmal ein trocken Brett unter dem Kopfe zu haben, mit meinen fürchterlichen Mordketten sitzen und den Kopf an der feuchten Mauer stützend schlafen, und die Schildwachen bekamen die Ordre mich alle Viertel Stunden zu wecken, welches noch gegenwärtig fortdauert. In diesem auch in Algier nie erhörten Zustande konnte ich nichts anderes als den sichern Tod erwarten, wollte aber, nachdem ich so viel erdauert, nicht gern durch einen Selbst Mord meine Feynde lachen, meine Freunde hingegen weinen machen.“

Man denke sich die furchtbare Lage des Unglücklichen, dem man zur Strafe auch nicht einmal den Schlaf, seine einzige Erquickung, mehr gönnen wollte. In Trenck’s Gefängnißbibel finden wir ein ergreifendes Gedicht von ihm niedergeschrieben, welches er bei dieser Gelegenheit verfaßte und das seinen trotz aller Leiden noch ungebeugten Muth sowie ein festes Gottvertrauen bekundet. Trenck führt das Lied auch im zweiten Bande seiner Selbstbiographie an; allein dort ist es verändert und auch nicht so vollständig wiedergegeben, wie wir es in der Blutschrift seiner Bibel finden. Er selbst bezeichnet dies Gedicht, aus dem wir hier einige Verse anführen wollen, als „Lied bey dem Viertelstündigen Wecken in der Nacht.“

Weckt mich nur, Ihr meine Wächter,
Wenn die Viertelstunde schlägt;
Treibt mit mir Eu’r Spottgelächter,
Lauscht nur ob mein Fuß sich regt,
Um den nie erhörten Willen
Eurer Obern zu erfüllen.

Weckt mich nur, ihr Menschen-Knechte,
Denn ihr thut nur was ihr müßt;
Aber den, der ohne Rechte
Meiner Unruh Ursach ist,
Wird sein bös Gewissen wecken
Und mit Vorwurfs-Larven schrecken.

Allen, die in Ketten liegen,
Wird der Schlaf ja noch erlaubt.
Niemand stört dem sein Vergnügen,
Der im Traum sich glücklich glaubt.
Mir allein wird es verhindert,
Daß der Schlaf mein Leyden lindert.

  1. Die von Trenck gemachten Gräben sind hier gemeint.
  2. Dieser Fluchtversucht Trenck’s hatte am 31. August 1757 stattgefunden.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_006.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)