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aller Anerkennung hatte der kühne Kritiker manchen mir zu sehr gerechtfertigten Tadel ausgesprochen und damit, freilich ohne es zu wollen, die schwärmerischen Verehrerinnen Goethe’s tief verletzt. Sie zürnten ihm ernstlich, aber bald gelang es ihm die Freundinnen wieder zu versöhnen. Auch hatten sie noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, eine Annäherung der beiden verehrten Männer unter günstigeren Verhältnissen wieder Herbeizuführen. Unterdeß war die rauhe Jahreszeit herbeigekommen und Schiller mußte mit widerstrebendem Herzen an die Trennung denken. Sein Geburtstag wurde noch in dem traulichen Kreise gefeiert und er mit einer Zeichnung von Charlottens Hand beschenkt. Es schlug die bittere Abschiedsstunde, sein Herz blieb zurück, gefesselt von der Anmuth der jüngeren Schwester. Vor allen Dingen aber beschäftigte ihn jetzt der Gedanke, endlich eine „feste Stellung“ zu gewinnen. Es fehlte ihm nicht an einflußreichen Freunden, die sich lebhaft für ihn interessirten, auch der Herzog von Weimar war ihm geneigt und gern bereit, ihn nach Kräften zu fördern. Die „Geschichte des Abfalls der Niederlande“ hatte eine überaus günstige Aufnahme gefunden und zugleich Schiller’s historischen Beruf bekundet. Der Gedanke lag nicht fern, ihm als Lehrer der Geschichte eine Anstellung zu verschaffen. Die erste Anregung hierzu scheint von Caroline ausgegangen zu sein, welche mit Frau von Stein, der Freundin Goethe’s und des Herzogs, deshalb Rücksprache nahm, letzterer ging bereitwillig auf den Vorschlag ein und ließ Schiller durch den geheimen Rath Voigt sondiren. Der bescheidene Dichter zögerte, da er sich nicht die nöthigen Kenntnisse zutraute; er fragte seinen Körner um Rath und dieser mahnte ihn, die ihm angebotene Professur in Jena anzunehmen, aber vor Allem sich eine gute Besoldung auszumachen. Das unterließ freilich der unpraktische Schiller, dem es nur zunächst darum zu thun war, eine feste Position zu fassen und sein eigenes Hauswesen zu begründen, da er als Professor hoffen durfte, seine „geliebte Charlotte“ heimzuführen. Seine Fürsprecherin bei der Schwester und der Mutter war die treue Caroline, welche, selbst nicht glücklich, ihre Freude im Glücke ihrer Umgebung suchte und fand.

In der Ehe genoß Schiller endlich die ersehnte Befriedigung. Und wie ihm in dem Kreise des häuslichen Heerdes ein bisher unbekanntes Glück durch die Liebe erblühte, so sollte die verschmähte Hand der Freundschaft ihn umschlingen und zu dem Tempel der Unsterblichkeit in treuer Hingebung geleiten.

Eines Tages besuchte Schiller, der von schwerer Krankheit eben genesen war, die von dem Professor Batsch in Jena begründete „naturforschende Gesellschaft“. Beim Nachhausegehen traf er in der Thür zufällig mit dem damals ebendaselbst verweilenden Goethe zusammen. Jahre waren seit jener ersten Begegnung in Rudolstadt vergangen und mit den Jahren hatten sich auch manche Anschauungen der beiden Männer umgewandelt, die, wenn auch nicht Neigung, doch gegenseitige Achtung empfanden. Auch der freundliche Sinn der Frauen hatte die abgerissenen Fäden wieder anzuknüpfen und ein leidliches Vernehmen herzustellen gesucht. ohne daß sich die alten Gegner darum näher getreten waren. Höflich begrüßten sie sich jetzt, ein Gespräch anknüpfend. Schiller, der ein Interesse für Naturwissenschaften sich bewahrt hatte, klagte über die zerstückelte Art, wie dieselben in der Gesellschaft eben behandelt wurden. Goethe gab ihm Recht und fügte hinzu: „daß es doch wohl noch eine andere Weise geben könne, die Natur nicht gesondert und einzeln vorzunehmen, sondern sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in die Theile strebend, darzustellen.“ Jener verbarg ihm nicht seine Zweifel, wünschte aber aufgeklärt zu werden. So im Eifer des Gespräches gelangten sie bis an Schillers Wohnung. Goethe folgte dessen Einladung, mit in’s Haus zu kommen, und trug die ihn damals ganz erfüllende Metamorphose der Pflanze vor, indem er mit charakteristischen Federstrichen eine solche symbolische Pflanze auf das Papier zeichnete. Aufmerksam folgte Schiller seinem Vortrage, als aber Goethe geendet hatte, schüttelte der Erstere den Kopf und sagte: „das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee!“

