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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

das Regiment marschirte, folgte der Knabe und machte alle Schlachten – barfuß mit. Der Soldat versichert, er sei überall mit im Kugelregen gewesen und bei Königgrätz sogar manchmal weiter voraus, als er selber. Aber sein Schutzengel wachte, er erhielt selbst nicht die leichteste Verwundung und ist jetzt mit der siegreichen Armee von Prag zurückgekehrt, ohne bis jetzt aber noch eine Spur von seiner Mutter gefunden zu haben, von deren Schicksal er nicht das Geringste weiß. Die Frau hieß Henriette Martin Zierold und war als Hülfsmarketenderin bei der Garde-Artillerie. Er selber heißt Friedrich Wilhelm Zierold, ist fünfzehn Jahre alt, aus Merseburg gebürtig und jetzt in Guben daheim.

Das Einzige, was uns hier zu thun übrig blieb, war, an seinen Vormund nach Guben zu schreiben und diesen zu benachrichtigen, damit er wenigstens Kunde geben kann, ob man etwas von der verlorengegangenen Mutter erfahren hat. Nachher werden sich auch Mittel und Wege finden, um den jungen Menschen in seine Heimath zurückzusenden.

Der Knabe ist übrigens frisch und gesund und hat die ungeheuren Strapazen jener anstrengenden Märsche vortrefflich ertragen, scheint auch ungemeine Lust am Soldatenleben zu haben und trägt ganz stolz, trotz seiner bloßen Füße, eine preußische Soldatenmütze. Es ist ein echtes „Kind des Regiments“.

Fr. Gerstäcker.




Nur vorsichtig! In dem Reitergefecht bei Prerau in Mähren am 14. Juli, in welchem zwei Schwadronen des dritten sächsischen Reiterregiments drei Schwadronen preußische (rothe) Husaren zurückwarfen und dabei dreißig Pferde erbeuteten, bekam der sächsische Reiter Wetzel von einem Husaren einen sehr kräftigen Hieb in’s Genick. Wetzel fuhr wie ein Eber auf und indem er dem Husaren einen Hieb über das Gesicht versetzte, daß er sofort vom Pferde sank, rief er zornig: „Na, da paß doch auf, wo Du hin haust.“




Nur Einer schrieb nicht. Als die Preußen nach dem letzten Welfenkampf bei Langensalza über den Thüringer Wald zogen, um das verbündete Coburger Land von den Baiern zu befreien, lagen sie mehrere Tage in Hildburghausen. In einer nahen Mühle im Werrathal hatten ein paar Dutzend Landwehrmänner Platz gefunden. „Als ich nach dem Mittagessen in die untere Wohnstube trat,“ erzählte mir die junge Frau des Hauses, „saßen an den Tischen so viele der Soldaten, wie nur Raum finden konnten, hatten die Schreibzeuge herbeigesucht und lasen oder schrieben Briefe. ‚Nun, da wird wohl an die Herzliebsten geschrieben?‘ fragte ich. ‚Wir sind sämmtlich Ehemänner,‘ antwortete Einer; ‚es kommt selten an uns, daß man uns so viel Rast giebt, Briefe zu schreiben. Um so eifriger benutzt heute Jeder die Gelegenheit, damit Frau und Kinder einmal erfahren, daß wir noch am Leben sind.‘ Und damit griff er wieder nach der Feder. Alle waren in ihre Briefe so vertieft, daß ich sie nicht weiter stören wollte. Nur Einer schrieb nicht. Es war ein junger Mann; er saß bleich und den Blick in sich gekehrt im alten, hohen Lehnstuhl. Ich konnt’s nicht lassen, ich fragte ihn doch: ‚Und Sie schreiben nicht mit?‘ Er sah mich an, daß ich vor dem Blick erschrak. ‚Nein,‘ sagte er, ‚ich habe an Niemand in der Welt mehr zu schreiben. Als es daheim zum Abmarsch trommelte, starb meine Frau in Kindesnöthen. Ich mußte von ihrem Sterbebette fort – fort in den Krieg.‘ – Da eilte ich aus der Stube in die Kammer und drückte meinen Knaben an’s Herz und bat Gott auf meinen Knieen, daß er ihn vor einem solchen Jammer behüte!“

F. H.




Auf dem Ring in Nachod. (Mit Abbildung.) Der gegenwärtige Krieg hat einer Reihe sonst ziemlich obscurer Städte und Städtchen des nordöstlichen Böhmens zu europäischem, einzelnen selbst zu Weltrufe verholfen, – einem Rufe freilich, der mit einem Uebermaße von Noth und Jammer erkauft worden ist, das voraussichtlich noch in Jahren nicht völlig verschmerzt sein wird. Zu diesen neuen Berühmtheiten zählt auch die kleine Bezirksstadt Nachod, unweit der schlesischen Grenze, in deren nächster Umgebung in der letzten Juniwoche unser Specialartist einem der ersten bedeutenden Treffen im jüngsten großen Kampfe beiwohnte.