Der alte Groll wollte sich von Neuem regen, allein Goethe nahm sich zusammen und entgegnete: „Das kann mir lieb sein, daß ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.“

Schiller antwortete im Geiste der Kantischen Philosophie, und wenn auch Keiner den Andern überzeugte, so war doch der erste Schritt gethan, und auch Goethe empfand die große Anziehungskraft dieses Geistes, der Alle fest hielt, die sich ihm näherten. Einige Tage später forderte ihn Schiller zu Beiträgen für die von ihm herausgegebenen Horen auf. Goethe sagte freundlich zu und Schiller schrieb ihm jenen herrlichen Brief, worin er mit der reinsten, neidlosen Hingebung und Unparteilichkeit „die Summe von Goethe’s Existenz zog“ und gleichsam den Grundstein zu einer Freundschaft legte, welche in ihrer geistigen Größe, Schönheit und ethischen Bedeutung kaum ihres Gleichen weder im classischen Alterthum, noch in der neueren Geschichte findet, dem deutschen Volke aber ein leuchtendes Vorbild für ewige Zeiten bleibt.

Max Ring.




Herzog Friedrich in Kiel.[1]

Wenn man von der Stadt Kiel den Weg an der See entlang nach dem anmuthigen Bellevue einschlägt, so gelangt man nach etwa tausend Schritten, während welcher sich zur Rechten fortwährend zwischen den Bäumen und Büschen an der Straße reizende Ausblicke nach der blauen Bucht und dem gegenüber sich hinziehenden Ufer öffnen, an eine Senkung in der Hügelkette zur Linken, in der sich, umgeben von Rasenplätzen und Boskets eine Villa, das schönste der vielen schönen Landhäuser, zeigt, die den langgestreckten Badeort Düsternbrook bilden. Die Villa ist in Kreuzform und in einem Styl gebaut, der ein Gemisch von gothischer Manier und Schweizergeschmack ist – etwas wunderlich, aber nicht unangenehm für das Auge. Das Dach ist ein steiles Schieferdach. Neben dem Souterrain der Vorderseite befinden sich zu beiden Seiten bauchige Glaskasten zur Aufstellung von Zierpflanzen. Darüber schließen sich an den massiven Kern des erhöhten Erdgeschosses rechts und links Glassalons von leichterer Bauart. Auf der linken Seite ist der Eingang, zu welchem eine steinerne Freitreppe hinaufführt. Im Hintergrunde wölben sich theils mit Gras, theils mit Bäumen bedeckte Hügel von anmuthigem Schwung. Die Aussicht nach der Bucht hin zeigt jenseits des Wassers das liebliche Bildchen von Neumühlen am Ausfluß der Schwentine.

In dieser überaus freundlichen idyllischen Wohnung, die zu Anfang dieses Jahres in den Besitz eines Hamburgers übergegangen ist, residirt seit Beginn des vorigen Frühlings der Fürst, auf den jetzt geraume Zeit schon die Augen von ganz Deutschland gerichtet sind und um dessen Recht und endliches Schicksal sich in der jüngsten Vergangenheit so viele Gedanken, Noten, Adressen, Resolutionen und Journalistenfedern bald feindlich, bald freundlich, bis jetzt aber ohne Ergebniß zuverlässiger und endgültiger Art, abmühten – Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein, wie sein Volk und der größere Theil der Deutschen im Binnenlande ihn nennen, der Augustenburger, wie sich die preußischen Ministeriellen und Feudalen sammt der Plessenschen Genossenschaft auszudrücken belieben.

Treten wir, bevor wir die Weise, in der Herzog Friedrich hier lebt, zu schildern versuchen, zunächst in die Villa von Düsternbrook ein, so gelangen wir durch die Hausthür zuerst in einen Vorraum, aus welchem eine zweite mit kleinen schleswig-hosteinischen Fahnen geschmückte Thür auf einen großen mit Steinplatten gepflasterten Vorsaal führt. Links geht von hier eine hölzerne Treppe in das obere Stockwerk des Gebäudes, wo sich das Arbeitszimmer und das Schlafgemach des Herzogs befinden, und eine zweite Treppe in das Souterrain. Rechts tritt man durch eine eichenfarbig angestrichene Flügelthür in das Empfangszimmer, an welches sich auf der einen Seite ein kleines Gemach, in dem der Herzog den Abend zu verbringen pflegt, auf der andern ein etwas größeres anschließt, in welchem die abendliche Tafel servirt wird. Die Fenster des Empfangszimmers blicken nach dem Düsternbrooker

  1. Der mit den schleswig-holsteinischen Verhältnissen vertraute Verfasser dieses Artikels referirt über die dortigen Persönlichkeiten und Zustände nach längerer eigener Anschauung und übernimmt deshalb auch die Verantwortlichkeit der in dieser Schilderung ausgesprochenen politischen Ansichten.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_183.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)