„Schon lagen,“ schreibt er uns, „alle Häuser des Ortes voll von Verwundeten, auch die Kirche war zum Lazarethe umgewandelt worden und noch rollten unablässig Wagen auf Wagen mit meist Schwerblessirten ein. Das Aechzen und Stöhnen der Unglücklichen, das Stampfen und Wiehern der Pferde, das Lärmen und Schreien der Fuhrleute, die Commandorufe der Officiere hörten die ganze Nacht nicht auf und ließen mich auf dem elenden Lager, das ich mit vieler Mühe endlich aufgefunden hatte, kein Auge schließen. Mit dem frühesten Morgen des 28. Juni verließ ich darum mein dürftiges Obdach und ging hinunter auf die Straße. Nach einer kurzen Wanderung kam ich auf den Markt oder Ring, wie man in Böhmen und Schlesien spricht. Es ist ein hübscher, weiter Platz, malerisch, wie in vielen dieser böhmischen Städte, links mit der stattlichen Kirche, im Hintergrunde von dem pittoresken, ehemals Wallenstein’schen Schlosse überragt, rundum von alten, interessanten Giebelhäusern hinter schönen Baumgruppen eingefaßt, ein Platz, der einen in friedlichen Tagen anheimeln könnte. Welche Schmerzensscenen stellte er mir aber jetzt vor Augen! Vor wenigen Minuten war ein neuer Transport von Verwundeten angelangt; eben wurde ein, wie es schien, schon Sterbender langsam vom Wagen heruntergehoben, ein Anderer hielt selbst den Stumpf des rechten Armes und sah sich mit Blicken voll unsäglicher Pein nach Hülfe und Erleichterung um; auf der Erde lag ein Dritter, dem gerade ein neuer Verband um den zerschossenen Arm gelegt werden sollte, während Gruppen von leichter verwundeten Oesterreichern das Gefährt umstanden oder sich matt und müde auf das Pflaster und um das Christusbild niedergesetzt hatten, welches rechts vor der alten Linde sich erhebt. Dazwischen sprengten Officiere und Ordonnanzen über den Ring, hinten zog eine Truppenabtheilung vorüber – es war ein wirres Durcheinander voller Gewühl und Leiden, das sich meinem Gedächtniß unauslöschlich eingeprägt haben würde, auch wenn ich nicht versucht hätte, es in mein Skizzenbuch zu zeichnen. Wie ich mir hierzu eine ruhigere Stelle aussuchte, grollten plötzlich dumpfe Kanonenschläge zu uns herüber. Von einem Dragonerpiquet, welches als Geleite einer Gefangenencolonne an mir vorbeiritt, erfuhr ich, daß der Donner von Skalitz kam, wo eben unter General Steinmetz ein neuer Angriff auf die Oesterreicher begonnen hatte.“




Für die Verwundeten und Hinterlassenen der Gefallenen

gingen wieder ein: Spielkränzchen junger Damen und Herren in Schönhaida 7 Thlr. – H. Uhlich in Neu-Gersdorf 4 Thlr. – F. H. in Zürich, für die Verwundeten seiner Vaterstadt Langensalza 10 Thlr. – C. G. in Straßburg 2 Thlr. 20 Ngr. – Becker in Lausanne 5 Thlr. 10 Ngr. – C. K. und O. G. in Schleiz 2 Thlr. – Ertrag eines von dem Männergesangverein Lengenfeld i. V. unter Mitwirkung des Stadtmusikchors abgehaltenen Concerts 57 Thlr. – Damenlese-Kränzchen in Eibenstock 3 Thlr. – J. in Stuttgart 2 Thlr. – Von einer fidelen Gesellschaft beim Rabensteiner Bier in Chemnitz 4 Thlr. – Ein Arbeiter, der sich zur Gothaer Schwefelbande bekennt, 5 Thlr. – Aus der Sparbüchse der kleinen Louise W. in Rastätten 2 Thlr. – Ungenannter von Auswärts 2 Thlr. – B. S. u. G. W. 2 Thlr. – Malwine v. Humbracht 10 Thlr. – Bettelmannsverein in Crimmitzschau 6 Thlr. – R. in Fürth 1 Thlr. – Dr. P. F. in W. 24 Sgr. – Gesangverein Liederkranz in Groß-Schönau 5 Thlr. – Aus der Sparcasse einiger Kinder in Altenhaßlau 4 Thlr. – F. Heb. in Coburg 1 Thlr. – G. H. in Mosen 1 Thlr. – Sammlung durch Pfarrer Rullmann in Hintersteinau 4 Thlr. – W. B. 1 Thlr. – N. N. in Bückeburg 1 Thlr. – Aus Gräfentonna 1 Thlr. 10 Ngr. – Gesammelt unter Freiberger Bergleuten durch Schüttauf 20 Ngr. – Sch. P. W. in Soden 6 Thlr. 21 Ngr. – Das Landfried’sche Comptoirpersonal in Heidelberg 12 Thlr. – Heinrich Freimann in H. 7 Thlr. – S. J. in Frankfurt a. M. 2 fl. – Von einem kleinen holsteinischen Mädchen zum Besten der lieben verwundeten Sachsen: Zwei schöne, dicke Haarflechten. Ein schönes, großes Opfer, aber leider nicht hoch zu verwerthen. Es sind uns nur drei Thaler dafür gezahlt worden. – Chr. Zimmermann u. Sohn in Apolda neunundzwanzig Stück Leibbinden. – Mehrere Schwestern einer kleinen Stadt Mecklenburgs: Stickerei zu einem Ruhekissen. – Durch Frau Schmidt-Tychsen und Frau Melssen in dem neuen und alten Chr. Albr. Koog gesammelt 70 Thlr. 24 Ngr. (Nach der beiliegenden Liste waren im Ganzen 63 Thlr. 24 Ngr. gesammelt, während die Geldsendung 70 Thlr. 24 Ngr. betrug. Wir bitten um eine vollständige genaue Specialliste, damit wir die Namen der Geber, von denen jedenfalls mehrere fehlen, veröffentlichen können.)




Wenn auch durch die Liebesgaben des deutschen Volkes für die Bedürfnisse der Verwundeten nunmehr vollständig gesorgt ist, so stehen wir in der That doch erst am Anfang unserer Pflichterfüllung, denn die größte, eine noch gar nicht übersehbare Summe des Elends liegt in den Familien der Gefallenen und Derer, die aus dem Krieg als arbeitsunfähige Krüppel an den Heimathheerd zurückkehren. Wir dürfen nicht dulden, daß das Bettelbild des Leierkastens sich auch nach diesem Krieg erneuere, daß die Kinder der für uns verbluteten Helden dafür einem Leben voll Jammer und vielleicht der Schande verfallen und „das Hirtenhaus“ oder „der Armenspittel“ ihre letzte Aussicht werde! Das Weib, das den Gatten, der Vater, der seine Söhne, die Braut, die den Geliebten gesund neben sich sieht, müssen es ebenso, wie alle die tausend Städte und Ortschaften, an deren Mauern und Fluren der furchtbare Kriegssturm vorübertobt, ohne sie zu berühren, als heilige Pflicht erkennen, nicht blos Thränen des augenblicklichen Schmerzes zu trocknen und der Noth des Tags abzuhelfen, sondern, so weit als nur möglich, für das Lebensglück Derer zu sorgen, die selbst oder deren Ernährer für uns Alle dahingeopfert worden sind. Ja, das Geben muß jetzt, wo die erste Noth überwunden ist, erst recht beginnen, um der größeren, an tausend Heerden verborgenen Herr zu werden! Für diese Gaben steht nun der Opferstock offen: möge der Genius des Vaterlands, der bei ihm wacht, viele Hände segnen können!

Wer, wie wir, Tag für Tag zehn- und zwanzig Mal den Jammerblick vor Augen hätte, den die armen Soldaten gewähren, wie sie mit zerschossenen und verstümmelten Gliedern mühsam umherschleichen und völlig mittellos aus unserer Sammlung sich den Unterhalt für die nächsten Tage und Wochen erbitten, wie sie, oft für immer erwerbsunfähig, der bittersten Noth entgegengehen, für den würde es unserer Aufforderung nicht bedürfen, daß auch er seinerseits zur Milderung dieses Elends nach Kräften beitrage.

Die Redaction.

Im Verlage von Ernst Keil in Leipzig ist erschienen:

Albert Traeger,
Gedichte.
Fünfte vermehrte Auflage. Prachtvoll gebunden mit Goldschnitt 1 1/3 Thlr.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_568.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)